Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2010/024

Öffentliche Selbstinszenierung

Gelöbnisse der Bundeswehr im öffentlichen Raum

Michael Schulze von Glaßer (22.07.2010)

http://imi-online.de/download/IMI-Analyse10-24.pdf

Jedes Jahr geloben rund 70.000 junge Rekruten der Bundeswehr bei hunderten Gelöbnis-Zeremonien[1] „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“[2]. Jeder Wehrdienstleistende muss im Rahmen seiner Grundausbildung geloben, die Nation kämpferisch zu verteidigen. Dies schließt auch den eigenen Tod mit ein und umfasst auch das Töten anderer Menschen zum Erhalt der eigenen Nation. Zwar kann ein Soldat das Gelöbnis verweigern, der Wehrdienstleistende darf dann jedoch nicht mehr befördert werden. Die Zahl öffentlicher Gelöbnisse außerhalb militärischer Liegenschaften nahm in den letzten Jahren stark zu: lag sie 2007 noch bei 134[3] waren es 2009 sogar 180[4] Gelöbnisse auf öffentlichen Plätzen. Das jüngste Gelöbnis hat am 20. Juli 2010 vor dem Reichstag in Berlin stattgefunden. Aufgrund der weiträumigen Absperrung und der geringen Aussicht von Antimilitaristen und Friedensbewegten, die Veranstaltung stören zu können und ihrem Protest vor Ort Ausdruck zu verleihen, hatte keine Gruppe zu Demonstrationen aufgerufen. Anders ist dies beim anstehenden Gelöbnis am 30. Juli auf dem Schlossplatz in Stuttgart, wo zu umfangreichen Protesten aufgerufen wird.[5] Ein Grund sich näher mit dem Militärritual und seinen Funktionen für Armee und Politik zu beschäftigen.

Ablauf und Funktion

Militärrituale wie Gelöbnisse haben dabei einen hohen Öffentlichkeitswert, sind auf die Teilnahme der Zuschauer und auf die große, erhebende Geste angelegt. Sie sprechen zum Gefühl und zum Auge.[6] Der Ablauf der Gelöbnis-Veranstaltung ist streng formalisiert. Eine einfache Aufzählung der Programmpunkte bietet nur eine erste Annäherung an die scheinbare Eindimensionalität der formalisierten Durchführung[7]:

– Einmarsch der Ehrenformation mit den Truppenfahnen

– Meldung an den ranghöchsten anwesenden Offizier

– Abschreiten der Front durch den ranghöchsten Offizier und die jeweiligen Ehrengäste aus Politik und Gesellschaft

