Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2010/013 - in: W&F Dossier Nr. 63/2010

Im Nahen-Osten nichts Neues?

Wenig Hoffnung im Israel-Palästina-Konflikt

Claudia Haydt (01.03.2010)

Der ermordete israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin fasste seine Motivation für den Osloer-Friedensprozess in die Worte: „Frieden schließt man nicht mit seinen Freunden. Frieden schließt man mit seinen Feinden.“ Auch der Wahlkampf des nun nicht mehr ganz so neuen US-Präsidenten Barack Obama war von dieser versöhnlichen Rhetorik gegenüber den Konfliktparteien des Nahen und Mittleren Ostens geprägt. Bereits im Sommer 2008 kündigte Obama an, dass er im Nahost-Friedensprozess „eine aktive Rolle“ übernehmen werde: „Ich werde mich persönlich engagieren und alles tun, was mir möglich ist, um die Sache des Friedens vom Beginn meines Amtes an voranzutreiben“[1]
Ein Jahr nach der Amtseinführung Obamas ist es Zeit für eine erste Bilanz der neuen US-Politik gegenüber Israel und Palästina.

Schwerer Start

Zwischen der Wahl Obamas am 4. November 2008 und seiner Amtseinführung am 20. Januar 2009 eskalierte die Situation im Nahen Osten dramatisch. Die israelische Armee starte am 27. Dezember 2008 die Operation »Gegossenes Blei« im Gazastreifen. Bis zum Ende der Invasion starben 1.434 PalästinenserInnen, darunter viele Zivilisten, und 13 Israelis. Der neue US-Präsident hatte noch in seinem Wahlkampf im Sommer 2008 die israelische Stadt Sderoth besucht, die immer wieder Ziel palästinensischer Raketen geworden war, und dort erklärt, auch er würde alles unternehmen, um sein Zuhause und seine Töchter vor drohenden Hamas-Raketen zu schützen. Dies betrachtete die israelische Regierung offensichtlich als Freibrief für den Angriff auf Gaza. Drei Tage vor Obamas Amtseinführung stellte Israel die Kampfhandlungen allerdings ein, vielleicht um ihn nicht allzu stark zu provozieren.

Wohlwollende Kommentatoren sahen in Obamas Schweigen während des Gaza-Krieges eine Rücksichtnahme gegenüber seinem Amtsvorgänger George W. Bush in dessen »Amtsführung der letzten Tage« er sich nicht einmischen wolle.

Bereits am zweiten Tag von Obamas Präsidentschaft schien sich dann die Hoffnung auf eine neue Politik in der Region zu erfüllen. Der neue Präsident machte den erfahrenen Diplomaten und Ex-Senator George Mitchell zum Sondergesandten für den Nahen Osten. Dieser hatte sehr ausdauernd und schlussendlich erfolgreich das Ende des Nordirlandkonfliktes begleitet und ihm war auch die politische Gemengelage im Nahen Osten nicht fremd. Er hatte 2001 den nach ihm benannten »Mitchell-Report« verfasst, der später zur Grundlage der Road-Map wurde.

Doch Mitchells Bilanz ist nach sieben Vermittlungsmissionen im Jahr 2009 äußerst mager. Das liegt auch an den politischen Rahmenbedingungen. Einerseits haben nach dem Gaza-Krieg die israelischen Parlamentswahlen zu einem weiteren Rechtsrutsch in der israelischen Regierung geführt. Andererseits gibt es auf der palästinensischen Seite eine tiefe Spaltung zwischen der von der Fatah dominierten West-Bank und dem Hamas kontrollierten Gazastreifen. Mahmud Abbas wird als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) faktisch nur noch von außen an der Macht gehalten. Selbst in seiner eigenen Fatah-Partei hat er kaum noch Rückhalt.

Obamas Kairoer Rede

Barack Obama beherrscht den Umgang mit symbolischen Gesten. In einer Rede vor Studierenden an der Universität in Kairo am 4. Juni 2009 sprach er von „neuen Anfängen“ in der Beziehung zwischen den USA und der arabischen Welt, er sprach von „Frieden“ und vor allem von „gegenseitigem Respekt“. Obama verglich in seiner Rede die Situation der PalästinenserInnen mit denen der Schwarzen in den USA oder in Südafrika. Diese Äußerungen wurden in vielen arabischen Ländern positiv aufgenommen, sie wurden als Zeichen für eine neue Ebene der Verständigung gesehen. Gleichzeitig kam es zu starkem Widerspruch aus Israel und auch von vielen US-amerikanischen Politikern (Republikanern wie Demokraten).

