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IMI-Analyse 2013/028- in: AUSDRUCK (Oktober 2013)

„…und irgendwann fahren Panzer drüber“

Ein Beispiel für Geheimdienstforschung und vielsagende Rechtfertigungen

Christoph Marischka (08.10.2013)

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So richtig will es Alexander Waibel vom berühmten Karlsruher Institut für Technologie (KIT) niemand abnehmen, dass er sich nichts zu Schulden hat kommen lassen. Mit der arg flapsigen Rechtferteigung, „[d]ie Forschung seiner Arbeitsgruppe diene ‚humanitären Einsätzen’… Waibel: ‚Das ist alles öffentliche Grundlagenforschung’“ beendet etwa der Spiegel Online seinen Bericht über die mutmaßliche Zusammenarbeit des Kognitionswissenschaftlers mit dem US-amerikanischen und dem deutschen Geheimdienst.(1) Die Sendung „Campus & Karriere“ des Deutschlandfunks zitiert ihn mit den Worten, „[j]a, wir kennen natürlich die Leute alle in der amerikanischen Regierung, ja, aber wir haben nie classified research gemacht“, um dann zu schlussfolgern: „Professor Waibel ist sich also bewusst, dass seine Forschung auch durch Geheimdienste genutzt wird, aber, er habe keine direkten Aufträge von ihnen erhalten und durchgeführt.“(2) Fast alle berichtenden Medien griffen folgendes Bild aus der Rechtfertigung Waibels auf: „Das gesamte Wissen, das in der Spracherkennung entsteht, das ist wie Straßenbau. Wissen Sie, Sie können Straßen bauen und dann fahren Autos drüber und irgendwann fahren Panzer drüber.“(3) Das ist die Argumentation des „Dual Use“ in Reinform: Man baut eine Straße und interessiert sich nicht, wer darauf fährt – als ob das nicht davon abhinge, von wo die Straße wohin führt und für wen sie gebaut würde.

Der Vorwurf, gegen den Waibel sich wehrte, bestand darin, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA seine Forschung nutze, um abgehörte Telefongespräche quasi in Echtzeit in einen digitalen Text der jeweiligen Sprache und ins Englische zu übersetzen, der dann mit verschiedenen Datenbanken abgeglichen und auf bestimmte Schlagwörter untersucht würde. Außerdem berichtet das ARD-Magazin Fakt, dass Waibel u.a. für das US-amerikanische Forschungsprogramm „Total Information Awereness“ gearbeitet habe, dessen Gelder 2003 vom Kongress gestrichen wurden, das anschließend jedoch aus eigenen Mitteln der Geheimdienste inoffiziell weitergeführt wurde. Das Karlsruher Institut für Technologie räumte auch ein, dass Projekte von Waibel von der Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums, DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency), und ihrem Pendant für die Geheimdienste, der IARPA (Intelligence Advanced Research Projects Activity), gefördert worden seien. Diese Projekte habe Waibel allerdings nicht am KIT, sondern als Professor an der Carnegie Mellon Universität in den USA durchgeführt. Das ARD-Magazin behauptet jedoch, auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung habe bis zum Jahr 2000 Aktivitäten Waibels finanziert, “die amerikanischen Geheimdienst- und Militärprogrammen zugute kamen”.(4) Zudem habe Waibel eine Firma gegründet und mitsamt Know How an einen Unternehmer verkauft, der diese Technologien für den deutschen Auslandsgeheimdienst BND weiterentwickelt und diesem zur Verfügung gestellt habe.(5)

