Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2010/041 - in: AUSDRUCk (Dezember 2010)

Radikaler Umbau statt Kosmetik – Zum Bericht der Strukturkommission der Bundeswehr

Michael Haid (28.10.2010)

http://imi-online.de/download/IMI-Analyse_haid_41_2010.pdf

Die von Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) am 12. April 2010 eingesetzte Strukturkommission zur Reform der Bundeswehr hat nun am 26. Oktober 2010 ihren Bericht mit dem Titel „Vom Einsatz her denken – Konzentration, Flexibilität, Effizienz“ vorgestellt. „Dieser Bericht zielt auf eine (…) radikale Erneuerung hin zu kompakten, effizienten und zugleich hochqualifizierten Streitkräften“ (S.3). So stellt die Kommission ihre Arbeit selbst vor. Gemeinsam mit dem am 31. August 2010 erschienenen „Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7.Juni 2010“ (vgl. hierzu IMI-Analyse 2010/34) bildet der Kommissionsbericht die Grundlage für den radikalsten Umbau der Bundeswehr seit ihrer Gründung 1955.
Bereits vor rund zehn Jahren gab es den am 23. Mai 2000 vorgelegten Bericht der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ (sog. Weizsäcker-Kommission), der ähnlich wie heute eine drastische Reform der Bundeswehr vorsah. Allerdings wurden die damaligen Empfehlungen aufgrund von politischen und bundeswehrinternen Widerständen nicht verwirklicht. Allem Anschein nach dürfte dieses mal dem gegenwärtigen Bericht eine Umsetzung weniger im Wege stehen. Auf der Homepage seines Ministeriums ließ sich der Verteidigungsminister aus Anlass der Übergabe des Berichts durch die Kommission wie folgt zitieren: „Alle vorliegenden Analysen und Empfehlungen unterstreichen die Notwendigkeit tiefgreifender Änderungen. Mit kosmetischen Maßnahmen allein wird es nicht getan sein.“

Hauptziel: Fähigkeit zur Intervention und zur Aufstandsbekämpfung

Das Hauptziel der Reform ist die Interventions- und Aufstandsbekämpfungsfähigkeit der Bundeswehr dramatisch zu steigern. Priorität müsse daher haben, die derzeitige Fähigkeit der Bundeswehr als Höchstgrenze 7.000 Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze entsenden zu können, „durchhaltefähig wenigstens [zu] verdoppeln“ (S.10). Hierfür soll der Streitkräfteumfang von derzeit circa 250.000 auf ca. 180.000 Soldatinnen und Soldaten verkleinert, das zivile Personal von heute 75.000 auf künftig ca. 50.000 Dienstposten reduziert und die Anzahl der Stellen im Bundesverteidigungsministerium (BMVg) von gegenwärtig 3.000 auf unter 1.500 mehr als halbiert werden. Diese Maßnahmen sollen einerseits Kosten einsparen, andererseits dienen sie dazu, die Bundeswehr von Personal zu befreien, das nicht für die Auslandsverwendung oder ihre Unterstützung geeignet ist.

Das Leitmotiv für die Einsätze im Ausland bildet das Konzept der Vernetzten Sicherheit, das in Afghanistan mit furchtbaren Folgen für die dortige Bevölkerung ein Beispiel dafür abgibt, dass dieser Ansatz vollständig gescheitert ist. Trotzdem wird die Vernetzte Sicherheit im Bericht als „richtungsweisend für die gesamtstaatliche Sicherheitsvorsorge“ bezeichnet: „Das ganze Spektrum von weichen bis hin zu harten Faktoren von Macht – Wissen, Werte, Wirtschaft, Waffen – muss in Betracht gezogen und wenn nötig aktiviert werden, will man nachhaltige Sicherheit und Stabilität erreichen“ (S.16).

Eine weitere wesentliche Empfehlung des Berichtes besteht darin, die Position des Generalinspekteurs der Bundeswehr künftig zu einem Oberkommandierenden der Streitkräfte (Chief of Defence) auszubauen. Der Bericht fordert, diesen Posten „als die zentrale militärische Stelle in der Bundeswehr auszugestalten“ (S.31) und sieht die Übernahme einer Führungsfunktion für alle Teilstreitkräfte sowie für alle Auslandseinsätze vor. Damit dürfte sie der historischen Bedeutung eines Generalstabschefs sehr nahe kommen. Gleichzeitig solle eine der heute zwei Staatssekretärsstellen im BMVg entfallen und durch die des Generalinspekteurs ersetzt werden.

Es ist keine Überraschung mehr, dass die Kommission weiterhin empfiehlt, die Wehrpflicht auszusetzen. Stattdessen schlägt der Bericht vor, einen freiwilligen, bis zu 23-monatigen Dienst einzuführen. Als Ersatz für den ebenfalls entfallenden Zivildienst könnten dem Plan des Berichts zufolge auf freiwilliger Basis männliche und weibliche Erwachsene diesen Dienst in den bisherigen klassischen Zivildienstbereichen oder eben bei der Bundeswehr wahrnehmen. Dafür sei die Einrichtung eines freiwilligen militärischen Dienstes mit einem Stellenumfang von bis zu 15.000 Posten vorzusehen. Die Ausbildung der Freiwilligen solle die Teilnahme an den Auslandseinsätzen ermöglichen, weshalb eine Dienstzeit von mindestens 15 Monaten erforderlich sei.

