Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

[0309] Repression gegen IMI-Vorstand Tobias Pflüger / Lissabon Vertrag

(20.07.2009)

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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0309 ………. 13. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich zuerst eine IMI-Mitteilung zu den Versuchen der Münchner Staatsanwaltschaft I, unser Vorstandsmitglied Tobias Pflüger zu kriminalisieren. Der Prozess gegen ihn wegen seiner Aktivitäten im Kontext der Münchner Sicherheitskonferenz soll am morgigen Dienstag in München stattfinden. Anschließend noch eine erste Einschätzung bzgl. der Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Vertrag von Lissabon.

1.) Repression gegen IMI-Vorstand Tobias Pflüger

IMI-Mitteilung
Justizstalking der Münchner Staatsanwaltschaft I
Die Repression gegen IMI-Vorstand Tobias Pflüger nimmt absurde Züge an!
https://www.imi-online.de/2009.php3?id=1989
20.7.2009, IMI

Morgen um 12.30 Uhr gibt es einen neuen Prozess gegen Tobias Pflüger vor dem Landgericht München I (Nymphenburger Str. 16, Zi.Nr. A-208/II). Es geht immer noch um die alte Geschichte der angeblichen Beleidigung von Polizisten bei den Gegenaktivitäten gegen die Sicherheitskonferenz 2005.

Versuche, diesen Gerichtstermin aufzuheben, weil von Tobias Pflüger ein Antrag auf Schutz seiner Immunität läuft, ignoriert das Landgericht München I. Eigentlich dürfte dieser Prozess überhaupt nicht stattfinden.

Auf Basis frei erfundener Anschuldigungen war IMI-Vorstand Tobias Pflüger für sein Engagement während der Münchner Sicherheitskonferenz 2005 am 2. März 2009 wegen Beamtenbeleidigung verurteilt worden. Das Urteil lautete auf 60 Tagessätze à 200 Euro – also 12.000 Euro! – Strafe. Damit gelang der Münchner Staatsanwaltschaft I endlich, woran sie bislang in vier! vorherigen Versuchen gescheitert war, nämlich eine Verurteilung des Antikriegsaktivisten zu erreichen (genaueres zum Hintergrund s.u.).

Nun nimmt aber der Feldzug der Münchner Staatsanwaltschaft I immer groteskere Züge an. Nicht nur Tobias Pflüger ging in Berufung, da er sich gegen die haltlosen Anschuldigungen zur Wehr setzen wollte, auch die Münchner Staatsanwaltschaft tat es ihm nach. Sie pocht nun darauf, das ohnehin schon vollkommen unverhältnismäßig hohe Strafmaß in einer Berufungsverhandlung, die am 21. Juli 2009 wiederum in München stattfinden wird, weiter in die Höhe zu schrauben.

Die Begründung ist interessant: „Diese Strafe wird dem Unrechtsgehalt der vom Angeklagten begangenen Straftat nicht gerecht. Es hätte sich noch stärker strafverschärfend auswirken müssen, dass der Angeklagte Europaparlamentsabgeordneter war und sich als solcher versuchte, Vorrechte gewähren zu lassen.“

Dies würde ein Sonderstrafmaß bedeuten, weil Tobias Pflüger Europaabgeordneter war. Gegen solche, wie von der Staatsanwaltschaft München I gewünschte, diskriminierende Sonderstrafen für jemanden, weil er Abgeordneter war oder ist, soll die parlamentarische Immunität u.a. schützen. Deshalb bietet das Europäische Parlament Abgeordneten die Möglichkeit, Schutz gegen „fortgesetzte Verfolgung“ durch staatliche Behörden zu beantragen und genau um diesen Schutz hat Tobias Pflüger am 5. Mai in der letzten Plenartagung des Europäischen Parlamentes, dem er angehört hat, gebeten, da dies die einzige Möglichkeit zu sein scheint, die Staatsanwaltschaft München I zu stoppen.

