IMI-Standpunkt 2017/18
Sahel: völkerrechtsfreie Zone per UN-Resolution
Christoph Marischka (03.07.2017)
Am 29. Juni verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine Resolution zur Situation in Mali, in der u.a. das Mandat der dortigen UN-Truppe MINUSMA verlängert und dieser ein offensiveres und robusteres Vorgehen nahegelegt wird. Zugleich geht aus der Resolution auch hervor, dass sich die Lage in Mali weiter verschlechtert.
Ausdrücklich begrüßt werden die Einsätze französischer Spezialkräfte gemeinsam mit den lokalen Truppen der sog. „G5 Sahel“ und deren „gemeinsame, grenzüberschreitende, militärische Anti-Terroroperationen“. Die Resolution unterstützt auch die Absicht, dass die Staaten des Sahels und der Sahara ein neuen Antiterrorzentrum mit Hauptquartier in Kairo, Ägypten, einrichten wollen.
Darüber hinaus wird die Gründung einer neuen, gemeinsamen Militäreinheit der G5, der „Force Conjointe des Etats du G5 Sahel“ (FC-G5S) gelobt und die Ankündigung der EU, diese mit 50 Mio. Euro zu unterstützen, begrüßt.
Eine halbe Woche nach der Verabschiedung der Resolution reiste am Sonntag, den 2. Juli, der neue französische Präsident Macron zur Gründungsfeier der neuen Truppe in Mali und versprach seinerseits militärische Ausrüstung im Wert von acht Mio. Euro. „Die Terroristen, Verbrecher und Attentäter in der Region müssten ausgerottet werden, sagte der französische Präsident“ nach Angaben von Tagesschau.de. Die betroffenen Länder haben ihrerseits je 10 Mio. für die Truppe zugesagt.
Bei den „G5 Sahel“ handelt es sich um ein koloniales Konstrukt Frankreichs, um die ehemaligen Kolonien, in denen seit 2014 französische Truppen im Krieg gegen den Terror stationiert sind, gemeinsam koordinieren und kontrollieren zu können. Ergebnis dieser Koordination ist u.a. der massive Anstieg der Staatsausgaben für Sicherheit und Militär bei gleichzeitiger Vernachlässigung der sozialen Ausgaben – die „Partner“ auf afrikanischer Seite sind Militärdiktaturen (wie etwa das Regime Déby im Tschad) und Regierungen von sehr zewifelhafter Legitimität, wie etwa der malische Staatspräsident und französische Wunschkandidat Ibrahim Boubacar Keita, der im Zuge einer französischen Intervention 2013 „gewählt“ und unter dem „Schutz“ tschadischer Soldaten vereidigt wurde.
Wenn auch in der UN-Resolution stets von Stabilität die Rede ist, die in Mali und dem Sahel geschaffen werden solle, so weisen doch die vorgeschlagenen Maßnahmen allesamt weiter in die Richtung unkontrollierter Hochrüstung und Deterritorialisierung. Es ist jedenfalls nicht abzusehen, inwiefern von der ehemaligen Kolonialmacht angeführte „gemeinsame, grenzüberschreitende, militärische Anti-Terroroperationen“ von verschiedenen Armeen mit Putscherfahrung und reichhaltiger Geschichte ethnischer Diskriminierung zur Stabilisierung beitragen sollten.
Bemerkenswert ist darüber hinaus der in der Resolution zum Ausdruck kommende Rechtsnihilismus. Das Völkerrecht spielt keine nennenswerte Rolle, die (fehlende) völkerechtliche Grundlage der verschieden militärischen Einsätze in und um Mali, die explizit begrüßt werden, wird überhaupt nicht angesprochen. Das militärische Vorgehen von Drittstaaten gegen mutmaßliche Terroristen und andere Formen von Kriminalität wird unhinterfagt bestätigt. Auch das spricht keinesfalls für weitere Stabilität, sondern für weitere Eskalation: Der Sahel wird quasi zur (völker)rechtsfreien Zone erklärt.