IMI-Standpunkt 2012/027 - in: AUSDRUCK (Juni 2012)
Proliferation, Destabilisierung und der Schutz der Zivilbevölkerung
UN-Bericht zu Ablauf und Folgen des Libyen-Krieges
Christoph Marischka (02.05.2012)
Während die ganze Welt nach Syrien schaut und die Bewaffnung der dortigen Opposition in vollem Gange ist, legte die UN dem Sicherheitsrat bereits am 17. Februar 2012 einen Bericht zu Ablauf und Folgen des Libyen-Krieges vor (1). Obwohl der Bericht einer Expertenkommission in der Resolution 1973 ausdrücklich vorgesehen war, stößt er auf sehr geringes Interesse, gerade auch bei denen, die sich bereits hinsichtlich Libyens und nun auch bezüglich Syriens für die „Wahrnehmung der Schutzverantwortung“ durch die „internationale Gemeinschaft“ ausgesprochen haben. Der Bericht belegt von höchster Stelle, dass frühzeitig Waffen an die Aufständischen in Libyen geliefert und dass diese durch „Militärberater“ unterstützt wurden, wobei die NATO offenbar flankierend zu ihren Luftangriffen eine dubiose Koordinationsrolle hierbei übernommen hat. Er gibt auch eine Ahnung davon, wie sehr der Libyen-Krieg und die Bewaffnung der Aufständischen die gesamte Region von Mauretanien bis zum Sudan zu destabilisieren droht. Dabei geht er auf die unmittelbarsten Folgen – die Sezessionsbewegung im Norden Malis, den daraus resultierenden Putsch und die nun möglicherweise bevorstehenden Militärmissionen der ECOWAS in Mali und der EU im benachbarten Niger – noch nicht einmal ein. Im Folgenden soll der erste Teil dieses Berichts, der sich mit der Lieferung und Verbreitung von Waffen beschäftigt, (bis auf eine Ausnahme) unkommentiert zusammengefasst werden.
Bereits in der Einleitung kommt der Bericht zu einem alarmierenden Fazit: „Der Konflikt in Libyen offenbarte den Verlust nationaler Kontrolle über militärische Ausrüstung und eine vollständige Umverteilung der Verfügbarkeit von Waffen im Land. Die Verteilung von Waffen an Zivilisten und die Aneignung der Bestände aus den Depots durch Individuen und Milizen führten, verbunden mit zusätzlicher militärischer Ausrüstung, die von außerhalb nach Libyen gebracht wurde, zur unkontrollierten Zirkulation sehr großer Mengen von Waffen und Munition während des Konfliktes. Vier Monate später verfügen Individuen und Milizen über einen Großteil der Waffen. Das Fehlen einer einheitlichen Kommandostruktur und regulärer und funktionsfähiger Sicherheitssysteme bleibt die primäre Herausforderung bei der Sicherung militärischer Ausrüstung und der Verhinderung ihrer unkontrollierten Zirkulation.“
Die Waffen und Söldner des Regimes
Bereits die vor Beginn des Konflikts vorhandenen „Waffenbestände“ in Libyen hätten sich nicht nur durch ihren Umfang, sondern auch hinsichtlich ihrer Vielfalt als „sehr groß“ erwiesen, sie reichten von Kleinwaffen bis zu schweren Waffen und entsprechender Munition. Ein großer Teil stamme von Einkäufen in den 70er und 80er Jahren in der UDSSR, sei aber ab 2003 durch massive Einkäufe aus westeuropäischen Staaten und ehemaligen Teilen der Sowjetunion ergänzt worden. „Zusätzliches Material wurde während des Konfliktes aus dem Ausland geliefert, wobei offensichtlich keine angemessenen Maßnahmen zur Nachverfolgung ihrer Verteilung im Feld getroffen wurden.“
Große Teile des Berichts handeln davon, wie diese Waffen ins Land gelangten. Zwar gäbe es Hinweise auf Versuche des Gaddafi-Regimes, nach Beginn des Konfliktes Waffen und Söldner zu beschaffen. Bislang könne jedoch – und das wird mehrfach betont – noch nicht festgestellt werden, ob eine Verletzung des Waffenembargos von dieser Seite stattgefunden habe.