Wie einem Schreiben vom ehemaligen Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering zu entnehmen ist, liegt dem Europäischen Parlament der Antrag auf Schutz der parlamentarischen Immunität von Tobias Pflüger insbesondere in Bezug auf dieses beantragte Sonderstrafrecht seit der Plenartagung am 5. Mai 2009 vor. Somit muss das Strafverfahren normalerweise ruhen, solange dieser Antrag auf Schutz der Immunität läuft. Der neue Rechtsausschuss des Parlamentes konstituiert sich gerade. Mit einer Behandlung des Antrags ist recht zügig in einer der ersten Sitzungen des Rechtsausschusses zu rechnen, das wäre wohl nach Auskunft des Ausschusssekretariates im September. Dann wird dort nach Anhörung ein Bericht erstellt, der anschließend in die nächste Plenartagung gegeben wird, das wäre wohl im Oktober. Die Plenartagung entscheidet dann endgültig, ob dem Antrag stattgegeben wird.

Mit einem erneuten Schreiben an Tobias Pflüger hat das Europäische Parlament noch einmal ausdrücklich bestätigt, dass sich der Immunitätsschutz auch auf ehemalige Abgeordnete bezieht und zwar im Zeitraum ihres Mandates. Deshalb müsste das Verfahren am Landgericht München so lange ruhen, bis das Europäische Parlament über den Antrag auf Schutz der Immunität entschieden hat.

Darüber setzt sich die zuständige Richterin am Landgericht München I aber hinweg. Angeblich plant die Staatsanwaltschaft nun darüber hinaus auch noch, den eigentlich längst fallen gelassenen Vorwurf der Körperverletzung wieder aufzugreifen. Die Chancen auf einen fairen Prozess am 21. Juli sind also gering.

Worum es hier eigentlich geht ist klar: Die Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz und die diesbezüglichen Aktivitäten Tobias Pflügers sind den Münchner Behörden schon lange ein Dorn im Auge. Deshalb wird bereits seit Langem versucht, gegen ihn gerichtliche Repressionsmaßnahmen einzuleiten. Nach vier erfolglosen Versuchen hat die Münchner Staatsanwaltschaft I nun mit dem jüngsten Urteil offensichtlich Oberwasser bekommen.

Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) kritisiert die Repressionsmaßnahmen gegen ihr Vorstandsmitglied aufs Schärfste. Sie fordert die Münchner Staatsanwaltschaft I auf, ihren Kreuzzug gegen Tobias Pflüger umgehend zu beenden. Weiter fordert sie die zuständige Richterin auf, einen fairen Prozess zu garantieren.

Wir freuen uns über jegliche Form von Solidaritätsadressen mit Tobias Pflüger (Mail: imi@imi-online.de). Ferner hoffen wir, dass möglichst viele Menschen vor und während des Prozesses am 21. Juli die Verhandlung nutzen, um nicht nur auf die skandalösen Umstände in diesem speziellen Fall aufmerksam zu machen. Vielmehr ist das Vorgehen gegen Tobias Pflüger symptomatisch für die in den letzten Jahren erheblich zunehmenden Repressionsmaßnahmen gegen die gesamte Friedens- und Antikriegsbewegung, die es in diesem Zuge zu thematisieren gilt.

Weitere Informationen: www.imi-online.de Telefon: 07071-49154

Zum Hintergrund:

Drei Polizisten werfen Tobias Pflüger Beleidigung vor. Sie hatten den Europaabgeordneten bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2005 daran gehindert, Zugang zu einem brutal Festgenommenen zu bekommen. Auch gaben sie keine Informationen über den Festnahmevorgang heraus. Anscheinend weil Tobias Pflüger ankündigte, sie wegen Rechtsbeugung anzuzeigen, initiierten die Polizisten eine Anzeige gegen ihn. Eine Beleidigung ist von Seiten von Tobias Pflüger allerdings nicht gefallen. Die angeblich gefallenen Worte „Arschloch“, „Arschkopf“ sind frei erfunden. Tobias Pflüger kannte den Begriff „Arschkopf“ bis dahin im Übrigen nicht.

