IMI-Analyse 2017/42 - in: Friedensforum 6/2017
Profiteure der High-Tech-Vergrenzung
Christoph Marischka (09.11.2017)
Mauern, Zäune und Stacheldraht haben gegenwärtig Konjunktur. Als Gründe hierfür werden meist implizit die sog. „Flüchtlingskrise“ einerseits und der „Rechtspopulismus“ andererseits angenommen. Dabei wird jedoch übersehen, dass es sich bei diesen Mauern und Zäunen nur um die banalsten Elemente jener „Festung Europa“ handelt, die bereits seit einem guten Jahrzehnt mit Unsummen aufgebaut wird. Zentrale Akteure und Profiteure sitzen dabei in jenen Ländern und Institutionen, die öffentlich gerne die Abschottungstendenzen „rechtspopulistischer“ Regierungen kritisieren. Während Mauern und Zäune zwischen Bulgarien und der Türkei, Ungarn und Serbien Menschen vom Zutritt zur EU abhalten sollen, setzen diese Maßnahmen – oft in Zusammenarbeit mit diktatorischen Regimen – bereits in den Herkunfts- und Transitstaaten an.
Datenbanken und Biometrie
Ein Beispiel hierfür ist der Aufbau einer Westafrikanischen Polizeidatenbank (WAPIS) durch Interpol, der seit 2012 durch das „Instrument für Stabilität“ der EU-Kommission finanziert wird. 2017 gab diese bekannt, das Programm mit weiteren 25 Mio. Euro zu unterstützen. Von den 5 Mio. Euro, welche die EU 2016 über Interpol ausschüttete, behielt die Behörde 7% Verwaltungskosten ein, 1,4 Mio. wurden für „Human Ressources“ und 1,5 Mio. für die technische Ausrüstung und deren Unterhalt ausgegeben. In die Datenbank, die zunächst für Benin, Ghana, Mali und Niger eingerichtet wurde und nun auf Burkina Faso, Tschad und Mauretanien ausgeweitet werden soll, können die beteiligten Staaten verdächtige und gesuchte Personen und Fahrzeuge (auch Boote) einspeisen, die künftig auch bei (Grenz-)Kontrollen in Drittstaaten festgesetzt werden sollen. Als Nutznießer wurden von Interpol jedoch explizit auch Frontex, Europol und EU-Missionen (wie die EUCAP-Missionen in Mali und Niger) vor Ort genannt. Profiteure werden jedoch neben den Innenministerien und Geheimdiensten der wenig demokratischen Staaten Westafrikas v.a. IT-Hersteller und -Dienstleister aus dem globalen Norden sein. Auf den Videos von der Einweihung der WAPIS-Zentrale in Ghana war viel Ausrüstung des US-amerikanischen IT-Unternehmens Hewlett-Packard (HP) zu sehen.
Für die Systemverwaltung, Erfassung und Prozessierung biometrischer Daten tut sich derzeit ein gewaltiger Markt auf, der sich u.a. auf der jährlichen Fachmesse „ID4Africa“ trifft. Unter deren Sponsoren und Premium-Ausstellern finden sich mehrere Firmen, die zuvor im Rahmen des Sicherheitsforschungsprogrammes der EU-Kommission Unterstützung bei gemeinsamen Forschungsprojekten mit Universitäten und EU-Behörden erhielten, wie etwa Safran Morpho, ein Tochterunternehmen des französischen Rüstungskonzerns Safran. Hauptsponsor der Messe war 2016 das belgische Unternehmen Zetes mit 1.100 MitarbeiterInnen und Niederlassungen in 21 Ländern, das mit einem Umsatz von 258 Mio. Euro 2015 seit 2016 mehrheitlich im Besitz von Panasonic ist. Als Referenzen verweist Zetes neben Aufträgen aus Belgien und Deutschland auf die Beteiligung an der biometrischen Erfassung von WählerInnen und Militärangehörigen in mehreren afrikanischen Staaten – zu großen Teilen finanziert durch die UN und andere internationale Organisationen – u.a. in der ehemaligen belgischen Kolonie DR Kongo. Aktuell bemüht sich Zetes mit Verweis auf WAPIS um die Einführung eines biometrischen Ausweises für die ganze Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS). Begründet wird dies v.a. mit Bevölkerungswachstum und Bedrohungen wie dem Terrorismus: „Sicherheitsrisiken machen die Kontrolle der Bevölkerung und von Migrationsbewegungen notwendig.“[1]
Rüstungsgüter gegen Rücknahmeabkommen
Doch nicht nur bei der Fluchtverhinderung in den Herkunfts- und Transitstaaten spielen biometrische Systeme eine zunehmende Rolle, sondern auch bei Abschiebungen von Deutschland und Europa aus. Deshalb gehört es mittlerweile zum Standardprogramm bei Besuchen deutscher RegierungsvertreterInnen v.a. in Nordafrika, diese zur biometrischen Erfassung ihrer Bevölkerung zu nötigen und hierfür auch finanzielle Unterstützung zuzusagen. Dies war wesentlicher Inhalt der Nordafrika-Reise des Innenministers De Maizière Anfang 2016 nach Marokko, Algerien und Tunesien. Die Welt.de berichtete damals zum Abschiebedeal: „Deutschland und Marokko wollen die Identität marokkanischer Staatsbürger anhand von Fingerabdrücken feststellen, die in Marokko für biometrische Pässe gespeichert werden […] Ein Problem ist offenbar, dass Algerien im Gegensatz zu Marokko nicht über so umfassende Datenbanken mit Fingerabdrücken seiner Staatsbürger verfügt, um die Identität von Flüchtlingen zu klären.“[2] Tunesien wurde Unterstützung beim Aufbau eines Registrierungssystems zugesagt und im Gegenzug zur Rücknahme seiner StaatsbürgerInnen schwere Polizeiausrüstung, darunter Bombenschutzanzüge und Röntgentechnik geschenkt.[3] 2017 sollten „mobile Überwachungssysteme mit Bodenaufklärungssystemen“ folgen, so die taz: „5 Nachtüberwachungssysteme, 25 Wärmebildkameras, 25 optische Sensoren und 5 Radarsysteme hat Airbus geliefert, bezahlt von der deutschen Bundesregierung“.[4]
Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen der Bekämpfung illegalisierter Migration und herkömmlicher militärischer Rüstung. So berichtete etwa das Handelsblatt bereits 2011 unter dem Stichwort „Grenzsicherung“: „Der Bundessicherheitsrat hat nach Angaben aus Industriekreisen grundsätzlich grünes Licht für deutsche Rüstungs- und Sicherheitsprojekte in Algerien im Volumen von zehn Milliarden Euro gegeben.“ Konkret ging es um den Bau einer Fabrik für Fuchs-Panzer durch Rheinmetall und die Lieferung von Fregatten durch ThyssenKrupp. „Außerdem wollten die EADS-Sicherheitssparte Cassidian, Rhode & Schwarz und Carl Zeiss Verteidigungs- und Sicherheitselektronik für den Grenzschutz in Algerien produzieren“.[5] Ähnliche Pakete wurden dem Algerien latent feindlich gegenüberstehenden Marokko und Saudi Arabien zugesagt, der Deal mit Saudi Arabien wurde durch die Bundesregierung mit der Entsendung von BundespolizistInnen und BundeswehrsoldatInnen unterstützt, die Kräfte vor Ort u.a. im Umgang mit der Luna-Drohne für den Grenzschutz ausbilden sollten.
Forschung für den militarisierten Grenzschutz
Die Luna-Drohne von EMT wurde von der Bundeswehr auch in Afghanistan eingesetzt. Das Fraunhofer IOSB mit Sitz in Karlsruhe hat basierend auf diesen Einsatzerfahrungen im Auftrag des Verteidigungsministeriums die Bildauswertungssysteme optimiert. Mit diesen ausgestattet nutzt mittlerweile auch die Schweizer Luftwaffe die Drohne für Einsätze im Auftrag der Polizei – u.a. gegen Einbruchskriminalität im Bodenseeraum und – zumindest temporär – zur Überwachung der Grenze nach Italien.
Die Fraunhofer Gesellschaft, zu der das IOSB gehört, gilt nach Rechnungen des Rechercheprojektes Security for Sale als jene private Institution, die am umfangreichsten von den Forschungsprogrammen der EU profitierte.[6] Zu diesen 68 Mio. Euro innerhalb von zehn Jahren kamen demnach noch 50 Mio. aus dem deutschen Programm zur Sicherheitsforschung. Unter den Unternehmen, die am umfangreichsten profitierten, belegten Thales (31.5 Mio.) und Airbus (15 Mio.) den ersten bzw. dritten Platz. Beide Firmen führten im Rahmen der Sicherheitsforschung ihrerseits eng verwobene Projekte mit dem Fraunhofer IOSB durch: Die Klassifikation von Flüchtlingsbooten durch Mustererkennung in Aufklärungsdaten von Satelliten- (Airbus) und Drohnensystemen (Thales). Ein drittes IOSB-Projekt beschäftigte sich gemeinsam mit Airbus und der Carl Zeiss AG mit der Detektion entsprechender Boote durch Sensorbojen auf See.
Der staatlich finanzierte Boom zivil-militärischer Überwachungstechnologie ist an den Firmensitzen auch baulich sichtbar: Thales in Ditzingen direkt an der A81 etwa hat in den vergangenen Jahren immens ausgebaut, keine zwei Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Autobahn befindet sich ein Neubau des IT-Konzerns ATOS, der Platz fünf unter den am umfangreichsten von der EU durch Forschungsgelder geförderten Unternehmen einnimmt.
Anmerkungen
Der Beitrag erschien zunächst in der Zeitschrift „Friedensforum“, Ausgabe 6/2017 mit dem Schwerpunkt „Grenzen“
[1] Zetes White Paper: The many Facets of the ECOWAS ID Card – Recommendations for successful Integration.
[2] „Deutschland und Marokko einig bei schnelleren Abschiebeverfahren“, welt.de vom 21.2.2016.
[3] „Ausstattungshilfe für Tunesien – Bundesinnenminister Thomas de Maizière übergab am 1. März 2016 in Tunis umfangreiche Ausstattungshilfe des BKA an den tunesischen Innenminister“, bka.de vom 19.5.2016.
[4] Fabian Grieger, Simone Schlindwein: „Das Geschäft mit Hightech-Grenzen“, taz.de vom 15.12.2016. Der lesenswerte Artikel nennt zahlreiche weitere Beispiele.
[5] „Grenzsicherung – Deutschland gibt Rüstung für Algerien frei“, handelsblatt.de vom 3.7.2011.
[6] Kai Biermann und Christian Fuchs: „800.000 Euro für einen Terror-Airbag, der nie fertig wurde“, zeit.de vom 23.2.2017.