Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2017/40 - in: AUSDRUCK (Oktober 2017)

Die neue Ehe: Terrorbekämpfung und Naturschutz

Peter Clausing (06.10.2017)

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Ganze Ausgabe des AUSDRUCK (Oktober 2017)

 

 
Neuerdings werden in Asien und Afrika lokale Bevölkerungsgruppen aus Naturschutzgebieten unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung vertrieben. Separat betrachtet ist beides nichts Neues, weder die Militarisierung des öffentlichen Lebens samt Beschneidung von Menschenrechten im Namen der Terrorismusbekämpfung noch die Vertreibung lokaler, indigener Bevölkerungsgruppen im Namen des Naturschutzes. Doch die Kombination aus beidem ist ein neues Phänomen, das laut Recherchen der britischen Politikwissenschaftlerin Rosaleen Duffy und ihrer Mitarbeiterinnen wenig beachtet wird, aber häufig vorkommt.[1] Schon 2001 warnte Duffy, dass die Einrichtung so genannter „Peace Parks“ –  grenzübergreifende Naturschutzgebiete im globalen Süden – genau das Gegenteil von dem bewirken könnten, was dieser Name suggeriert: nämlich den Versuch, die „Wildnis“ zu kontrollieren, indem Naturschutzorganisationen Polizeifunktionen übernehmen.[2]

Krieg durch Naturschutz

Die Kombination von Terrorismusbekämpfung und Naturschutz ist laut Duffy[3] die dritte Phase einer Entwicklung, die Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. Die erste Phase mit dem Label „Festungsnaturschutz“ (Fortress Conservation) reicht zurück bis zur Gründung des Yellowstone Nationalparks im Jahr 1872. Sowohl dessen Gründung als auch die Gründung zahlreicher Nationalparks und Biosphärenreservate in den Ländern des Südens war mit der Zwangsumsiedlung oder gar nackten Vertreibung der ortsansässigen Bevölkerung verbunden. Phase zwei bestand laut Duffy in einem „Krieg für Naturschutz“. (War for Conservation). Gemeint sind damit die zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Nationalpark-Rangers und den an den Grenzen der Schutzgebiete siedelnden Menschen, wenn diese in die Schutzgebiete eindringen, um auf ihre angestammten natürlichen Ressourcen (Heilpflanzen, Früchte, Brennholz usw.) zurück zu greifen. Die neue, dritte Phase lässt sich ziemlich genau terminieren: Sie existiert seit 2012 und wird von Duffy mit dem etwas abstrakten Begriff „Krieg durch Naturschutz“ (War by Conservation) bedacht.

Was sie damit meint, ist jedoch sehr konkret. Es geht ihr um die Verquickung von Naturschutz und Terrorismusbekämpfung. Diese Verquickung begann 2012, sowohl im öffentlichen Diskurs (vornehmlich im angloamerikanischen Sprachraum) als auch im alltäglichen Handeln. Auslöser war die schlecht belegte Behauptung, die al-Shabaab Milizen in Somalia würden sich mit Hilfe von Elfenbeinschmuggel finanzieren. Der Begriff des „weißen Goldes des Dschihad“ machte die Runde und wurde von einflussreichen Medien bereitwillig aufgegriffen. Da störte es nicht, dass die  Beweislage extrem dünn war. Die US-amerikanische Elephant Action League veröffentlichte im besagten Jahr einen Bericht, der auf den Aussagen eines einzigen „Insiders“ beruhte, welcher angab, dass es einige Händler gäbe, die gelegentlich mit Elfenbein handelten, das manchmal von den al-Shabaab Milizen käme. „Experten“ errechneten daraus für die Milizen ein jährliches Handelsvolumen von 30,6 Tonnen Elfenbein, was ungefähr 3.600 Elefanten entspräche – eine Schätzung, die von Interpol und dem UN-Umweltprogramm UNEP 2014 stark in Zweifel gezogen wurde, weil ihrer Einschätzung nach der Handel mit Holzkohle und unterschiedliche Formen von Kriegssteuern nach wie vor die Hauptfinanzierungsquellen der al-Shabaab Milizen waren.