Die Anfangs erhobenen abwegigen Vorwürfe der Körperverletzung und der verweigerten Ausweisung als Europaparlamentarier wurden nicht mehr verfolgt. Das sollte bereits ausreichen, um die Seriosität der Aussagen der Polizisten in Frage zu stellen. Doch darüber hinaus dienten diese Vorwürfe wohl lediglich dazu, in einem fragwürdigen Verfahren mit einer breiten Koalition von Grünen bis Rechtsextremen eine Aufhebung der Immunität durch das Europäische Parlament zu erreichen.

Durch den Ablauf der Geschehnisse lässt sich genau nachweisen, dass der Vorwurf der Körperverletzung von der Staatsanwaltschaft erneut überprüft wurde, allerdings die Entscheidung, ihn de facto fallen zu lassen, erst mitgeteilt wurde, nachdem die Immunität aufgehoben war. Nach Befragung durch Tobias Pflügers Anwältin Angelika Lex waren die Widersprüche und Absprachen der Polizisten offensichtlich, doch die Richterin fand trotzdem alles glaubwürdig. Aus den Aussagen der Polizisten ergab sich weiterhin, dass die übergeordneten Behörden (genannt wurde die Bezirksregierung Düsseldorf) bei der Erstellung der Anzeige des Polizisten Michaelis behilflich waren. Dies gibt dem Verfahren eine weitere politische Dimension. Die Polizisten schrieben ihre Texte voneinander ab.

Dies war bereits das vierte Ermittlungsverfahren (1999, 2003, 2004, 2005) der Staatsanwaltschaft München I gegen Tobias Pflüger anlässlich der Beteiligung an Protesten gegen die Münchener Sicherheitskonferenz. Ein Gericht in Tübingen sprach den Friedensaktivisten wegen des Aufrufs zur Desertion 1999 frei. Das Verfahren 2003 wurde eingestellt, und für die brutale Festnahme im Jahr 2004 hat sich die Polizei später sogar entschuldigt.

Weder die Staatsanwaltschaft (Frau Lux) noch die Richterin (Frau Birkhofer-Hoffmann) waren bereit, den politischen Kontext des Verfahrens ernsthaft zu würdigen und etwa die Möglichkeit unlauterer Gründe der Polizisten zu bedenken, sondern sie schenkten den Polizisten uneingeschränktes Vertrauen. In Ihren Augen liegt es bei Tobias Pflüger, den Vorwurf der Beleidigung zu entkräften. Diese Umkehr der Beweislast kann unmöglich beibehalten werden.

Leider ist dieser Fall nur einer unter vielen, die zeigen, wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland wie auch in der EU immer weiter ausgehöhlt wird.

2.) Einschätzung des BVG-Urteils zum Lissabonvertrag

IMI-Standpunkt 2009/039 – in: Junge Welt, 1.7.2009
»Parlamentarische Fessel für EU-Battle-Groups«
Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem Trick den Lissabon-Vertrag ratifizierbar gemacht. Gespräch mit Tobias Pflüger
https://www.imi-online.de/2009.php3?id=1982
1.7.2009, Interview / Junge Welt / Tobias Pflüger / Claudia Wangerin

Sie haben als Europaabgeordneter lange gegen den Vertrag von Lissabon gekämpft, jetzt aber in Teilen das am gestrigen Dienstag verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts begrüßt, das den Vertrag im Grundsatz billigt. Können Sie das näher ausführen?

Ich kämpfe weiter gegen den Vertrag. Nun wurde aber das Begleitgesetz dazu für verfassungswidrig erklärt — das Gesetz also, das der Bundestag als Beitrag zur Ratifizierung beschlossen hat. Das ist schon was!

Die Frage war unter anderem, wer entscheidet, ob sich die Bundeswehr an einem EU-Militäreinsatz beteiligt. Die Regelung im Vertrag besagt, daß darüber der Rat der EU entscheidet. Die Verfassungsrichter haben nun klargestellt, daß darüber ausschließlich der Bundestag zu entscheiden hat.

