Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2010/004 - in: AUSDRUCK (Februar 2010)

Alle Jahre wieder: Säbelrasseln auf der Münchner Sicherheitskonferenz

Jürgen Wagner (08.02.2010)

http://imi-online.de/download/AUSDRUCK-1-2010-SiKo.pdf

Vom 5. bis zum 7. Februar 2010 versammelte sich die westliche Kriegselite nebst einigen internationalen Gästen einmal mehr bei der alljährlichen Münchner Sicherheitskonferenz, um die künftigen Militarisierungsschritte auf den Weg zu bringen. Drei Themen dominierten diesmal die Agenda: die Drohungen im Atomstreit mit dem Iran wurden nochmalig verschärft; das Drehen an der Eskalationsspirale in Afghanistan wurde als „Neuanfang“ verkauft; und in der Debatte um die künftige Ausrichtung der NATO, die noch in diesem Jahr in ein neues Strategisches Konzept münden soll, war es vor allem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der einen weit reichenden Vorschlag unterbreitete, wie das Bündnis künftig reibungsfreier – und undemokratischer – Krieg führen kann. Interessant war auch, was auf der Konferenz nahezu keine Rolle spielte, nämlich der russische Vorschlag für einen „Euroatlantischen Sicherheitsvertrag“, der als Gegenentwurf und Alternative zur NATO und damit zum westlichen Vormachtanspruch geflissentlich aus den Debatten herausgehalten wurde.

Schließlich wurde mit Catherine Ashton als neuer EU-Superministerin und mit Miguel Moratinos, dem Außenminister Spaniens, das gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft innehat, auch der Militarisierung der Europäischen Union „gebührend“ Platz auf der Konferenz eingeräumt. Abgerundet wurde das Ganze dann durch die Verleihung des Ewald-von-Kleist-Preises (früher: Friedensmedaille) an den ehemaligen EU-Außenbeauftragten Javier Solana, der sich hierfür wohl vor allem als einer der Protagonisten dieses EU-Militarisierungsprozesses qualifiziert haben dürfte.

EU: Militärisches Krisenmanagement aus einem Guss

Als Vertreter der spanischen EU-Ratspräsidentschaft legte Moratinos eine umfassende Bedrohungsanalyse vor, gegen was und wen man sich aus Brüsseler Sicht buchstäblich zu rüsten gedenkt. Einerseits betonte er, dass die Machtverschiebungen im internationalen System, weg vom Westen und hin zu potenziellen Rivalen wie China und mit Abstrichen auch Russland, eine Zunahme von Konflikten verursachen werde: „Die Geopolitik ist zurückgekehrt. Durch das Aufkommen neuer Mächte, die nach internationaler Anerkennung streben, beobachten wir eine neue ‚multipolare Welt‘. […] Eine multipolare Welt ist per Definition unberechenbarer. Sie ist zudem stärker von Konkurrenz geprägt, besonders wenn es um die Suche nach knappen Ressourcen, vor allem Energie und Wasser geht.“ Dass sich in diesem Kontext die Platzhirsche nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollen, also die westlichen Staaten weiterhin auf ihrem Vormachtanspruch beharren, zeigten hier die Debatten um die Zukunft der NATO und den Umgang mit Russland überdeutlich (s.u.).

Auf der anderen Seite benannte der spanische Außenminister ein ganzes Krisenbündel, das eine entschlossene Reaktion der Europäische Union erfordere: „Vom Jemen bis hin zur gegenwärtigen Situation in Haiti. Vom Kampf gegen den Hunger und extreme Armut, Klimawandel, der Energiekrise, dem Kampf gegen organisierte Kriminalität, Terrorismus oder Piraterie bis hin zu einem traditionellen Fall staatlicher Aggression“, mit diesen Worten wurde das Aufgabenspektrum umrissen. Und in der Tat, spätestens die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat gezeigt, wie brüchig mittlerweile das westliche dominierte neoliberale System dasteht. Die Widerstände, aber auch Armutskonflikte, nehmen derart zu, dass vonseiten der EU-Eliten Einigkeit darüber besteht, dass militärisches Krisenmanagement eine immer wichtigere Komponente zur Absicherung des neoliberalen Globalisierungsprozesses werden wird. So prognostizierte unlängst der einflussreiche „European Council on Foreign Relations“: „Jüngste Untersuchungen legen nahe, dass die Zahl an Bürgerkriegen erneut ansteigt und die Europäische Union davon ausgehen kann, vermehrt dazu aufgefordert zu werden, Soldaten in Ländern oder Regionen zu stationieren, die gerade einen Konflikt hinter sich haben.“[1] Insofern ist es nur folgerichtig, wenn Moratinos in seiner Rede forderte: „Wir müssen unsere Fähigkeit verbessern, ‚Instabilität zu managen.'“

