IMI-Standpunkt 2011/024
Côte d´Ivoire: erste Bilanz eines angekündigten Bürgerkrieges
Christoph Marischka (21.04.2011)
Eine leicht aktualisierte Version dieses Beitrags findet sich auch in: AUSDRUCK (Juni 2011): https://www.imi-online.de/download/09marischka_juni2011.pdf
Unzweifelhaft gab es Manipulationen bei der Stichwahl zwischen Herausforderer Alassane Ouattara und dem amtierenden Präsidenten Laurent Gbagbo am 28.11.2010. Trotzdem erklärten sowohl der UN-Sondergesandte, Young-Jin Choi, als auch die USA, die EU und Frankreich bereits am 3.12.2010 Alassane Ouattara zum eindeutigen Sieger. Mit beispiellosen diplomatischen Verrenkungen wurde daraus die Position der internationalen Gemeinschaft gemacht. Im Anschluss an den Bericht Young-Jin Chois vorm UN-Sicherheitsrat nutzte die US-Botschafterin bei den UN, Susan Rice, ihre Funktion als Vorsitzende, um in einer Erklärung des UN-Sicherheitsrates die Darstellung Chois zu übernehmen, wonach die Wahlen „friedlich“ und in einem „demokratischen Klima“ stattgefunden hätten. Noch am selben Tag erkannten die USA, Frankreich und die EU Ouattara als rechtmäßigen Sieger an und sprachen sie Drohungen gegen Gbagbo aus. Gegenüber der Presse wurde diese Einschätzung mit einer angeblich gleichlautenden Position der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) begründet. Diese trat jedoch erst am 7.12.2011 zusammen, um in Anwesenheit von 8 der 15 Regierungchefs einstimmig Ouattara zum rechtmäßigen Präsidenten und seine Wahl zum „freien Ausdruck des Willens des ivorischen Volkes“ zu erklären. Zu diesem Zeitpunkt hatte neben dem UN-Sondergesandten lediglich die EU-Wahlbeobachtermission eine vorläufige Einschätzung des Wahlprozesses abgegeben, in der allerdings von „Einschüchterungen und Gewalt“ sowie „Toten und Verletzten“ während der Wahl und in Übereinstimmung etwa mit der International Crisis Group von einer „Radikalisierung“ und gewaltsamen Zusammenstößen bereits im Wahlkampf berichtet wurde. Auch die ECOWAS hatte ihr Treffen vom 7.12.2011 zuvor in einer Pressemitteilung mit „Unregelmäßigkeiten“ bei den Wahlen begründet. Die Wahlbeobachtungsmissionen der Afrikanischen Union (AU), einiger westafrikanischer Staaten und der NGO OSCADAE waren in ihren Darstellungen noch wesentlich drastischer, beschrieben Angriffe auf die Wahlkampfbüros Gbagbos, Festnahmen, Misshandlungen und Tötungen von Gbagbo-Anhängern und Stimmabgaben bei vorgehaltener Waffe. Obwohl sich die die AU von diesen Berichten indirekt distanzierte und einige von ihnen mindestens ebenso parteiisch wirken wie die EU-Wahlbeobachtungsmission, bleibt festzuhalten, dass es sich bei den angeblich eindeutigen, „freien und fairen“ Wahlen, die in einem „demokratischen Klima“ stattgefunden hätten, um einen Mythos handelt.
Regime-Change per Bürgerkrieg
Dieser Mythos war allerdings die notwendige Voraussetzung für die Strategie der Internationalen Gemeinschaft, Ouattara zum (einzigen) Präsidenten der Côte d’Ivoire zu machen. Diese Strategie lief ganz offensichtlich darauf hinaus, einen Bürgerkrieg zu provozieren, in welchem die vor Ort stationierten französischen Soldaten und die UN-Soldaten der UNOCI im entscheidenden Moment auf Seiten der Truppen Ouattaras eingreifen und so deren Sieg garantieren sollten.