– Vortreten der Fahnenabordnungen

– Reden: Politiker, Gäste, oft auch hoher Militärvertreter des Standortes

– Vortreten der Rekrutenabordnung

– Feierliches Gelöbnis/gemeinsames Sprechen der Gelöbnisformel

– Nationalhymne

– Feststellung der erfolgten Durchführung

– Zurücktreten der Rekrutenabordnungen und der Truppenfahnen

– Meldung: Ende des Gelöbnisses

– Ausmarsch der Ehrenformation

– Abrücken der Rekruten

Da meist gleich mehrere hundert Rekruten an einem Gelöbnis teilnehmen, wird – stellvertretend für alle – nur einigen wenigen direkt das Gelöbnis abgenommen. Einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zufolge ist das Truppenzeremoniell der Gelöbnisse in der Öffentlichkeit „insbesondere von der Wehrmacht“ übernommen worden.[8] „’Waren im Kaiserreich und in der Weimarer Republik diese Zeremonien in der Regel hinter Kasernenmauern, hätten die Nationalsozialisten diese ‚Zurückhaltung […] aufgegeben’ und das Zeremoniell gewissermaßen mit Pauken und Trompeten aufgewertet“.[9] Allzu leicht lässt die Feierlichkeit der Zeremonie vergessen, dass anlässlich derartiger Militärrituale der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern als die bewaffnete Macht entgegentritt, aus der er sich ursprünglich begründet hatte.[10] Die Bevölkerung gewöhnt sich nicht nur daran, dass ihren politischen Führern das Mittel Militär zur Verfügung steht, sondern dass diese auch davon Gebrauch machen. Banalisierung über öffentliche, militärische Rituale war und ist eine dieser Legitimierungsstrategien.[11] Der Berliner Politologe Dr. Markus Euskirchen, der seine Dissertation über Militärrituale geschrieben hat, spricht in diesem Sinne von einer „Banalen Militarisierung“, die mit dem zeremoniellen Auftreten der Bundeswehr betrieben werde.[12] Zwar scheinen Militärzeremonien heute veraltet, „[w]er jedoch die Gelöbnisse als veraltet abtut, der verkennt die unterschwellig wirksamen Mechanismen der Identitätsbildung, der Stiftung eines kollektiven Unbewussten zur Verankerung einer grundsätzlichen Selbstverständlichkeit des Militärischen. Die Gelöbnisveranstaltungen offenbaren sehr deutlich ein Wechselspiel zwischen dem militärischen Symbolsystem und dem Erlebnis der Teilnehmer und Zuschauer. Die Selbstverständlichkeit der Inszenierung mit ihren Militärsymbolen produziert die Selbstverständlichkeit der gesamten Militärlogik.“[13] Konkret leisten Gelöbnisse laut Euskirchen zwei Dinge: Erstens versenken sie mithilfe nationalstaatlicher Verdichtungssymbole (z.B. Fahne, Hymne, Eisernes Kreuz) das Militärische in die Gesellschaft. Zweitens führen sie die – überwiegend männlichen – Bürger ins Militär ein. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Gelöbnis als militärisches Initiationsritual fassen, das zur Banalisierung des Militärischen beiträgt. Dazu dringt die Armee mit ihren Ritualen immer weiter in den öffentlichen Raum vor. Wo ein Gelöbnis stattfindet, entscheidet der Standortkommandeur: „Die Durchführung eines feierlichen Gelöbnisses außerhalb militärischer Anlagen genehmigt ein Brigade-/Regimentskommandeur in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden. Dabei ist eine kommunale Gebietskörperschaft auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 1 GG grundsätzlich zur Amtshilfe verpflichtet. Ein entsprechendes Gesuch der Bundeswehr darf nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG) nur dann abgelehnt werden, wenn die Hilfeleistung – z.B. Einsatz von starken Polizeikräften zur Gefahrenabwehr – die eigener kommunaler Aufgaben ernstlich gefährden würde“[14] Allerdings kann auf dem informellen Dienstweg aus dem Bundesministerium der Verteidigung heraus dafür gesorgt werden, dass örtliche Standortkommandos die Möglichkeit einer Gelöbniszeremonie auf zentralen öffentlichen Plätzen ernsthaft in Betracht ziehen. Die Durchführung eines feierlichen Gelöbnisses außerhalb der Kaserne folgt dabei einer politischen Entscheidung und ist somit Ausdruck politischer Interessen. So sorgten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und sein Vorgänger Franz Josef Jung (CDU) seit 2008 Jahren regelmäßig dafür, dass das öffentliche Gelöbnis am 20. Juli vor dem Reichstagsgebäude in Berlin stattfindet.