Zu diesem Zweck sollen künftig sämtliche Machtinstrumente gebündelt werden. Ermöglicht wird dies durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon, mit dem das Amt des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen wurde. Verglichen mit Deutschland vereinigt dieser Posten, für den die Britin Catherine Ashton benannt wurde, die Kompetenzen des Verteidigungs-, Außen- sowie (teilweise) des Entwicklungsministers. Institutionell findet diese Bündelung von Machtkompetenzen im neuen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) seine Entsprechung, der ab April 2010 als neues zivil-militärisches Superministerium fungieren soll (siehe AUSDRUCK, Dezember 2009).

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz erläuterte Catherine Ashton prägnant den Sinn und Zweck sowie die gravierende Reichweite des Ganzen: „Zur Unterstützung einer einheitlichen politischen Strategie müssen wir sämtliche Einflusshebel mobilisieren – politische, ökonomische, plus zivile und militärische Krisenmanagementwerkzeuge. Die Schaffung des Europäischen Auswärtigen Dienstes ist entscheidend, um exakt die Art vereinigten Denkens und Handels zu fördern, die wir benötigen. Hierbei handelt es sich nicht um eine bürokratische Übung, sondern um eine sich nur einmal jede Generation bietende Gelegenheit, etwas Neues zu schaffen.“

Vor diesem Hintergrund ist Ashtons Versprechen auf der Sicherheitskonferenz aus friedenspolitischer Sicht mehr als Drohung zu verstehen: „Ich hoffe, sie haben nun mein Anliegen verstanden. Die Tage, in denen die Europäische Außenpolitik als Gewäsch ohne Handlungen abgetan werden konnte, sind nun vorüber.“

Iran: Säbelrasseln nimmt bedrohliche Dimensionen an

Man muss nicht automatisch ein Freund des iranischen Regimes sein, nur weil man darauf hinweist, dass die westliche Drohpolitik im Atomstreit mehr als kontraproduktiv ist. Gegenwärtiger Hauptstreitpunkt ist das Diktat der „internationalen Gemeinschaft“, nachdem es dem Iran verboten sein soll, im Land selbst Uran von gegenwärtig 3,5% auf 20% anzureichern. Wohlgemerkt, der Atomwaffensperrvertrag erlaubt dies explizit, sofern es rein zivilen Zwecken dient – und auch wenn stets Gegenteiliges suggeriert wird, ein wirklich tragfähiger Beweis, dass der Iran an einem Atomwaffenprogramm arbeitet, konnte bislang nicht erbracht werden.

Zwar werfen einige iranische Programme durchaus Fragen auf, ähnliche Unstimmigkeiten gibt es aber auch bei anderen Ländern, wo man aber gerne ein Auge zudrückt. Das missliebige Regime in Teheran wird aber grundsätzlich unter einen beweisunabhängigen Generalverdacht gestellt: „Fakt ist, dass der Iran technisch und diplomatisch machen kann, was er will – aber Ahmadinedschad und Atom sind einfach für den Westen ein Horrorszenario“, wird ein osteuropäischer Diplomat zitiert. „Daher würde der Westen einem iranischen Atomprogramm mit eigener Urananreicherung nie zustimmen.“ (dpa, 07.02.2010)

Womöglich ist es aber sogar tatsächlich so, dass Teheran versucht, schrittweise und ohne offenen Bruch des Atomwaffensperrvertrages mehr und mehr Puzzleteile zusammenzubekommen, um die Zeit zum Bau einer Bombe reduzieren zu können. Womöglich sind die iranischen Verhandlungsangebote also tatsächlich ein Spiel auf Zeit, wie dem Land von westlicher Seite stets vorgeworfen wird. Schlüssig beweisen lässt sich dies allerdings derzeit nicht. Wenn man zudem ernsthaft an einer Lösung des Atomstreits interessiert wäre, müsste die Frage der Motivation ins Zentrum gestellt werden: Seit Jahren droht ein westlicher Vertreter nach dem anderen dem Iran mit einem militärischen Angriff und zumindest Teile des Regimes sehen vor diesem Hintergrund eine Atomwaffe als einzig wirklichen Schutz an, der eine Intervention verhindern kann. Anstatt auf iranische Angebote einzugehen, die eine vollkommene Klärung sämtlicher strittiger Fragen im Austausch gegen eine verlässliche westliche Nicht-Angrifffsgarantie vorsehen, wird lieber munter weiter an der Eskalationsspirale gedreht. Hierdurch sieht sich der Iran wiederum in seiner Sorge bestätigt, in Wahrheit gehe es darum, das Land schutzlos einem Angriff auszuliefern – und reagiert seinerseits dann wiederum mit kräftigem Säbelrasseln.

