IMI-Analyse 2019/06
Sozialwissenschaften im Dienste des Militärs
Die Praxis „gezielter“ Tötungen mittels Drohnen im Verhältnis zu einem entgrenzten Sicherheitsbegriff
Christopher Schwitanski (08.02.2019)
Am 13. Juni 2018 stimmte der Haushaltsausschuss des deutschen Bundestags mit den Stimmen der großen Koalition aus SPD und CDU/CSU für die Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen für die Bundeswehr. Diese geleasten Drohnen stellen eine Übergangslösung dar, um die Zeit zu überbrücken, bis eine europäische Drohne zur Verfügung steht, ein Projekt, welches sich gegenwärtig noch im Entwicklungs- beziehungsweise Konzeptionsstadium befindet.[1] Über eine mögliche Bewaffnung der geleasten Drohnen soll zu einem späteren Zeitpunkt in einem zweiten Schritt entschieden werden, da hierüber zunächst eine breite öffentliche Debatte geführt werden soll.[2] Auch wenn die neuen Drohnen der Bundeswehr zunächst ohne Bewaffnung auskommen müssen, so ist bereits der Beschluss über ihre Anschaffung nicht unumstritten und neben der Opposition kritisierte dies unter anderem auch das European Center for Constitutional and Human Rights.[3] Neben der nun beschlossenen Anschaffung bewaffnungsfähiger Drohnen war zuletzt auch die Unterstützung des Drohneneinsatzes der USA durch die Bundesregierung Zielscheibe der Kritik von Amnesty International.[4]
Mit dem Beschluss vom 13. Juni 2018 macht die Bundesregierung einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer eigenen bewaffneten Drohne, unabhängig davon, ob diese in Zukunft geleast oder im Rahmen europäischer Rüstungsbestrebungen beschafft wird. Diese Entwicklung lässt sich als Symptom eines weltweiten Rüstungsschubs im Bereich autonomer Bewaffnung und Kriegsführung sehen, sowie einem auf diesem Gebiet entbrannten Rüstungswettlauf.[5] Die Entwicklung im Rüstungssektor im Bereich unbemannter Systeme sogenannter UAVs (Unmanned Aerial Vehicle) oder Drohnen ist zwar äußerst umstritten, schreitet aber trotz zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Kritik an selbiger sowie der hiermit verknüpften Tötungspraxis weiter voran.
Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Entwicklungen in der Bundesrepublik möchte ich – ausgehend von einer Betrachtung verschiedener kritischer Auseinandersetzungen mit dem Einsatz bewaffneter Drohnen und der Praxis sog. gezielter oder extralegaler Tötungen am Beispiel des Einsatzes durch die USA – der Frage nachgehen, inwiefern bestimmte (politik-)wissenschaftliche Konzepte die Legitimation solcher Tötungen mittels Drohnen befördern. Davon ausgehend werde ich weiterhin vorschlagen, dass die Kritik am Einsatz bewaffneter Drohnen sich nicht auf die konkrete Praxis (des Tötens) sowie die weiteren Konsequenzen des Drohneneinsatzes beschränken, sondern darüber hinaus weitere diskursive Legitimationsfaktoren in den Blick nehmen sollte. Hierzu werde ich im Folgenden zunächst einige wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Konsequenzen des Drohneneinsatzes wiedergegeben und diese anschließend mit der Entwicklung gegenwärtiger Sicherheitskonzeptionen in Beziehung setzen. Zur Wiedergabe einiger Argumente aus politiknahen sozialwissenschaftlichen Debatten um den Einsatz bewaffneter Drohnen stütze ich mich im Wesentlichen auf einen Artikel des Politikwissenschaftlers Michael J. Boyle, dessen Prämissen ich in der Diskussion ebenfalls einer kritischen Betrachtung unterziehen werde.