U.a. gäbe es Hinweise, dass Sicherheitsbeamte des Gaddafi-Regimes den Kontakt zu Waffenherstellern und -händlern gesucht und im Juli 2011 China besucht hätten. Die chinesische Regierung hätte daraufhin „Kontakte“ eingeräumt, zugleich aber unterstrichen, dass weder Verträge dabei zu Stande gekommen, noch irgendwelche Waffen geliefert worden seien. Nähere Informationen hierzu hätten die chinesischen Behörden der Expertenkommission jedoch nicht zugänglich gemacht. Außerdem verweist die Kommission auf eine Lieferung von 1.500 Zelten und 12.000 Uniformen einer pakistanischen Textilfirma, die mutmaßlich für das Gaddafi-Regime bestimmt gewesen, von maltesischen Behörden jedoch zurückgehalten worden seien.
Erstaunlich vage bleibt der Bericht auch hinsichtlich des Einsatzes von Söldnern auf Seiten des Gaddafi-Regimes – v.a. angesichts der Tatsache, dass dieser als Grund für die Maßnahmen nach Kapitel VII in den entsprechenden Resolutionen ausdrücklich genannt wird. Er verweist diesbezüglich lediglich darauf, dass als Söldner nur gelte, wer nicht bereits vor Beginn des Konfliktes im Territorium einer Konfliktpartei gelebt habe oder deren Staatsbürger gewesen sei und dies im libyschen Kontext aufgrund eines wenig ausgeprägten Meldewesens und umfassender Einbürgerungsprogramme schwer im Einzelfall feststellbar sei. Hinsichtlich des Einsatzes von Söldnern stehe insbesondere der Tschad im Verdacht, dessen Regierung sich aber bislang wenig kooperationsbereit gezeigt habe. Berichten zufolge sollen auch südafrikanische Sicherheitsfirmen an Versuchen beteiligt gewesen sein, Gaddafi und Angehörige seiner Familie außer Landes zu bringen. Einzig ein in Kanada lebender Australier habe bislang bestätigt, Saadi Gadaffi bei der Flucht geholfen zu haben. Einsätze wie die Operation Pegasus der Bundeswehr, mit der Deutsche und Drittstaatenangehörige bewaffnet aus Libyen evakuiert wurden, finden hingegen gar keine Erwähnung.
Waffenlieferungen und „Militärberater“ für die Aufständischen
Die Bereitstellung militärischer Ausrüstung für die Aufständischen wird im Expertenbericht in drei Kategorien eingeteilt: Lieferungen, die in Einklang mit der Resolution 1973 stehen und ordnungsgemäß deklariert wurden, mangelhafte Deklarationen über entsprechende Lieferungen und Lieferungen, die überhaupt nicht deklariert wurden und damit klar der Resolution 1973 widersprechen.
Eindeutig heißt es im Bericht, dass „die ausländische militärische Unterstützung, einschließlich der Lieferungen militärischer Ausrüstung, entscheidend“ für den Ausgang des Konfliktes gewesen seien. Bemerkenswert ist, dass die Lieferungen von Waffen nach der Resolution 1973 (Ziffer 4 „Schutz der Zivilbevölkerung“) durchaus zulässig waren. Darin werden die „Mitgliedstaaten, die eine Notifizierung an den Generalsekretär gerichtet haben“ ermächtigt, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, ungeachtet der Ziffer 9 der Resolution 1970 (2011), um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete in der Libysch- Arabischen Dschamahirija, einschließlich Bengasis, zu schützen“. Die explizit erwähnte Ziffer 9 war jedoch die Grundlage des Waffenembargos gegen Libyen, das somit unter dem Vorwand der Schutzverantwortung für Lieferungen an die Aufständischen aufgehoben wurde – wohlgemerkt unter der Bedingung, dass der Generalsekretär zuvor unterrichtet wird. Der Bericht stellt jedoch auch fest, dass das bloße Vorliegen einer entsprechenden Notifikation nicht zwangsläufig bedeute, dass keine Verletzung des Waffenembargos vorliege. Insgesamt 14 Staaten hätten dem Generalsekretär ihre Absicht angezeigt, militärisch zum Schutz der Zivilbevölkerung (Ziffer 4) oder zur Durchsetzung des Flugverbots (Ziffer 8 ) aktiv zu werden, wovon vier (Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich und USA) die Absicht geäußert hätten, den Aufständischen militärische Ausrüstung oder militärisches Personal zur Verfügung zu stellen.