Diese gefährliche Dynamik zeigt sich auch im konkreten Fall der Urananreicherung: Hier argumentiert Teheran, sie sei zum Betrieb eines Forschungsreaktors für medizinische Zwecke erforderlich. Demgegenüber sieht der Westen hierin einen weiteren Zwischenschritt auf dem Weg zur Bombe (der ist übrigens noch ein Stück, denn atomwaffenfähiges Uran muss auf über 85% angereichert werden). In diesem Zusammenhang hat die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) im Oktober 2009 den Vorschlag unterbreitet, der Iran solle niedrig-angereichertes Uran nach Frankreich und Russland exportieren und im Gegenzug stärker angereichertes für seinen Reaktor zurückerhalten. Nachdem der iranische Präsident Ahmadinedschad wenige Tage vor der Sicherheitskonferenz angedeutet hatte, eine Einigung sei vorstellbar, erklärte der iranische Außenminister Manuchehr Mottaki noch am Abend des 5. Februar, er sehe eine Beilegung des Streites in greifbarer Nähe. „Ich denke, wir nähern uns einer endgültigen Vereinbarung, die von allen Seiten akzeptiert werden kann.“

Dennoch folgte dem Auftritt des iranischen Außenministers von westlicher Seite ein Sturm der Entrüstung, verbunden mit unverhohlenen Drohgebärden in Richtung Teheran. Deshalb ist es erforderlich, sich das „großzügige Angebot“, das – glaubt man Politikern und Medien – der Iran nun so rotzfrech ausgeschlagen habe, etwas näher zu betrachten. Wie bereits erwähnt, ist die Urananreicherung – unabhängig davon, wie man persönlich zur Atomkraft steht, denn es geht hier zunächst einmal um rein rechtliche Fragen – vollkommen gedeckt durch den Atomwaffensperrvertrag. Während andere Länder, u.a. auch Deutschland, von diesem Recht eifrig Gebrauch machen, wird nun also vom Iran als einzigem Land der Erde verlangt, einen solchen „Paria-Status“ (Knut Mellenthin) zu akzeptieren. Der wesentliche Grund, weshalb die Verhandlungen in München scheiterten, dürfte darin gelegen haben, dass es der Iran gewagt hatte, im Austausch für ein solch weit reichendes Zugeständnis einige – durchaus moderate – Forderungen zu stellen: „Der Iran hat kürzlich die Bereitschaft zu dem Kompromiss signalisiert und damit eine Bedingung der IAEA erfüllt. Das Land knüpft dies aber an Bedingungen: Zeitplan, Ort und Menge des geplanten Austauschs von gering angereichertem Uran gegen höher angereicherte Brennstoffe will die Regierung in Teheran selbst bestimmen.“ (Reuters, 06.02.2010)

Nachdem der Iran hiervon auch auf der Sicherheitskonferenz offenbar nicht abrücken wollte, folgten nachgerade hysterische Reaktionen seitens der westlichen Vertreter. Am deutlichsten wurde US-Senator Joseph Lieberman: „Wir müssen uns entscheiden: Entweder für harte Wirtschaftssanktionen, damit die Diplomatie funktioniert, oder wir stehen vor militärischem Eingreifen.“ Aber auch Ex-Präsidentschaftskandidat John McCain nahm in München kein Blatt vor den Mund: „Der Auftritt von Außenminister Manuchehr Mottaki schreit danach, dass wir die Konsequenzen ziehen.“ Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beschwerte sich, die ausgestreckte Hand des Westens würde vom Iran „nicht nur nicht ergriffen, sondern weggeschlagen.“ Nun sei der Uno-Sicherheitsrat gefragt, darauf zu reagieren. Dabei könne es auch sein, „dass die Sanktionsschraube angezogen werden muss.“ Auch Guido Westerwelle plädierte für eine „härtere Gangart“. Wenn außerdem ein FDP-Außenminister die Wirtschaft darauf vorbereitet, sie müsse sich nun auf Einbußen im Iran-Geschäft einstellen, zeigt dies den Ernst der Lage überdeutlich. Immerhin belief sich Deutschlands Außenhandelsüberschuss mit dem Iran auf beträchtliche 3.3 Mrd. Euro im Jahr 2008[2]: „Ich habe Vertretern der deutschen Wirtschaft und Industrie bereits mitgeteilt, dass wir die Ausweitung von Sanktionen nicht ausschließen können. Ich bekam dann die Frage gestellt, ob ich wisse, was das koste. Ja, das weiß ich. Aber eine atomare Bewaffnung des Irans käme die deutsche Wirtschaft und die ganze Welt deutlich teurer zu stehen.“ (Die Welt, 07.02.2010)