Die große Begeisterung nach dieser Obama-Rede verblasste im arabischen Raum, spätestens als klar wurde, dass seine Vertreter in der UN den »Goldstone-Report« ablehnen würden – jenen Report, der im Auftrag der UN erstellt worden war, um eine völkerrechtlich Bilanzierung des Gaza-Krieges vorzunehmen. Der 575 Seiten umfassende Bericht beschuldigte sowohl Israel als auch die Hamas der Kriegsverbrechen. Die israelische Armee sieht sich in dem Bericht jedoch mit deutlich weitergehenden Vorwürfen konfrontiert als ihre palästinensischen Gegner. Dazu gehört die unterschiedslose Tötung von Zivilisten, der Einsatz international geächteter Phosphormunition und die gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur – einschließlich Schulen und Krankenhäusern.

Einfrieren des Siedlungsbaus?

»Land für Frieden«, das ist die Formel die dem Oslo-Prozess und der Road-Map zugrunde liegt. Durch einen Verzicht Israels auf die 1967 eroberten Gebiete soll die Grundlage für einen lebensfähigen palästinensischen Staat gelegt werden. Eine vertraglich garantierte friedliche Koexistenz und Friedensverträge mit den arabischen Nachbarn sollen den Friedensprozess absichern. Doch ein großer Teil des Landes, das für einen palästinensischen Staat vorgesehen ist, wird massiv durch Mauerbau, Straßen und Siedlungsbau von Israel in Besitz genommen. 460.000 Siedler leben in den besetzten Gebieten, beinahe 200.000 davon im annektierten Ost-Jerusalem.

Nach internationalem Recht sind die israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland illegal. Sie verstoßen gegen das Völkerrecht, das einer Besatzungsmacht verbietet, Bürger aus ihrem eigenen Territorium in besetztes Gebiet zu transferieren (Vierte Genfer Konvention, Artikel 49), und sie befinden sich in Widerspruch zur UN-Resolution 478 von 1980. Bereits in der Road Map wurde deswegen ein Siedlungsstopp festgelegt, doch noch keine US-Administration hat bisher entschlossen auf eine Durchsetzung gedrängt.

Im Gegenteil, George W. Bush hat im April 2004 in einem Briefwechsel mit Ariel Sharon signalisiert, die USA würden die geschaffenen Fakten als „realities on the ground“[2] anerkennen und von Israel nicht verlangen, die Hauptsiedlungsblöcke zu räumen. Daraus leitet die israelische Regierung bis heute das Recht ab, wenigstens innerhalb dieser Hauptsiedlungsblöcke (einschließlich des annektierten Ost-Jerusalem) neuen Wohnraum für Israelis bauen zu können. Entsprechend groß war die israelische Irritation, als plötzlich unter Obama von Seiten der US-Administration ein totaler Baustopp als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber den Palästinensern verlangt wurde. Bei einem Treffen Mitchells mit Netanjahu im August 2009 in London wurde allerdings deutlich, dass die Position der USA doch nicht so fest war und die US-Administration einen Kompromiss suchte.

Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Mitchell und der israelischen Regierung war dann ein zehnmonatiges Moratorium, in dem keine neuen Bauten entstehen sollen. Ostjerusalem bleibt von dieser Regelung aber ausgenommen.

Die israelische Friedensgruppe »Peace Now« beobachtet seit Jahren die Entwicklung der Siedlungen und sie wies in einer Studie im Dezember 2009 daraufhin, dass durch Ausnahmen und Tricks während des Siedlungsmoratoriums mit einem höheren Bauvolumen zu rechnen ist als im Jahr zuvor (Lara Friedman, Peace Now, 10.12.2009). Insgesamt wird trotz des offiziell »eingefrorenen« Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten zur Zeit mehr gebaut als im gesamten israelischen Kernland. US-Außenministerin Hillary Clinton bezeichnete Netanyahus Siedlungsbaukompromiss dessen ungeachtet als „bisher einmaliges“ Angebot.