Faktisch widerspricht der Vertrag also dem Grundgesetz, aber dieser Widerspruch wurde jetzt elegant gelöst, indem man entschieden hat, der Vertrag selbst sei grundgesetzkonform, aber das Begleitgesetz nicht. Was natürlich ein Trick ist, um den Vertrag doch noch ratifizieren zu können.

Wie würden die Entscheidungsprozesse demnach ablaufen?

Das wird an einem Punkt sehr spannend, nämlich bei der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« nach Protokoll 10 des Lissabonner Vertrages. Dort ist von Militäreinsätzen der »EU-Battle-Groups« innerhalb von fünf bis 30 Tagen die Rede. Die sind aber durch das Karlsruher Urteil praktisch kaum durchführbar, denn der Bundestag müßte jedes Mal erst einberufen werden. Insgesamt können wir das Urteil natürlich nicht gutheißen, aber dieser Punkt ist für uns das Gute im Schlechten.

Ich habe meine Zweifel, ob sich in der genannten Frist überhaupt eine Entscheidung des Bundestages herbeiführen läßt. Das heißt: Entweder ist diese Regelung hinfällig, oder es wird noch eine Möglichkeit geschaffen, den Bundestag so schnell einzuberufen. Oder: Das Parlament als Ganzes wird doch noch umgangen.

Könnte es passieren, daß die EU-Battle-Groups dann grundsätzlich in Frage gestellt werden müssen?

Das Verfassungsgerichtsurteil ist zunächst eine parlamentarische Fessel für die Battle-Groups. Was nun fehlt — und was der Bundestag jetzt nacharbeiten muß –, ist ein neues Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag mit einer Regelung für die Einsätze der Bundeswehr im Rahmen der EU. Aber ich kann mir das nicht vorstellen. Wenn ich zum Beispiel an den Georgien-Krieg im vergangenen Jahr denke — mitten im Sommer! –, dann erscheint mir eine solche Regelung doch sehr unrealistisch. Es könnte durchaus sein, daß die Funktion der Battle-Groups als schnelle Interventionstruppen dadurch ausgehebelt wird.

Wie erklären Sie sich, daß zuvor Abgeordnete von CDU, CSU, FDP und SPD mit dem Lissabon-Vertrag ihre eigenen Entscheidungsrechte beschnitten haben. Hatten sie das nicht durchschaut oder wollten sie die Verantwortung für deutsche Auslandseinsätze von sich schieben, weil sie wissen, daß die Mehrheit der Bevölkerung diese nicht billigt?

Ich vermute letzteres. In ihren Wahlkreisen erklären die Abgeordneten sicherlich ungern, warum sie für Auslandseinsätze stimmen und wieso man unbedingt deutsche Soldaten im Rahmen von EU-Militäreinsätzen in den Kongo oder in den Tschad schicken muß. Obwohl Parlamente nicht alles sind, gibt es doch Situationen, in denen sie eine wesentliche Rolle spielen, z. B. bei der Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Wäre es denn im Umkehrschluß nicht auch denkbar, daß der Rat der EU militärischen Alleingängen seiner Mitgliedsstaaten einen Riegel vorschiebt?

Die Karlsruher Entscheidung bezieht sich auf EU-Militäreinsätze, an denen deutsche Soldaten teilnehmen sollen. Wenn Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Rahmen der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« des Vertrages entscheiden sollten, Soldaten z. B. nach Namibia zu schicken, müßte das nach wie vor vom Rat der EU genehmigt werden. Aber die beteiligten Staaten könnten dann später selbst über Truppenaufstockungen und die Dauer der Einsätze entscheiden.

Den Artikel finden Sie unter: http://www.jungewelt.de/2009/07-01/049.php

Interview / JUnge Welt / Tobias Pflüger / Claudia Wangerin
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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de