Interessant ist es nun zu beobachten, wie sich die beteiligten Akteure rechtfertigen und aus der Verantwortung zu winden versuchen. Das KIT, an dem seit seiner Gründung aus der Fusion der Universität Karlsruhe mit dem Forschungszentrum Karlsruhe heftig um die Einführung einer Zivilklausel gestritten wird, die zumindest Forschung im Auftrag der DARPA verhindern sollte, verweist darauf, dass Waibel eben diese Forschung lediglich an der Carnegie Mellon Universität durchgeführt habe, während er von seiner 50%-Stelle in Karlsruhe beurlaubt war.(6) Das zweite Argument, welches das KIT vorbringt, besteht darin, dass Waibel in Karlsruhe keine “Geheimforschung” betrieben hätte. In einer Mail an die Informationsstelle Militarisierung macht das eine Pressereferentin geradezu überdeutlich: “Professor Waibel hat keine Geheimforschung betrieben, an seinen Instituten wird ausschließlich öffentliche Forschung gemacht, alle Ergebnisse sind öffentlich zugänglich.”
Diese Argumentation, “dass durch eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse ein kriegerischer Missbrauch ausgeschlossen werden kann”, ist auch aus der Auseinandersetzung um die Zivilklausel an der Universität Tübingen gut bekannt.(7) Sie wurde dort etwa vom für die Forschung zuständigen Prorektor Herbert Müther auf einer Podiumsdiskussion zum Abschluss einer Ringvorlesung zur Zivilklausel vorgebracht. Das Schwäbische Tagblatt berichtete hierüber unter dem Titel “Transparenz ist der Schutz”(8): “…als Physiker erlebte er [Müther] in den USA, wie militärische Forschung an Universitäten durch Geheimhaltung gekennzeichnet war. Militärische Forschung ‚in dem Sinn‘ sei aber an einer deutschen Uni mit ihrem Freiheits- und Offenheitsgebot gar nicht machbar… Der beste Weg, nicht-zivile Ziele, Ergebnisse oder Verwertungen von Forschungsprojekten zu erkennen, ist für Müther die größtmögliche Transparenz und Öffentlichkeit.” Untermalt hatte Müther das mit der Beschreibung einer Situation damals in den USA, als plötzlich ein Panzer vor ihm gestanden und seine Kanone auf ihn gerichtet hätte, als er auf den falschen Teil des Campus geraten sei.(9) Da war er auch schon, der Panzer als Symbol des Militärs. Es sollte nicht verwundern, dass allzu plumpe Vorstellungen des Militärischen zu ebenso plumpen Vorstellungen des Zivilen führen. Als “Mindestforderungen für die Umsetzung einer Zivilklausel” schlussfolgert Thomas Nielebock dann auch in dem Sammelband über die Tübinger Ringvorlesung(10) (der mit Fug und Recht als Argumentationsanleitung für Befürworter von Feigenblatt-Zivilklauseln gelten darf) ergebe sich somit “das Verbot von Forschung mit Geheimschutzklauseln (militärischer oder privater Art)” und “das Veröffentlichungs- und das Vorab-Informationsgebot über Forschungsprojekte, um dem Transparenzversprechen Genüge zu tun.”