Dass Gelöbnisse zur Legitimierung deutscher Kriegspolitik durchgeführt werden, liest sich vor allem in den Reden, die während jedes Gelöbnisses von Vertretern aus Politik, Kirche, Vereinen oder Militär gehalten werden. Beate Binder, Ethnologin an der Humboldt-Universität zu Berlin macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass immer festgelegt wird, wer reden darf und wie die Reden zu interpretieren sind.[15] Das Militärritual schaffe nur den Rahmen, „um bestimmte politische Statements loszulassen.“[16] Einerseits werden in den Reden aktuelle Geschehnisse aufgegriffen – Bundeskanzlerin Angela Merkel warb in ihrer Rede während des Berliner Gelöbnisses am 20. Juli 2009 vor dem Reichstag für eine Fortführung der Wehrpflicht[17] -, andererseits wird besonders beim alljährlichen Gelöbnis in Berlin gezielt versucht, die Geschichte umzudeuten. Das Gelöbnis findet immer am 20. Juli, dem Tag des 1944 gescheiterten Hitler-Attentats des Kreises um Wehrmachtsoffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg statt. Damit will sich die Bundeswehr in die Traditionslinie des so genannten deutschen Widerstands stellen: „Wir bekennen uns öffentlich zu der Tradition des militärischen Widerstandes, eine Tradition, auf die wir zu Recht stolz sein können. […] Damals wurde der Grundstein gelegt für eine Bundeswehr, die auch heute für Frieden, Recht und Freiheit steht: Sie ist eine Armee in der Demokratie in einem Bündnis von Demokratien. Sie begreift die tapferen Männer und Frauen des militärischen Widerstands als unsere Vorbilder.“[18], so der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung in seiner Rede zum Berliner Gelöbnis 2009. Dabei verkennt der Minister – wie auch alle anderen, die diese Traditionslinie für die Bundeswehr begründen wollen -, dass Stauffenberg keineswegs ein Demokrat war, im Verschwörerkreis auch Antisemiten und Kriegsverbrecher waren und die Tat dazu dienen sollte, den absehbar verloren gehenden Krieg doch noch zu gewinnen, zumindest aber die eroberten Gebiete zu sichern. An dieser Umdeutung der Geschichte – die Hitler-Attentäter als demokratische und freiheitliche Vorbilder und gar Antifaschisten darzustellen – versucht sich die Bundeswehr schon lange. Ebenso wie an der Entpolitisierung von Teilen der Wehrmacht – in dem Ort Augustdorf zwischen Bielefeld und Paderborn ist eine der größten Bundeswehr-Kasernen noch immer nach Wehrmachts-Generalfeldmarschall Erwin Rommel benannt. Auch in einer aktuellen Bundestagsanfrage der Linksfraktion zum Berliner-Gelöbnis 2010 unterstreicht die Bundesregierung nochmal den geschichtlichen Kurs der Bundeswehr: „Am 20. Juli jeden Jahres werden sie alle [die Verschwörer] sowohl durch die traditionellen Gedenkveranstaltungen der Bundesregierung als auch durch das feierliche Gelöbnis der Bundeswehr geehrt, ohne Unterschied hinsichtlich Herkunft oder Motivation. Sie sind für die Bundeswehr beispielgebend, weil sie unter Lebensgefahr eine Gewissensentscheidung für die Wiederherstellung des Rechts trafen.“[19]

Öffentlichkeit und Medien

Auch kleine Gelöbnisse werden von Lokalmedien zum Anlass für Berichte genommen. Das Gelöbnis in der Hauptstadt ist heute aber das bei weitem Bedeutendste für die Bundeswehr, das zeigt neben den prominenten Gästen auch die bundesweite mediale Präsenz: neben Berichten in beinahe jeder Tageszeitung gibt es seit einigen Jahren eine Live-Übertragung des Gelöbnisses vor dem Deutschen Bundestag durch den staatlichen Fernsehsender Phoenix. Dabei wird das Militärritual ähnlich einem Fußballspiel von einem Moderator oder einer Moderatorin und einem weiteren Experten – einem hochrangigen Bundeswehr-Soldaten – begleitet und für den Zuschauer medial aufbereitet und interpretiert. 2009 stand Oberstleutnant Peter Altmannsperger, Pressesprecher des Standortkommandos Berlin, einer Phoenix-Moderatorin über eine Stunde Rede und Antwort – ein Auszug aus dem Gespräch[20]:

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Moderatorin: Die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister: ihnen gegenüber wird ja gleich das Gelöbnis abgelegt. Das zeigt ganz deutlich und klar, dass auch die obersten Repräsentanten des Staates also auch hier sind. Wie wichtig ist das, dass es eben so öffentlich ist und dass die Bundeskanzlerin da ist und der Verteidigungsminister?

