IMI-Standpunkt 2013/046
Außenpolitik als Totalausfall: Eine Intervention in Syrien ohne Sinn, Zweck und Verstand
Christoph Marischka (28.08.2013)
Im Zuge der Diskussion um eine militärische Intervention mehrerer NATO-Staaten in Syrien nimmt die außenpolitische Debatte immer bizarrere Züge an. Da sind zum Beispiel die USA, die sich bereits darauf festgelegt haben, dass Assad sozusagen höchstpersönlich für den Einsatz von Giftgas in Voroten von Damaskus am 21. August 2013 verantwortlich ist. Sie behaupten auch, über Beweise hierfür zu verfügen, die sie in Kürze vorlegen wollten. Abgesehen von der Frage, welche Beweise die Urheberschaft eines möglichen Giftgaseinsatzes zweifellos nachweisen könnten stellt sich auch diejenige, warum die USA diese Beweise zurückhalten, während die UN-Inspekteure noch vor Ort ihr Leben riskieren, um Beweise für den bloßen Einsatz von Giftgas zu finden. Vermutlich geht es darum, die Beweise wirksam zum Zeitpunkt der beginnenden Intervention zu präsentieren. Dann handelt es sich jedoch weniger um Beweise, als um einen Teil der Kriegführung, um Propaganda, und dieser Eindruck sollte doch eigentlich in einer solchen Situation um jeden Preis verhindert werden.
Neuer Kriegstyp: Sinnfreie Strafinterventionen
Auch der Einsatz selbst und v.a. sein Ziel ist reichlich dubios: Es soll sich um eine „Strafaktion“ handeln. Das ist eine echte Neuigkeit. Von Kriegen als Strafaktion war bislang noch nicht die Rede, nun hat man diese neue Form der Intervention, bei vertretbarem Risiko für die eigenen Kräfte einfach möglichst viel in einem ohnehin geschundenen Land kaputt zu machen, aus einem einfachen Grund aus der Taufe gehoben: Weil einfach niemandem ein sinnvolles Ziel für diesen Krieg, der trotzdem irgendwie geführt werden muss, einfällt. „Der Konflikt wird übrigens auch danach weitergehen“, so der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mißfelder, unverblümt. Es geht auch nicht darum, den Regierungschef Assad zu stürzen, wie US-Regierungssprecher Jay Carney einräumt, weil im Moment niemandem einfällt, wer das Land – so absurd es klingt – in diesem Bürgerkrieg verantwortungsvoller führen könnte. Stefan Kornelius etwa schreibt auf sueddeutsche.de, „keine der Kriegsparteien wäre ein natürlicher Verbündeter des Westens, keiner steht für eine Ordnung, für die es sich auch militärisch zu kämpfen lohnte.“ Es geht im Prinzip darum, das Gesicht des US-Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Obama zu wahren. Der hätte sich nunmal auf diese roten Linien festgelegt, was auch innenpolitisch motiviert gewesen sei, so Mißfelder und müsse nun eben „handeln“, das kann Mißfelder auch verstehen.
Stattdessen greift Mißfelder die Vereinten Nationen scharf an, als Weltpolizei seien diese ein „Totalausfall“, weil sie nicht fähig sind, einen Krieg ohne Sinn und Zweck zu mandatieren, bei dem die Gefahr „riesig groß“ sei, dass er auf die gesamte Region übergreift. Der Seitenhieb sei gestattet, dass sich hier ein interessantes Verständnis von Polizeiarbeit offenbart, die sich als „Totalausfall“ darstellt, wenn sie erstmal ermittelt, bevor sie zuschlägt und wenn sie sich an die rechtlichen Grundlagen hält. Das führt zu neuen Wortkapriolen: Mißfelder möchte nicht von einem Völkerrechtsbruch sprechen, sondern lieber von einem nicht „völkerrechtsgedeckten“ Einsatz. Sein Parteigenosse Ruprecht Polenz sieht das anders und erkennt in der sog. „Schutzverantwortung“ eine „klare völkerrechtliche Grundlage“ für die bevorstehende Intervention. Auf diese „Schutzverantwortung“, die uns von sämtlichen führenden Außenpolitiker_innen seit Jahren als zivilisatorische Errungenschaft verkauft wird, hat sich auch Obama implizit bezogen, als er töricht eine Rote Linie zog, die nun in einen Krieg führt, der freilich niemandem hilft und niemanden schützt, sondern den (weiteren) Einsatz auch von Giftgas nur wahrscheinlicher macht. Das gilt übrigens bereits für das Formulieren einer Roten Linie selbst und verweist auf die Tücken der sogenannten Schutzverantwortung: Nach dieser Formulierung lag für die syrischen Rebellen, die sich von Anfang an mit Blick auf Libyen ein militärisches Eingreifen von außen gewünscht haben, nichts näher, als einen Einsatz von Giftgas zu inszenieren oder zu provozieren. Dass es einen solchen Einsatz bereits vor dem 21. August in Syrien gegeben hat, ist durchaus denkbar, dass aber die „Schutzverantwortung“ zum Greifen kam, dazu bedurfte es noch mehr: erschütternder Bilder, zunächst deutlich übertriebener Opferzahlen und einer Medienaufmerksamkeit, die u.a. durch die räumliche Nähe der UN-Ermittler hergestellt wurde. Mittlerweile haben die USA jedoch ihre völkerrechtliche Pseudo-Argumentation geändert. Die Deutsche Welle zitiert Regierungssprecher Carney, nachdem man von einer „Bedrohung der Vereinigten Staaten“ ausgehe, „womit keine UN-Beschlüsse und keine Beschlüsse des US-Kongresses notwendig wären“. Eine Strafintervention also als Verteidigung gegen einen Angriff auf das Ansehen des Präsidenten? Warum nicht gleich den NATO-Bündnisfall ausrufen?
