IMI-Analyse 2014/035 - in: junge Welt, 25.11.2014

»Chancenkontinent« der deutschen Wirtschaft

von: Christin Bernhold | Veröffentlicht am: 26. November 2014

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Bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2014 hätte neben »Putin-Versteher« auch »Chancenkontinent Afrika« Aussichten auf einen der vorderen Plätze. Verstärkte mediale Aufmerksamkeit erlangte diese Bezeichnung mit der Veröffentlichung des neuen Afrikakonzepts des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im März und der »Afrikapolitischen Leitlinien« der Regierungskoalition von Union und SPD im Mai 2014. Afrika, heißt es in den Papieren, soll nicht mehr bloß als Kontinent der Armut, Krisen und Kriege, sondern auch der Chancen wahrgenommen werden. Frei nach dem Motto »Wenn’s der BRD gutgeht, geht’s allen gut!« wird die angekündigte Ausweitung des deutschen Imperialismus zu einer Politik verklärt, die kongeniale Möglichkeiten für Akteure dies- und jenseits des Mittelmeeres schaffe. Hiesige Wirtschaftsverbände, Regierungspolitiker und Militärs können sich derweil vor allem auf die Wahrnehmung der eigenen Chancen einigen: Während etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) in seiner neuen »Strategie Subsahara-Afrika: Chancenkontinent Afrika« mutmaßt, es sei »an der Zeit, Afrika verstärkt als vielversprechenden Wirtschaftspartner und Zukunftsmarkt« zu begreifen, unterstreicht Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die »wachsende Bedeutung Afrikas für Deutschland«. Generalleutnant Hans-Werner Fritz, Chef des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, wagt die Prognose, »dass uns Afrika, insbesondere sein Norden und die Mitte, in den nächsten Jahren beschäftigen werden«. Aufgrund einer militärstrategischen Neuausrichtung sollen in Bundeswehreinsätze rund um die Sahara zwar weniger Soldaten entsendet werden als etwa nach Afghanistan. Aktuelle Stationierungen wie in Mali und Somalia zeigen, dass geringere Zahlen jedoch nicht auf einen niedrigeren Grad der Einmischung schließen lassen.

Verstärkte Einflußnahme

Die Annahme, es gebe in Afrika große Potentiale für hiesige Konzerne, ist dem BDI zufolge nicht einfach aus der Luft gegriffen: Ende 2013 führte der Verband eine Umfrage über die wirtschaftliche Beteiligung deutscher Unternehmen durch. Die große Mehrheit der Befragten habe angegeben, »ihr Subsahara-Geschäft in den kommenden Jahren auszuweiten«, wie es im Strategiepapier »Fokus Sicherheit und Rohstoffe« des BDI vom Februar 2014 heisst. »Aktuell erschließen wir eine Reihe von Ländern«, äußert sich zum Beispiel Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, »wir wollen in diesem Jahr Vertriebsniederlassungen in sechs afrikanischen Ländern gründen.«

Seit Jahren arbeitet das BMZ in Abstimmung mit Wirtschaftsverbänden daran, Profite deutscher Unternehmen in Afrika auszubauen. Letztere bringen sich so »aktiv in die Afrikapolitik der deutschen Bundesregierung ein«, dass sich die aktuellen Strategiepapiere aus Wirtschaft und Politik zum Teil bis in die Wortwahl ähneln.

Bereits 2008 veröffentlichte etwa der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) seine Vorschläge für eine bessere Verzahnung von Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit unter dem Titel »Chancenkontinent Afrika. Plädoyer für eine wirtschaftsfreundliche Afrikastrategie«. »Deutschlands Wohlstand hängt nicht zuletzt vom Erfolg seiner Firmen auf internationalen Märkten ab«, sekundiert der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft (AV). »Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, alle Möglichkeiten zu nutzen, um Afrikaengagements im Rahmen des bestehenden Instrumentariums in breiterem Umfang abzusichern« (AV-Kolumne: »Heimischer Mittelstand braucht mehr Unterstützung«. 21.5.2014). Reinhold Festge, Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), sieht diesbezüglich einigen Nachholbedarf: »Afrika vernachlässigen wir komplett. Das soll und muss sich ändern, wenn wir unsere Weltmarktposition halten wollen.« Zumal die Konkurrenz nicht schlafe: »Aktuell überlassen wir den Chinesen nahezu kampflos das Feld in Afrika. Das ist gefährlich«, erklärte er in den News der Südliches-Afrika-Initiative der Deutschen Wirtschaft (SAFRI) Ende 2013. Mit einem neidvollen Unterton beklagt auch der BDI, dass »chinesische Staatsunternehmen« bei ihrem von Erfolg gekrönten Afrikageschäft »auf massive politische und finanzielle Unterstützung ihrer Regierungen zurück[greifen]«. Der Verband wünscht sich mehr Rückendeckung von der Bundesregierung, die diese gern zu geben bereit ist.