Einen ersten Hinweis auf diese Strategie liefert etwa die Resolution 1951, die vier Tage vor der Stichwahl, am 24.11.2010, vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet wurde und den Generalsekretär ermächtigte, kurzfristig drei Infanteriekompanien und zwei Kampfhubschrauber von der UN-Mission im benachbarten Liberia nach Côte d’Ivoire zu verlegen und unter das Kommando der UNOCI zu stellen. Zuvor waren bereits die UN-Truppen in Yamoussoukro, Abidjan, Bouaké, Daloa und Guiglo aufgestockt. Außer Bouaké handelt es sich dabei um Gebiete unter Regierungskontrolle, in denen mit einer großen Unterstützung für den Oppositionskandidaten gerechnet wurde. In die Regionen unter der Kontrolle der Rebellen wurden jedoch keine zusätzlichen Soldaten entsandt. Offensichtlich wurde bereits zu diesem Zeitpunkt von einer Eskalation während oder nach den Wahlen ausgegangen, was erneut das Gerede von einem „demokratischen Klima“ als Lüge entlarvt. Obwohl aber offensichtlich die UNOCI und ihr Sondergesandter von einer militärischen Eskalation im Zuge der Wahlen ausgingen, haben sie auf der Durchführung der Wahlen zu diesem Zeitpunkt bestanden. Die Wahlen sollten nach dem Vertrag von Ouagadougou vom März 2007 eigentlich noch Ende 2007 durchgeführt werden, wurden jedoch mehrfach verschoben. Gründe hierfür waren u.a. die schleppende Erfassung von Wähler_innen und die bis zum Ende offensichtlich mutwillig ausbleibende Entwaffnung der Rebellen. Über ihre führende Rolle bei der Wähler_innenerfassung konnte die UNOCI ein knappes Ergebnis absehen, zum Zeitpunkt der Wahl waren 5,78 Mio. Ivoirer registriert, obwohl die UNOCI im Januar 2009 noch von etwa 9 Mio. Wahlberechtigten ausgegangen war.
Nach der einseitigen Parteinahme der internationalen Gemeinschaft warnten zahlreiche Beobachter, diese würde zwangsläufig in eine Wiederaufnahme des Bürgerkrieges zwischen Norden und Süden münden. Andere Beobachter, wie etwa die International Crisis Group (ICG), schienen dies sogar zu begrüßen und legten unter dem Titel „Côte d‘ Ivoire: Ist Krieg die einzige Option?“ quasi eine Blaupause für das vor, was später geschehen sollte. „Vorschläge zur Machtteilung“, wie sie u.a. von Südafrika und Angola vorgebracht wurden, seien „gefährlich“. Stattdessen sollten sowohl die Nachbarstaaten als auch die Internationale Gemeinschaft Sanktionen gegen Gbagbo und seine Anhänger verhängen und sich Frankreich beireithalten ein militärisches Eingreifen der ECOWAS und der UNOCI zu unterstützen. Sanktionen waren bereits zuvor von UN, EU, USA und zahlreichen Einzelstaaten verhängt worden mit dem Ziel, das Gbagbo-Regime zu schwächen. Neben den Konteneinfrierungen durch die Westafrikanische Zentralbank (BCEAO, deren Leiter Ouattara bis 1990 war) erwies sich das von der EU durchgesetzte Exportverbot für Kakao am „wirkungsvollsten“ – zusammen brachten beide Maßnahmen das Wirtschaftsleben in Côte d’Ivoire fast vollständig zum Erliegen. Zu einem militärischen Eingreifen konnte sich die ECOWAS, in deren Mitgliedsstaaten dieses Jahr ebenfalls zahlreiche Wahlen anstehen, nicht durchringen. Alles andere jedoch verlief nach Plan: Statt einer Truppe der ECOWAS musste man sich jedoch auf die Rebellen verlassen, die Ende März gemeinsam mit Truppenteilen, die sich zwischenzeitlich von Gbagbo losgesagt hatten, ihre militärische Offensive begannen.
„Tal der Tränen“
Es war ein Bürgerkrieg mit Ansage. Bereits am 30.12.2010 zitierte Wolfgang Drechsler im Tagesspiegel nicht näher genannte, aber offensichtlich gut informierte „Beobachter“, wonach „die Regierung [Gbagbo] allenfalls noch drei Monate lang Soldaten und anderen Staatsangestellten ihre Löhne werde zahlen können“. Darin bestand das Kalkül der Sanktionen, dass aufgrund ausbleibender Löhne die von Gbagbo kontrollierten „Sicherheitskräfte“ ihm die Loyalität aufkündigen und entweder zu den Rebellen überlaufen oder zumindest durch Desertationen und Plünderungen zur weiteren Destabilisierung der Lage beitragen würden. Die Konrad-Adenauer-Stiftung informierte bereits in ihrem „Länderbericht“ vom 22.12.2010, dass innerhalb des von ihr mit Unterstützung von Bundeswehr und Bundesregierung aufgebauten „Netzwerks der Generalstaboffiziere westafrikanischer frankophoner Staaten“ die Einschätzung vorherrsche, dass „es durchaus möglich [sei], dass es über kurz oder lang zu einem Putsch gegen Gbagbo kommen könnte. Dieser wäre höchstwahrscheinlich blutig, was unter anderem Gbagbo das Leben kosten könne.“ Wenige Zeilen später empfiehlt sie eine „militärischen Intervention der AU, … die aber nicht notwendigerweise fremde Soldaten auf ivorischen Territorium bedeuten müsste. Denkbar ist beispielsweise die Beeinflussung durch Militärkameraden der benachbarten Länder.“ Hierzu böte das von der KAS geschaffene „Netzwerk der Generalstaboffiziere westafrikanischer frankophoner Staaten eine gute Grundlage“.