Konsequenzen des Einsatzes bewaffneter Drohnen
Die kritische Auseinandersetzung mit der Praxis der „gezielten“ Tötung mittels Drohnen bezieht sich überwiegend auf ihre Anwendung durch die USA, deren Drohnenprogramm bislang beispiellos ist, wobei die Gruppe der Staaten, die über bewaffnete Drohnen verfügt, kontinuierlich größer wird.[6] Viele der hierüber entwickelten Argumente lassen sich aber grundsätzlich auf den Einsatz bewaffneter Drohnen beziehen, welcher in absehbarer Zukunft auch durch weitere Staaten erfolgen dürfte. Im Falle des Drohnenprogramms der USA gilt es zwischen dem des US-Militärs und dem des Auslandsgeheimdienstes CIA zu unterscheiden. Während das US-Militär Kampfdrohnen vornehmlich im Rahmen von laufenden Kriegen und Konflikten einsetzt, an denen es beteiligt ist, kommen Drohnen unter Verwendung durch die CIA primär außerhalb der unmittelbaren Kampfschauplätze zum Einsatz[7] und das insbesondere auch in Staaten, in denen die USA offiziell gar keinen Krieg führen wie beispielsweise Pakistan, Jemen und Somalia.[8] Die hieraus entstandenen Kontroversen um den Einsatz bewaffneter Drohnen und ihres Einsatzes zur vermeintlich gezielten Tötung einzelner Personen sowie die dagegen angeführten Argumente werden in Deutschland von Akteuren aus Politik und Militär häufig mit dem Verweis abgewiegelt, dass man einen gänzlich anderen Einsatz der Drohnen plane, welcher sich im Wesentlichen auf Aufklärung und den Schutz der Soldaten beschränke. Betrachtet man hingegen Aussagen bezüglich des längerfristig geplanten Einsatzes bewaffneter deutscher Drohnen in Städten wird deutlich, dass es sich hier um vorgeschobene Argumente handelt.[9]
Im Folgenden werden zunächst einige zentrale Argumentationsstränge der Befürworter von Tötungen mittels Drohneneinsätzen wiedergegeben und anhand der wissenschaftlichen Entkräftung selbiger beispielhaft ein erster Zugang zu einer kritischen Perspektive auf Drohneneinsätze eröffnet. Dabei beziehe ich mich primär auf den Einsatz bewaffneter Drohnen und die hiermit einhergehende Praxis „gezielter“ Tötung.
Vorzüge des Drohneneinsatzes aus operativ-militärischer Sicht
Die am häufigsten genannten Gründe für den Drohneneinsatz durch die USA lassen sich in die folgenden Argumentationen zusammenfassen: Gezielte Tötungen erfolgen aufgrund erhöhter Präzision ohne zivile Opfer, zumindest mit deutlich weniger Opfern als herkömmliche Luft- und Bodenoffensiven. Des Weiteren können sie effektiv das Führungspersonal terroristischer Organisationen treffen und sie auf diesem Weg nachhaltig in ihren Kapazitäten und Angriffsmöglichkeiten beeinträchtigen.[10] Die Berechtigung dieser Argumentation lässt sich aus verschiedenen Gründen grundsätzlich in Frage stellen. Zunächst muss angemerkt werden, dass es bezüglich der tatsächlichen Opferzahlen und ihrer Identität keine zuverlässigen Daten gibt, die das obige Argument empirisch stützen würden.[11] Weiterhin widerspricht die bestehende Datenlage der Annahme, dass überwiegend Führungspersonal getötet werde, da dieses tatsächlich nur zwei Prozent der Opfer ausmacht.[12] So können Untersuchungen anhand von Rückschlüssen auf den Inhalt US-amerikanischer Todes-Listen – über offizielle Stellungnahmen zu Zielpersonen und Opfern von Drohnenangriffen – zeigen, dass gesuchte Personen häufig mehrfach als getötet gemeldet werden. Dadurch wird deutlich, dass entgegen der offiziellen Verlautbarungen, welche die empirische Datenbasis der Untersuchung bildeten, viel häufiger Zivilisten getötet wurden.[13] Auch die ebenfalls regelmäßig angeführte Reduktion ziviler Opfer aufgrund der angeblich höheren Zielgenauigkeit (wie sie bereits mit dem Begriff der „gezielten“ Tötung impliziert wird) wird einerseits laut Schörnig durch den Umstand wieder aufgewogen, dass beim Angriff auf militärisch wichtige Zielpersonen zunehmend auf Bomben mit größerer Sprengkraft gesetzt wird, um diese zuverlässig zu töten.[14] Andererseits verwenden Drohnen die gleichen Sprengwaffen wie herkömmliche Militärflugzeuge bzw. -hubschrauber, weswegen das Argument der verbesserten Präzision absurd ist, da die Drohne nur das Transportmittel für diese darstellt. Berichte über die Schwierigkeiten, die mit der Zielidentifikation mittels Drohnen einhergehen, verdeutlichen hingegen deren Ungenauigkeit.[15] Die Argumentation, dass die Anzahl ziviler Opfer geringer ausfalle als bei herkömmlichen Angriffen, ist im Fall der CIA-Angriffe außerhalb von offiziellen Kriegsschauplätzen darüber hinaus insofern unerheblich, als dass hier ganz andere Alternativen in Frage kommen müssten als der Einsatz von Bodentruppen oder herkömmlichen Luftangriffen, wie bspw. diplomatische Einflussnahme.[16]
Neben diesen operativen Argumenten ist der Einsatz von Drohnen für das Militär und die dahinterstehenden Staaten auch aufgrund der Konsequenzen für die gesamte Kriegsführung attraktiv, da hierüber das Risiko militärischer Verluste in Form von Menschenleben reduziert, beziehungsweise eliminiert wird. So argumentiert Schörnig in Anlehnung an Martin Shaw, dass westliche Staaten ihr Militär nur noch unter der Voraussetzung längerfristig einsetzen können, dass eigene Verluste vermieden oder diese auf andere abgewälzt werden, sofern Kriege nicht zur unmittelbaren territorialen Selbstverteidigung geführt werden.[17] In diesem Zusammenhang sprechen Müller und Schörnig von einer sog. „Risikotransferkriegsführung“, im Zuge derer die unmittelbare Gewaltaustragung an lokale Verbündete und private Sicherheitsfirmen delegiert wird.[18] Neben den aktuellen sicherheitspolitischen Konzepten des Kapazitätsaufbaus bildet auch der Einsatz von Drohnen eine folgerichtige Konsequenz dieser Entwicklung.