Für die Palästinenser und die arabischen Nachbarn Israels ist diese Entwicklung extrem enttäuschend. Dennoch ist durch die Auseinandersetzung um ein Siedlungsmoratorium die internationale öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema stark gewachsen. Folgen dieser erhöhten Aufmerksamkeit jedoch keine konkreten Veränderungen, kann die Situation regional eskalieren, möglicherweise bis hin zu einer dritten Intifada.

Gemeinsame Sicherheitsinteressen

Vor dem Amtsantritt Obamas spekulierte die israelische liberale Tageszeitung Ha“aretz (25.12.2008), dass Obama Israel zwingen könnte, Inspektionen im israelischen Reaktor Dimona zuzulassen. Obama setzte die Frage der atomaren Abrüstung durch seine engagierte Rede in Prag im Vorfeld des NATO-Jubiläumsgipfels Anfang April 2009 dann auch tatsächlich wieder auf die internationale Agenda. Im Nahen Osten hat die Frage der atomaren Bewaffnung eine besondere Brisanz. Israel, das nie dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist, verfügt über geschätzte 200 bis 500 atomare Sprengsätze (vgl. Jürgen Rose in W&F, 4/2004, S.51-54). Es wachsen die Spannungen zwischen Israel und Iran, und gleichzeitig nimmt der internationale Druck auf den Iran zu, die Urananreicherung einzustellen, um keine eigenen Atomwaffen produzieren zu können. Unter diesen Umständen ist es sehr zu begrüßen, dass es – wohl auf Druck der US-Administration – Ende September 2009 seit 30 Jahren ein erstes Treffen zwischen Israel und Iran gab (vgl. Silke Mertins in Financial Times Deutschland vom 23.10.2009). Das Geheimtreffen fand im Rahmen einer Konferenz der Kommission zur atomaren Nichtverbreitung und Abrüstung statt. Bereits im Mai 2009 hatte die US-Regierung sehr deutlich vor einem israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen gewarnt (Aluf Benn in Ha“aretz 14.5.2009), was in Israels rechter Regierung für eine gewisse Verstimmung gesorgt hatte. Allerdings ist damit ein israelischer Angriff auf den Iran nicht ausgeschlossen, sondern lediglich an eine vorherige Koordination mit den USA gekoppelt. Offensichtlich versucht die US-Administration, Israel als treibenden Akteur im Nahen Osten in seine Schranken zu weisen, hält aber gleichzeitig an seiner Politik der Stärke und der »gemeinsamen Sicherheitsinteressen« zwischen Israel und den USA fest.

Nur wenige Tage nach dieser Warnung signalisierte am 21. Mai 2009 die Obama-Administration, dass sie Israel nicht zur Offenlegung seiner atomaren Fähigkeiten zwingen würde, sondern weiterhin die israelische Politik der nuklearen Ambiguität stützen wird.[3] Ein Schritt in Richtung eines atomwaffenfreien Nahen Osten sieht anders aus.

Verbal ist bei Obama der Anti-Terror-Kampf aus dem Fokus verschwunden. Er positioniert sich nicht – wie sein Vorgänger – rhetorisch gegen eine »Achse des Bösen«. Dennoch bleibt es bei den wesentlichen Grundlagen des gemeinsamen »Antiterrorkampfes«, und in diesen ist und bleibt Israel eng eingebunden. Bereits in Oktober 2009 gab es gemeinsame Übungen zwischen NATO und der israelischen Marine zur Überwachung des Mittelmeers. Anschließend wurde öffentlich bekannt gegeben, dass Israel an der NATO-Antiterror-»Operation Active Endeavour« (OAE) mit einem Kriegsschiff teilnehmen wird. Dies kann auch als Anzeichen interpretiert werden, dass der Plan einer möglichen NATO-Mitgliedschaft Israels von den USA ernsthafter als bisher verfolgt wird. Auf jeden Fall beteiligt sich die NATO damit direkt an der seeseitigen Blockade Gazas.

An der Nase herumgeführt?