Dies alles geschah am Samstag während der Sicherheitskonferenz. Darauf hin kam es, wie es kommen musste. In bewährter Manier reagierte der iranische Präsident auf das Säbelrasseln und erklomm seinerseits die nächste Sprosse der Eskalationsleiter. Am Sonntagmorgen meldeten die Agenturen: „Präsident Ahmadinejad hat der iranischen Atomenergiebehörde den Auftrag erteilt, mit der Anreicherung von Uran auf 20 Prozent zu starten.“ (Kurier, 07.02.2010) Wenn der Westen nicht endlich die Kernfrage der ganzen Problematik angeht, das iranische Interesse an einer Nicht-Angriffsgarantie, ist es gut möglich, dass beide Seiten sich in diesem Streit gegenseitig bis hin zu einem bewaffneten Konflikt hochschaukeln.

Zwar erwähnte Barack Obamas Nationaler Sicherheitsberater James Jones Militärschläge mit keinem Wort, sondern „nur“ eine Verschärfung von Sanktionen, dies dürfte aber eher dem geschuldet sein, dass aufgrund der laufenden Kriege im Irak, in Afghanistan und anderswo, das US-Militär gegenwärtig ohnehin kaum hierzu in der Lage wäre. Die aktuelle westliche Strategie scheint vielmehr darauf hinauszulaufen, sich die Option offen zu halten, jederzeit einen Angriff durchführen zu können, sollte man dies für erforderlich erachten. Eine Nicht-Angriffsgarantie steht diesem Interesse ebenso im Wege, wie ein möglicherweise vorhandenes iranisches Abschreckungspotenzial – und damit ist auch schon der Kern des ganzen Atomstreits benannt, der Unwille auf den Anspruch zu verzichten, im ölreichen Mittleren Osten jederzeit die Verhältnisse militärisch im eigenen Sinne zurechtzurücken.

Afghanistan: Weiter so als Wendepunkt

Jedem, der nicht bei drei auf dem Baum war, wurde auf der Sicherheitskonferenz eingetrichtert, mit der neuen Afghanistan-Strategie, die auf dem Londoner-Treffen der kriegführenden Staaten am 28. Januar beschlossen wurde, sei man nun endlich auf einem guten Weg. In München bedankte sich der afghanische „Präsident“ Hamid Karzai mit den Worten, er wolle zu Beginn betonen, „wie dankbar das afghanische Volk der internationalen Gemeinschaft für ihr unermüdliches Engagement ist.“ Weiter hob er die „enormen Errungenschaften“ hervor, die seit Kriegsbeginn erreicht worden seien. Was er damit wohl gemeint haben dürfte? Etwa, dass die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße im Jahr 2009 nochmals drastisch gestiegen und auch die Zivilopfer einen neuen Höchstsand erreicht haben? Dass die Vereinigten Staaten allein 2010 deutlich über 100 Mrd. Dollar für den Krieg ausgeben werden, während ein Bruchteil dieses Betrages für die Verbesserung der sozialen Lage aufgewendet wird? Oder etwa die mehr als fragwürdige Wiederwahl seiner „demokratischen“ Regierung, ein aus Kriegsverbrechern zusammengesetzter korrupter Haufen, der laut „United Nations Office on Drugs and Crime“ etwa 75% der Profite aus dem Drogenhandel einstreicht?

Im Wesentlichen wurden in München lediglich die Beschlüsse der Londoner-Konferenz bestätigt. Diese wiederum sind eine bloße Fortschreibung der im März 2009 verkündeten US-Eskalationsstrategie – von einem Wendepunkt kann also keinerlei Rede sein. Kernelemente sind hierbei eine massive westliche Truppenerhöhungen verbunden mit dem Versuch, schnellstmöglich die afghanischen Polizei- und Armeekräfte soweit aufzubauen, dass sie in der Lage sind, in Bälde große Teile der Kampfhandlungen im Alleingang zu übernehmen. Der Weg Afghanistans in Richtung eines autoritären Militärstaates ist damit vorgezeichnet, werden der Regierung doch die Repressionsapparate an die Hand gegeben, um den Widerstand im eigenen Land gewaltsam unterdrücken zu können (siehe auch den Beitrag von Michael Haid in dieser Ausgabe des AUSDRUCK). Insofern bestätigte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen auf der Sicherheitskonferenz lediglich den bisherigen Kurs: „Afghanistan ist ein selbstständiges Land, das sich selbst verteidigen und auf eigenen Füßen stehen muss.“ Ähnlich klang Verteidigungsminister zu Guttenberg: „es ist an den Afghanen selbst, die Zukunft des Landes in die Hände zu nehmen.“

