Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2011/08 - in: AUSDRUCK (April 2011)

„Pegasus“ in Libyen: Der Einsatz der Bundeswehr ohne Parlamentszustimmung bekommt Flügel

Michael Haid (22.03.2011)

http://imi-online.de/download/Ausdruck2_2011_08haid.pdf

Vom 26. Februar bis zum 3. März 2011 fand die militärische Evakuierungsoperation der Bundeswehr mit Namen „Pegasus“ statt. Zur Durchführung dieses Einsatzes wurde ein Marineverband mit den zwei Fregatten „Brandenburg“ und „Rheinland-Pfalz“ sowie dem Einsatzgruppenversorger „Berlin“ mobilisiert. Dieser Verband wurde mit zusätzlichem Personal, darunter Marineschutzkräfte, Feldjäger, Sanitätssoldaten, Sprachmittler und interkulturelle Einsatzberater, verstärkt. Außerdem wurde das Flottendienstboot „Oker“ zur Aufklärung vor die libysche Küste beordert. Zusätzlich standen dem Marineverband noch Flugzeuge der Bundesluftwaffe (bis zu acht „Transall“-Maschinen und ein Airbus A 310) mit Fallschirm- und Feldjägereinheiten zur Seite. Höhepunkt von „Pegasus“ war die Evakuierung von 132 Menschen (inklusive 22 deutschen Staatsbürgern) aus dem im Osten Libyens gelegenen Ort Nafurah. Insgesamt wurden bei dieser Operation 1.000 Soldaten eingesetzt und 262 Personen evakuiert.[1]

In rechtlicher Hinsicht ist dieser Militäreinsatz höchst brisant, da grundsätzlich für einen Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland die Zustimmung des Bundestages eingeholt werden muss (Parlamentsvorbehalt). Genau dies ist aber durch die Bundesregierung nicht geschehen und wird von ihr auch nicht für erforderlich gehalten. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) informierte lediglich die Fraktionschefs und die Obleute der im Bundestag vertretenen Parteien vor und nach dem Einsatz. Das Auswärtige Amt begründete ihr Vorgehen damit, dass eine Zustimmung des Bundestages nicht nötig gewesen sei, weil „sich die Aktion im Nachhinein nicht als bewaffneter Einsatz, sondern als ‚gesicherter Evakuierungseinsatz mit humanitärer Zielsetzung‘ erwiesen habe.“[2] Diese Erklärung stellt eine bislang unerreichte Einzigartigkeit dar. Demnach könnte, zugespitzt weitergedacht, das den Zustimmungsvorbehalt garantierende Parlamentsbeteiligungsgesetz (ParlBG) vom 18. März 2005 jedes mal mit einer kreativen Wortschöpfung ausgehebelt werden. Es muss nur von der Bundesregierung suggeriert werden, dass es sich bei der fraglichen Militärintervention nicht um einen bewaffneten Einsatz handle.

„Pegasus“ – ein zustimmungsbedürftiger Einsatz?

Es muss also die Frage geklärt werden, ob „Pegasus“ tatsächlich dem parlamentarischen Zustimmungsvorbehalt unterliegt. Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland bedarf nach § 1 Abs. 2 ParlBG der Zustimmung des Deutschen Bundestages. Ein Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte liegt vor, wenn Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind oder eine Einbeziehung in eine bewaffnete Unternehmung zu erwarten ist (§ 2 Abs. 1 ParlBG). Keiner Zustimmung zum Einsatz der Streitkräfte bedarf es für humanitäre Hilfsdienste und Hilfsleistungen, bei denen Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mitgeführt werden. Dies gilt allerdings nur dann, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Soldatinnen oder Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen werden (§ 2 Abs. 2 ParlBG).

Entscheidend ist also, ob es sich bei „Pegasus“ um eine bewaffnete Unternehmung im Sinne des § 2 ParlBG handelte und nach welchen Kriterien eine solche zu erwarten ist. Nach einem hinsichtlich dieser Problematik erstellten Sachstandes des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages sei für die Frage, bei welchen Arten von Einsätzen die Zustimmung des Bundestages erforderlich ist, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7. Mai 2008 (sog. AWACS II-Urteil) grundlegend.[3] Danach stelle das BVerfG in den Randnummern 75 ff. des besagten Urteils ausdrücklich klar, dass es darauf ankomme, ob zum Zeitpunkt der Einsatzentscheidung eine Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen konkret zu erwarten gewesen wäre und nicht, ob tatsächlich Kampfhandlungen stattgefunden haben. Für eine Bestimmung der qualifizierten Erwartung seien hinreichend greifbare tatsächliche Anhaltspunkte (etwa Einsatzzweck- und befugnisse, konkrete politische und militärische Umstände) dafür erforderlich, dass der Einsatz in die Anwendung von Waffengewalt münden könne. Es würde ausreichen, wenn die Anwendung von Waffengewalt aus einer ex-ante-Sicht wahrscheinlich wäre und ihr Nichteintreten praktisch nur noch von Zufälligkeiten in den späteren, tatsächlichen Geschehensabläufen abhänge. Das BVerfG-Urteil legte weiterhin fest, dass bei Zweifeln, ob ein zustimmungsfreier- oder pflichtiger Einsatz vorliegt, die Reichweite des Parlamentsvorbehalts parlamentsfreundlich auszulegen sei (Rn. 72): also im Zweifel ist eine Zustimmung nötig. Des Weiteren komme der Bundesregierung in dieser Sache gerade kein Einschätzungs- oder Prognosespielraum zu (Rn. 82).