Was hätte nun ein solches “Vorab-Informationsgebot” im Falle des Herrn Waibel am KIT bedeutet? Es hätte sich sicherlich nicht auf die Forschung an der Carnegie Mellon Universität erstreckt und auch nicht auf seine privatwirtschaftlichen Aktivitäten, die wohl mittlerweile dem BND dienen. “Wenn dieselbe Person einen Hochschul-Lehrstuhl und ein außerhochschulisches Institut leitet, könnte die militärische Forschung in das letztere ausgelagert werden”,(11) warnt schon Jürgen Altmann in einem der Beiträge des Sammelbandes. Die Forschung Waibels am KIT, die jedoch sicherlich auch in seine privatwirtschaftliche Tätigkeit und Projekte in den USA eingeflossen sein dürfte, hätte hingegen wenig Verdacht erregt. Das durch das Bundesministerium geförderte Projekt Waibels jedenfalls trug den unscheinbaren Titel “Verbamobil” und zielte vermeintlich auf die maschinelle Übersetzung von Spontansprache primär für Geschäftsreisende, beinhaltete jedoch auch tiefgehendere Forschung zur Integration verschiedener Ebenen semantischer Analyse. Träger dieses Projektes war das Deutsche Zentrum Luft- und Raumfahrt (DLR), federführend war das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), eine GmbH, an der mehrere Bundesländer und Industrieunternehmen bei Förderung durch den Bund beteiligt sind. Sowohl das DLR, wie auch das DFKI pflegen enge Beziehungen mit den wichtigsten deutschen Rüstungsunternehmen und sind u.a. wichtige Akteure bei der Forschung an Drohnen. Als privatwirtschaftliches “Spin-Off” hat die in Pittsburgh, USA, ansässige Firma “Mobile Technologies” unter Prof. Waibel unter anderem eine Anwendung für Smartphones zur mobilen Sprachübersetzung entwickelt.
Das KIT hingegen hebt in seiner Stellungnahme insbesondere die von der Europäischen Union geförderte Forschung Waibels hervor: “Am KIT wird seine Arbeit vor allem von der Europäischen Union gefördert und dient z. B. der Übersetzung gesprochener Sprache zur Kommunikation in der EU. Im Projekt EU-Bridge entwickelt er am KIT eine Software zur Vorlesungs-Simultan-Übersetzung, mit deren Hilfe ausländische Studierende deutsche Vorlesungen verstehen können.“ Eine solche Projektbeschreibung an sich hätte bei Vorab-Information gegenüber einer Ethik-Kommission sicherlich wenig Zweifel erweckt, selbst wenn es auf der Homepage des Forschungsvorhabens bereits etwas ausführlicher heißt: „Das Projekt wird Streaming-Technologie bereitstellen, die Sprache aus Vorlesungen, Meetings und Telephongesprächen in Text in einer anderen Sprache konvertieren kann“.(12) Unter dem vertrauenseinflößenden Namen „Bridge“ (Brücke) geht man dabei natürlich zunächst intuitiv von einer konsensualen Konvertierung in digitalen Text und Übersetzung aus. Die Verschränkung mit geheimdienstlich und militärisch geförderter Forschung und privaten wirtschaftlichen Aktivitäten und Kontakten, die letztlich dazu führten, dass die Technologie nicht „irgendwann“, sondern zuerst großflächig von Geheimdiensten und damit sicherheitspolitsich eingesetzt wird – dass die Strasse in Wirklichkeit für Panzer gebaut ist, um dieses plumpe Bild mit einhergehender Ungenauigkeit zu bemühen –, wären einer solchen Kommission wahrscheinlich verborgen geblieben. Selbst wenn sie offen gelegt worden wären, hätten sie kaum zu einer Ablehnung des Projektes geführt, weil ja die Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut ist und die meisten Wissenschaftler_innen sich gegen Kontaktverbote zu Akteuren wie den Geheimdiensten und dem Militär verwehren.
Letzteres vermag dann vielleicht auch die – gerade für einen Sprachforscher – ungeschickt erscheinende, weil militärisch konnotierte Formulierung „humanitäre Interventionen“ erklären, wo Waibel doch eigentlich Folgendes meinte: „Diese Übersetzungsprogramme seien … vorrangig für Katastrophenhilfe-Einsätze der Army im Ausland gedacht“ und seine Forschung ermögliche, „dass in Entwicklungsländern Ärzte mit ihren Patienten kommunizieren können“.13 Beispiele aus Tübingen zeigen, dass die Argumentation von Wissenschaftlern, denen militärnahe oder militärische Forschung vorgeworfen wird, sehr häufig zweigleisig verläuft: Erstens diene die Forschung nicht primär dem Militär (wobei als Beweis deren „Öffentlichkeit“ dient) und zweitens hätten sie an einer Nutzung durch das Militär auch nichts auszusetzen. So äußerte sich etwa der in der Drohnenforschung tätige Neurowissenschafter Professor Hanspeter Mallot gegenüber dem Deutschlandfunk einst mit den Worten: „Es ist erstens keine Militärforschung“. Zugleich machte er jedoch deutlich: „Wenn der Staat sich eine Armee leistet, und es steht im Grundgesetz, dass er das darf, und das finde ich auch richtig, dann können die Forschungseinrichtungen eigentlich nicht sagen: Wir entwickeln Euch aber keine Ausrüstung. Das finde ich unehrlich“.14 Ähnliche Argumentationen zeigten sich bei der Rechtfertigung der Honorarprofessur für den Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Ischinger, und bei der Forschung zu Organophosphaten, also chemischen Waffen und möglichen Gegenmitteln, für das Verteidigungsministerium.
Etwas ungewöhnlich hingegen war die Strategie Waibels, sich aus der Schusslinie zu nehmen, indem er andere beschuldigte: „Waibel sagte weiter, in Deutschland gebe es jede Menge wissenschaftliche Institute, die geheime Militärforschung betreiben. ‚Dass die Recherchen ausgerechnet zu mir geführt haben, macht mich sprachlos.’“15 Das Waibel und seine Forschung kein Einzelfall und vielleicht auch gar nicht besonders militär- und geheimdienstnah sind, mag durchaus zutreffen. Ein gutes Beispiel für die vielfältigen Verquickungen zwischen Geheimdiensten, Militär und Wissenschaft ist er allemal – und für die plumpen Rechtfertigungsstrategien der beteiligten Wissenschaftler_innen und ihr häufig fehlendes Verantwortungsbewusstsein erst recht.