Allenthalben wurde in München zudem auch betont, man müsse die Zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) weiter intensivieren, denn von der Einbeziehung ziviler Akteure erhofft man sich eine Effektivierung der Militäreinsätze. Angesichts der Vorbehalte ziviler Akteure, sich vor den Karren der westlichen Kriegspolitik spannen zu lassen, las ihnen NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gründlich die Leviten. Er bedauere, dass in Afghanistan, wo CIMIC erstmals in großem Stil erprobt wird, nach wie vor viele zivile Organisationen zu wenig Bereitschaft an den Tag legen würden, mit dem Militär zu kooperieren. „Sie planen nicht zusammen, sie arbeiten nicht zusammen, sie meiden das Militär, um ihre Unabhängigkeit zu betonen. Ein Ende dieser Zersplitterung erfordert eine wirkliche Kulturrevolution, die mit herkömmlichem Denken bricht.“

Dies dürfte jedoch die Kritik an der Vereinnahmung humanitäre Hilfe für militärische Zwecke, die etwa Ende Januar von einigen der größten internationalen Nicht-Regierungsorganisationen geäußert wurde, wohl kaum abmildern.[3] Auch VENRO, der Dachverband der deutschen entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen, veröffentlichte unlängst einen flammenden Verriss: „[CIMIC] bedeutet in der Konse­quenz, dass die staatliche Entwicklungszusammenarbeit und Aufbauhilfe den militärischen Zielen im Sinne einer ‚Aufstandsbekämpfung‘ untergeordnet ist. […] Diese Vereinnahmung der Entwicklungshilfe durch das in­ternationale Militär [verursacht] eine unselige Vermischung von Interes­sen und Zielen, die der Sache der Armutsbekämpfung und Entwicklungsförderung abträglich ist.“[4]

Dennoch wird an der Eskalationsstrategie und dem gesamten bisherigen Ansatz eisern festgehalten – koste es die afghanische Bevölkerung, was es wolle. Schließlich stellt der Krieg die größte Bewährungsprobe, den „Lackmustest für die Zukunft der NATO“ (Angela Merkel) dar. So dürfte US-Hardliner John McCain mit seiner Prognose während der Sicherheitskonferenz wohl leider recht behalten: „Dieses Jahr wird ein sehr hartes Jahr in Afghanistan, die Zahl der Opfer des Nato-Einsatzes wird steigen.“

NATO: Krieg im Dissens?

Inzwischen liegt der genaue Fahrplan für die Aktualisierung des Strategischen Konzeptes vor, die von den versammelten Staats- und Regierungschefs beim NATO-Gipfel im April 2009 in Auftrag gegeben wurde. Bis April 2010 soll ein Vorschlagskatalog von einer hochrangigen Gruppe ausgearbeitet werden, die von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen einberufen wurde. Den Vorsitz dieser Gruppe hat die ehemalige US-Außenministerin Madeline Albright, ihr Stellvertreter ist Jeroen van der Veer, der ehemalige Geschäftsführer von Royal Dutch Shell. Ende 2010 will Fogh Rasmussen zum NATO-Herbstgipfel in Lissabon ein endgültiges Konzept zur Absegnung vorlegen.

Dem deutschen Verteidigungsminister zu Guttenberg war es vorbehalten, den wichtigsten Vorschlag zur institutionellen Reform des Bündnisses in die Debatte einzuspeisen. Ein großes Manko wird schon länger darin gesehen, dass bislang sämtliche Entscheidungen innerhalb der NATO im Konsens getroffen werden müssen. Die erforderlichen komplizierten Aushandlungsprozesse behindern somit die rasche und vor allem widerspruchsfreie Kriegsführung. Zudem erhalten kleinere Mitgliedsstaaten hierüber gewisse Einflussmöglichkeiten auf die NATO-Politik, die den Großmächten ein Dorn im Auge sind. Aus diesen Gründen forderten bereits die beiden wichtigsten Vorschlagskataloge zur neuen NATO-Strategie, das Konsensprinzip weitestgehend abzuschaffen. So schreiben mehrere der wichtigsten US-Denkfabriken in einem Papier: „Obwohl das Konsensprinzip ein wichtiges Symbol des Zusammenhalts ist, besonders, wenn der Nordatlantikrat über die Entsendung von Truppen abstimmt, erlaubt das Konsensprinzip einem Land, die Wünsche aller anderen Länder zu blockieren und führt außerdem zu Entscheidungen auf der Ebene des kleinsten gemeinsamen Nenners.“[5] Genau diese Überlegungen wurden nun mit Karl-Theodor zu Guttenberg auf der Münchner Sicherheitskonferenz erstmals von einem Minister aufgegriffen: „Wir reden zu viel und wir erreichen zu wenig.“ Die Einstimmigkeit in allen Gremien der Nato sei eine „gepflegte Absurdität“. Ein Prachtstück aus der Abteilung Logik ist die Art, wie die „Deutsche Presseagentur“ (07.02.2010) die Kernaussage des Verteidigungsministers zusammenfasst: „Die NATO müsse weiter am Konsensprinzip festhalten, doch solle dies nicht immer Einstimmigkeit bedeuten.“ (dpa, 07.02.2010)

