Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2017/010 - in: AUSDRUCK (April 2017)

Dem Frieden den Prozess machen

Anklage gegen Friedensaktivisten Thomas H. geht in die vierte Runde

Thomas Mickan (11.04.2017)

PDF-Artikel im AUSDRUCK (April 2017)

Ganze Ausgabe des AUSDRUCK (April 2017)

 

 

 

In Stuttgart, so der Vorwurf der dortigen Staatsanwaltschaft, habe der Aktivist Thomas H. bei den Protesten gegen einen Bundeswehr-Rekrutierungsstand auf der Ausbildungsmesse „Nacht der Unternehmen“ in der Liederhalle am 17. November 2015 Unrecht begangen. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Hausfriedensbruch. In einem ersten, alle Fragen offen lassenden Verfahren wurde er vom Amtsgericht Stuttgart am 26. Juli 2016 zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt. Die unzureichende Wahrheitsfindung (die einzige Zeugin konnte sich beispielsweise nicht mehr daran erinnern, wo Thomas H. bei nur 5-6 Aktivist_innen gestanden haben soll) und eine ungenügende Würdigung des „Fraport-Urteils“, das in solchen Fällen relevant ist, führten dazu, dass Thomas H. Berufung beim Landgericht einlegte.

Runde 2 – Landgericht weist Berufung zurück

Das Landgericht wies jedoch die Berufung als offensichtlich unbegründet zurück und stütze sich dabei auf die Begründung des Amtsgerichtes. Dabei wies es Thomas H. zusätzlich als Bundeswehrgegner aus, obwohl seine beim Amtsgericht verlesene Erklärung nicht mit in die Akten aufgenommen wurde, die einzig diesen Schluss zugelassen hätte. Ebenso wurde sich der Auslegung des Fraport-Urteils des Amtsgerichtes angeschlossen, das keine Grundrechtebindung der Tema-AG vorsah. Als private AG hatte diese die Messe ausgerichtet. Damit wird von vornherein ausgeschlossen, dass ein möglicher Hausfriedensbruch mit dem (auch nach dem Fraport-Urteil) höher zu wertenden Recht auf Versammlung abgewogen werden musste.

Unzureichende Würdigung des Fraport-Urteils

Die Fraport AG erteilte im Jahr 2003 einer Aktivistin ein Hausverbot, weil diese Flyer gegen Abschiebungen im Frankfurter Flughafen verteilte. Gegen das Versammlungsverbot setzte sich diese rechtlich zur Wehr, mit dem Ergebnis, dass das Verbot für unzulässig erklärt wurde. Entscheidend war, dass die Fraport AG sich mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand befand. Daraus ergab sich eine unmittelbare Grundrechtsbindung, weil der Staat sich durch eine Privatisierung und damit der „Flucht ins Privatrecht“ nicht dieser Bindung entziehen könne. Weiterhin wurde eine mittelbare Grundrechtsbindung postuliert, wenn eine private Firma im Bereich der öffentlichen „Daseinsvorsorge“ agiert, die hilft den Bürger_innen als Bildungs- und Kultureinrichtung die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz zu ermöglichen. Gerade die hier relevante Art von Bildungsmesse in der Messestadt Stuttgart erfüllt den Sachverhalt, die Bedürfnisse und Interessen der örtlichen Gemeinschaft zu befriedigen.

Das Fraport-Urteil stärkte zudem die Rechtsfigur des „öffentlichen Forums“ in einer Zeit, in der sich das öffentliche Geschehen immer mehr von der ursprünglich gedachten Straße an „private“ Orte wie Flughäfen, Bahnhöfe, Shoppingcenter oder Messen verlagert. Relevant ist hierbei, dass die Orte allgemein zugänglich sind (das heißt etwa keine Eintrittsgelder verlangt werden) und, wie bei der Messe Stuttgart, diese als ein „Marktplatz“ beworben werden, der eben mehr soll, als nur eine singuläre Aufgabe zu erfüllen, indem für Austausch in einem umfassenden Bereich des öffentlichen Lebens gesorgt wird. Eine mittelbare Grundrechtsbindung für die AG, die Thomas H. angezeigt hat, muss daher gerade auch in Bezug auf das öffentliche Forum eingeräumt werden. Dies gilt insbesondere, wenn der Kommunikationszweck einer – möglicherweise die „Wohlfühlatmosphäre“ (wie damals das Verfassungsgericht beim Fraport-Urteil argumentierte) störenden – Demonstration im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ort steht, wie es bei einem Messe-Rekrutierungsstand der Bundeswehr ohne Zweifel der Fall ist.

Runde 3 – Verfassungsbeschwerde eingelegt

Thomas H. sieht seine Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit verletzt und zusammen mit weiteren Verfahrensfehlern, wie die überzogene Höhe des Strafmaßes, führte dies dazu, dass mit Hilfe seines Anwaltes Anfang Januar 2017 gegen die Entscheidung des Landgerichtes Verfassungsbeschwerde eingelegt wurde. Zudem wurde eine Rüge des Landgerichtes eingereicht. Hier galt es zu klären, ob die Zurückweisung des Landgerichts als offensichtlich unbegründet tatsächlich so unbegründet war, und in letzter Konsequenz unter Umständen auch, wie das Fraport-Urteil ausgelegt werden kann.

