IMI-Standpunkt 2018/026 - in: junge Welt, 1.9.2018
Auf dem Weg zur Rüstungsunion
Pesco und die Folgen: Wie Deutschland und Frankreich den Rest der EU unter Druck setzten
Jürgen Wagner (03.09.2018)
Am 11. Dezember 2017 aktivierten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (engl. „PESCO“). Wohl zu Recht bezeichnete die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini dies als einen „historischen Moment“, denn die von Deutschland und Frankreich ausbaldowerte PESCO-Architektur hat das Zeug, die EU endgültig zu einer Rüstungsunion umzubauen. Jahrelang hatte vor allem Großbritannien, PESCO aus Sorge um seine machtpolitische Beinfreiheit blockiert, aber auch eine Reihe kleinerer und mittlerer EU-Mitgliedsstaaten stand dem Vorhaben lange skeptisch gegenüber, sahen (und sehen) sie darin doch einen deutsch-französischen Versuch, große Teile der EU-Militärpolitik unter ihre Fuchtel zu bekommen. Seit der Entscheidung der britischen Bevölkerung am 23. Juni 2016, aus der EU auszutreten, bröckelte der Widerstand allerdings zusehends und die beiden verbliebenen selbsternannten EU-Führungsmächte übernahmen das Zepter.
Im Juli 2017 einigten sich Deutschland und Frankreich erst einmal im Alleingang auf alle wesentlichen PESCO-Prozeduren. Erst danach traten sie an Spanien und Italien heran, wodurch bereits ein guter Teil der für eine Aktivierung erforderlichen qualifizierten Mehrheit (65 Prozent der EU-Bevölkerung und 55 Prozent der EU-Mitgliedsstaaten) beisammen war. Für die skeptischen Länder stellte sich das Problem, dass wer erst später teilnehmen wollte, dafür dann eine qualifizierte Mehrheit der bereits im PESCO-Boot sitzenden Staaten benötigte. Und das bedeutete wiederum, sich auf Gedeih und Verderb dem Wohlwollen Deutschlands und Frankreichs auszuliefern, die bei qualifizierten Mehrheitsentscheidungen gemeinsam de facto über eine Sperrminorität und damit über immense Einflussmöglichkeiten verfügen. Die Gefahr vor Augen, an den Katzentisch der EU-Militärpolitik verbannt zu werden, entschieden sich schlussendlich 25 EU-Staaten ungeachtet aller Skepsis auf den PESCO-Zug aufzuspringen – außen vor sind jetzt nur noch Großbritannien, Dänemark und Malta.
Allerdings hat dies buchstäblich einen Preis, der darin besteht, dass sich alle PESCO-Staaten auf die Einhaltung von 20 Kriterien verpflichtet haben. Im Kern soll damit ein Ausbau der EU-Militärkooperation einhergehen, von der man sich einen erheblichen Zuwachs an militärischer Schlagkraft verspricht. Deshalb wird zunächst einmal jeder Staat dazu verpflichtet, an der „Koordinierten Jährlichen Verteidigungsüberprüfung“ (CARD) teilzunehmen. Hierüber sollen künftig Militärprojekte von einem europaweiten strategischen Interesse identifiziert und vorangetrieben werden, indem PESCO die Teilnehmer gleichzeitig darauf festnagelt, sich „an mindestens einem Projekt“ dieser Art zu beteiligen. Weiter enthalten ist etwa die „Verpflichtung zur Ausarbeitung harmonisierter Anforderungen“ und die „Zusage, sich auf gemeinsame technische und operative Standards der Streitkräfte zu einigen“ sowie die „Verpflichtung, die gemeinsame Nutzung bestehender Fähigkeiten zu erwägen“. Außerdem sagen die Staaten zu, „einen wesentlichen Beitrag zu EU-Gefechtsverbänden zu leisten“ und „im Rahmen ihrer Mittel und Fähigkeiten […] zu GSVP-Operationen […] substanzielle Unterstützung zu leisten“.
Weitgehend sind auch die Kriterien im finanziellen Bereich: Sie beinhalten eine stärkere „gemeinsame Finanzierung militärischer GSVP-Operationen“, eine „schrittweise Aufstockung der Investitionsausgaben für Verteidigungsgüter auf 20 Prozent der Gesamtausgaben im Verteidigungsbereich“ sowie die Festlegung auf eine „regelmäßige reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte.“ Dem Wortlaut nach ist dies wohl als eine jährliche Anhebung über der Inflationsrate zu verstehen – eine Reduzierung des Rüstungshaushaltes wird damit (abseits einer schweren Wirtschaftskrise) per PESCO-Kriterium unmöglich gemacht!
Weiter gelte auch eine „Verpflichtung zur intensiven Einbeziehung eines künftigen Europäischen Verteidigungsfonds“ (EVF). Über den EVF sollen im nächsten EU-Haushalt 2021 bis 2027 bis zu 48,6 Mrd. Euro für die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern aus dem EU-Haushalt ausgeschüttet werden. Bevorzugt werden sollen bei der Vergabe jene im CARD-Prozess identifizierten transeuropäischen – de facto aber deutsch-französischen – strategischen Großprojekte, die dann im PESCO-Rahmen umgesetzt werden.
Die ersten 17 PESCO-Projekte wurden im März 2018 vereinbart, sie reichen von eher unscheinbaren Vorhaben wie dem Aufbau eines EU-Sanitätskommandos bis hin zur Entwicklung eines neuen Infanteriefahrzeuges. Weitere PESCO-Projekte sollen noch in diesem Jahr verabschiedet werden, diskutiert wird etwa, ob der Bau eines deutsch-französischen Kampfflugzuges und eines gemeinsam gebauten Kampfpanzers in den PESCO-Rahmen überführt werden soll. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird die milliardenschwere Euro-Kampfdrohe als PESCO-Projekt durchgeführt werden, da sich die Mitgliedsstaaten bereits darauf geeinigt haben, das Vorhaben künftig aus dem EVF mit zu finanzieren.
So nimmt also eine Europäische Rüstungsunion Gestalt an – strategische Projekte werden künftig von CARD identifiziert, von PESCO umgesetzt und vom EVF finanziert: „Sie ist erwacht, die schlafende Schönheit des Lissabon-Vertrags“, wie Kommissionschef Juncker mit kaum zu überbietendem Pathos die Aktivierung von PESCO abfeierte. Die Freude dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass es nun erstmals möglich ist, rüstungsunwillige Staaten zu sanktionieren. Der Weg hierfür wird über ein letztes Kriterium frei, das die Staaten zur „Einführung einer regelmäßigen Überprüfung dieser Verpflichtungen“ verdonnert. Damit schnappt dann die Rüstungsfalle endgültig zu, denn künftig wird die EU-Verteidigungsagentur eine jährliche Evaluation durchführen und sollte sie zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Staat die eine oder andere Militarisierungshürde gerissen hat, dann ist es – zumindest theoretisch – möglich, ihn auf dieser Grundlage mit einer qualifizierten Mehrheit aus PESCO hinauszuwerfen!
Dieser Artikel erschien zunächst in der Antikriegsbeilage der Tageszeitung „junge Welt“ vom 1.9.2018.