Viele Kommentatoren urteilen, dass sich der in der internationalen Politik noch unerfahrene Obama von der israelischen Regierung an der Nase herumführen lasse. Sollte das stimmen, dann nur deshalb, weil Obama und seine Berater es akzeptiert haben. Die USA sind alles andere als machtlos gegenüber Israel. Sie können z.B. ankündigen, zukünftig kein Veto mehr gegen Verurteilungen Israels im Sicherheitsrat einzulegen. Ebenso hängt Israel von Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützung für diese Waffenlieferungen ab.

Nach wie vor erhält Israel Militärhilfe in Milliardenhöhe. Am 23. November 2009 boten die USA die Kooperation bei hochmodernen Kampfflugzeugen an, das Arrow 3 Raketensystem wird vollständig von den USA für Israel beschafft. Und am 21. Dezember hat Obama 202 Millionen Dollar für ein israelisches Raketenabwehrprogramm genehmigt.

Ein weiterer wichtiger Hebel, den die USA in der Hand halten, ist die Kreditgarantie, die die USA regelmäßig für israelische Anleihen im Ausland geben. Unter George Bush Senior wurde dieser bereits erfolgreich gegenüber dem israelischen Premierminister Yitzhak Shamir eingesetzt. Als Shamir Ende 1991 nicht zur Madrider Friedenskonferenz mit der PLO kommen wollte, drohte Bush damit, die Garantien in Höhe von 10 Milliarden Dollar zurückzuziehen. Shamir fuhr nach Madrid. Jetzt hat Mitchell laut überlegt (BBC 10.1.2010), dass die USA diesen Schritt wiederholen könnten. Dass von dieser Drohung aber zur Zeit kein größerer Druck ausgeht, liegt daran, dass im Juni letzten Jahres entsprechende Kreditgarantien für die nächsten zwei Jahre gegeben wurden. Hinzu kommt, dass Stimmen aus dem Weißen Haus zu hören waren, die sich gegen die Streichung der Garantien aussprachen.

2009: Ein verlorenes Jahr für den Friedensprozess

Das Jahr 2009 war ein verlorenes Jahr für den Friedensprozess. Wird 2010 besser? „Irgendwann muss die Administration der Tatsache ins Auge sehen, dass die Gräben zwischen beiden Seiten heute größer sind als gestern, und selbst gestern waren sie schon unüberwindba“, schreibt Robert Malley, Direktor des Nahost-Programms der »International Crisis Group« und ehemaliger Nahostberater Bill Clintons.[4]

Am 4. Januar 2010 berichtete die israelische Tageszeitung Ma“ariv von einer neuen Initiative des US-Vermittlers Mitchell, die Verhandlungen auf zwei Jahre zu begrenzen und ohne Vorbedingungen sofort beginnen zu lassen. Ob dies wirklich erfolgversprechend sein wird, hängt neben dem Ende der Belagerung des Gazastreifens von zwei wesentlichen Punkten ab. Zum einen müssen die Vermittler, und da spielen im Nah-Ost-Quartett die USA die wichtigste Rolle, tatsächlich entschlossen sein, auch Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Zum anderen sind auf der palästinensischen Seite dringend Neuwahlen nötig. Abbas hat keine Autorität mehr. Die Wahlen müssen von der PA und der Hamas gemeinsam organisiert werden, wenn die Spaltung zwischen Westbank und Gaza nicht dauerhaft zementiert werden soll. Das Nahost-Quartett muss nach dieser Wahl die Entscheidung der palästinensischen Bevölkerung – wie auch immer diese ausfallen sollte – anerkennen. Nur eine solche repräsentative palästinensische Regierung wird in einen Verhandlungsprozess stark und glaubwürdig agieren können und gleichzeitig auch die Autorität haben, dafür sorgen zu können, dass der Raketenbeschuss auf israelische Städte eingestellt wird.

Es bleibt zu hoffen, dass Obamas angeschlagene Administration die Kraft und vor allem den politischen Willen findet, einen Verhandlungsprozess in Gang zu setzen, in den alle beteiligten Kräfte einbezogen werden und der einem gerechten Frieden zum Ziel hat.

Anmerkungen
[1] http://www.aipac.org/Publications/SpeechesByPolicymakers/PC_08_Obama.pdf
[2] Vgl. Settlement Report, Vol. 14 No. 3, May-June 2004.
[3] Steve Sheffey, The Huffington Post – 13 Jan 2010.
[4] http://de.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-468/_nr-1260/i.html

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de