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IMI-Standpunkt 2012/005

Münchner Sicherheitskonferenz: Ischinger fordert deutsches Europa

Jürgen Wagner (02.02.2012)

Spätestens seit dem Ausbrauch der Eurokrise beansprucht Deutschland ganz offen die Vormachtstellung in der Europäischen Union – und reißt damit im Handstreich einen der Eckpfeiler ein, der das Staatenbündnis bis dato zusammenhielt. So schreibt etwa der Nachrichtendienst Strategic Forecast: „Das Paradigma, das zur Gründung der Europäischen Union führte – dass Deutschland angeleint und eingedämmt würde – verändert sich. Deutschland hat nicht nur seine Stimme wiedergefunden, es beginnt damit, seine nationalen Interessen zu formulieren und an ihnen festzuhalten. […] In Deutschland hat sich ein Konsens herausgebildet, dass es an Deutschland sei, die Regeln der Eurozone neu zu gestalten. Als Ankermitglied der Europäischen Union hat Deutschland hierfür gute Argumente. Aber das war nicht die ‚Union‘, der sich der Rest Europas verschrieben hat.“[1] Europa steht inzwischen ganz offen unter „deutscher Fuchtel“, wie auch Stephan Kaufmann kürzlich in den Blättern für deutsche und internationale Politik kritisierte.[2]

Kaum verwunderlich ist es, dass dieser Dominanzanspruch keineswegs in allen EU-Hauptstädten auf ungeteilte Begeisterung stößt. Der Ärger über die nassforsche Art ist teils erheblich. „Großbritannien wird niemals eine deutsche Führungsrolle akzeptieren“, so etwa ein Artikel der „Group on Grand Strategy“, ein Zusammenschluss europäischer Geopolitiker.[3]  Auch Mark Leonard, Chef des einflussreichen „European Council on Foreign Relations“, machte unlängst seinem Ärger überdeutlich Luft[4], während Romano Prodi, ehemaliger italienischer Ministerpräsident und Ex-EU-Kommissionschef, die neue europäische Hackordnung folgendermaßen beschreibt: „Früher war es so, dass Frankreich die politische und Deutschland die ökonomische Führung innehatte. Jetzt entscheidet die Dame (Kanzlerin Angela Merkel) und (der französische Präsident) Sarkozy hält eine Pressekonferenz, um ihre Entscheidungen zu erklären.“[5]

PR-Maßnahmen sind also dringend notwendig, um Resteuropa den deutschen Führungsanspruch schmackhaft zu machen. Allem Anschein nach soll dieser Versuch ganz wesentlich die Agenda der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz (SiKo) bestimmen, die am 4. und 5. Februar stattfinden wird. Die Idee hierfür scheint von höchster Stelle zu stammen – vom Leiter der Sicherheitskonferenz, dem Tübinger Honorarprofessor Wolfgang Ischinger. Es ist geradezu abenteuerlich, mit welcher Dreistigkeit dieser die anderen EU-Staaten auffordert, sich mit der neuen deutschen Rolle abzufinden. „An Deutschlands Wesen soll Europa genesen“, so könnte das Motto der Kriegskonferenz lauten, wie aus einem Interview mit Ischinger hervorgeht.

Darin gibt er an, auf der Sicherheitskonferenz würden entscheidende Fragen zur neuen deutschen Rolle auf den Tisch gebracht, die er folgendermaßen umreißt: „Was bedeutet es für Europa, dass jetzt im Grunde EIN Land den Ton angibt und dass, von außen betrachtet, Frau Merkel und nicht Herr Barroso sozusagen der Entscheider über die Zukunft der Eurozone geworden ist? Ich habe dazu eine Diskussion angesetzt und freue mich, dass die eingeladenen Teilnehmer alle zugesagt haben.“  Es stelle sich also „die Frage nach der neuen deutschen Verantwortung, nach der neuen deutschen Führungsstärke und Führungskraft.“ Für Ischinger lautet die Antwort, es sei nun Deutschlands Aufgabe, „die Rolle des – es gibt diesen wunderbaren englischen Begriff vom „benign hegemon“, – des gutmütigen Hegemon zu spielen.“[6]

