Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2012/054 in: AUSDRUCK (Oktober 2012)

Ziemlich realitätsnahe Übung

In Potsdam wird ein Einsatz unter deutscher Führung im Sudan geprobt

Christoph Marischka (04.10.2012)

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Am 1. Oktober 2012 begann in der Henning-von-Tresckow-Kaserne in Potsdam die EU-Militärübung „Multi Layer 2012“. In einer Einladung an „Hochrangige Gäste aus der Europäischen Union“ zu einem „Informationstag“ am 18. Oktober nennt der deutsche „Operation Commander“, Generalleutnant Markus Bentler, das „komplexe Zusammenwirken zwischen den verschiedenen zivilen und militärischen Teilnehmern“, die „zivil-militärische Zusammenarbeit“ entsprechend dem „Comprehensive Approach der EU zur Krisenbewältigung“ als eines der Hauptziele der Übung, die bis zum 26. Oktober anhalten soll. Neben der Bundeswehr und befreundeten Streitkräften sollen unter anderem die Civilian Planning and Conduct Capability (CPCC) und die EU-Delegationen in mehreren Ländern Afrikas und des Nahen und Mittleren Ostens einbezogen werden. Die CPCC wurde 2007 eingerichtet, um die „zivilen“ EU-Missionen zu leiten, jedoch mit der expliziten Zielsetzung, eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen „zivilen“ und militärischen Einsatzkomponenten zu ermöglichen (1). Mit der Schaffung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD), der auch die militärischen EU-Strukturen koordiniert, wurde die CPCC diesem unterstellt. Unter der Leitung des deutschen Diplomaten Hansjörg Haber führt das CPCC gegenwärtig u.a. die EU-Missionen in Afghanistan, Kosovo, Irak, Kongo und ist es an der Vorbereitung weiterer Missionen im Sudan, Mali und an der Ostafrikanischen Küste beteiligt (2).

Auch die EU-Delegationen unterstehen dem EAD und auch bei diesen handelt es sich um formal „zivile“ Einrichtungen. Sie übernehmen in etwa die Funktionen nationaler Botschaften auf Ebene der EU in Drittstaaten mit ähnlichen Rechten und Immunitäten, sind aber durch ihre institutionelle Verankerung deutlich stärker in den Militärapparat der EU integriert, als nationale Botschaften, die den jeweiligen Außenministerien unterstehen. In einem von statewatch.org veröffentlichten, klassifizierten Dokument der EU zu den Geheimhaltungsregeln während der Übung wird die angestrebten Beteiligung von „Drittstaaten und Internationalen Organisationen“ bekräftigt und werden Prozeduren für den Informationsaustausch mit Staaten wie Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Armenien, Moldawien, Aserbaidschan, Belarus und Georgien festgelegt.(3)

 

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, die eine Einladung zum Informationstag in der Henning-von-Tresckow-Kaserne erhalten hatte, richtete daraufhin eine Schriftliche Frage an das Bundesverteidigungsministerium, in der sie sich erkundigte, welches Szenario der Krisenmanagementübung zugrunde liegt und welche EU-Delegationen daran beteiligt werden. Die Antwort ist überraschend eindeutig: Bei der Übung würden „die Verlegung von zivilen und militärischen Kräften“ durchgespielt und „alle der EU zur Verfügung stehenden Mittel im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes zur Wirkung kommen, um zur Stabilisierung der Lage vor Ort beizutragen und den Einsatz einer Folgemission der Afrikanischen Union zu ermöglichen“. Zwar wird der Einsatzort als fiktive Region „African North Eastern Quater“ bezeichnet, „[u]m realistsiche und verfügbare kartographische, klimatologische und meterologische Daten nutzen zu können“ wurde jedoch „der Raum Sudan/Südsudan als Übungsgrundlage gewählt“. Auch das der Übung zugrunde liegende politische Szenario orientiert sich sehr stark an der Realität vor Ort: „Neben den innenpolitischen Herausforderungen, denen sich ein junger Staat nach einem unfriedlich verlaufenen Unabhängigkeitsprozess gegenübersieht, wirken ungeklärte Grenzfragen sowie Streitigkeiten bezüglich des Zugangs zu Ressourcen und illegale Aktivitäten bewaffneter Gruppen auf die Region destabilisierend“(4). Ebenso lässt sich die Situation im Sudan und Südsudan beschreiben, wobei die Destabilisierung v.a. auf die vom Westen forcierten Unabhängigkeitsbestrebungen der SPML/A zurückführen lässt.