Oberstleutnant Altmannsperger: Beim Gelöbnis bekennen sich die Soldaten öffentlich zu den Werten unseres Grundgesetzes und das ist das ganz Entscheidende: Es muss öffentlich sein und es gehört auch hier [vor den Reichstag] hin. Das ist eine Gelegenheit, die etwas besonderes ist […,] es ist bewegend und es ist für die jungen Rekruten – die erst drei Wochen Soldat sind – etwas ganz besonderes, wenn die Bundeskanzlerin zu ihnen spricht, das hat man nicht jeden Tag.

Moderatorin: Gleich wird die Bundeskanzlerin hier eine Rede halten und auch der Bundesminister der Verteidigung. Nun sagt man ja, in jeder Uniform steckt ein Mensch – wie ist das denn für sie persönlich, sie sagen es ist ein besonderer Tag, was macht das aus?

Oberstleutnant Altmannsperger: Ich bin seit 31 Jahren Soldat. Ich habe keinen Tag davon bereut – jeder Beruf hat Höhen und Tiefen, wo man sagt ‚Oh Gott, jetzt wird es ein bisschen viel’ – aber im Grunde war es die richtige Entscheidung – weil es eine besondere Aufgabe ist zu dienen. Das ist ein Begriff, der ein bisschen aus der Mode gekommen ist. Das ist schade, denn wir erleben ja heute hier genau das Gegenteil. Die Aufstellung derer die sagen ‚Jawohl, ja klar, ich möchte dienen für diese Gesellschaft, auch wenn das schwierig ist manchmal, auch wenn das anstrengend ist’. Und das ist gut, dass wir heute hier eine Aufstellung von denen erleben, die nicht sagen ‚ich bin gegen das Gelöbnis’ sondern sagen wofür. Und das finde ich die gute Botschaft des Tages.

[nach Ablegen der Gelöbnis-Formel durch Soldaten vor dem Reichstags-Gebäude]

Moderatorin: Damit sind wir auch fast am Ende dieses feierlichen Gelöbnisses. Es hat keine Störungen gegeben, es gab wenige Demonstranten am frühen Nachmittag am Potsdamer Platz. Trotzdem müssen wir vielleicht noch mal kurz darauf zu sprechen kommen, Herr Altmannsperger: Es gibt zum Beispiel am Afghanistan-Einsatz Kritik und viele Bürger wünschen sich, dass die Bundeswehr vielleicht diesen Einsatz auch beendet. Ist das ein Punkt, mit dem man sich auch an einem Tag wie heute auseinander setzen sollte? Oder muss man dann sagen, dass es heute nicht dazu gehört?

Oberstleutnant Altmannsperger: Ich denke, es sind natürlich Bilder, die man im Hinterkopf hat. Wenn man die Soldaten sieht, dann wissen wir natürlich: wir stehen da in schwieriger Verantwortung am Hindukusch. […] Leicht ist das nicht, aber die Verhältnisse dort zu stabilisieren erfordert eben – die Bundeskanzlerin hat es eben in ihrer Ansprache auch erwähnt – einen vernetzten Ansatz. Da ist die Bundeswehr ein Teil der ganzen Bemühungen, die Verhältnisse stabil hinzubekommen und da wird man ohne die Bundeswehr nicht auskommen.