Die Auseinandersetzung beschränkte sich jedoch nicht auf die offiziellen „Sicherheitskräfte“ einerseits und die „Rebellen“ andererseits, denn beide Kandidaten der Stichwahl versuchten in hohem Maße die Zivilbevölkerung für ihre Ziele zu mobilisieren und zu instrumentalisieren. Ouattara rief zu einem Generalstreik auf, Gbagbo zur Blockade des Golf-Hotels in Abidjan, von dem aus Ouattara unter Schutz der UNOCI versuchte, zu regieren. Es kam zu Übergriffen und regelrechten Schlachten zwischen den Anhängern beider Seiten, die von Thomas Scheen in der FAZ später als „regelrechter Abnutzungskrieg zwischen eingesickerten Rebellen und Sicherheitskräften“ beschrieben wurden. Die dramatische Verschlechterung der humanitären Lage im Zuge der internationalen Sanktionen ließen diese Auseinandersetzungen zu einem Überlebenskampf eskalieren. Anfang März meldete der humanitäre Nachrichtendienst der UN: „Die Nahrungsmittelvorräte der Familien gehen zur Neige, die Kinder verlieren ein Schuljahr und das schon länger unter Druck stehende Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps.“ In der Hauptstadt seien einige Bewohner gezwungen „zu essen, was sie finden können“. Gleichzeitig sei die Disziplin unter den Sicherheitskräften in der Auflösung begriffen, sie wären kaum noch von den immer häufiger und offener auftretenden Paramilitärs zu unterscheiden: „Leute werden bei lebendigem Leib verbrannt und mit Macheten in Stücke gehackt“. Ebenfalls Anfang März stellte das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der EU eine Soforthilfe von 1 Mio. Euro aus dem Stabilitätsinstrument für die Regierung Ouattara bereit. Ende März dann begannen die Rebellen als „Republikanische Kräfte der Elfenbeinküste“ (FRCI) mit französischer Unterstützung und unbehelligt von der UNOCI sowie mit neuen Waffen, die vermutlich über Nigeria und Burkina Faso geliefert wurden, ihre Offensive im Norden und Westen des Landes.
„Ich bedaure den Preis…“
Human Rights Watch hat mittlerweile eine erste Bilanz dieser Offensive in humanitärer Hinsicht vorgelegt. In dieser heißt es einleitend: „Die für den gewählten Präsidenten Alassane Ouattara kämpfenden Einheiten haben hunderte Zivilisten getötet, mehr als 20 angebliche Unterstützer seines Rivalen, Laurent Gbagbo, vergewaltigt und mindestens zehn Siedlungen in den westlichen Gebieten der Côte d´Ivoire niedergebrannt. Die für Gbagbo kämpfenden Einheiten haben im Zuge des Vormarsches der Ouattara-Truppen im März mehr als 100 mutmaßliche Anhänger Ouattaras getötet“. In jeder der von HRW besuchten Siedlungen hätten die Soldaten der Republikanischen Kräfte Morde, Plünderungen und Vergewaltigungen gegenüber denen verübt, die als Guéré und damit als Unterstützer Gbagbos identifiziert wurden. In einigen Dörfern sei ein Großteil der Bevölkerung bereits vor dem Anrücken der FRCI geflohen, diejenigen die blieben – überwiegend alte und kranke Menschen – wären anschließend aus nächster Nähe förmlich exekutiert worden. Die Massaker, die am 29.3.2011 in Duékoué ihren Höhepunkt erreichten, wo bis zu 1.000 Menschen getötet worden sein sollen, nachdem die FRCI die Stadt eingenommen hatten, begannen nach Angaben von HRW bereits Ende Februar. UN, Frankreich und EU nahmen diese jedoch – anders als die Wahl vom November – nicht zum Anlass, gegen Ouattara aktiv zu werden, ihm Strafverfahren anzudrohen oder Sanktionen gegen ihn zu verhängen. Ganz im Gegenteil: Nachdem die FRCI mit Unterstützung