Wie genau die Entscheidungsmechanismen „reformiert“ werden sollen, bleibt gegenwärtig noch völlig im Dunkeln. Geht es um eine 2/3-Mehrheit oder genügen mehr als 50% der Stimmen? Und vor allem, soll das Prinzip „Ein-Staat-Eine-Stimme“ gelten oder soll nach der so genannten „doppelten Mehrheit“ verfahren werden, die bereits innerhalb der Europäischen Union mit dem Lissabon-Vertrag erfolgreich durchgeboxt werden konnte. Dabei wird auch die Bevölkerungsgröße in den Stimmanteil mit hineingerechnet, was naturgemäß zu einer dramatischen Machtverschiebung zugunsten der Großmächte führt. Jedenfalls darf man gespannt sein, wie die kleineren Mitgliedsstaaten auf diese Überlegungen reagieren werden, ihre Macht- und Einflussmöglichkeiten derart zu beschneiden.

Russland: Raketenabwehrschach statt Abrüstung

Auffällig war, dass auf der Sicherheitskonferenz viel Aufhebens um das Thema nukleare Abrüstung gemacht wurde, ein Bereich, in dem man um Moskau nun einmal nicht herumkommt, auf der anderen Seite aber schon im unmittelbaren Vorfeld der Konferenz die Vorschläge für einen „Euroatlantischen Sicherheitsvertrag“ dem Reißwolf übergeben wurden.

Mit viel Pomp hat sich der neue US-Präsident Barack Obama das Thema nukleare Abrüstung auf die Fahnen geschrieben – und nicht zuletzt hierfür einen Friedensnobelpreis eingeheimst. Die im September 2009 getroffene Entscheidung der US-Regierung, auf die von Russland scharf abgelehnte Stationierung von Teilen ihres Raketenabwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik zu verzichten, sei ein großes Zugeständnis an Moskau und erfordere entsprechende Gegenleistungen, so lautet in etwa die gegenwärtige Einschätzung von Politik und Medien. In Wahrheit wurden die Pläne lediglich – und das wohl auch eher aufgrund technischer Probleme – auf das Jahr 2015 verschoben.

Mehr noch, der „Alternativplan“, die Stationierung von erprobten SM-3-Abwehrraketen in anderen Staaten, stellt ebenfalls eine Bedrohung des russischen Abschreckungspotenzials dar. Zumal US-Verteidigungsminister Robert Gates betonte, es gehe um „zahlreiche SM-3-Raketen im Gegensatz zu dem alten Plan, der lediglich die Stationierung von 10 Abfangraketen [in Polen] beinhaltete.“[6] Kurz vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz wurde dann auch noch bekannt, Rumänien habe einer Stationierung von SM-3s zugestimmt. Natürlich argumentiert die US-Regierung, es gehe ausschließlich darum, einer Bedrohung vonseiten des Iran zu begegnen. In Russland glaubt dies jedoch kein Mensch. So gab Moskaus Botschafter bei der NATO, Dimitri Rogosin, an: „Vielleicht sind sie [die SM-3-Stationierungen] gegen den Iran gerichtet. Aber dasselbe System kann gegen jeden anderen Staat, einschließlich des russischen strategischen Nukleararsenals ausgerichtet werden. Die Vereinigten Staaten verwenden die iranischen Aktionen dafür, ihr Raketenabwehrsystem zu globalisieren. […] Unser Militär sollte sich nicht nach Versprechungen oder Vermutungen richten. Wir müssen auf der Annahme agieren, dass sich ein feindliches Militärpotenzial unseren Grenzen nähert.“[7]

