Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

Pressebericht - Schwäbisches Tagblatt, 23.11.2009

Mehr Kapitalismuskritik

Zwei Tage ging die Informationsstelle Militarisierung der ökonomischen Krise nach

Pressebericht / Schwäbisches Tagblatt / Wolfgang Albers (23.11.2009)

Die Krise und der Krieg – da wachsen könnte was zusammenwachsen. Anlass für die Informationsstelle Militarisierung (IMI) für einen Kongress.

So amtlich ihr Titel klingt – die IMI ist ein Verein aus Tübingen, der mit kritisch-linkem Blick die weltweiten Konflikte beobachtet und untersucht. Linke Gegenöffentlichkeit (so hat man das früher genannt), die über zwei Tage lang ein weniger beachtetes Thema unter dem Titel „Krisenmanagement“ beackerte: die europäische und auch deutsche Präsenz von Soldaten in Krisengebieten vor allem in Afrika.

Was mit humanitären Einsätzen und Stabilisierung begründet wird, hat für Tobias Pflüger, IMI-Vorstandsmitglied, einen ganz andern Hintergrund. Die europäischen Streitkräfte hätten den Auftrag, oft in Kooperation mit den alles andere als demokratischen Eliten, Proteste der einfachen Menschen dort klein zu halten. Um zum Beispiel wirtschaftliche Interessen nicht zu gefährden. Oder um die Zustände nicht explodieren zu lassen, was Flüchtlingsströme Richtung Europa auslösen könnte. Also Vorveldverteidigung des Wohlstands.

Wie weit sie das Militärische inzwischen als Komponente der europäischen Politik sehen, erläuterten etliche Vortragende. Sie referierten etwa über „Globale Machtverschiebungen“, „Krisenmanagement als Regierungstechnik“ oder über die „Ausbildung von Soldaten in Drittstaaten“. Und über die „Militarisierung von Forschung und Lehre“. Weil die Universitäten auf Drittmittel angewiesen sind, nehmen sie immer mehr Bundeswehr-relevante Forschung an. Die Informationsstelle hat aus Bundestagsdrucksachen Projekte an 27 Hochschulen ausgemacht. Außerdem hat die EU für 1.4 Milliarden Euro das „Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit“ aufgelegt, an dem, sagt Tobias Pflüger, auch die Universität Tübingen beteiligt ist. Bloß wie? Das sei noch zu recherchieren.

Überhaupt sei die EU militaristischer geworden. Pflüger weist auf den Lissabon-Vertrag hin: „Damit kann der EU-Haushalt für Militärisches genutzt werden – bislang war das verboten.“ Verschärft sehen die Initiatoren des Kongresses die Entwicklung durch die Weltwirtschaftskrise. Auf ihre Symptome in den armen Ländern werde mit einem permanenten militärischen Krisenmanagement reagiert, statt ihre Ursachen zu bekämpfen. Diese nahm sich ein prominenter Redner vor. Aus Berlin war Elmar Altvater angereist, langjähriger Politikprofessor an der Freien Universität. Und ein bekennender Linker: „Diese Krise zeigt, dass Karl Marx völlig richtig liegt und dass sie sich genau mit seinen Analysen begreifen lässt.“

Militärisches Konfliktpotenzial durch die Krise sieht Elmar Altvater vielfach. er weist auf den Streit um die Biomasse hin („Damit kann man hungrige Mäuler stopfen oder Benzin produzieren.“) und auf den Trend, dass immer mehr menschenreiche Staaten wie China in anderen Ländern Flächen kaufen: „Chinesische Bauern ernten im Sudan Getreide für ihr Volk.“ Selbst Peer Steinbrücks Kavallerie-Zitat gegenüber Lichtenstein wertet er als militärische Erpressung: „Und schon gehorchen die.“ Besonders erschreckend an der jetzigen Krise findet er den Vergleich mit den 1930er Jahren: „Es hatte nur wenige Jahre gedauert bis zum Zweiten Weltkrieg“ Wird sich das wiederholen? Elmar Altvater beunruhigt vor allem dies: „Jetzt baut sich schon wieder eine Spekulationsblase auf, aber wenn die platzt, hat man nicht mehr wie jetzt die Möglichkeit des billigen Geldes.“

All das ergibt für ihn ein Fazit: „Unsere politische Aufgabe ist es, die Katastrophe zu verhindern. Dabei müssen wir uns wieder mehr der Kapitalismuskritik zuwenden wie in der Vergangenheit. Wir haben uns eines Instruments beraubt, das wir dringender benötigen denn je.“ Der übervolle Raum, in dem Altvater auftrat, war übrigens der Vortragssaal des Deutsch-Amerikanischen Instituts. „Dass wir hier tagen, ist quasi eine politische Revolution“, würdigte Pflüger den für Linke ungewohnten Ort. „In diesem Haus herrschte lange Jahre eine Kalter-Krieg-Stimmung, und früher haben nicht wenige Demos vor dem ‚dai‘ einen Stopp gemacht.“

Elmar Altvater vernahm’s fast gerührt: „Ich habe noch nie eine Revolution erlebt, obwohl ich immer von ihr geträumt habe. Aber die absurdesten Träume werden manchmal wahr – zumindest wenn man nach Tübingen kommt.“

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