War by Conservation wird in der öffentlichen Diskussion als „Win-Win-Situation“ dargestellt. Gleichzeitig den Terrorismus und die massenhafte Tötung von Nashörnern und Elefanten bekämpfen – wer könnte das ablehnen? Während angesichts von Terrorangriffen Teile der Bevölkerung zunehmend bereit sind, die Beschneidung demokratischer Grundrechte zu akzeptieren, erreicht man so auch noch jenen Teil der Öffentlichkeit, dem vor allem das Leben bedrohter Arten am Herzen liegt. Der Plot vom „weißen Gold des Dschihad“  kam den unterschiedlichsten Akteuren zupass. Für Naturschutz-NGOs tat sich eine neue, sprudelnde Finanzierungsquelle auf, Regierungen konnten im Rahmen ihres Sicherheitsdiskurses eine attraktive, öffentlichkeitswirksame Konstellation anbieten und für private Sicherheitsdienste eröffnete sich ein neues Geschäftsfeld.

Entstellte Wahrheiten

Die nahezu frei erfundene Geschichte des illegalen Elfenbeinhandels als Finanzierungsquelle für die al-Shabaab Milizen schuf einen sorgfältig konstruierten Präzedenzfall, der inzwischen in Kenia, Südafrika, Tansania, Mali, Gabun und der Zentralafrikanischen Republik nachgeahmt wird. Das dschihadistische weiße Gold wurde Schritt für Schritt ins öffentliche Bewusstsein eingebrannt. Der oben erwähnte, fragwürdige Bericht der Elephant Action League aus dem Jahr 2012 kursierte zunächst nur in ausgewählten politischen Zirkeln. Erst nach dem Terrorangriff auf Nairobis Westgate Mall im September 2013 erfuhr er plötzlich eine gehörige Portion medialer Beachtung, unter anderem im britischen Independent und in der New York Times. Auf diese Medienberichte wiederum nahmen mehrere wissenschaftliche Publikationen Bezug, die dann ihrerseits von Anderen zitiert wurden – der „wissenschaftliche“ Beweis für das „weiße Gold des Dschihad“ war perfekt. So schaffte es der illegale Trophäenhandel in seiner Bewertung in die Top 5-Liste globaler Verbrechen, mit einem  finanziellen Volumen von angeblich acht bis zehn Milliarden Dollar pro Jahr.

Schon in einem Aphorismus von Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) hieß es, dass das Gefährliche nicht die dicken Lügen seien, sondern Wahrheiten, mäßig entstellt. Tatsächlich stieg in den letzten 10-15 Jahren der illegale Handel mit Elfenbein und Nashorn-Hörnern drastisch an, und, ja, es gab eine Zunahme von terroristischen Anschlägen. Aber Parallelität der Ereignisse bedeutet noch keinen kausalen Zusammenhang. Der wurde erst „diskursiv“ geschaffen und ist, wenn man der Analyse von Rosaleen Duffy folgt, eingebettet in ein neo-malthusianisches Theoriegebäude von Ressourcenverknappung, Instabilität und Konflikten. In diesem Kontext erlangte der Handel mit Elfenbein und Körperteilen von Nashörnern den Status einer Bedrohung der globalen Sicherheit. Die Kehrseite der Medaille dieser neuen Form des Natur- und Artenschutzes ist die reale Möglichkeit, Nationalpark-Ranger direkt in den „Krieg gegen den Terrorismus“ einzubeziehen.

Militarisierung des Naturschutzes

Bereits im Dezember 2012 gab es eine vom WWF (Worldwide Fund for Nature) und der Zeitschrift National Geographic finanzierte Podiumsdiskussion darüber, wie das Militär dem Naturschutz helfen könne. Das hatte die Ankündigung entsprechender Maßnahmen aus dem damals von Hillary Clinton geführten US-Außenministerium zur Folge. Seither ist die Entwicklung nicht stehen geblieben.

Zwei große britische Tageszeitungen berichteten in diesem Sommer darüber, dass britische Eliteeinheiten in Gabun Park-Ranger ausbilden, damit sie gegen Wilddiebe zu Felde ziehen können, deren Elfenbeinschmuggel angeblich zur Finanzierung der in Nigeria operierenden Terrororganisation Boko Haram beiträgt. Belege gibt es dafür nicht. Boko Haram operiert nicht in Gabun und hat andere Finanzierungsquellen.