Moderatorin: Trotzdem, was macht das aus, dass die Bürger nicht alle dahinter stehen – das Parlament was anderes entscheidet als über 50 Prozent der Bürger…

Oberstleutnant Altmannsperger: Auch das hat die Bundeskanzlerin erwähnt. Das ist auch der Eigenverantwortung des Bürgers geschuldet, in der Öffentlichkeit, die sich idealerweise um diese Frage auch kümmern sollte. Also uns Soldaten kann eigentlich nichts Schlimmeres passieren, als wenn das Thema Sicherheitspolitik, die Verteidigung, weit von zu Hause weg ist, völlig ignoriert wird. Wenn die Leute sagen ‚damit wollen wir nichts zu tun haben und das sollen die mal irgendwie machen’.

Moderatorin: Wenn sie nun gerade hier vor dem Parlament stehen: was wünschen sie sich und auch ihren Soldaten vom Parlament?

Oberstleutnant Altmannsperger: Ja, also den Auftrag erhalten wir ja vom Parlament – von den Abgeordneten des Bundestages – und da ist das ja auch in aller Klarheit dargelegt. Aber wovon wir zehren, was uns sozusagen Rückhalt und auch Kraft gibt, das ist die innere Überzeugung, die wir brauchen um zu erkennen welche Werte wir verteidigen, weswegen wir treu dienen und was wir tapfer verteidigen. Darüber muss man sich Gedanken machen und wir wünschen den Dialog darüber.

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Die Live-Übertragung der Militärzeremonie im Fernsehen dauerte insgesamt über eine Stunde. Neben den Themen im Gesprächsauszug ging es noch um Militärmusik – der Oberstleutnant erklärte den Zuschauern daheim die verschiedenen Märsche und ihre Entstehung – und um die Öffentlichkeit des Ereignisses. Auch 2010 gab es auf Phoenix eine Live-Übertragung des Spektakels. Vorab zeigte der öffentlich-rechtliche Sender unter der Überschrift „Die Idee vom ‚Staatsbürger in Uniform‘ – Lehren aus dem 20. Juli 1944“ eine Rede des Verteidigungsminister zu Guttenberg auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Wie im Vorjahr stand dem – diesmal männlichen – Phoenix Moderator ein Militär gegenüber. Oberstleutnant Ziesak erklärte den Zuschauern während des Spektakels beispielsweise was eine Ehrenformation ist und gab Hintergründe zu den von einem Militärmusikkorps gespielten Musikstücken. Die Zeremonie wurde wie im Vorjahr in voller Länge gezeigt. Dabei durften Panorama-Filmaufnahmen der Soldaten vor dem Reichstag nicht fehlen – es soll ja die Bundeswehr als Armee des Volkes präsentiert werden.

Gerade der Anspruch auf Öffentlichkeit, der bei den Zeremonien seitens der Bundeswehr formuliert wird, ist in diesem Zusammenhang mehr als fragwürdig: dass bei Gelöbnissen innerhalb von Kasernen nur eine äußerst geringe Form von Öffentlichkeit hergestellt wird, ist offensichtlich.[21] Doch auch im Hinblick auf die Gelöbnisse im öffentlichen Raum – wie das in Berlin – ist die Verwendung des Begriffs „Öffentlichkeit“ zu kritisieren. So waren etwa bei den dreizehn so genannten öffentlichen Gelöbnissen der Bundeswehr in Berlin seit 1996 zentrale Grundvoraussetzungen von Öffentlichkeit nicht erfüllt – sie sind vielmehr bewusst verhindert worden. Mit großem Polizeiaufwand wurden jeweils die gesamten Umgebungen weiträumig abgesperrt. Nach spektakulären Protesten gegen das Gelöbnis 1999 wurden die Besucher und Teilnehmer 2000 per Bustransfer aus der Kaserne in einen anderen Stadtteil zum, von Polizei, Bundespolizei und Feldjägern hermetisch abgeriegelten, Veranstaltungsort gebracht. 2009 entstanden der Berliner Polizei Kosten von über 370.000 Euro, um das Gelöbnis vor ungeladenen Gästen zu schützen und Demonstranten auf Abstand zu halten, zudem waren zahlreiche Feldjäger im Einsatz.[22] Die eigentliche Veranstaltung kostete hingegen „nur“ knapp 250.000 Euro.[23] Gleiches war auch in diesem Jahr der Fall