So habe Frankreich den Generalsekretär am 26. April 2011 informiert, dass es ein Team von Militärberatern in Libyen stationiert hätte, um den Nationalen Übergangsrat mit Rat und Tat bei der „Organisation der Inneren Struktur, dem Ressourcenmanagement und der Verbesserung der Kommunikation“ zu unterstützen. Am 30. Juni sei dem Generalsekretär von französischer Seite mitgeteilt worden, dass über Libyen mehrfach „Waffen zur Selbstverteidigung für die zivile Bevölkerung“ abgeworfen worden seien. Auf Bitte der Expertenkommission habe Frankreich später genauere Angaben über die Zahl und Art der Waffen gemacht (welche die Expertenkommission „vertraulich“ behandelt), der Aufforderung, ihre konkreten Baureihen und Seriennummern zu benennen, sei Frankreich jedoch nicht nachgekommen.
Auch Italien hatte 10 Militärberater u.a. ins Hauptquartier des Nationalen Übergangsrates entsandt und diesem „persönliche Schutzausrüstungen“ zur Verfügung gestellt, wie es dem UN-Generalsekretär ebenfalls am 26.4.2011 berichtet worden sei. Auf Rückfrage der Expertenkommission habe Italien die „persönlichen Schutzausrüstungen“ als 10.000 Uniformen, 5.400 Helme und 2.800 Stiefel spezifiziert.
Auch das Vereinigte Königreich habe am 26.4.2011 über seine Absicht berichtet, Militärberater und „Schutzausrüstung“ nach Libyen zu entsenden. Auf Nachfrage der Expertenkommission handelte es sich bei der Schutzausrüstung um 6.000 schusssichere Westen und um „nicht mehr als 20“ Militärberater. Die USA hätten den Generalsekretär erst am 16.6. über die Lieferung „nicht-letaler“ militärischer Ausrüstung informiert, wobei es sich um 8.000 Uniformen, 8.000 Stiefel, 5.825 Kampfanzüge, 2.850 schusssichere Westen, 1.975 Helme und nicht näher spezifizierte mobile Barrieren gehandelt haben soll.
Die Vereinigten Arabischen Emirate hätten dem Generalsekretär zwar ihre Beteiligung an den militärischen Maßnahmen „zum Schutz der Zivilbevölkerung“ und zur Durchsetzung der Flugverbotszone angezeigt, aber lediglich die Lieferung humanitären Materials angekündigt. Auf die Frage der Expertenkommission, wie viele Soldaten die VAE nach Libyen entsandt und welche „Art von Waffen, Munition und anderer militärischer Ausrüstung“ sie geliefert hätten, hätten die VAE jedoch auf die NATO verwiesen, welche diese Lieferungen koordiniert hätte, über entsprechende Listen verfüge und gebeten hätte, diesbezügliche Anfragen an die NATO weiterzuleiten! Darüber hinaus hätte die Expertenkommission bislang weder von den VAE, noch von der NATO Informationen erhalten, obwohl entsprechende Fragen eingegangen seien. Die Kommission betont in ihrem Bericht, dass sie Informationen habe, wonach die VAE militärische Ausrüstung geliefert haben könnte, diese aber noch vertraulich behandeln müsse, da die Untersuchungen anhielten.