Deutsche Beteiligung unausweichlich
Ähnlich absurd wie der Zusammenhang zwischen Schutzverantwortung, Giftgas und einem Krieg, den niemand will, ist auch die (Nicht-)Positionierung der meisten Parteien zu einer möglichen deutschen Beteiligung im Wahlkampf. Mißfelder hat Recht, wenn er sich keine Sorgen macht, dass eine deutsche Beteiligung an einer Syrien-Intervention ein ähnlich polarisierendes Wahlkampfthema werden könnte, wie 2002 der bevorstehende Irakkrieg. Dafür sorgt eine kopflose Debatte aus dem Dezember letzten Jahres, nach der alle im Bundestag vertretenen Parteien außer der Linkspartei mit überwältigender Mehrheit für die Stationierung von Bundeswehrsoldaten und Patriot-Raketen „zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der NATO“ in der Türkei stimmten. So groß auch die Ablehnung einer möglichen Beteiligung an einer völkerrechtswidrigen Intervention in Syrien bei einzelnen grünen und sozialdemokratischen Abgeordneten sein mag, wird keiner von ihnen das Rückgrat haben, die Patriot-Staffeln just in dem Moment abzuziehen, wo ihre Stationierung erstmals Sinn macht, weil die NATO-Verbündeten von der Türkei aus einen Krieg gegen Syrien führen. Das einzige Argument, was in der damaligen Debatte für diese Stationierung vorgebracht wurde, bestand nämlich darin, dass man dem Bündnis gegenüber „Solidarität“ und „Verlässlichkeit“ demonstrieren müsse. Würde Deutschland jetzt die Patriots abziehen, wäre genau das Gegenteil erreicht, was zwar auch in den längerfristigen Folgen für die NATO und ihren Umbau in ein Offensivbündnis höchst erfreulich wäre, aber reichlich unwahrscheinlich ist.
Genau das Gegenteil zu erreichen von dem, was man vorgibt anzustreben, scheint ohnehin die große Spezialität westlicher Sicherheitspolitiker und ihrer Stichwortgeber aus der „Strategischen Gemeinschaft“ zu sein. Nach dem „Arabischen Frühling“ wollten sie die ganze Region auf dem Weg zu Demokratie und Menschenrechten begleiten – und haben sie mit der Intervention in Libyen und der Militarisierung des syrischen Aufstandes in ein zusammenhängendes Kriegsgebiet von Mali bis in den Iran verwandelt. Mit der „Schutzverantwortung“ wollte man angeblich die Eskalationen in Bürgerkriegssituationen vermeiden und hat eine Dynamik zu Militärinterventionen und der Untergrabung des Völkerrechts und der UN geschaffen. Mit der Formulierung „Roter Linien“ sollte der Einsatz von Giftgas verhindert werden, tatsächlich haben sie diesen jedoch wahrscheinlicher gemacht. Dies führt nun in einen Krieg, der schlimmstenfalls auch Israel und den Iran erfassen könnte. Israel soll geschützt werden, wird aber zum einzigen Ziel möglicher Gegenschläge gemacht. Hinter den Protagonisten dieser Außenpolitik nur wirtschaftliche Interessen oder Bosheit zu vermuten, ist keine hinreichende Erklärung mehr. Es gehört auch ein gerüttet Maß Dummheit, gepaart mit Chauvinismus dazu. Denn außer der Kriegswirtschaft (und den Krisenmanagern der strategischen Gemeinschaft, denen leider immer noch zugehört wird) profitiert von dieser Katastrophe niemand.