Aus russischer Sicht stellt der US-Abwehrschild keine Defensivwaffe dar, sondern ein wichtiger Bestandteil des US-amerikanischen Versuches, ein Erstschlagspotenzial zu erlangen: zuerst würde der Großteil des russischen Arsenals ausgeschaltet, der Rest könnte von dem Raketenschirm neutralisiert werden, so Moskaus Sorge. Ebenfalls Ende Januar wurde zudem bekannt, dass Washington nun doch bis März 2010 die Stationierung von Patriot-Abfangraketen in Polen plant – auch nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme. Da diese Raketen an der polnisch-russischen Grenze in unmittelbarer Nähe zu Kaliningrad platziert werden sollen, sei dies geeignet, „bei uns tiefe Besorgnis zu erregen“, sagte Rogosin gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Novosti (29.01.2010).

Russland wird vor diesem Hintergrund kaum zu weit reichenden atomaren Abrüstungsgesprächen bereit sein, schließlich stellen Nuklearwaffen aus Moskauer Sicht das letzte Bollwerk gegenüber einer noch dreisteren westlichen Aggressionspolitik dar, wie auch den NATO-Strategen klar sein dürfte. Aber auch für Laien und Politiker untermauerte Präsident Dimitri Medwedew unmissverständlich, dass man sich auf Kollisionskurs befindet, indem er lediglich einen Tag vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz die bis 2020 angelegten „Grundlagen der atomaren Abschreckungspolitik“ absegnete: „Als Hauptgefahren für Russland werden in der Doktrin die Erweiterung der NATO und das Aufstellen eines globalen Raketenabwehrsystems bezeichnet. Die nordatlantische Allianz sei bestrebt, in Verletzung des Völkerrechts globale Funktionen wahrzunehmen und die militärische Infrastruktur näher an die russischen Grenzen heran zu bringen, darunter durch die Erweiterung des Blocks.“ (Ria Novosti, 05.02.2010) Auf der Sicherheitskonferenz selbst hielt auch der russische Außenminister Sergej Lawrow mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg. „Die Nato hat all ihre Versprechen gebrochen, die Allianz nicht an unsere Grenzen auszudehnen. Sie organisiert ihre eigene Sicherheit auf Kosten der Sicherheit Russlands.“

Auf diese Kritik wurde wie üblich damit reagiert, Moskau mehr oder weniger paranoides Verhalten zu unterstellen. Man stehe sich schließlich freundschaftlich gegenüber, deshalb könne egal welche Maßnahme der NATO per se keine Bedrohung Russlands darstellen: „Ich muss sagen, dass die neue Doktrin nicht die reale Welt spiegelt“, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz (Der Standard, 06.02.2010). Wenn die westlichen Staaten Russland jedoch wirklich so wohlgesonnen wären, wie sie es stets behaupten, dann hätten sie die Pläne zum Aufbau einer alternativen euroatlantischen Sicherheitsarchitektur nicht derart in die Tonne getreten, wie dies nun der Fall war.

Russland, setzen! Keine Euroatlantische Sicherheitsarchitektur

Im Juni 2008 ging der russische Präsident Dimitri Medwedew in die Offensive und kündigte an, er strebe den Abschluss eines „Euroatlantischen Sicherheitsvertrags“ an. Zwar wurden kurz darauf bereits erste Inhalte bekannt, en detail wurde der Vertrag jedoch erst Ende November 2009 veröffentlicht.[8] Vertragsparteien des legal bindenden Dokuments sollen alle Staaten von „Vancouver bis Wladiwostok“ (also auch die USA und Kanada) und die dortigen internationalen Strukturen sein (NATO, OSZE, GUS…). Kern des Vertrages ist die „unteilbare Sicherheit“, dass also keine Vertragspartei Handlungen ergreifen darf, die sich negativ auf die Sicherheit eines anderen Vertragspartners auswirken. Sollte ein Land dies so sehen, kann es einen schwammig formulierten Konsultationsprozess in Gang setzen, ein Verfahren, dessen Ziel auf der Hand liegt: „Diese Unklarheit scheint auch ganz bewusst gewählt zu sein. Denn ohne eine Präzisierung würde das Prinzip der ‚unteilbaren Sicherheit’ letztlich Russland ein indirektes Vetorecht gegen fast jede Entscheidung der NATO geben – von der Osterweiterung über die Stationierung von amerikanischen oder NATO-Truppen in anderen Ländern bis hin zu Einsätzen im euro-atlantischen Raum.“[9]