Dieser Aspekt der Vermeidung eigener Verluste durch den Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge zur Aufrechterhaltung und Legitimation der eigenen (Militär-)Politik bildet zugleich auch ein zentrales Argument gegen den Einsatz selbiger, da hierüber die Hemmschwelle zum Einsatz militärischer Mittel gesenkt wird und es zum Einsatz selbiger kommen kann, noch ehe sämtliche zivile Alternativen ausgelotet wurden.[19] Auf strategischer Ebene lässt sich darüber hinaus anmerken, dass die Priorisierung des Schutzes der eigenen Soldaten über dem der Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet, die Ablehnung selbiger gegenüber den ausländischen Soldaten steigert, beziehungsweise in Afghanistan die Mobilisierung der Aufständischen unterstützt.[20]
Strategische und normative Vorbehalte
Bezogen auf die Situation der USA weist Boyle darauf hin, dass neben den zivilen Opfern von Drohnenangriffen ein zentrales Problem darin besteht, dass durch Drohnenangriffe mit Zustimmung der dortigen Regierung in Staaten wie Pakistan, die Legitimität selbiger Regierung untergraben wird, auf welche die USA wiederum als Verbündete im Kampf gegen den internationalen Terrorismus angewiesen sind.[21] An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Drohneneinsatz natürlich auch ohne die Zustimmung von Regierungen erfolgt[22] oder durch solche, deren Legitimität in Frage gestellt werden kann. Weiterhin sieht Boyle die Gefahr eines Reimports der Gewalt in Form von (Vergeltungs-)Anschlägen innerhalb der USA.[23]
Die wachsende Bedeutung von Drohnen abseits klassischer Kriegsschauplätze stellt auch verschiedene Aspekte der bestehenden internationalen Ordnung in Frage. Diesbezüglich führt Boyle in der Betrachtung möglicher Konsequenzen des gegenwärtigen Wettrüstens im Bereich autonomer Systeme an, dass die zunehmende Verbreitung von Drohnen und deren vermehrter Einsatz nicht zuletzt das Potential haben, das auf Abschreckung beruhende Gleichgewicht zwischen den Atommächten zu untergraben,[24] wobei dieser Aspekt weniger den Einsatz von Drohnen, sondern allgemein ein Risiko der zunehmenden Automatisierung der Kriegsführung darstellt.[25] Des Weiteren dürfte hierüber auch auf globaler Ebene die Bereitschaft, auf militärische Einsätze zurückzugreifen, zunehmen und dies ohne, dass notwendigerweise ein Krieg erklärt werden muss.[26] Hieran anschließen lässt sich die Analyse von Prinz und Schetter, der zufolge durch die Drohnenkriegsführung die staatliche Souveränität im Sinne territorialer Integrität und ein hierüber ausgeübtes und beschränktes Gewaltmonopol grundlegend unterminiert wird.[27] Weiterhin sieht Boyle die internationale Norm gegen die Tötung ausländischer Staatsoberhäupter und anderer wichtiger politischer Funktionäre durch den Einsatz von Drohnen gefährdet.[28] Eine Norm, deren kontinuierlicher Fortbestand in den letzten Jahren aufgrund verschiedener Faktoren, wie beispielsweise dem Krieg gegen den Terror, bereits in Frage gestellt werden kann[29] und die, wie in diesem Kontext deutlich wird, auch nur insofern noch von Bedeutung ist, als dass das jeweilige Führungspersonal nicht als terroristisch gelabelt wird und damit derartige Normen von vornherein ad acta gelegt werden.[30]
Wie bereits erwähnt bilden die bisher vorgestellten Argumente nur einen Ausschnitt der Debatten um den Einsatz bewaffneter Drohnen und zielen im Wesentlichen auf den Einsatz zur angeblich gezielten Tötung von Individuen sowie die Konsequenzen für die Kriegsführung im Allgemeinen sowie für die Außenpolitik der USA. Darüber hinaus sei an dieser Stelle noch auf den Einsatz in innerstaatlichen Konflikten zur Aufstandsbekämpfung, Repression und Überwachung sowie der Einsatz durch nichtstaatliche Akteure hingewiesen, womit weitere teils spezifische Probleme einhergehen.[31]
Bedingungen des Drohneneinsatzes
Die vorigen Ausführungen werfen die Frage auf, wie sich die gegenwärtige Situation eines massiven Drohnen-Einsatzes durch die USA und weiterer Staaten sowie das hierüber angestoßene Wettrüsten überhaupt erst entwickeln konnte. Ausgehend von dieser Frage werden im Folgenden einige ausgewählte Faktoren hierfür vorgestellt und im Anschluss daran ihre grundsätzliche Bedeutung für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz bewaffneter Drohnen diskutiert.
