Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2014/029 - in: AUSDRUCK (Juni 2014)

Rezension: Das virtuelle Schlachtfeld – Computerspiele, Machtkonstellationen und das Militär

Thomas Mickan (05.06.2014)

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Hinweis: Eine Studie zu Videospielen im Kalten Krieg, die erst nach Veröffentlichung des Buches abgeschlossen wurde, wurde soeben bei der IMI veröffentlicht und kann hier heruntergeladen werden.

 

Vor kurzem sprach ich mit Michael Schulze von Glaßer über sein neuerschienenes Buch Das virtuelle Schlachtfeld. Er zeigte mir dabei ein Foto des u.a. von der NATO veranstalteten Workshops „Exploiting Commercial Games for Military Use“[1], welches er im Mai 2014 in den Kölner Messehallen bei der Rüstungsausstellung ITEC schoss. Bei dieser seit 2004 bestehenden Workshopserie diskutieren Militärs und Sicherheitsberater_innen verschiedener NATO-Staaten Synergieeffekte kommerzieller Computerspiele und ihrer militärischen Nutzung. Allen voran spielen die USA mit jährlich milliardenschweren Ausgaben für Militärspiele zur Rekrutierung und Trainingszwecken in Schießsimulatoren eine wichtige Rolle. Es zeigt, dass das Thema Computerspiele für das Militär alles andere als Neuland ist und umso erstaunlicher erscheint dann, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Medium Computerspiel in Deutschland – abgesehen von der Gewaltdebatte um „Ballerspiele“ – nach wie vor eine Welt im Schatten ist.

In diese Welt von Computerspielen, Machtkonstellationen und Militär unternimmt der Journalist und Friedensbewegte Schulze von Glaßer in seinem Buch mit den Lesenden einen Ausflug. Computerspiele dürften nach der Lektüre in einem neuen Licht erscheinen. Für Computerspiel-Laien kann dieser Ausflug eine wertvolle Erkenntnis bieten: Fernab der Debatte um Gewaltdarstellungen im Medium Spiel, sind die Spiele in ihren Inhalten, das heißt in den erzählten Geschichten, hochpolitisch. Um dies zu zeigen, untersucht Schulze von Glaßer mehrere Kriegsspiele. Mitunter lesen sich dabei die zusammengefassten Szenariobeschreibungen der Spiele und der Verlauf der erzählten Geschichten wie eine wilde Mischung aus Kriegs-, Action- und Agent_innenromanen. Wer dabei als Freund_in und Feind_in konstruiert wird, fällt in den meisten Spielen schnell ins Auge. Geschickt untergliedert dabei Schulze von Glaßer die Spiele nach inhaltlichen Fokus und Spielbeispielen, wenn er unter anderem untersucht, wie der Iran, China, Russland oder der Krieg gegen den Terror dargestellt wird. Besonders eindrücklich ist, dass die virtuellen Schlachtfelder auch selbst politischen Nachhall in der „realen“ Welt finden, wenn beispielsweise China oder der Iran mit offizieller Kritik oder eigenen Spielentwicklungen, aber dann mit den Feind_innen im Westen reagieren.

Auch für Gamer sind Schulze von Glaßers Ausführungen ein Gewinn, auch wenn die eine oder der andere besser die zahlreichen „Spoiler“ (Informationen die Handlungsinhalte verraten und so den Spielspaß verderben können) überspringen. Eine Spoilerwarnung befindet sich jedoch zu Beginn des Buches. Für Gamer liegt der Gewinn eindeutig im Blick hinter die Kulissen der Spiele, bei denen Schulze von Glaßer im zweiten Teil seines Buches das schwer zugängliche Feld der Zusammenarbeit von Militär, Rüstungsfirmen und Spieleentwicklungsfirmen untersucht. Erwähnenswert ist dabei, dass so manche große Spieleentwicklungsfirma sich von einem zivilen Unternehmen zu einem Rüstungsunternehmen gewandelt hat – Konversion in die andere Richtung sozusagen. Alle Spiele die in einer Zusammenarbeit mit Militär und Rüstung entstanden sind, markiert der Autor konsequent mit einem Sternchen, welches beim Lesen hilfreich ist. Die Form der Zusammenarbeit kann dabei sehr verschieden sein. Ein wichtiges Thema ist beispielsweise, wie und ob in Spielen die Markennamen etwa von Heckler & Koch verwendet werden dürfen, oder wie Spieleengines von kommerziellen Spielen wie die CryEngine der Frankfurter Firma Crytek auch im militärischen Bereich Anwendung finden. Den bisher eher bescheidenen Bemühungen der Bundeswehr wird auch ein eigenes Kapitel gewidmet.

Abschließend diskutiert Michael Schulze von Glaßer noch die Möglichkeit anderer Spiele, die Krieg, Rüstung und Militär nicht wie in bisherigen Spielen heroisieren, ästhetisieren und letztlich normalisieren. Es gelingt dem Autor mit dem Buch im deutschsprachigen Raum, mindestens aber in der Friedensbewegung ein wichtiges und neues Thema zu besetzen und sowohl für Computerspiel-Laien und auch erfahrene Gamer ein wichtiges Kapitel im Widerstand gegen Krieg und Militär in den analytischen Fokus zu rücken. Zu guter Letzt möchte ich noch auf den YouTube-Channel „Games’n’Politics“ des Buchautors verweisen. In kurzen Videos wird dort die ausgezeichnete Analyse des Buches über Politik in Kriegsspielen mit Bild und Ton untermalt und – unbedingt empfehlenswert – fortgesetzt.

 

Schulze von Glaßer, Michael (2014): Das virtuelle Schlachtfeld

Neue Kleine Bibliothek 199, 205 Seiten, 14,90 €, PapyRossa Verlag

 

[1] Dt.: „Zur Nutzung [oder Instrumentalisierung, d.A.] von kommerziellen Computerspielen zur militärischen Anwendung“

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