Nach den vorliegenden öffentlich zugänglichen Quellen, insbesondere den Verlautbarungen von Vertretern des Auswärtigen Amtes und des Verteidigungsministeriums bzw. der Bundeswehr, spricht vieles für das Vorliegen einer bewaffneten Unternehmung. Der Einsatzzweck war die Evakuierung nicht-libyscher Staatsbürger aus Libyen (überwiegend von Angestellten ausländischer Ölförderfirmen). Die hierfür erteilten Befugnisse dürften unter anderen in der Sicherung des Flugfeldes von Nafurah durch die beigeordneten militärischen Kräfte (Fallschirmjäger) bestanden haben, die im Falle einer gewaltsamen Störung ihre Waffen zur Absicherung der Evakuierung einsetzen durften (anders ist es kaum denkbar). Die Operation fand unter Führung des stellvertretenden Kommandeurs der „Division Spezielle Operationen“ (DSO), Brigadegeneral Volker Bescht, statt. Neben den bereits oben angegebenen Marine- und Luftwaffeneinheiten standen ihm nach eigenen Angaben in einem Interview für „Bundeswehr Aktuell“ auch ein Gefechtsstand „Forward Mounting Base“ (FMB) und zur Evakuierung eine Kompanie des Fallschirmjägerbataillons 373 sowie ein Zug des Feldjägerbataillons 251 zur Verfügung. Der Einsatz in Nafurah sei durch zwei „Transall“-Maschinen mit jeweils sechs Fallschirmjägern und vier Feldjägern durchgeführt worden.[4] Hinsichtlich der eingesetzten Kräfte der DSO (Fallschirmjäger, Feldjäger) handelte es sich folglich explizit um Kampfeinheiten. Zudem wurde bei der Einsatzplanung ein Gefechtsstand für erforderlich gehalten. Zur Frage, mit welchen Gefahren er bei dieser Operation zu rechnen gehabt habe, gab Brigadegeneral Bescht im selben Interview an: „Die Gefahren stellten die Flugabwehrsysteme auf libyscher Seite dar, von denen man nicht wusste, wer sie bedient, die libysche Armee oder die Aufständischen. Es stellte sich auch die Frage, wer den Luftraum kontrolliert und welche Kräfte der beiden Parteien sich in Nafurah befinden. Außerdem war offen, wie sich die libysche Marine bei unserem Eintritt in die Hoheitsgewässer verhält.“[5] Außerdem wies Brigadegeneral Bescht darauf hin, dass eine größtmögliche Geheimhaltung der Operation notwendig gewesen sei, um „Störungen oder eventuelle Gegenmaßnahmen so gering wie möglich zu halten.“[6] Die Aussagen des für „Pegasus“ verantwortlichen Offiziers lassen erkennen, dass die Bundeswehr vor Beginn der Operation Angriffe seitens der libyschen Armee sicherlich nicht ausschloss, eher damit rechnete. Eine militärische Auseinandersetzung konnte mithin als wahrscheinlich gelten. Ihr schlussendliches Ausbleiben hing nur vom Zufall ab. Insbesondere spricht gegen die Feststellung einer bewaffneten Unternehmung nicht, dass die das Flugfeld sichernden Kräfte ihre Waffen mutmaßlich nur zur Selbstverteidigung einsetzen sollten. Dies deshalb, da bei dieser Evakuierungsaktion der Einsatz von Waffen zur Selbstverteidigung und zur Gewährleistung des Missionserfolgs nicht unterschieden werden kann und die Soldaten planmäßig und eben nicht unbeabsichtigt in diese Situation geschickt wurden.[7] Folglich kann der Schluss auf eine erwartete bewaffnete Unternehmung gezogen werden. Dann wäre allerdings die vorherige Zustimmung des Bundestages zwingend gewesen.

Keine vorherige Zustimmung bei Gefahr im Verzug oder im vereinfachten Verfahren?

Als Ausnahme davon bedürfen Einsätze bei Gefahr im Verzug keiner vorherigen Parlamentszustimmung (§ 5 Abs.1 ParlBG). Darunter fallen Einsätze, die keinen Aufschub dulden oder Einsätze zur Rettung von Menschen aus besonderen Gefahrenlagen, solange durch die öffentliche Befassung des Bundestages das Leben der zu rettenden Menschen gefährdet würde. Angenommen, dass diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen würden, müsste der Antrag auf Zustimmung zum Einsatz unverzüglich nachgeholt werden (§ 5 Abs. 3 ParlBG). Dies beabsichtigte die Bundesregierung bislang eben gerade nicht.