Im Zuge der Unabhängigkeitserklärung des Südens im Juli 20011 eskalierten dort u.a. in der umstrittenen Grenzregion Abyei die bewaffneten Konflikte, woraufhin unter dem Druck der USA beide Seiten der Stationierung äthiopischer Soldaten zustimmten und die USA im Sicherheitsrat ein entsprechendes Mandat erwirkten. Der Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden schwelt seit dem weiter und eskaliert sporadisch. Auch in anderen Landesteilen befeuerte die westlich gestützte Unabhängigkeit Sezessionsbestrebungen und führte sie zu vermehrten Auseinandersetzungen. Eine weitere Militärübung der EU, bei der diese einen „unfriedlich verlaufenen Unabhängigkeitsprozess“ militärisch absichert, um die mittelfristige Stabilisierung anschließend Truppen der Afrikanischen Union zu überlassen, wirkt da sicher nicht deeskalierend. Denn dass hier ein Einsatz im Sudan geprobt wird, machen auch die Angaben aus dem Verteidigungsministerium zu den beteiligten EU-Delegationen deutlich: An der Übung nehmen „die EU-Delegationen bei der Afrikanischen Union und den Vereinten Nationen sowie im Sudan, Südsudan, Uganda, in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad“ teil, letztere drei grenzen an den Sudan bzw. den Südsudan.(5)

 

Allem Anschein nach handelt es sich bei der unter deutscher Führung durchgespielten EU-Mission um eine so genannte „Bridging Mission“ (höchstwahrscheinlich in Verbindung mit einer „zivilen“ EU-Mission zum Staatsaufbau), wie sie 2004 zwischen der UN und der EU konzeptionalisiert wurde. Damals kündigte die EU an, nur sehr begrenzt Soldaten für Einsätze unter Führung der UN bereitzustellen und stattdessen UN- und AU-Missionen logistisch zu unterstützen, durch so genannte „Bridging Mission“ vorzubereiten oder einzelne Komponenten, wie etwa „zivile“ Missionen zum Staatsaufbau oder „over-the-horizont-forces“ zu flankieren. Bereits ein Jahr zuvor wurde mit der African Peace Facility ein Budget und ein Mechanismus geschaffen, mit dem die EU – so sie in die Planung und Führung einbezogen wird – Einsätze der Afrikanischen Union finanziert und logistisch unterstützt (6). Auf diesen Mechanismus wurde bereits mehrfach zurückgegriffen, u.a. bei den Einsätzen der AU in Somalia und dem Sudan. Diese Form des Multilateralismus entspricht auch der Philosophie des 2005 aufgestellten Kommandos Operative Führung Einsatzkräfte Ulm, das für den Zeitraum der Übung das Operations Headquater der fiktiven EU-Mission in Potsdam stellt. Nach eigenen Angaben erfüllte Deutschland mit dessen Einrichtung „seine Verpflichtung zur Schaffung eines einsatzfähigen Führungsinstruments im Rahmen europäischer Krisenbewältigung“, das von Vornherein auf die Koordination multinationaler, zivil-militärischer Einsätze ausgerichtet ist. Zwar ist es auch im Stande, das verlegbare Force Headquater im Einsatzgebiet zu stellen, folgt aber lieber der Devise: „Move information not people!“ (bewege Informationen, nicht Menschen) bzw. „So wenig Stabspersonal ins Einsatzgebiet wie möglich“(2).

 

Anmerkuungen:

(1) ESDP – newsletter #6, July 2008, URL: https://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/pages24-25-CEU8003ESDP6final_vers.pdf

(2) Vgl.: Christoph Marischka: Schutz kritischer Infrastrukturen, Aufstands- und Pirateriebekämpfung – Drei neue EU-Missionen auf dem afrikanischen Kontinent , in: Telepolis (16.07.2012), URL: http://www.heise.de/tp/artikel/37/37280/1.html.

(3) URL: http://www.statewatch.org/news/2012/may/Feu-eeas-classified-info-third-countries-9188-12.pdf.

(4) Antwort von Thomas Kossendey, Parlamentarischer Staatssekretär im BMVg, auf die Schriftliche Frage 9/146 der Abgeordneten Sevim Dagdelen.

(5) Ebd.

(6) Christoph Marischka: Battle-Groups mit UN-Mandat – Die gemeinsame Vision von EU und UN, IMI-Analyse 2007/030, URL: https://www.imi-online.de/2007/08/24/battle-groups-mit-un/.

(7) Presse- und Informationszentrum des Kommando Operative Führung Eingreifkräfte Ulm: Kommando Operative Führung Eingreifkräfte – Response Forces Operations Command , URL: kommando-operative-fuehrung.bundeswehr.de.

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