Die zentrale Rolle bei der Bewaffnung der Aufständischen scheint jedoch Katar gespielt zu haben. Bei Untersuchungen in Bengasi sei die Kommission auf deutliche Hinweise gestoßen, dass „zwischen dem Beginn des Aufstandes(!) und dem Tag des Interviews [im Juli 2011] etwa 20 Flüge militärisches Material, einschließlich französischer Panzerabwehrwaffen vom Typ MILAN, von Katar an die Revolutionäre in Libyen geliefert hätten.“ U.a. die Lieferung von 2009 an Katar verkaufter Munition des Schweizer Herstellers RUAG Ammotec seien mittlerweile von Vertretern Katars bestätigt worden. Medienberichte und vor Ort gesammelte Informationen hätten auch auf die Präsenz militärischen Personals aus Katar hingewiesen. Zunächst habe sich Katar geweigert, hierzu weitere Informationen bereitzustellen und habe lediglich betont, dass seine Unterstützung im Einklang mit der UN-Resolution 1973 und unter der Koordination der NATO erfolgt sei. Erst nachdem die Regierung mit den bislang gesammelten Beweisen konfrontiert worden sei, habe sie eingeräumt, dass „Katar eine begrenzte Zahl militärischen Personals nach Libyen entsandt hätte, um die Revolutionäre mit militärischer Beratung zu unterstützen, libysche Zivilisten zu verteidigen und Hilfskonvois zu schützen und dass dieses militärische Personal mit begrenzter Ausrüstung und Munition zur Selbstverteidigung ausgestattet worden sei“. Den Vorwurf, die libyschen „Revolutionäre“ mit Waffen und Munition beliefert zu haben, habe Katar jedoch weiterhin zurückgewiesen.
Der Bericht weist noch auf weitere Verstöße von Staaten hin, die keine entsprechenden Notifikationen an den UN-Generalsekretär gerichtet hätten, nennt hierfür jedoch nur zwei Beispiele, da die Untersuchungen hierzu noch nicht abgeschlossen seien. Demnach hätten mehrere Flüge zwischen Tirana (Albanien) und Bengasi am 10., 11. und 12. September 2011 militärisches Material transportiert. Außerdem habe der Verteidigungsminister des Nationalen Übergangsrates im Juli 2011 angegeben, dass der Sudan militärisches Material, einschließlich Kleinwaffen und Raketenwerfer, an die Aufständischen liefere, was auch der sudanesische Präsident bestätigt habe. Obwohl die Kommission keine genaueren Informationen hierzu erhalten konnte, geht sie davon aus, dass es sich um mindestens zwei Flugzeugladungen gehandelt habe.
An dieser Stelle soll nun doch ein Kommentar erlaubt sein, der daran erinnert, dass der Großteil der Waffenlieferungen per Flugzeug aus Katar, Albanien und den Sudan während der Durchsetzung einer Flugverbotszone durch die NATO und damit mit großer Sicherheit auch mit deren Einverständnis stattfand, die zugleich – jedenfalls nach Aussage Thabo Mbekis – die Landung einer Vermittlergruppe der Afrikanischen Union verhinderte. Auf die angedeutete Koordinationsrolle der NATO bei der Bewaffnung der Aufständischen (man beachte das übereinstimmende Datum der britischen, französischen und italienischen Notifikation, die rückwirkend diese Lieferungen bekannt machten, ohne ein Datum zu nennen) wird in Bezug auf die Flugverbotszone nicht weiter eingegangen, jedoch die dominierende Rolle der NATO bei Lieferungen von See:
Seeseitig hätten die Marine-Streitkräfte der NATO alle Boote, die in Libyen anlegen wollten, „inspiziert“, um die Lieferung von Waffen für das Gaddafi-Regime zu unterbinden. Unter einer Inspektion ist hierbei nicht die Durchsuchung zu verstehen, die lediglich in 300 Fällen stattfand, sondern die Identifikation und das „Profiling“ der Schiffe. Insgesamt habe die NATO mit 3.100 Schiffen diesbezüglich Kontakt aufgenommen, elf sei der Zugang zu libyschen Häfen verwehrt worden. Über den konkreten Umgang mit den Booten hätten die NATO-Marine-Kommandeure von Fall zu Fall ohne Rücksprache mit Dritten entschieden, „wodurch sie bestimmen konnten, welcher Art von Gütern der Zugang zu Libyen erlaubt wurde“. Verstöße gegen das Waffenembargo habe die NATO jedoch keinen einzigen gemeldet.