Nicht verwunderlich also, dass selbst der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, der eigentlich zum schwindenden halbwegs pro-russischen Teil der deutschen Eliten zählt, dem Vertrag bereits im Dezember 2009 eine mehr oder weniger deutliche Absage erteilte.[10] Wer es da noch nicht begriffen hatte, dass die NATO-Staaten keinerlei Absicht hegen, Russland ein wirkliches Mitspracherecht in europäischen Sicherheitsfragen einzuräumen, den belehrte US-Außenministerin Madeline Albright in einer Rede Ende Januar 2010: „Russland ist laut der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright lediglich einer der vielen Nato-Partner, das Bündnis benötige keine Belehrungen aus Moskau. Russland müsste ’nicht das Ei sein, das die Henne belehrt‘, sagte Albright.“ (RIA Novosti, 28.01.2010) Auch bezüglich der konkreten Pläne für einen „Euroatlantischen Sicherheitsvertrag“ gab Albright einen Tag vor Beginn der Sicherheitskonferenz die Richtung vor: „Wir glauben daran, dass die Erweiterung von Nato und Europäischer Union Stabilität und Fortschritt auf dem gesamten Kontinent befördert haben – auch in Russland. […] Wir sehen die beste Lösung darin, bestehende Institutionen wie die OSZE und den Nato-Russland-Rat zu stärken, statt neue Verträge zu schließen, wie Moskau es vorgeschlagen hat.“ (Süddeutsche Zeitung, 05.02.2010)

Nach dieser Steilvorlage wurde das Thema bis auf wenige zarte Hinweise, im Sinne von, darüber könne man sich ja vielleicht mal unterhalten, dann auch auf der Sicherheitskonferenz selbst stillschweigend beerdigt. Deutlicher hätten die NATO-Staaten ihren Vormachtanspruch auf dem eurasischen Kontinent kaum untermauern können.

Preiswürdiger Kriegstreiber

Wie eigentlich jedes Jahr wurde schließlich auch diesmal ein dem Anlass würdiger Empfänger des Ewald-von-Kleist-Preises gefunden. Der diesjährige Preisträger Javier Solana reiht sich ein in einen so illustren Haufen bestehend aus Leuten wie dem Kriegsverbrecher Henry Kissinger oder dem US-Hardliner John McCain. In seiner Funktion als EU-Außenbeauftragter von 1999 bis 2009 war er maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Europäische Union ein Akteur geworden ist, für den Gewalt zur Durchsetzung seiner Interessen mehr und mehr die Normalität darstellt – mittlerweile über 20 EU-Einsätze sprechen eine deutliche Sprache. Danke Javier!

Anmerkungen

[1] Korski, Daniel/Gowan, Richard: Can the EU rebuild failing states? ECFR Policy Paper, October 2009, S. 39.
[2] Germany Trade & Invest: Wirtschaftsdaten kompakt: Iran, November 2009: http://www.gtai.de/ext/anlagen/PubAnlage_6939.pdf?show=true
[3] Quick Impact, Quick Collapse: The Dangers of Militarized Aid in Afghanistan, 27.01.2010: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Afghanistan/care.pdf
[4] Was will Deutschland am Hindukusch?, VENRO-Positionspapier 7/2009.
[5] The Washington NATO Project (Atlantic Council of the United States/Center for Strategic and International Studies/Center for Technology and National Security Policy/Center for Transatlantic Relations): Alliance Reborn: An Atlantic Compact for the 21st Century, February 2009, S. 43. Siehe auch das Papier fünf ehemaliger hoher NATO-Generäle: Naumann, Klaus u.a.: Towards a Grand Strategy for an Uncertain World: Renewing Transatlantic Partnership, 21.01.2008, S. 125: „Deshalb schlagen wir vor“, so die Autoren des Naumann-Papiers, „dass die NATO das Konsensprinzip auf allen Ebenen unterhalb des NATO-Rates aufgibt und auf Komitee- und Arbeitsgruppenebene Mehrheitsentscheidungen einführt.“
[6] Gates, Robert: A Better Missile Defense for a Safer Europe, New York Times, 19.09.2009.
[7] Kim, Lucian: U.S. Uses Iran Pretext to Globalize Its Defenses and Threaten Russia, Globalresearch.ca, 06.02.2010.
[8] European Security Treaty, November 29, 2009 (unofficial translation): http://eng.kremlin.ru/text/docs/2009/11/223072.shtml
[9] Klein, Margarete: Medwedews Vorschlag für einen euroatlantischen Sicherheitsvertrag, in: russland-analysen Nr. 193, 04.12.2009.
[10] Ischinger, Wolfgang: Keine Angst vor Medwedew!, Monthly Mind Dezember 2009: http://www.securityconference.de/Monthly-Mind-Detailansicht.67+M5c3ea044466.0.html

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