Runde 4 – Rüge erfolgreich, zurück zum Landgericht

Noch bevor allerdings das Verfassungsgericht über die Klage entscheiden konnte, nahm das Landgericht die Rüge an, und bestätigte, dass im bisherigen Verfahren gravierende Formfehler dazu führten, dass die Berufung am Landgericht „nicht offensichtlich unbegründet“ ist. Insbesondere die mangelhafte Protokollierung des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die unzureichende Belehrung über die möglichen Rechtsmittel führten dazu, dass die Rüge beim Landgericht erfolgreich war. Auf das Fraport-Urteil wurde sich dabei nicht bezogen, hier gilt es das Verfahren im Sommer 2017 am Landgericht abzuwarten. Zusätzlich strebt Thomas H. ein Verfahren gegen das Land Baden-Württemberg an, um die Aufwendungen der Verfassungsbeschwerde erstattet zu bekommen, da aufgrund von Fristen und der gravierenden Formfehler des Amts- sowie des Landgerichtes die Verfassungsbeschwerde angestrebt werden musste, um überhaupt zum Recht kommen zu können. Dass Thomas H. als Beschuldigter nun die Fehler der Gerichte finanziell ausbaden soll, ist nicht hinzunehmen.

Der Staatsschutz führt Akten

Eine besondere Brisanz könnte das Verfahren noch entwickeln, weil ein Blick in die Prozessakten für den Angeklagten Erschreckendes zu Tage förderte: Die Polizei führt über einen bisher unbescholtenen Bürger politische Akten. Die ermittelnde Polizeibehörde hat im Laufe des Verfahrens bei der Staatsschutzabteilung – also der Abteilung für politische Kriminalität – des LKA angefragt. Dabei stellte sich heraus, dass der Staatsschutz eine Akte zu Thomas H. führte und Daten daraus bereitwillig übermittelte. Aus diesen Akten gehen insbesondere die Zugehörigkeit zu einer demokratischen, im Bundestag vertretenen Partei hervor sowie weitere politische Tätigkeiten. Diese Art von „Gesinnungsschnüffelei“ gegen die Aktivitäten eines Friedensaktivisten ist eine wirkliche Zumutung. Wie bereits in anderen Fällen wird auch hier eine weitere Klärung vorangetrieben werden. Thomas H. hat dafür Akteneinsicht beim Staatsschutz beantragt, bisher hat sich allerdings nur der Datenschutzbeauftragte gemeldet, der versucht zur Klärung beizutragen. Mittlerweile sind jedoch mehrere Monate vergangen, sodass die Gefahr besteht, dass das Auskunftsgesuch verschleppt werden soll. Das Landeskriminalamt sollte hier schleunigst dazu übergehen, das Auskunftsgesuch von Thomas H. zu beantworten, um zu Klarheit über die Form der Überwachung zu verhelfen.

Solidarität ist ein Gebot der Stunde

Wie bereits beim Amtsgericht, soll es auch vor dem Landgericht eine Solidaritätskundgebung und eine Prozessbeobachtung geben, um neben den juristischen Feinheiten vor allem die politische Bedeutung des Verfahrens hervorheben zu können: Wie und wo sind Proteste gegen die zahlreichen Bundeswehrstände auf Messen möglich und wie wird das Fraport-Urteil ausgelegt? Für Thomas H. bedeutet das mittlerweile eineinhalbjährige Verfahren, trotz möglicher Erfolgsaussichten, ein finanzielles Risiko. Hier ist, auch materielle, Solidarität das Gebot der Stunde. Bisher konnten bereits fast 2.000 Euro für Thomas H. gesammelt werden – eine riesige Summe! Es deckt jedoch nur rund zwei Drittel der Anwaltskosten, die bisher zu erwarten sind, falls das Landgericht zuungunsten von Thomas H. entscheidet. Ich möchte euch daher bitten, über eine solidarische Spende nachzudenken, falls es eure finanziellen Möglichkeiten zulassen. Im Falle eines Prozessgewinnes von Thomas H. wird das gesammelte Geld an den Carl-von-Ossietzky-Fonds der DFG-VK weitergegeben, der als Rechtshilfefonds zukünftig Aktivist_innen, die für ihr Recht auf Versammlung und gegen die Rekrutierungsmaßnahmen der Bundeswehr kämpfen, im Falle einer Anklage die nötige Rechtspower ermöglichen soll.

Für einen Freispruch von Thomas H.!

Spenden zur Prozessunterstützung dringend erbeten: Stichwort „Prozess Thomas“, Konto der DFG-VK Stuttgart, IBAN: DE32 4306 0967 4006 1617 40

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