Johan Jooste, pensionierter Generalmajor der südafrikanischen Armee, leitet seit 2012 den „Nashornkrieg“ im Krüger Nationalpark, der an Simbabwe und Mozambik grenzt. Auf mosambikanischer Seite befindet sich ein Privatgelände knapp so groß wie das Saarland (220.000 Hektar), das als Pufferzone gegen Wilddiebe dienen soll. Hier befinden sich Joostes Truppen im Auslandseinsatz. Der Ex-Generalmajor operiert, rhetorisch, mit „gezielten Tötungen“ und „man hunting“, setzt Kopfprämien aus und befasst sich mit dem Aufbau von Geheimdienst- und Überwachungsnetzwerken, die jenen des Apartheid-Regimes ähneln.[4]

Dass private Sicherheitsunternehmen gern Ex-Militärs rekrutieren, ist eine Binsenweisheit. Die in den USA ansässige Organisation VETPAW (Veterans Empowered to Protect African Wildlife) ist ein privater Sicherheitsdienst der besonderen Art. Zu ihren Zielen gehört es, die Arbeitslosenquote bei Veteranen der „Antiterror“-Kriege in Afghanistan und im Irak zu reduzieren und ihnen eine sinnvolle Tätigkeit zu bieten, die ihrer Qualifikation entspricht. Sie bietet an, Ranger so zu trainieren (und auszurüsten), dass sie Wilddiebe direkt konfrontieren können. Außerdem helfe die Arbeit in den privaten Naturschutzgebieten den Kriegsveteranen dabei, ihre posttraumatischen Stresserlebnisse zu verarbeiten. Einen Rückschlag gab es für VETPAW im Jahr 2015, als die Organisation aufgefordert wurde, Tansania zu verlassen, nachdem einer ihrer Mitarbeiter sich öffentlich für extralegale Hinrichtungen („killing bad guys“) ausgesprochen hatte.[5]

Die in den letzten 10-20 Jahren vollzogene „Neoliberalisierung“ des Naturschutzes hat zu einem Anwachsen privater Naturschutzgebiete geführt. Transnationale Naturschutz-NGOs wie der WWF haben in zunehmendem Maße die faktische Kontrolle über die Nationalparks bestimmter Staaten übernommen. Dabei greifen sie zum Teil auf Privatarmeen zurück, um den Schutz „charismatischer“ Tierarten (Elefanten, Nashörner etc.) durchzusetzen.

So hat der WWF die Maisha Consulting Group unter Vertrag genommen, um den Garamba Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo und den Dzanga-Sangha Nationalpark in der Zentralafrikanischen Republik zu kontrollieren.[6] Im Lobéké Nationalpark und in weiteren Schutzgebieten in Kamerun agiert eine schwerbewaffnete schnelle Eingreiftruppe (Bataillon d’Intervention Rapide), die für die Bekämpfung von Wilddieben verantwortlich ist. Sie steht wegen Einschüchterungen, gewaltsamen Übergriffen und Vergewaltigungen von Angehörigen der dort lebenden Baka-Ethnie am Pranger. Der WWF als Geldgeber und Ausbilder dieser mit dem Euphemismus „Öko-Garde“ (ecoguard) bedachten Kampftruppe muss sich derzeit wegen der Verletzung der OECD-Menschenrechtsstandards verantworten .[7]

Mythen und Interessen

Es ist ein Etikettenschwindel, wenn transnationale NGOs mit der Vermarktung ihrer Schutzbemühungen für wenige „charismatische“ Tierarten suggerieren, sie würden die Biodiversität schützen, denn der eigentliche Verlust an biologischer Vielfalt spielt sich in großem Stil bei den „unattraktiven“ Arten (Pflanzen, Insekten) ab. Rosaleen Duffy kritisiert ferner den Versuch, Elefanten und Nashörner mit Kampftruppen schützen zu wollen, als eine viel zu kurz greifende Strategie, die die Wurzeln der „Wilddieberei“ (soziale Ungleichheit und ein Markt für Trophäen) ignoriert. Die Situation hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem zum Scheitern verurteilten „Krieg gegen den Drogenhandel“, wie er in seiner extremsten Ausprägung in Mexiko zu beobachten ist. Die Pflege von Mythen („weißes Gold des Dschihad“) schafft jedoch bestimmten Interessengruppen den Zugang zu neuen Geldquellen und ermöglicht es Politikern, sich durch den Verkauf von einfachen Wahrheiten, vor der Lösung komplexer Probleme, die Machtverhältnisse und soziale Ungleichheit berühren würden, zu drücken.

Anmerkungen

[1] Duffy, R. u.a. (2017): Foreign ‘conservation armies’ in Africa may be doing more harm than good. The Conversation.
[2]  Duffy, R. (2001) Peace parks: The paradox of globalisation. Geopolitics, 6:2: 1-26.
[3] Duffy, R. (2016): War by conservation. Geoforum 69: 238-248.
[4] Büscher, B. und Ramutsindela, M. (2015): Green violence: rhino poaching and the war to save southern Africa’s peace parks. African Affairs: 115: 1–22.
[5] Duffy (2017), s.o.
[6] Duffy (2016), s.o.
[7] Survival International (o.J.): Specific Instance against the World Wide Fund for Nature.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de