Denkbar wäre vielleicht noch, das die Bundesregierung die Zustimmung in einem vereinfachten Verfahren hätte einholen können (§ 4 Abs. 1 ParlBG). Dann hätte „Pegasus“ ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite sein müssen und die Bundesregierung hätte begründet darlegen müssen, aus welchen Gründen der bevorstehende Einsatz von geringer Intensität und Tragweite ist. Die Zustimmung würde demnach als erteilt gelten, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen von einer Fraktion oder fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages eine Befassung des Bundestages verlangt wird. Nach § 4 Abs. 2 ParlBG ist ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite anzunehmen, wenn die Zahl der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten gering ist, der Einsatz auf Grund der übrigen Begleitumstände erkennbar von geringer Bedeutung ist und es sich nicht um die Beteiligung an einem Krieg handelt. In der Regel liegt ein Einsatz von geringer Intensität und Tragweite vor, wenn es sich um ein Erkundungskommando handelt, das Waffen lediglich zum Zweck der Selbstverteidigung mit sich führt, oder einzelne Soldatinnen oder Soldaten im Rahmen eines Einsatzes der VN, der NATO, der EU oder einer Organisation, die einen VN-Auftrag erfüllt, verwendet werden (§ 4 Abs. 3 ParlBG). Allerdings liegen die Voraussetzungen für das vereinfachte Zustimmungsverfahren nicht vor. Dies wird daraus ersichtlich, dass die erforderliche Begründung nicht erging (welche durch den Bundestagspräsidenten als Bundesdrucksache an alle Bundestagsabgeordneten hätte verteilt werden müssen), die Zahl der eingesetzten Kräfte (es waren insgesamt 1.000 Bundeswehrangehörige) nicht als gering bezeichnet werden kann und es sich auch nicht um ein Erkundungskommando (sondern um eine Evakuierungsoperation zusammen mit britischen Streitkräften) oder um einzelne Soldaten im Rahmen eines UN-/NATO-oder EU-Einsatzes handelte.

Statt parlamentarischer Kontrolle bald ein „Vertrauensgremium“?

Vielmehr scheint es so, dass die Bundesregierung mit ihrem Verhalten das im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP vom 26. Oktober 2009 angekündigte Vorhaben den Boden bereiten sollte. Dort steht: „Die Bundesregierung wird den Bundestag regelmäßig über die laufenden Einsätze deutscher Streitkräfte informieren und so die Voraussetzungen für deren angemessene parlamentarische Kontrolle schaffen. Soweit mit den Regelungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes eine jeweils zeitnahe und ausreichende Information des Parlaments in besonderen Fällen durch die Bundesregierung nicht sichergestellt werden kann, legen die Koalitionsfraktionen Initiativen zur Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes oder zur Schaffung eines Vertrauensgremiums vor.“[8] Eine Initiative zur Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes würde mutmaßlich eine Beschneidung der derzeit geltenden Parlamentsrechte bedeuten. Die Installierung eines Vertrauensgremiums, dem voraussichtlich nur die Fraktionschefs und/oder die jeweiligen Obleute der Außen- und Verteidigungsausschüsse der im Bundestag vertretenen Parteien angehören dürften, würde befürchten lassen, dass faktisch das parlamentarische Kontrollrecht in der Bedeutungslosigkeit versinken wird. Bedauerlicherweise könnte durch „Pegasus“ dazu ein Grundstein gelegt worden sein. Dagegen könnten sich die Oppositionsfraktionen oder auch einzelne Abgeordnete im Wege eines Organstreitverfahrens (Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG) vor dem Bundesverfassungsgericht wehren. Es wäre wünschenswert.

Anmerkungen:

[1] Vgl. Flug ins Krisengebiet, in: Bundeswehr Aktuell, 7. März 2011, S.6 und Bescht, Volker: Interview „Schnell rein – Schnell raus“, in: Bundeswehr Aktuell, 14. März 2011, S.10. Für eine ausführlichere Beschreibung des Operationsverlaufs von „Pegasus“ siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Pegasus_%282011%29 (abgerufen am 21. März 2011).

[2] Brössler, Daniel: Böses Nachspiel im Bundestag, in: http://www.sueddeutsche.de, 11.3.2011.

[3] Im Folgenden werden die in diesem Sachstand wiedergegebenen Kriterien des AWACS II-Urteils des BVerfG zusammengefasst und anschließend mit den vorliegenden öffentlich zugänglichen Informationen über den Einsatz abgeglichen. Die vollständige Angabe der Quelle lautet Arndt, Felix: Zum Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, Sachstand WD 2 – 3000 – 043/11, 15. März 2011, Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag.

[4] Vgl. Bescht, ebd., S.10.

[5] Bescht, ebd., S.10.

[6] Bescht, ebd., S.10.

[7] Vgl. Arndt, ebd., S.3.

[8] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP: Wachstum, Bildung, Zusammenhalt, Berlin, 26. Oktober 2006, S. 124.

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