Kritik und Repression

Laut Bundesverwaltungsgericht muss die Bundeswehr, „wenn sie sich bewusst nicht auf ein Kasernengelände beschränkt, sondern in die Öffentlichkeit und den dort geführten Meinungskampf begibt, kritische Äußerungen der Zuschauer so lange ertragen, wie hierdurch nicht der Ablauf der Veranstaltung konkret beeinträchtigt wird. Dies gilt selbst dann, wenn die Würde der Veranstaltung Schaden nimmt.“[24] Dem entgegen wurde nicht nur die militärkritische Öffentlichkeit ihres Demonstrationsrechtes, sondern auch interessierte Bürger, Anwohner, Geschäftsleute oder auch nur zufällige Passanten und Durchgangsverkehr ihrer Bewegungsfreiheit beraubt.[25] Öffentlichkeit bestand beim Berliner-Gelöbnis unter diesen Umständen seit Jahren zu keinem Zeitpunkt. Vermeintlich breite Öffentlichkeit wurde allenfalls über den medialen Filter der Fernsehübertragung hergestellt: dirigierter und kommentierter Aus- und Zusammenschnitt des Militärzeremoniells.[26] Eben jene Kontrolle einer persönlich teilnehmenden, erfahrenden, begreifenden, ihre Perspektive frei wählenden und ihre Erfahrungen kommunizierenden, „freien“ und damit demokratischen Öffentlichkeit fehlte.[27] Damit konnte auch keine Kontrolle im Sinne der von der Bundeswehr behaupteten öffentlichen Kontrollfunktion stattfinden. Markus Euskirchen kritisiert, dass „[s]tatt dessen […] die Persönlichkeiten der ‚gefälligen’. gewissermaßen politisch-korrekten, Öffentlichkeit gezielt namentlich eingeladen“ wurden.[28] In Berlin führte die staatliche Repression und das faktische Demonstrationsverbot – Kundgebungen durften nur außerhalb der Sicht- und Hörweite des Gelöbnisse stattfinden – in den letzten Jahren zu einer Abnahme der Teilnehmerzahl an den Protesten. 2010 wurde erst gar keine offizielle Demonstration angemeldet und damit eine antimilitaristische Tradition aufgegeben.

Auch die Medien unterstützen die Repression gegen Militärkritiker. So waren die Gelöbnix-Demonstrationen der letzten Jahre in Berlin auch am 20. Juli 2010 während der Phoenix-Berichterstattung Thema. Moderator Alexander Kähler bezeichnete die angemeldeten Demonstrationen dabei pauschal als „Krawalle“, die glücklicherweise seit Jahren abnähmen. Lokale Medien berichten meist erst gar nicht von Protestaktionen gegen Militärrituale.

Nicht nur beim großen Gelöbnis in Berlin verbarrikadiert sich die Armee. Am 29. Mai 2009 legten in der westfälischen Stadt Rheine etwa 350 Rekruten auf einem zentralen Platz in der Innenstadt ihr Gelöbnis ab.[29] Anlass gab das 50-jährige Standortjubiläum der in Rheine stationierten – und in Afghanistan stark zum Einsatz kommenden – Heeresflieger. Eine angekündigte Demonstration von Friedensaktivisten unter dem Motto „Gelöbnix – Gegen Militärspektakel und Auslandseinsätze“ sorgte schon im Vorfeld für viel Aufregung in der Stadt. Am Tag des Gelöbnisses riegelte die Bundeswehr gemeinsam mit der Polizei die halbe Innenstadt ab – hinter den Absperrgittern standen Feldjäger der Armee, davor die Polizei. Zum Eklat kam es, als Journalisten, die den friedlichen Demonstrationszug von rund 150 Leuten begleiteten, trotz Presseausweises nicht in den abgesperrten Bereich gelassen wurden. Auch ein Gespräch mit dem zuständigen Pressesprecher der Bundeswehr wurde den kritischen Journalisten versagt. Ein Fotograf wurde mit der Begründung, im Kontakt zu Antimilitaristen zu stehen, abgewiesen, ein anderer von Feldjägern zu Boden gerissen, nachdem er sich einige Schritte in das abgesperrte Areal bewegt hatte. Mit diesem Verhalten betreibt die Bundeswehr Zensur von der Wurzel an – wie soll es zu einer öffentlichen Diskussion bzw. einer Kontrollfunktion kommen, wenn Demonstranten ins Abseits gestellt werden und selbst vermeintlich kritische Berichterstatter von Militärzeremonien ausgeschlossen werden?

Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Abschnitts über Militärrituale der Bundeswehr aus dem im August erscheinenden Buch „An der Heimatfront – Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr“ (etwa 200 Seiten, ca. 16 Euro, PapyRossa-Verlag) von Michael Schulze von Glaßer.

Anmerkungen:

[1] N. N.: Gelöbnisformel ohne Bedeutung?, in: Die Bundeswehr (Zeitung des Deutschen Bundeswehr-Verbands), November 2006.

[2] § 9 Absatz 2 Soldatengesetz (SG).

[3] Bundestags-Drucksache 16/8355.

[4] Bundestags-Drucksache 17/715.

[5] Weitere Informationen: www.gelöbnix-stuttgart.de und www.blockade.blogsport.de

[6] Euskirchen, Markus: Das Zeremoniell der Bundeswehr: Banalisierung von Staatsgewalt durch Militärrituale, in: Thomas, Tanja; Virchow, Fabian: Banal Militarism – Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen, Seite 188.

[7] Euskirchen, Markus: Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 99.

[8] Leichsenring, Dr. Jana: Militärzeremonien im öffentlichen Raum in der deutschen Geschichte. Deutscher Bundestag 2008. WD 1 – 3000 – 118/08.

[9] Bundestags-Drucksache 16/13576.

[10] Ebenda.

[11] Euskirchen, Markus: Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite. 189.

[12] Ebenda.

[13] Ebenda, S. 190.

[14] Flink, T.: Notwendiger Rückhalt. Eid und feierliches Gelöbnis, in: Information für die Truppe, Nr. 3/1998; zitiert nach: Euskirchen, Markus: Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005.

[15] Euskirchen, Markus: Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 101.

[16] Ebenda.

[17] Merkel, Angela: Rede zum feierlichen Gelöbnis der Bundeswehr, gehalten am 20. Juli 2009 auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude; nachzulesen auf www.bundesregierung.de.

[18] Jung, Franz Josef: Rede von Minister Jung anlässlich des Gelöbnisses am 20. Juli, gehalten am 20. Juli 2009 auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude; nachzulesen auf www.bmvg.de.

[19] Bundestags-Drucksache 17/2353.

[20] Das Gespräch zwischen der Phoenix-Moderatorin und Oberstleutnant Peter Altmannsperger, Pressesprecher Standortkommando Berlin, fand am 20. Juli 2009 von etwa 19.15 Uhr bis 21 Uhr auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude in Berlin statt und wurde live beim staatlichen Fernsehsender Phoenix übertragen.

[21] Euskirchen, Markus: Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 104.

[22] Bundestags-Drucksache 17/2353.

[23] Ebenda.

[24] BVerwGE 84, 247-257 zitiert nach: Euskirchen, Markus: Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005.

[25] Euskirchen, Markus: Militärrituale – Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln 2005, Seite 105.

[26] Ebenda.

[27] Ebenda.

[28] Ebenda.

[29] Ophaus, Benedikt: Bundeswehr will Bürgernähe demonstrieren, in: www.muensterschezeitung.de – letzter Zugriff am 21. September 2009.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de