durch Kampfhubschrauber der UN und Frankreichs Gbagbo nach tagelangen Kämpfen in der Hauptstadt festnahmen, gratulierte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton Ouattara zum Sieg. In ihrer Pressemitteilung vom 11.4.2011 lässt sie mitteilen: „Heute wurde amtierende Führer Laurent Gbagbo von den Republikanischen Kräften der Côte d’Ivoire festgenommen. Ich begrüße diese Entwicklung, die einen wichtigen Schritt zur Lösung der fast fünfmonatigen Krise in Folge der Wahl darstellt. Ich bedaure den hohen Preis, den das ivorische Volk zahlen musste, damit sein Wille, den es bei den Präsidentschaftswahlen im November 2010 zum Ausdruck brachte, respektiert wurde… Ich begrüße die Aktionen, welche die UN-Friedensmission UNOCI mit der Unterstützung der französischen Mission Licorne zum Schutz der Zivilbevölkerung in Côte d’Ivoire unternommen hat und hoffe auf deren fortgesetzte Bemühungen im Nachgang der Krise, um der Regierung bei der Wiederherstellung der Sicherheit zu unterstützen… Ich betone nocheinmal meine Unterstützung für den Präsidenten Ouattara, seine Regierung und das ivorische Volk bei ihren Bemühungen um Versöhnung, Wiederaufbau und Entwicklung. Die EU hat bereits Sanktionen gegen zentrale Wirtschaftsunternehmen aufgehoben… Wir werden der Côte d’Ivoire langfristig Unterstützung leisten um Wohlstand zu fördern und so Stabilität zu garantieren und beim Wiederaufbau des Landes zu helfen“.
Es gibt keinen Blick nach vorne!
Wer hierin lediglich einen pragmatischen Ansatz sieht, wonach man sich mit der Situation abfinden und mit der nun militärisch durchgesetzten neuen Regierung kooperieren müsse, um zumindest kleine Schritte zur Aussöhnung zu unterstützen, der irrt. Es wird keine Aussöhnung geben, wo ein Präsident mit so viel Gewalt und internationaler Unterstützung gegen große Teile der Bevölkerung durchgesetzt wurde. Die nun ins Land strömenden Gelder werden zwangsläufig an die Unterstützer Ouattaras fließen, die „Aufarbeitung“ der Verbrechen v.a. seine Gegner treffen. Die „Söldner“ und Plünderer, die im Rahmen der Gefechte ins Land gesickert sind, werden dieses weiter destabilisieren. Es gibt keine Macht, die dies legitim unterbinden könnte, denn sowohl die Regierung, als auch die UN werden als Marionetten der ehemaligen Kolonialmacht gesehen und haben ihre Legitimität durch die begangenen Massaker endgültig eingebüßt.
Doch die Folgen werden noch weit über Côte d’Ivoire hinausreichen. Dort wurde im Schatten des Libyen-Krieges von der ehemaligen Kolonialmacht mit Unterstützung der UN unter einem Mandat „zum Schutz der Zivilbevölkerung“ ein amtierender – wenn auch nicht legitimer – Präsident aus dem Amt gebombt. Wenn es hierzu keine Aufarbeitung der Rolle der UN und keine Abkehr von der so genannten „Verantwortung zum Schutz“ gibt, die hier so offensichtlich missbraucht wurde, wird die UN endgültig zum Instrument kolonialistischer Politik. Das wird in zahlreichen afrikanischen Staaten wahrgenommen und wird neue Konflikte auslösen. Die Frage hingegen, wer in diesen Konflikten noch als neutraler Akteur vermitteln kann, offenbart die tatsächliche Dramatik der Vorgänge in Côte d’Ivoire. Ihre Antwort könnte sich als Bumerang für die ehemligen Kolonialmächte erweisen, denn sie werden in diesen neuen Strukturen (hoffentlich) keine entscheidende Rolle mehr spielen. Welche Gefahr für die Weltordnung: der globale Süden regelt seine Probleme selbst, ggf. mit Hilfe der BRICS-Staaten…