An den Afrikaleitlinien der großen Koalition ist keineswegs alles neu. Auch die Vorgängerregierung von Union und FDP hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass ihre Politik gegenüber Ländern dieses Kontinents – ungeachtet der floskelartig aufgeführten wohltätigen Ziele – nicht von humanitärem Altruismus, sondern von Vorhaben zur Intensivierung der Einflussnahme und zur Steigerung der Profite deutscher Unternehmen bestimmt wird.

Seit die SPD mit Frank-Walter Steinmeier den deutschen Außenminister stellt, wird jedoch der zivilen und militärischen Interventionspolitik deutlich mehr Nachdruck verliehen. In Afrika soll zukünftig »früh, schnell, entschieden und substantiell« gehandelt werden. Die neuen Regierungsdokumente liefern Pläne für die Verwirklichung jener Ambitionen, die Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Steinmeier zu Jahresbeginn verkündet hatten: Deutschland müsse seine früher vermeintlich kultivierte Zurückhaltung aufgeben, denn es sei, so Steinmeier in seiner Rede anlässlich der 50. Münchener »Sicherheitskonferenz«, »zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren«.

»Sicherheit« und »Freizügigkeit«

Aus dem Dilemma, dass man Afrika häufig noch als Krisenkontinent verstehe, dieser jedoch gleichzeitig »erhebliche Chancen« biete und für »Deutschland« von wachsender Bedeutung sei, leiten Bundesregierung und BMZ strategische Ziele ab. Zu deren Umsetzung wird das »entwicklungspolitische Engagement« um jährlich 100 Millionen auf insgesamt 1,3 Milliarden Euro aufgestockt. Afrika ist mit der Zuweisung von 50 Prozent der bilateralen Mittel des BMZ »Schwerpunktkontinent« der »Entwicklungszusammenarbeit«, wie es in der Broschüre »Die neue Afrika-Politik des BMZ – auf dem Weg vom Krisen- zum Chancenkontinent« heisst.

Auf dem Erdteil mit mehr als 1,1 Milliarden Bewohnern werden damit mehrere Absichten verfolgt. Zu den ökonomischen Zielen gehört die Schaffung größerer Märkte »mit Freizügigkeit von Arbeit und Kapital« ebenso wie der Abbau von Handelshemmnissen – kurzum: Es geht um die verbesserte Erschließung »der afrikanischen Märkte für die deutsche Wirtschaft«. Da deren Erfolg auf dem Nachbarkontinent noch in den Kinderschuhen steckt, setzt sich Vater Staat „für eine schrittweise Erweiterung der Hermes-Deckungen [Exportkreditversicherungen, jW] für deutsche Unternehmen in Afrika“ ein. Eine „nachhaltige Rohstoffpolitik“ soll zudem „die Versorgungssicherheit für die deutsche Wirtschaft“ erhöhen, lassen Bundesregierung und BMZ verlauten.

Die innen- und sicherheitspolitische Kooperation mit Afrika liege laut Bundesregierung »in unserem nationalen Interesse«. Die »Fragilität afrikanischer Staaten« sowie Krisen und Konflikte, Terrorismus, Piraterie und Fluchtbewegungen träfen »Europa und Deutschland immer unmittelbarer«. Die Afrikanische Union (AU) und einige afrikanische Regionalorganisationen hätten zwar »große Fortschritte bei der Bewältigung von Herausforderungen gemacht«, dafür sei aber nach wie vor internationale Unterstützung notwendig. Die Bundesregierung setzt dabei im wesentlichen auf zwei Mittel: auf den Ausbau der sogenannten  Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) einerseits und auf Outsourcing staatlicher Gewaltanwendung andererseits.