 

Anmerkungen
(1) „Spracherkennung: Deutsche Uni forschte mit Geld von US-Geheimdienstagentur“, Spiegel Online vom 4.9.2013.
(2) „Waibel: Habe keine Geheimforschung für NSA betrieben“, in: Campus & Karriere, Deutschlandfunk vom 4.9.2013.
(3) Ebd.
(4) „Deutsche Forschung für US-Geheimdienste“, FAKT-Sendung vom 3.9.2013, Manuskript unter: http://www.mdr.de/fakt/ueberwachung144-download.pdf.
(5) Zur Rolle der Firma „Lernout & Hauspie“ ausführlich: Matthias Monroy: Deutsche Forschungen zu Spracherkennung für US-Geheimdienste erinnern an Lernout & Hauspie, den BND und EUROPOL, in: Netzpolitik.org vom 4.9.2013.
(6) Die Angaben in diesem Absatz beziehen sich auf eine Stellungnahme des KIT, die dem Deutschlandfunk vorlag und auf Anfrage auch der Informationsstelle Militarisierung zugesandt wurde.
(7) Thomas Nielebock: Zur Ausgestaltung einer Zivilklausel – Anregungen aus den Tübinger Vorträgen und Debatten , in: Simon Meisch, Thomas Nielebock, Volker Harms: Zivilklauseln in Forschung, Lehre und Studium – Hochschulen zum Frieden verpflichtet, Baden-Baden 2012.
(8) „Transparenz ist der Schutz – Wo darf die Zivilklausel der Forschung Grenzen setzen?“, Schwäbisches Tagblatt vom 2.2.2012.
(9) Erinnerung des Verfassers.
(10) Meisch, Nielebock, Harms, a.a.O.
(11) Ebd.
(12) Startseite der Homepage www.eu-bridge.eu.
(13) NSA-Abhörskandal – Deutsche Forschung für die NSA?, Heise Newsticker (mit Update) vom 4.9.2013.
(14) Andrea Rehmsmeier: Kalter Krieg am Campus – Der Streit um die Zivilklausel an deutschen Hochschulen, in: Wissenschaft im Brennpunkt, Deutschlandfunk vom 3.3.2013.
(15) „Karlsruher Forscher wehrt sich gegen NSA-Verdacht“, welt.de vom 4.9.2013.

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