Forderung zu Guttenbergs nach einer „nationalen Sicherheitsstrategie“

Parallel zum geplanten Umbau der Bundeswehr, initiiert zu Guttenberg eine Strategie-Debatte, welche die angebliche Notwendigkeit, die Bundeswehr massiv auf ihre Interventions- und Aufstandsbekämpfungsfähigkeit hin auszurichten, unterlegen soll. Ebenfalls auf der BMVg-Homepage werden die Ausführungen des Verteidigungsministers am 18.Oktober 2010 auf der Zeit-Konferenz „Internationale Sicherheitspolitik“ in Hamburg dokumentiert, auf der er eine „nationale Sicherheitsstrategie“ forderte. Darin solle als Bedrohung scheiternde und gescheiterte Staaten, der internationale Terrorismus, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, die Folgen der weltweiten demografischen Entwicklung und der Klimaveränderung genauso aufgenommen werden wie das Thema Ressourcensicherheit und Cyberwar. Auch im Hinblick auf die sich vollziehenden globalen Machtverschiebungen seien in die strategische Analyse, so der Minister auf der Konferenz weiter, nicht nur China und Indien, sondern auch Länder wie Indonesien, Brasilien und der südafrikanische Raum einzubeziehen. Dadurch könnten sich die Beziehungen zu diesen Staaten künftig deutlich konfrontativer gestalten. Angesichts der „vielfältigen sicherheitspolitischen Herausforderungen und Bedrohungen“ zog der Minister auf der Zeit-Konferenz den Schluss, „dass mit Blick auf unsere Sicherheits- und Außenpolitik eine sich alleine auf den Aspekt einer Kultur der Zurückhaltung beschränkenden Herangehensweise wir wahrscheinlich nicht weiterkommen werden, sondern wir dem Gedanken einer Kultur der Verantwortung insgesamt hier näher kommen müssen und wir das in strategische Überlegungen aufzunehmen haben“.

Wenn der Verteidigungsminister von einer „Kultur der Verantwortung“ spricht, so dürfte damit Machtpolitik, die sich mit der anstehenden Reform der Bundeswehr zukünftig noch nachdrücklicher auf das Militär abstützen würde, gemeint sein. Der Frankfurter Politikprofessor, Gunther Hellmann, verdeutlicht in seinem Artikel „Normativ abgerüstet, aber selbstbewusst“, der in gekürzter Fassung in der kommenden Novemberausgabe der „Internationalen Politik“ veröffentlicht wird, was sich hinter diesen Begrifflichkeiten tatsächlich verbirgt: „Wenn die deutsche Diplomatie heute ihre ‚Bereitschaft‘ erklärt, ‚mehr Verantwortung zu übernehmen‘, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es um den deutschen Machtanspruch auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat geht.“ Und Hellman weiter: „Von ‚Macht‘ ist (…) in deutschen Ansprachen zwar nach wie vor nicht die Rede. Zu sehr erinnert dieser Begriff an frühere deutsche ‚Machtstaats‘-Traditionen, mit denen in Berlin niemand in Verbindung gebracht werden will (…). Wenn die Bundesregierung in Brüssel ’selbstbewusst deutsche Interessen‘ wahrnimmt oder ihre ‚Bereitschaft‘ erklärt, international ‚mehr Verantwortung zu übernehmen‘, ist allen Adressaten allerdings klar, dass hier im Kern Machtfragen verhandelt werden.“

Der weitere Fahrplan der Reform

Die Umsetzung der oben genannten Empfehlungen würde eine Zeitspanne von fünf bis sieben Jahren umfassen. Der Homepage des Bundesverteidigungsministeriums kann die weitere geplante Vorgehensweise entnommen werden. Danach seien die politischen Grundsatzentscheidungen zur Wehrpflicht sowie zum künftigen Gesamtumfang der Streitkräfte und der Bundeswehrverwaltung auf Grundlage der Berichte des Generalinspekteurs und der Strukturkommission für Dezember 2010 zu erwarten. Letzterer Bericht werde bis Januar 2011 durch einen BMVg-Arbeitsstab mit dem Auftrag ausgewertet, einen Gesamtplan zur Neuorganisation des Bundesverteidigungsministeriums zu entwickeln. Zeitgleich sollen auch die konzeptionellen Grundlagen zur Neuausrichtung der Bundeswehr vorgestellt werden. Schließlich erfolge im ersten Halbjahr 2011 die detaillierte Ausplanung des Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr mit Blick auf Personal, Ausrüstung und Modernisierung. Auf Grundlage dieser Detailausplanung wird dann ein neues Stationierungskonzept erarbeitet werden, das ab Mitte 2011 erwartet werde. Damit können bedauerlicherweise die Weichen für eine Bundeswehr, die primär der Aufstandsbekämpfung in Konfliktgebieten dient, als gestellt gelten.

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