Für einen »breiten, die Aktivitäten aller Ressorts einbeziehenden, umfassenden und vernetzten Ansatz« stehen »vor Ort in Afrika das Netz der Auslandsvertretungen, der (…) Experten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, der Auslandshandelskammern, der (grenz-)polizeilichen Verbindungsbeamten sowie der Militärberater und militärischen Beratergruppen zur Verfügung«. Die Verzahnung ziviler und militärischer Mittel soll zudem in Zukunft auch zwischen Deutschland und Frankreich besser abgestimmt werden – ein Paradebeispiel sei das »Engagement« in der Zentralafrikanischen Republik, zu dem die BRD vorrangig entwicklungspolitisch und Frankreich vorrangig militärisch beitrage. »Ich wurde nicht nach Soldaten gefragt. Ich wurde (…) nach Hilfe im zivilen Bereich gefragt. Aber ich danke den französischen Freunden, die hier großartige Arbeit leisten«, verkündete Gerd Müller am 21. März dieses Jahres im Bundestag.

Das zweite Mittel – Outsourcing der Gewaltanwendung – wird euphemistisch als Unterstützung der afrikanischen »Friedens- und Sicherheitsarchitektur« bezeichnet. Das BMZ unterstützt dazu die AU und afrikanische Regionalorganisationen »z. B. beim Aufbau von Ausbildungszentren für Personal in Friedensmissionen und finanziert zudem afrikanische Friedensmissionen über den Europäischen Entwicklungsfonds«. Offener könnte das Ministerium die Ausgabe von Entwicklungshilfegeld für Militärmissionen kaum benennen.

Ziel des Ganzen sei die »Übernahme afrikanischer Eigenverantwortung« und eine »Verbesserung der afrikanischen Kapazitäten für schnelle Einsätze«. Im Fokus stehen vor allem die sogenannten Sicherheitssektorreformen sowie Staatsaufbau und »gute Regierungsführung« nach westlichem Vorbild – oder anders ausgedrückt: der Aufbau von Kontroll- und Repressionsorganen, die Regimes an der Macht halten, mit deren Hilfe die Interessen des westlichen Kapitals »meist gegen den Willen der eigenen Bevölkerungen«, wie Jonna Schürkes von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) betont, durchgesetzt werden. Schlüsselfähigkeiten sollen dabei allerdings in deutscher Hand bleiben.

Nach dem Vorbild der Münchner Veranstaltung ist zur Planung dieser Vorhaben eine »afrikanische Sicherheitskonferenz« etabliert worden, die am 26. und 27. April in Bahir (Äthiopien) stattfand. Neben Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien verschiedener afrikanischer Staaten nahmen Regionalbeauftragte des deutschen Auswärtigen Amtes sowie Vertreter der deutschen Botschaft in Addis Abeba und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) teil. Vor Ort ist man sich bewusst, dass man in diesem Austauschprozess nicht erziehungsberechtigt ist: »Die Münchener Sicherheitskonferenz hat ein Kind, auf das sie stolz sein kann – sie hat eine schöne afrikanische Tochter«, zitiert die GIZ den amtierenden Vorsitzenden des »Tana high-level forum on security« und ehemaligen nigerianischen Präsidenten Olusegun Obasanjo.

»Engagement« in Mali…

An der afrikanischen »Sicherheitsarchitektur« wirkt die BRD momentan zum Beispiel in Mali mit. Bereits seit Jahren gibt es im malischen Norden EU-Projekte zum Aufbau polizeilicher und militärischer Infrastruktur. Diese muss »als einer der Auslöser des Aufstandes der von Tuareg dominierten Nationalen Bewegung zur Befreiung des Azawad (MNLA) Anfang 2012« angesehen werden, so Afrikaexperte Christoph Marischka (IMI), »in dessen Zug radikale Islamisten ihre Schreckensherrschaft in den Städten des Nordens errichten konnten und Soldaten in der Hauptstadt Bamako putschten«. Die nach dem Putsch auf Frankreichs Geheiß eingesetzte Übergangsregierung forderte unmittelbar eine Militärintervention – für die das französische Militär bereits in den Startlöchern stand.

