IMI-Standpunkt 2013/012 - in: AUSDRUCK (April 2013)
EU erweitert Instrumentarium
Aufrüstung von Bürgerkriegsparteien als Teil des Sanktionsregimes
Christoph Marischka (07.03.2013)
Überraschenderweise war es die deutsche Bundesministerin für Arbeit, die mit ihrer Zustimmung zum Beschluss Nummer 2013/109/GASP am 28. Februar gegen Ende des Treffens des Rates für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz in Vertretung der Bundesregierung eine gewissermaßen historische Entscheidung zur EU-Außenpolitik mitgetragen hat. Denn an diesem Tag wurde das Repertoire der EU-Außenpolitik entscheidend erweitert. Konkret ging es bei diesem Ratsbeschluss darum, den Mitgliedsstaaten die Aufrüstung einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe und Bürgerkriegspartei zu ermöglichen. Dies erfolgte nach konkreten Ankündigungen u.a. Frankreichs und Großbritanniens, die bewaffnete Opposition in Syrien mit Ausrüstung und Ausbildern unterstützen zu wollen. Hierzu wurden Ausnahmen zu den bestehenden Sanktionen der EU gegen Syrien eingefügt. Diese sollen es ermöglichen, „nichtletales militärisches Gerät, das für den Schutz der Zivilbevölkerung oder für die Nationale Koalition der Kräfte der syrischen Revolution und Opposition bestimmt ist“ sowie „nicht zum Kampfeinsatz bestimmte“ gepanzerte Fahrzeuge zu liefern und „technische Hilfe, Vermittlungsdienste und sonstige Dienste für die Nationale Koalition der Kräfte der syrischen Revolution und Opposition“ bereitzustellen.
Die Präzision, mit der diese Tatbestände auf die britisch-französischen Pläne abgestimmt sind, scheint den Angaben des Spiegel Recht zu geben, wonach sich die EU-Staaten intern auf die Ausrüstung und Ausbildung der bewaffneten Opposition geeinigt hätten. Eine Abgeordnete der Linksfraktion stellte daraufhin in einer Pressemitteilung zutreffend fest, dass es in der EU überhaupt „kein Gremium [gibt], das für entsprechende Absprachen und Beschlüsse zuständig wäre“ und sich die EU „ihr außenpolitisches Repertoire eigenmächtig in Hinterzimmergesprächen beträchtlich erweitert“ hätte. Tatsächlich verschwimmt hier die Grenze zwischen zwischenstaatlicher und europäischer Ebene: Die Entscheidung zur Ausbildung und Ausrüstung der bewaffneten Opposition wurde durch die Einzelstaaten getroffen, aber in EU-Gremien kommuniziert, daraufhin beschloss die EU im Rahmen ihrer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, dies zu ermöglichen. Somit hat Außenminister Westerwelle formal Recht, wenn er behauptet, „[w]eder Deutschland noch die Europäische Union verfolgen solche Pläne“ zur Ausbildung der Rebellen. Faktisch ist jedoch zutreffend, dass mit dem Beschluss 2013/109/GASP des Rates ein Plazet hierfür gegeben wurde und man damit auch die EU als Bürgerkriegspartei in Syrien bezeichnen kann.
Womöglich noch weitreichender ist die Tatsache, dass dieses neue außenpolitische Instrument im Rahmen des EU-Sanktionsregimes geschaffen wurde. Bereits zuvor waren wirtschaftliche Sanktionen und Reisebeschränkungen (etwa gegenüber der Côte d’Ivoire) mit sehr offenen und eindeutigen Aufforderungen an Militärs und Medienvertreter_innen verbunden gewesen, die Seiten zu wechseln. Diese Sanktionsregime setzten eine quasi-geheimdienstliche Durchdringung der Eliten des betreffenden Staates und Geheimverhandlungen mit diesen voraus. Das dürfte mit zur Herausbildung eben jener Strukturen innerhalb der EU beigetragen haben, in denen nun offensichtlich zwischenstaatliche Absprachen über die Bewaffnung einzelner Gruppen getroffen und die Ermöglichung dieser auf EU-Ebene vorbereitet wird (konkret dürfte es sich dabei um die entsprechenden Ratsarbeitsgruppen und Abteilungen des Europäischen Auswärtigen Dienstes unter Einbeziehung der EU-Delegationen in den jeweiligen Ländern handeln).
Nun muss endgültig davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Verhängung von Sanktionen durch die EU de facto um ein gezieltes Eingreifen in Krisen- und Bürgerkriegssituationen zugunsten einer oder mehrerer Parteien handelt. Somit sind Sanktionen eher zu einem Mittel der Eskalation als der Deeskalation geworden und haben sie ihre theoretischen Potentiale, als Waffenambargo eine Alternative zur militärischen Intervention darzustellen, eingebüßt. Ab jetzt muss endgültig damit gerechnet werden, dass die Verhängung von Sanktionen gerade zum Gegenteil dessen führt, was den vermeintlichen Zweck von Waffenembargos darstellt, nämlich die Aufrüstung einer oder mehrerer Bürgerkriegsparteien. Da die EU hier außerhalb des UN-Rahmens agiert und ihr eigenes Sanktionsregime nutzt, um Bürgerkriegsparteien als „legitime Vertretung des Volkes“ anzuerkennen und zu bewaffnen, unterläuft sie damit zugleich das Völkerrecht und schafft damit für andere Staaten und Bündnisse eine Vorlage, ebenso zu verfahren und ihrerseits Bürgerkriegsfraktionen anzuerkennen und zu bewaffnen.
Zuletzt sei noch auf die Begründung für die Lieferung „nichtletaler militärischer Ausrüstung“ und die Entsendung von Militärausbildern verwiesen, die darin besteht, dass man sie vermeintlich nur „für die Zwecke des Schutzes der Zivilbevölkerung“ schickt. Diese Formulierung findet sich in dem nur eine Seite umfassenden Beschluss alleine sechs Mal. Besonders widersprüchlich erscheint sie, wenn es um „zu interner Repression verwendbare Ausrüstung“ geht, die eben unter diesem Vorwand, vermeintlich dem „Schutz der Zivilbevölkerung“ zu dienen, künftig geliefert werde soll. Bezeichnend ist daran, dass keinerlei Maßnahmen oder Kriterien aufgeführt sind, mit denen überprüft werden könnte, ob die Verwendung dieser militärischen Ausrütung in einer Bürgerkriegssituation, in der die betreffenden Gruppen explizit den Sturz der Regierung auch mit militärischen (und in der Praxis terroristischen Mitteln) anstreben, lediglich mit dem „Zweck des Schutzes der Zivilbevölkerung“ erfolgt. Es wird damit offensichtlich, dass die verfassenden Gremien das selbst für illusorisch halten und dies also auch gar nicht die Absicht sein kann. Unter dem Schlagwort des „Schutzes der Zivilbevölkerung“ wird hier – wie das Frankreich und Großbritannien bereits im Falle Libyens taten – ein von außen durchgesetzter Regierungswechsel, ein Regime Change angestrebt.
Ursula von der Leyen hat im Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz die EU zur Bürgerkriegspartei in Syrien gemacht und einen Präzedenzfall geschaffen, nach dem auch zukünftig im Zuge von Waffenembargos militärische Ausrüstung an Bürgerkriegsparteien geliefert werden kann – zum Schutz der Zivilbevölkerung durch Regime Change. Das entbehrt nicht einer – bitteren – Ironie.