Die militärische Entwicklung von Kampfdrohnen in den USA bildet laut Müller und Schörnig die konsequente Fortführung der sogenannten Revolution in Military Affairs, so die Bezeichnung des Wandels der US-Streitkräfte hin zu einer vernetzten hoch technologisierten Armee.[32] Zentral ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung, die im Kalten Krieg angestoßene Entwicklung militärischer Hochtechnologie auch nach dessen Ende weiter voranzutreiben, beziehungsweise noch zu verstärken.[33]
Die Attraktivität des Drohneneinsatzes für die amerikanische Außenpolitik erklärt sich vor diesem Hintergrund insbesondere auch über den Wandel der Kriege unter US-amerikanischer Beteiligung nach Ende des Kalten Krieges. Wie Müller und Schörnig ausführen, lassen sich die Interventionskriege der USA und der Nato nach dem Zerfall der Sowjetunion als „Kriege der Wahl“[34] charakterisieren, welche wesentlich schwerer gegenüber der eigenen Bevölkerung zu legitimieren sind, da sie nicht auf unmittelbarer territorialer Verteidigung beruhen. Diese Legitimation wird durch den Einsatz von Drohnen und die hiermit einhergehende Reduktion eigener (menschlicher) Verluste jedoch entscheidend erleichtert.[35]
Ausweitung des Sicherheitsbegriffs
Dieser Wandel in der Kriegsführung geht auf diskursiver Ebene mit einem Wandel des Sicherheitsverständnisses einher. Um die Parallelität dieser Prozesse und den zu beobachtenden Zusammenhang zwischen beiden nachzuvollziehen wird im Folgenden zunächst der Wandel des Sicherheitsbegriffs seit Beginn des Kalten Krieges kurz umrissen.
Die Entwicklung der innerhalb der Gesellschaft verhandelten Sicherheitsvorstellungen hat sich ausgehend von einer primär militärischen Perspektive der Territorialverteidigung in der Folgezeit des Westfälischen Friedens hin zu einem gegenwärtig ausgedehnten Sicherheitsverständnis erweitert und Sicherheit ist „[…] zum zentralen Wertbegriff moderner – und postmoderner – Gesellschaften geworden […]“.[36] Daase schlägt in diesem Zusammenhang den Begriff der Sicherheitskultur vor, welcher die Überzeugungen, Werte und Praktiken umfasst, „die das Sicherheits- und Unsicherheitsempfinden von Staaten, Gesellschaften und Individuen bestimmen und die Sicherheitspolitik prägen“,[37] sowie damit einhergehend die Frage, „was als eine Gefahr anzusehen ist und wie und mit welchen Mitteln dieser Gefahr begegnet werden soll“.[38] Während laut Daase in den 1950er und 1960er Jahren noch ein enger Sicherheitsbegriff in Anlehnung an die territoriale Verteidigung in den westlichen Gesellschaften vorherrschte, etablierte sich in den folgenden Jahren zunehmend ein liberales Konzept gesellschaftlicher Sicherheit, an das sich wiederum in den 90er Jahren die Diskussion über menschliche Sicherheit anschloss.[39] Die Vorstellung von menschlicher Sicherheit rückt neben dem Schutz des Individuums vor Krieg und Gewalt weiterhin die Ermöglichung eines Lebens in Freiheit und Würde in den Vordergrund. Durch diese Ausweitung der Sicherheitskonzeption, so folgert Daase, „geraten neue Gefahren für die Sicherheit in den Blick: Kriminalität, soziale Not, Krankheit, Armut, Arbeitslosigkeit, Migration, illegaler Drogen- und Waffenhandel und vieles mehr“.[40] Die Berücksichtigung dieser und weiterer gesellschaftlicher Problemfelder als sicherheitsrelevant wurde zunächst maßgeblich innerhalb der amerikanischen (politiknahen) Politikwissenschaft und den Security Studies vorangetrieben und war folglich eng mit den sicherheitspolitischen Interessen der USA verknüpft.[41] Ein derart ausgeweitetes Sicherheitsverständnis findet sich ab den 1990er Jahren auch in den strategischen Konzepten der Nato, den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung und Anfang der 2000er Jahre in der Sicherheitsstrategie der EU.[42] Diese Ausweitung des Sicherheitsbegriffs führt nach Daases Einschätzung „[…] langfristig zu einer Militarisierung neuer Politikbereiche“[43]. Dies geschieht vornehmlich durch die eng mit dem Konzept der Sicherheit verknüpfte Dimension der Bedrohung,[44] welche die Legitimation militärischer Aktionen erleichtert.[45]
