IMI-Standpunkt 2013/004 - in: AUSDRUCK (Februar 2013)
Kriegsopfer Wahrheit
Wenn Propaganda die öffentliche Meinungsbildung dominiert
von: Michael Schulze von Glaßer | Veröffentlicht am: 28. Januar 2013
Der Militäreinsatz in Mali: Frankreich kämpft gegen irgendwelche Islamisten, die deutsche Bundeswehr ist schon dabei und unterstützt befreundete afrikanische Truppen, die hierzulande auch niemand kennt, mit Transportflügen. Doch wer kämpft dort eigentlich gegen wen und um was? Wussten Sie, dass es in Mali im März 2012 einen Putsch gab? Wieviel ist über die sozialen Hintergründe der Auseinandersetzungen bekannt? Und würden Sie Mali auf einer Landkarte finden? Die Informationen aus der Konflikt-Region sind rar. Erste Meldungen stützten sich nahezu ausschließlich auf Mitteilungen des französischen Militärs. Neutrale Berichterstattung gibt es kaum – das gilt für fast alle Länder mit westlichen Militäreinsätzen. Und wenn sich dann doch mal Journalisten in die Krisenregionen wagen, sind sie häufig auf eine Kooperation mit den westlichen Armeen angewiesen, um überhaupt zum Brennpunkt kommen zu können. „Embedded Journalism“ heißt das dann.
Wo unabhängige Informationen fehlen, blüht die Propaganda. Und wer die öffentliche Medienwahrnehmung steuern kann, dominiert den Konflikt – zumindest an der für Politiker so wichtigen Heimatfront. Und so gründet die Bundeswehr immer neue Propaganda-Einheiten. Zur Eröffnung ihres YouTube-Kanals schrieb das Verteidigungsministerium in einer Pressemitteilung: „Mit den auf www.youtube.com/bundeswehr eingestellten Videos wird den Bürgerinnen und Bürgern ‚aus erster Hand‘ ein umfassendes, realistisches und vor allem transparentes Bild über den Alltag der Bundeswehr ermöglicht. Die Einsatzwirklichkeit unserer Soldatinnen und Soldaten bildet dabei einen besonderen Schwerpunkt.“ Das ist glatt gelogen: natürlich durchwandern die Bilder, die die Bundeswehr publiziert, eine Art Zensur, da selbstverständlich keine Informationen veröffentlicht werden, die ein negatives Licht auf die Bundeswehr werfen könnten. Natürlich wird man auf dem YouTube-Kanal – wie auch auf der Bundeswehrseite beim Fotodienst flickr und in allen anderen Armee-Medien – keine Bilder von verletzten oder toten deutschen Soldaten finden. Der deutschen Öffentlichkeit wird eine heile Bundeswehrwelt gezeigt: Brunnen bohren, Schulen errichten, ein bisschen herumfliegen und dann und wann mal eine Patrouille, die aber auch mehr einem Schulausflug entspricht. Die Bundeswehr beruft sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977, demzufolge eine „verantwortliche Teilhabe der Bürger an der politischen Willensbildung des Volkes“ Voraussetzung dafür sei, „dass der Einzelne von den zu entscheidenden Sachfragen, von den durch die verfassten Staatsorgane getroffenen Entscheidungen, Maßnahmen und Lösungsvorschlägen genügend weiß, um sie beurteilen, billigen oder verwerfen zu können.“ Es stellt sich aber die Frage, ob die Bundeswehr-Propaganda nicht eher zu einem Nichtwissen führt. Die Öffentlichkeit wird bewusst getäuscht – die Demokratie verrennt sich oder wird zumindest ad absurdum geführt. Prompt ist auf dem YouTube-Kanal der Bundeswehr schon von der „deutschen Hilfe für die Mali-Mission“ gegen „aufständische Islamisten-Gruppen“ die Rede, um die Lage in dem afrikanischen Land zu beruhigen.
Unabhängige Informationen aus einer Krisenregion sind immer schwerer zu bekommen, auch weil Zeitungen und andere Medien mehr und mehr auf offizielle Statements zurückgreifen (müssen), weil sie eine Präsenz vor Ort nicht mehr finanzieren können oder wollen. Klar, noch hat die deutsche Bevölkerung oftmals eine ablehnende Haltung gegenüber Militäreinsätzen. Es besteht jedoch berechtigter Anlass zur Sorge, dass es Bundesregierung und Bundeswehr mit ihrer Propagandaoffensive sukzessive gelingen könnte, hier einen „Bewusstseinswandel“ herbeizuführen – das ist zumindest offensichtlich das Ziel der verstärkten PR-Aktivitäten.
Es klingt altbacken, doch dass das erste Opfer im Krieg die Wahrheit ist, stimmt heute nach wie vor. Was wir glauben, über Auslandseinsätze des Militärs zu wissen, sollte der Frage hinten angestellt sein, was wir nicht wissen. Was wird vertuscht? Was wird geschönt? Und was würden wir von den Einsätzen im Ausland denken, wenn wir alles wüssten?