Proliferation und Destabilisierung der Nachbarstaaten
Was den Transfer militärischer Ausrüstung aus Libyen heraus angeht, weist der Bericht darauf hin, dass er viele ihm zugegangene Informationen nicht öffentlich machen wolle, die beschriebenen Fälle jedoch ein adäquates Bild der beteiligten Akteure liefern würden: Diese bestünden v.a. aus ins Ausland geflohenen Mitarbeitern des alten Regimes, zurückkehrenden Soldaten, die aus Drittstaaten stammten, und kriminellen Waffenhändlern. Die Verfügbarkeit von Waffen werde sich u.a. deshalb nicht auf Libyen beschränken, da die Region von durchlässigen Grenzen und weiten entlegenen Gebieten geprägt sei, die mit begrenzten Mitteln kontrolliert werden müssten und bereits vor der Krise kriminelle Schmuggel-Netzwerke existierten. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis interessant, dass offensichtlich selbst die UN-Expertenkommission mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, in den Norden Malis und des Nigers zu reisen, um u.a. den mutmaßlichen Einsatz von Söldnern im Libyenkonflikt zu untersuchen. Ein Großteil der hierzu vorliegenden Informationen stamme von diesen Regierungen selbst und könnte damit noch nicht als Anzeichen dafür aufgefasst werden, welchen Umfang und welche Ausmaße die Proliferation von Waffen aus Libyen tatsächlich habe. Aufgrund der genannten Umstände sei es wahrscheinlich, dass „viele weitere Konvois Waffen aus Libyen unentdeckt in andere Länder gebracht haben“.
Beispielhaft wird von einem Konvoi berichtet, der sich am 12. Juli 80km nordöstlich von Arlit Gefechte mit der nigrischen Armee geliefert hätte: „Der Einsatz forderte mehrere Tote und resultierte in der Beschlagnahmung eines Fahrzeugs, das 40 Kisten mit je 16kg Semtex [Plastiksprengstoff] – insgesamt 640 kg –, 335 Zünder und 90.000 US$ enthielt.“ Zwei weitere Fahrzeuge seien den Gefechten entkommen. Drei Tage später jedoch habe sich ein nigrischer Staatsbürger gestellt, der bereits zuvor des Drogen- und Autoschmuggels verdächtigt worden sei, mit einem dieser beiden Fahrzeuge, wobei weiterer Sprengstoff und Zünder beschlagnahmt worden seien, die angeblich für Al Kaida im islamischen Maghreb (AQIM) in Mali bestimmt gewesen wären.
Zu einem weiteren Gefecht sei es am 6. November 2011 gekommen, an dem zehn Fahrzeuge aus Libyen und nigrische Sicherheitskräfte beteiligt gewesen seien. Auch hier sei es zu einer nicht näher genannten Zahl von Toten, dreizehn Verhaftungen und der Beschlagnahmung von sechs der zehn Fahrzeuge mitsamt 33 leichten und 6 schweren Feuerwaffen gekommen. Die restlichen vier Fahrzeuge seien vermutlich mit weiteren Personen, Waffen und Munition nach Mali weitergefahren. Bei den Verhören mit den Gefangenen hätten sich Hinweise auf einen ähnlichen Konvoi ergeben, der bereits zuvor Mali erreicht hätte. Die Schätzungen über die Zahl der Kämpfer, die insgesamt aus Libyen nach Mali zurückgekehrt seien, variierten nach Angaben der Kommission „zwischen mehreren hundert und viertausend“. Die Behörden des Niger sähen die Rückkehr von Kämpfern nicht als „primäre Sorge“ oder „unmittelbare Bedrohung“ und konnten ebenfalls keine präzisen Zahlen hierzu vorlegen. Große Unklarheit herrsche auch über den Umfang der Waffen, die Kämpfer aus Darfur nach „glaubwürdigen Berichten“ zwischen dem 15. und dem 25. September aus Libyen in den Sudan gebracht hätten.