Mit der Ausweitung des Sicherheitsbegriffs geht zugleich eine Veränderung der Art und Weise einher, wie Gefahr und Unsicherheit verstanden werden. So wurde Unsicherheit während des Kalten Krieges vornehmlich als Bedrohung konzeptualisiert, wohingegen sich nach dem Ende der unmittelbaren Blockkonfrontation die Deutung von Unsicherheit als Risiko durchzusetzen begann.[46] Diese Verschiebung in der Konzeption von Unsicherheit hat wiederum weitreichende Konsequenzen für die Art und Weise, wie mit dieser politisch umgegangen wird. Anstatt auf Gefahren nur zu reagieren, wandelt sich die sicherheitspolitische und militärische Reaktion auf Gefahren von einer reaktiven hin zu einer proaktiv-präventiven Kriegsführung. Die diesbezüglichen Argumentationsmuster finden sich bereits in der US-Sicherheitsstrategie von 2002.[47] Vor diesem Hintergrund lässt sich der Krieg gegen den Terror und insbesondere die Argumentation der US-Administration für den Angriffskrieg gegen den Irak 2003 als ein Beispiel für präventive Kriegsführung lesen.
Die Praxis des Tötens mittels Drohnen durch die CIA (welche auf der Argumentation beruht, dass Personen getötet würden um Anschlägen durch selbige vorzubeugen) lässt sich meines Erachtens als die konsequente Fortführung dieses sicherheitspolitischen Präventionsparadigmas verstehen und bildet zugleich eine Extremform der präventiven Kriegsführung.[48]
Neben der Ausweitung des Sicherheitsbegriffs lassen sich weitere diskursive Elemente identifizieren, welche den legitimatorischen Boden des Drohneneinsatzes bilden. An dieser Stelle sei beispielhaft auf die Untersuchung von Prinz und Schetter zum Konzept unregierter Räume (ungoverned spaces) verwiesen, welches sich meines Erachtens direkt aus der Verwendung eines weiten Sicherheitsbegriffs und der Möglichkeit, hierüber verschiedenste Phänomene als eine Form der Bedrohung unter militärische Handlungs- beziehungsweise Bekämpfungslogik zu stellen, ableiten lässt.[49] Das Konzept unregierter Räume, so führen die Autoren weiter aus, suggeriert einerseits die Illegitimität nicht-staatlicher Strukturen und stellt weiterhin die Souveränität der betroffenen Staaten in Frage.[50] Die primäre Verortung solcher Räume außerhalb der westlichen Staaten ermöglicht weiterhin in kolonialer Manier die Konstruktion von Andersartigkeit im Sinne einer chaotischen Gesetzlosigkeit, worüber sich wiederum Interventionen ohne Rechtsbindung, wie verdeckte Operationen durch Spezialeinheiten oder Drohnenangriffe legitimieren lassen.[51]
Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle sagen, dass Drohnen auf zweierlei Ebenen der vermeintlichen Risikovermeidung dienen. Einerseits reduzieren sie das Risiko für das Leben der eigenen Streitkräfte und senken auf diesem Weg die Hemmschwelle für den Einsatz militärischer Gewaltmittel. Andererseits bildet ihr Einsatz vor dem Hintergrund eines ausgeweiteten, sicherheitspolitisch gewendeten Sicherheitsbegriffs eine Extremform präventiver Kriegsführung, welche sich der Ausschaltung von als Risiko definierten Subjekten verschrieben hat.
Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, anhand des Einsatzes bewaffneter Drohnen und der Ausweitung des Sicherheitsbegriffs eine Verbindung zwischen konkreten sicherheitspolitischen und militärischen Maßnahmen und Entwicklungen auf der einen und hiermit einhergehenden (politik-)wissenschaftlichen Debatten auf der anderen Seite herzustellen. Eine solche Ausweitung der Perspektive von der Praxis gezielter Tötungen, hin zu dieser zugrunde liegenden legitimatorischen Diskursen stellt meines Erachtens eine wichtige Ergänzung zur kritischen Debatte über den Einsatz von Drohnen dar. Eine solche Perspektive ermöglicht es, die Kritik politischer Praxis zusätzlich auf erkenntnistheoretischer (epistemischer) Ebene anzusetzen und hierüber eine kritische Perspektive auf die Produktion wissenschaftlichen Wissens zu ermöglichen. Auf dieser Ebene lassen sich beispielsweise die Fragen verfolgen, welche Akteure mit welcher Intention welche wissenschaftlichen Konzeptionen propagieren, sowie die Frage, wofür sich selbige nutzen lassen. Hierüber wird eine selbstreflexive Perspektive auf die eigene wissenschaftliche Arbeit eröffnet, verbunden mit der Frage, welche bestehenden Begriffe und Konzepte man sich zu Eigen macht und welche man ausgehend von der eigenen normativen Ausrichtung ablehnt. Derartige Überlegungen haben auch über die bloße Beschäftigung innerhalb einer wissenschaftlichen Community hinaus gesellschaftliche Relevanz: einerseits im Falle der Drohnenkriegsführung ganz konkret für die betroffene Bevölkerung in den Einsatzgebieten, andererseits auch für die heimische Gesellschaft, in welche die sicherheitspolitischen Diskurse hineingetragen werden.[52]
In diesem Zusammenhang bietet sich meines Erachtens der Rückgriff auf das von der Friedens- und Konfliktforscherin Claudia Brunner vorgeschlagene Konzept der epistemischen Gewalt an. Diese definiert Brunner „als jene Dimension gewaltförmiger gesellschaftlicher Verhältnisse, die im Wissen selbst, in seiner Genese, Ausformung, Organisation und Wirkmächtigkeit angelegt ist.“[53] Brunner wirft hier die Frage auf, inwiefern die vordergründig gewaltfreie wissenschaftliche Erkenntnis- und Wissensproduktion an der Legitimation und Ermöglichung von Repression und gewaltsamen gesellschaftlichen Verhältnissen einschließlich unmittelbarer physischer Gewalt beteiligt ist.[54] So lassen sich auch verschiedene der oben aufgeführten Argumentationsstränge kritisch hinterfragen, sofern diese sich primär auf einer operativen Ebene kritisch mit dem Drohneneinsatz auseinandersetzen. So ist bspw. eine Vielzahl der von Michael J. Boyle vorgetragenen Einwände von der Sorge begleitet, dass durch den Drohneneinsatz die hegemoniale Vormachtstellung der USA auf internationaler Ebene gefährdet wird. Dieser Umstand entwertet zwar nicht per se seine Argumente, macht aber deutlich, dass auch deren Hintergrund mitgedacht und ggf. kritisiert werden muss. Eine solche korrektive Kritik, die sich bspw. auf die mangelnde Zielgenauigkeit von Drohnenangriffen beschränkt, ohne diese grundsätzlich abzulehnen, läuft Gefahr am Ende zur bloßen Legitimation von Drohneneinsätzen mit angeblich zielgenaueren Waffen beizutragen oder anderen Formen militärischer Gewalt den Vorzug zu geben, anstatt diese fundamental zu kritisieren. Ähnliches gilt auf sprachlicher Ebene bspw. für die unbedarfte Verwendung des Begriffs „gezielte Tötung“, welcher die fälschlichen Vorstellungen einer „sauberen“, zivile Opfer vermeidenden Form des Tötens und die hiermit einhergehende Legitimation des Drohneneinsatzes implizit reproduziert. Ob es ausreicht das Wort „gezielte“ in Anführungszeichen zusetzen, wie ich es in diesem Beitrag tue, kann ebenfalls hinterfragt werden.
Vor diesem Hintergrund lassen sich zwei Schlussfolgerungen für eine kritische Perspektive auf militär- und sicherheitspolitische Phänomene ziehen: Zum einen kann es sich in der kritischen Debatte zum Einsatz bewaffneter Drohnen als hilfreich erweisen, die mit selbigen verknüpften Wissensstrukturen zu hinterfragen, zum anderen gilt es die Entwicklung sicherheitspolitischer (Bedrohungs-)Konzepte kritisch zu verfolgen und auf ihre praktischen Implikationen hin zu befragen.[55] Bezogen auf die eingangs umrissene Situation in der Bundesrepublik bleibt zunächst abzuwarten und zu verfolgen, wie sich die angestrebte gesellschaftliche Debatte über den möglichen Einsatz bewaffneter Drohnen gestalten wird und welche Akteure mit welchen Argumenten und Vorstellungen an dieser beteiligt sein werden. Da auf der anderen Seite die Erfahrung zeigt, dass es fraglich ist, ob seitens der Politik ernsthaft ein Interesse daran besteht, solche Debatten öffentlich zu führen, bleibt es im Zweifelsfall die Aufgabe der Friedensbewegung, diese Themen weiterhin mit Nachdruck in die Öffentlichkeit zu tragen.[56]
Anmerkungen
[1] Deutscher Bundestag. 2018. Drucksache 19/1082. Neue Planungen zu bewaffneten und bewaffnungsfähigen Drohnen.