Um zu gewährleisten, dass die diesbezügliche Debatte auch den „richtigen“ Verlauf nimmt, hat Ischinger die Claqueure augenscheinlich bereits einbestellt: „Darunter [unter den Teilnehmern der Diskussionsrunde zur deutschen Rolle] wird auch der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sein, der im Dezember in Berlin eine Rede gehalten hat, in der er – erstaunlich für einen Vertreter der polnischen Regierung – ausgerufen hat, dass er deutsches Nichthandeln viel mehr fürchte als deutsches Handeln. Er hat damit den Deutschen zugerufen: ‚Nehmt Eure Führungsaufgabe wahr.‘ Ist das nicht eine Sensation, dass im Jahr 2011 Polen den Deutschen zuruft: ‚Führt!‘ Können wir das? Machen wir das richtig? Wie wird sich das auf die Gesamtstellung der Europäischen Union und ihre Rolle in der Welt auswirken?“

Aber Ischingers Äußerungen sind auch nach innen gerichtet – an all diejenigen der herrschenden politischen Klasse, denen solche Töne und Ambitionen doch zu steil sind: „Von einer Führungsmacht wird erwartet, dass sie Verantwortung übernimmt, dass sie Anstöße gibt, dass sie Impulse setzt. Dass sie führt. […] Und die deutsche politische Klasse wird sich an diese neue Führungsverantwortung gewöhnen müssen. […] Eine Führungsmacht muss über ihre eigene Verantwortung und Machtausübung auch mit sich selbst diskutieren.“

Wenn es nicht so übel wäre, wäre vor diesem Hintergrund Ischingers Begründung, weshalb Deutschland und die Europäische Union weiter aufrüsten müssen, fast komisch. Auf die Frage des Bayernkuriers: „Ein Fürst, der kein Geld in der Kasse hat, kann auch keinen Einfluss haben – das hat der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. gesagt, tief im 18. Jahrhundert.“ lautet Ischingers Antwort: „Er kann nicht nur keinen Einfluss haben, sondern er muss sich darauf einstellen, dass er sich nicht verteidigen kann gegen Vorherrschaft oder mindestens Bevormundung aus dem Ausland.“

In der Logik des Herrn Ischinger müssten seine Aussagen zur deutschen Rolle von Frankreich und Großbritannien also mehr oder weniger als eine versteckte Aufforderung gesehen werden, militärisch aufzurüsten. Gott bewahre vor diesem Honorarprofessor und seinen Ideen, denen hoffentlich auch dieses Jahr viele Demonstranten bei den Protesten entgegentreten.

Anmerkungen:
[1]  Zeihan, Peter: Germany: Mitteleuropa Redux, Stratfor, 16.03.2010.
[2]  Kaufmann, Stephan: Europa unter deutscher Fuchtel, Blätter für deutsche und internatoinale Politik 1/2012, S. 5-8.
[3]  Rogers, James: ‘Britain will never accept German leadership’, European Geostrategy, 19.01.2012: http://europeangeostrategy.ideasoneurope.eu/2012/01/19/britain-will-never-accept-german-leadership/
[4]  Leonard, Mark: A marginalised Britain makes EU break-up more likely, ECFR, 03.11.2011: http://ecfr.eu/content/entry/commentary_a_marginalised_britain_makes_eu_break_up_more_likely
[5]  Guérot, Guerot/Leonard, Mark: Die neue Deutsche Frage: Welches Deutschland braucht Europa?, ECFR Policy Brief, April 2011, S. 5.
[6]  Wohin steuert Deutschland? 48. Münchner Sicherheitskonferenz: Die neue Deutsche Frage – Gutmütiger Hegemon in Europa – Interview mit Wolfgang Ischinger, Bayernkurrier, 28.01.2012: http://www.bayernkurier.de/?id=270&showUid=4530 Alle folgenden Zitate stammen aus diesem Interview.

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