Deutschland ist an der Interventionspolitik in Mali mit zwei Bundeswehreinsätzen beteiligt. Im Rahmen der United Nations Multidimensional Integration Stabilization Mission in Mali gewährleisten seit Ende Juni 2013 bis zu 150 Soldaten die logistische Unterstützung der französischen Militärintervention »Opération Serval«. »Deutschland hat neben dem Lufttransport (Truppen und Material) auch bei Führungs-, Verbindungs- und Beratungsaufgaben unterstützt. Zudem wurden auch Luftbetankungsfähigkeiten für die beteiligten französischen Kräfte zur Verfügung gestellt. Unser Beitrag war ein erheblicher, jedoch einer von vielen in einem großen Team«, fasst Oberstleutnant Frank Tismer, Kontingentführer des deutschen Einsatzes, zusammen.

Seit Februar 2013 beteiligt sich die Bundeswehr zudem mit bis zu 250 Soldaten an der European Union Training Mission in Mali (EUTM-Mali). Der Einsatzbeschreibung zufolge ist beabsichtigt, das malische Militär zu befähigen, das Land in eigener Verantwortung wieder zu stabilisieren.

Die militärische Kontrolle der Region rund um Mali spielt vor allem für die ehemalige Kolonialmacht Frankreich eine Rolle, u. a. weil der französische Staatskonzern Areva hier eines der größten Uranbergwerke der Welt betreibt. Das Interesse der Bundesrepublik ist vorrangig politischer Natur. Die Einsätze spiegeln erstens die Absicht wider, der deutschen politischen und wirtschaftlichen Vorherrschaft in der EU auch militärisch Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig versucht die aktuelle Bundesregierung, gegenüber Frankreich durch eine offene Beteiligung an Interventionen militärisch und politisch an Stärke zu gewinnen, statt (wie die Vorgängerregierung) Frankreichs Afrikapolitik zumindest bezüglich einer offenen Beteiligung eine Absage zu erteilen. Diese neue Strategie ist nicht erfolglos, wie ein Statement des malischen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte: Deutschland sei heute für ihn »auf internationaler Ebene das wichtigste Partnerland«. Direkte deutsche Kapitalinteressen spielen in Mali zwar derzeit keine große Rolle, doch »die große regionale Sprengkraft der Auseinandersetzung (…) bedroht die Stabilität und das Wachstum der Nachbarländer (…) sowie den Wachstumsmarkt Nigeria«, gibt der AV zu bedenken.

Auch die Bundeswehr selbst hat ein Interesse an dem Einsatz: Sie kann in Mali für Militäroperationen in aller Welt – auch in Wüstenregionen – üben.

…und am Horn von Afrika

In Somalia trainiert die Bundeswehr ebenfalls Soldaten. Diese sollen eine vom Westen gestützte, aber im eigenen Land machtlose Regierung absichern und Konflikte und Piraterie eindämmen, die es ohne westlich-neoliberale Verarmungspolitik und militärische Einmischung gar nicht erst gegeben hätte.

Im April 2014 wurde die Wiederaufnahme der Ende 2013 ausgesetzten Beteiligung an der Mission EUTM-Somalia vom Bundestag mandatiert. Bis zu 20 deutsche Soldaten trainieren im nun von Uganda ins somalische Mogadischu verlegten »Jazeera Training Camp« somalische Streitkräfte in Minen- und Explosionskörperabwehr, Sanitäts- und Fernmeldewesen und vor allem für den Kampf in bebautem Gelände. Zu dieser Aufgabe, die das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) »Mentor the Tactical Level« nennt, gehört auch die Weiterbildung von Militärpolizisten und Soldaten in »Zivil-Militärischer Zusammenarbeit«. Auf der zweiten Ebene, dem, »Advising the Strategic Level«, werden auf dem obersten Rang der Verteidigungsminister und der im Aufbau befindliche Generalstab mit dem »Mentoring, Advisory and Training Element« beraten und unterstützt.