Zwischen dem 4. und dem 11. September seien zudem mehrere, teilweise hochrangige Angehörige des Gaddafi-Regimes in den Niger geflohen. Der Bericht nennt drei solcher Vorfälle, bei denen jeweils kleinere Mengen von Handfeuerwaffen und drei Raketenwerfer durch die nigrischen Behörden beschlagnahmt worden seien. Die Kommission habe bei ihrem Besuch in Niger weder Zugang zu diesen Waffen erhalten, noch seien ihnen Bilder vorgelegt worden.
Neben den großen Konvois hätten v.a. Ägypten und Tunesien von einen zunehmenden „Ameisen-Handel“ berichtet, also den langanhaltenden Schmuggel kleinerer Mengen an Waffen und Munition, die oft für die gleichen Zwischenhändler oder Endverbraucher gedacht sind. Die ägyptischen Behörden hätten bis Ende Januar den Schmuggel von 567 Waffen und Munition im Umfang von einer Millionen Schuss auf diesem Wege verhindert. Das tunesische Verteidigungsministerium habe hingegen die Beschlagnahmung von 50 Kleinwaffen und 14kg Plastiksprengstoff gemeldet und habe auf laufende Ermittlungen verwiesen, deren Ergebnis es nach Abschluss der Kommission mitteilen würde.
Die Einschätzungen der Nachbarstaaten hinsichtlich der Folgen des Libyen-Krieges seien „gemischt“. Beispielhaft wird hierzu die Einschätzung der sudanesischen Regierung vorgetragen, wonach zwar einige Oppositionsgruppen in Darfur über deutlich mehr Waffen verfügen würden, mit Gaddafi jedoch langfristig einer ihrer (potentiellen) Unterstützer weggefallen wäre, was mittelfristig die Aussichten auf eine Verhandlungslösung verbessere. V.a. Mali und Niger, aber auch Mauretanien und Tschad wären durch eine große Zahl von Rückkehrern, den Verlust von Rücküberweisungen der Gastarbeiter, die größere Verfügbarkeit von Waffen und einem Rückgang internationaler Hilfe im Zuge der gestiegenen Unsicherheit massiv betroffen. „Während der genaue Einfluss der Libyen-Krise auf die Nachbarstaaten schwer zu bestimmen ist, deuten die Untersuchungen der Expertenkommission darauf hin, dass die bewaffnete Unsicherheit in Nachbarstaaten wie dem nördlichen Mali und dem nördlichen Niger in jüngster Zeit mit einer Zunahme an Waffenhandel, bewaffneten Überfällen, terroristischen Aktivitäten und der Reaktivierung von Aufstandsbewegungen zugenommen haben.“
Bürgerkriegsgefahr in Libyen
Auch die Aussichten für Libyen selbst bewertet der Bericht kritisch. Außerhalb des Nationalen Übergangsrates hätten sich mittlerweile zwei größere Koalitionen herausgebildet, die „Barqa Front“ im Osten sowie eine Föderation von Milizen im Westen. Mit Verweis auf die Gefechte konkurrierender Milizen am 3. Januar in Tripolis, am 14. Januar bei Gharyan (ca. 80 km südlich von Tripolis) und in Bani Walid am 24. Januar zitiert der Bericht die Warnung des Vorsitzenden des Nationalen Übergangsrates, wonach diese Ereignisse die Gefahr eines Bürgerkrieges bergen würden. Obgleich die Kommission ihrer Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage durch die für Juni 2012 geplanten Wahlen Ausdruck verleiht, verweist sie darauf, dass die Macht und Autonomie der Milizen in den vergangenen Monaten gewachsen und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Proliferation gesunken sei. Wie bereits während des Bürgerkrieges selbst führe die Kontrolle über die Waffendepots zu Spannungen zwischen den Milizen, da deren „militärische Fähigkeiten, einschließlich der Größe ihrer Waffenbestände, ihren politischen Einfluss erhöhen und es unwahrscheinlich ist, dass sie angesichts der unklaren Zukunft des Landes bereit sind, die Kontrolle über ihre Bestände aufzugeben“.
Anmerkung
(1) Final report of the Panel of Experts in accordance with paragraph 24 (d) of resolution 1973 (2011) (S/2012/163), http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2012/163