[2] Pletsch, M. 2018. Heron TP für die Bundeswehr – erstmal überwachen, töten später? IMI-Analyse 2018/21.
[3] Vgl. ECCHR. 2018. Offener Brief an die SPD-Bundestagsfraktion.
https://www.ecchr.eu/nc/pressemitteilung/kampfdrohnen-offener-brief-an-die-spd-bundestagsfraktion/
[4] Amnesty International. 2018. Deadly assistance: The role of European states in US drone strikes. Amnesty International Ltd: London. (S. 51 ff.)
[5] Boyle, Michael J. 2013. ‘The Costs and Consequences of Drone Warfare’, International Affairs 89, no. 1/2013: 1–29. (S. 22 ff.)
[6] Horowitz, M. C., Kreps, S. E., Fuhrmann, M. Separating fact from fiction in the debate over drone proliferation. International Security, 41(2), 7-42. (S. 11 f.)
[7] Ofek, H. 2010. The tortured logic of Obama’s drone war. The New Atlantis, (27), 35-44. (S. 36 f.)
[8] Ebd. (S. 36)
[9] Vgl. Pletsch, M. 2018. Heron TP für die Bundeswehr – erstmal überwachen, töten später? IMI-Analyse 2018/21.
[10] Boyle, Michael J. 2013. ‘The Costs and Consequences of Drone Warfare’, International Affairs 89, no. 1/2013: 1–29. (S. 3 ff.)
[11] Ebd. (S. 6)
[12] Ebd. (S. 9)
[13] Reprieve 2014. You never die twice. Multiple kills in the US drone program.
[14] Schörnig, N. 2010. Die Automatisierung des Krieges: der Vormarsch der Robotkrieger ist nicht mehr aufzuhalten und wirft einige Probleme auf. HSFK Standpunkte 5/2010. (S. 8)
[15] Vgl. Chatterjee, P. 2018. Technologie als Achillesferse. Fallstricke der Drohnenkriegsführung. Wissenschaft und Frieden 4/2018 S. 14-17.
[16] Boyle, Michael J. 2013. ‘The Costs and Consequences of Drone Warfare’, International Affairs 89, no. 1/2013: 1–29. (S. 12 f.)
[17] Schörnig, N. 2010. Die Automatisierung des Krieges: der Vormarsch der Robotkrieger ist nicht mehr aufzuhalten und wirft einige Probleme auf. HSFK Standpunkte 5/2010. (S. 5)
[18] Müller, H., Schörnig, N. 2010. Drohnenkrieg: Die konsequente Fortsetzung der westlichen Revolution in Military Affairs. Aus Politik und Zeitgeschichte, 50(2010), 16-23. (S. 19)
[19] Ebd. (S. 21 f.)
[20] Ebd. (S. 19)
[21] Boyle, Michael J. 2013. ‘The Costs and Consequences of Drone Warfare’, International Affairs 89, no. 1/2013: 1–29. (S. 3)
[22] Diesbezüglich und für einen genderkritischen Zugang zum Drohneneinsatz siehe Acheson, R. 2018. Gender und Drohnen. Folgen des bewaffneten Drohneneinsatzes. Wissenschaft und Frieden 3/2018 13-17.
[23] Boyle, Michael J. 2013. ‘The Costs and Consequences of Drone Warfare’, International Affairs 89, no. 1/2013: 1–29. (S. 1 f.)
[24] Ebd. (S. 24)
[25] Sauer, F., Thomas, G. 2018. Mit Technologie in die Dystopie? Ein Diskurs über konkrete und diffuse Risiken. Wissenschaft und Frieden 4/2018. S. 6-10.
[26] Boyle, Michael J. 2013. ‘The Costs and Consequences of Drone Warfare’, International Affairs 89, no. 1/2013: 1–29. (S. 25)
[27] Prinz, J., Schetter, C. 2014. Das Ende der Souveränität?–Über die Entstehung neuer Gewalträume im Krieg gegen den Terrorismus. Die Friedens-Warte, 91-110. (S. 105 f.)
[28] Boyle, Michael J. 2013. ‘The Costs and Consequences of Drone Warfare’, International Affairs 89, no. 1/2013: 1–29. (S. 25)
[29] Thomas, W. 2001. The ethics of destruction: Norms and force in international relations. Cornell University Press. (S. 77 ff.)