Im Sinne der vernetzten Sicherheit ergänze, so das BMVg, die Ausbildungsmission ein breites Spektrum von Maßnahmen »zur Stabilisierung Somalias«. Dazu gehört neben dem »EU-Kommissionsprogramm zur Förderung der regionalen Sicherheit im Seeverkehr« der Antipiraterieeinsatz Atalanta und die »zivil-militärische« Ausbildungsmission »Regional Maritime Capacity Building for the Horn of Africa and the Western Indian Ocean« (EUCAP Nestor), an der die Bundesrepublik seit August 2012 mit bis zu fünf Beamten der Bundespolizei/Länderpolizeien, fünf Bundeswehrsoldaten, »zivilen Experten« und Stabspersonal beteiligt ist. Ziel dabei ist zweierlei: Zum einen werden die Küstenwachen Dschibutis, Kenias, Tansanias, der Seychellen und der somalischen Regionen Somaliland, Puntland und Galmudig ausgebildet und ausgerüstet. Zum anderen sollen die Teilnehmer die Fähigkeit erlangen, Piraten vor Ort zu inhaftieren und zu verurteilen – nach Einschätzung von Jonna Schürkes nicht zuletzt, um Aufmerksamkeit erregende »Piratenprozesse« zukünftig zu vermeiden, wie jenen, der im Jahr 2012 in Hamburg stattfand (jW berichtete).

Neben dem Schutz der Handelswege vor dem Horn von Afrika und der Vermeidung kostspieliger eigener Interventionen an Land geht es auch in Somalia darum, militärische Strategien zu testen. Die Beteiligung mit Soldaten in zivilen Missionen der EU sei Neuland, so Oberstleutnant Stephan Saalow, der acht Monate lang Chef des Stabes von EUCAP Nestor war. Das System Bundeswehr müsse »mit dieser Sonderform der Entsendung von Soldaten noch Erfahrung sammeln«, erklärte er dem hauseigenen Internetportal der Bundeswehr im Juni 2014.

Mit allen Mitteln gen Süden

Die Gründe für die stärkere Orientierung der Bundesregierung auf afrikanische Staaten sind vielfältig (und je nach Land spezifisch). Grundsätzlich geht es darum, die wirtschaftliche, machtpolitische und militärische Rolle der EU und speziell Deutschlands in Afrika zu stärken – darüber besteht in der Bundesregierung ressortübergreifend Einigkeit. Das geostrategische Interesse rührt nicht zuletzt von der vermehrten Einflussnahme verschiedener Akteure auf dem Kontinent her, gegen die Deutschland teils als Juniorpartner der USA oder Frankreichs, teils als aufstrebende Kraft in der EU die eigene Position zu stärken gedenkt. Der »auffälligste Akteur«, China, sei laut Bundesregierung »bekannt für Konzentration auf Rohstoffbezug, auf Nutzung von Agrarland und auf Absatzmärkte für die eigene Produktion«. Er zeige sich zunehmend interessiert an längerfristigen Investitionen. Aber auch Indien, die Türkei, Brasilien, Japan und sogar die USA werden als Konkurrenten ausgemacht.

Aus dem Krieg in Afghanistan wurde zudem die Lehre gezogen, dass direkte militärische Kontrolle nicht zwangsläufig zum gewünschten Ergebnis führt. Wenn statt dessen heute in größerem Maße auf die sogenannte Zivil-Militärische Zusammenarbeit, polizeiliche und militärische Ausbildungsmissionen gesetzt wird, ist das allerdings aus friedenspolitischer Sicht kein Fortschritt. Diese Politik bringt nicht nur mit sich, dass Geld für die Entwicklungszusammenarbeit verstärkt direkt zugunsten imperialistischer Interessen eingesetzt wird. Eine Folge ist auch, dass bürgerliche Freiheiten in den Empfängerstaaten zunehmend unter Druck geraten. Selbst die Friedrich-Ebert-Stiftung konstatiert, dass »die Priorisierung sicherheitspolitischer Ziele (…) in vielen Staaten der Region die Zunahme von Repression (durch Gesetze) und die Stärkung der Sicherheitsapparate verstärkt« habe. Die Spielräume etwa für kritische Aktivisten oder Medien würden dadurch vielerorts kleiner. Auch hiesige Linke werden mit dem neuen Imperialismus der BRD vor neue Aufgaben gestellt. Sie müssen mit einer Politik umgehen, die vermeintlich auf Chancen nicht nur für Deutschland, sondern auch für Afrika ausgerichtet ist, zivile Mittel bevorzugt, zu militärischen Mitteln nur im äußersten Notfall greift – und sich damit leichter legitimieren lässt als Kriege. Imperialismus muss jedoch mit in all seinen Erscheinungsformen – dazu gehört zunehmend auch die »Entwicklungszusammenarbeit« – analysiert und bekämpft werden.