[30] Vgl. diesbezüglich die Situation im Jemen: Shaif, R., Walting, J. 2018. How the UAE’s Chinese-made drone is changing the war in Yemen. Foreign Policy.
[31] Für eine Übersicht siehe Horowitz, M. C., Kreps, S. E., Fuhrmann, M. Separating fact from fiction in the debate over drone proliferation. International Security, 41(2), 7-42.
[32] Müller, H., Schörnig, N. 2010. Drohnenkrieg: Die konsequente Fortsetzung der westlichen Revolution in Military Affairs. Aus Politik und Zeitgeschichte, 50(2010), 16-23. (S. 17)
[33] Ebd. (S. 18)
[34] Ebd. (S. 18)
[35] Ebd. (S. 20 f.)
[36] Daase, C. 2010a. Der Wandel der Sicherheitskultur—Ursachen und Folgen des erweiterten Sicherheitsbegriffs. In Zoche, P., Kaufman, S., Haverkamp, R. (Hrsg.). Zivile Sicherheit. transcirpt Verlag: Bielefeld. (S. 139)
[37] Daase, C. 2010b. Wandel der Sicherheitskultur. Aus Politik und Zeitgeschichte, 50(2010), 9-16. (S. 9)
[38] Ebd. (S. 9)
[39] Ebd. (S. 11)
[40] Ebd. (S. 10)
[41] Daase, C. 1991. Der erweiterte Sicherheitsbegriff und die Diversifizierung amerikanischer Sicherheitsinteressen. Anmerkungen zu aktuellen Tendenzen in der sicherheitspolitischen Forschung. Politische Vierteljahresschrift, 425-451. (S. 443)
[42] Krüger, U. 2013. Meinungsmacht: der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten; eine kritische Netzwerkanalyse. Köln: Halem. (S. 156 f.)
[43] Daase, C. 1991. Der erweiterte Sicherheitsbegriff und die Diversifizierung amerikanischer Sicherheitsinteressen. Anmerkungen zu aktuellen Tendenzen in der sicherheitspolitischen Forschung. Politische Vierteljahresschrift, 425-451. (S. 444)
[44] Daase, C. 2010a. Der Wandel der Sicherheitskultur—Ursachen und Folgen des erweiterten Sicherheitsbegriffs. In Zoche, P., Kaufman, S., Haverkamp, R. (Hrsg.). Zivile Sicherheit. transcirpt Verlag: Bielefeld. (S. 147)
[45] Vgl. Brock, L. 2005. Neue Sicherheitsdiskurse. Vom „erweiterten Sicherheitsbegriff “zur globalen Konfliktintervention. Wissenschaft und Frieden, 23(4), 18-21.
[46] Daase, C. 2010b. Wandel der Sicherheitskultur. Aus Politik und Zeitgeschichte, 50(2010), 9-16. (S. 14)
[47] Ebd. (S. 14)
[48] Prinz, J., Schetter, C. 2014. Das Ende der Souveränität?–Über die Entstehung neuer Gewalträume im Krieg gegen den Terrorismus. Die Friedens-Warte, 91-110. (S. 102)
[49] Vgl. ebd. (S. 99)
[50] Ebd. (S. 97)
[51] Ebd. (S. 100 f.)
[52] Bezüglich der empirischen Untersuchung der Propagierung eines erweiterten Sicherheitsbegriffs durch verschiedene deutsche Leitmedien siehe beispielhaft die Untersuchung des Medienwissenschaftlers Uwe Krüger: Krüger, U. 2013. Meinungsmacht: der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten; eine kritische Netzwerkanalyse. Köln: Halem.
[53] Brunner, C. 2018. Epistemische Gewalt. Konturierung eines Begriffs für die Friedens- und Konfliktforschung. In Dekoloniale und Postkoloniale Perspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung. 25-59. Nomos Verlagsgesellschaft. (S. 27)
[54] Brunner, C. 2015. Das Konzept epistemische Gewalt als Element einer transdisziplinären Friedens- und Konflikttheorie. In Wintersteiner, W., Wolf, L. (Hrsg.). Friedensforschung in Österreich Bilanz und Perspektiven. 38-53 Klagenfurt/Celovec: Drava Verlag. (S. 39)
[55] Eine solche Entwicklung lässt sich meines Erachtens gegenwärtig in der sicherheitspolitischen Debatte innerhalb der militärischen/wissenschaftlichen Strukturen von Nato und EU über sogenannte hybride Bedrohungen beobachten.
[56] Vgl. Pletsch, M. 2018. Heron TP für die Bundeswehr – erstmal überwachen, töten später? IMI-Analyse 2018/21.