IMI-Standpunkt 2009/032 in: telepolis (08.05.2009)
Piraten, Flüchtlinge, Fischer …
Wen jagt die internationale Gemeinschaft im Golf von Aden?
Christoph Marischka (11.05.2009)
Am 23.4.2009 veröffentlichte das UNHCR eine Pressemitteilung,[1] die über den Tod von 35 afrikanischen Migranten vor der Küste des Jemen berichtet. Eine ähnliche Meldung erreichte Europa bereits am 24.2.2009.[2] Damals starben sechs Menschen aus Somalia und Äthiopien mit Sicherheit, elf weitere wurden vermisst. Beide Boote legten in Somalia ab. Da sich die bewaffneten Schmuggler nicht ans jemenitische Festland trauen, zwingen sie ihre „Passagiere“ bereits weit vor der Küste ins Wasser, dann müssen diese um ihr Leben schwimmen.
Alleine in den ersten dreieinhalb Monaten registrierte das UNHCR im Jemen 19.622 Menschen, die in 387 Booten vom Horn von Afrika über den Golf von Aden das Land an der südlichen Spitze der arabischen Halbinsel erreichten – nachweislich umgekommen sind dabei im selben Zeitraum 131. Die meisten von ihnen stammen aus dem bitterarmen und von Krieg gezeichneten Somalia und Äthiopien.[3]
Nach Angaben der afrikanischen Nachrichtenagentur afrol News zahlen die Flüchtlinge für die Überfahrt etwa 30 bis 50 US-Dollar und werden dann in kleinen, offenen Fischerbooten meist von der somalischen Hafenstadt Bosaso mit auf die 30-stündige Überfahrt in den Jemen genommen.[4] Eine wesentlich preiswertere, in Umfang und Dramatik aber durchaus mit den Routen zwischen Westafrika und den Kanaren und zwischen Libyen und Italien vergleichbare Art, vom afrikanischen Kontinent zu fliehen. Dass diese Migrationsroute in Europa bislang kaum wahrgenommen wird, mag daran liegen, dass die Flüchtlinge nicht in Europa anlanden, überrascht aber dennoch angesichts der Tatsache, dass hier seit Monaten intensiv über den Internationalen Marineeinsatz in just dieser Region debattiert wird, der angeblich der Bekämpfung der ebenfalls von Somalia ausgehenden Piraterie dient.
Anfang Mai waren alleine im Rahmen der EU-Mission Atalanta neben sechs Schiffen der Bundeswehr Fregatten und Patrouillenboote aus Spanien, Italien, Griechenland und Frankreich vor der Küste Somalias im Einsatz, schwedische Korvetten sind bereits unterwegs, um sich anzuschließen. Unterstützt werden diese durch Aufklärungsflugzeuge mehrerer europäischer Staaten. Zuvor fand am selben Ort bereits ein NATO-Einsatz gegen Piraten statt und nicht zuletzt sind dort auch bis heute die Marinen einer Koalition der Willigen unter der Führung der USA im Rahmen der Operation Enduring Freedom aktiv.
Seit der UN-Sicherheitsrat 2008 in mehreren Resolutionen alle Staaten ermächtigte und sogar aufforderte, selbst in somalischen Hoheitsgewässern militärisch gegen die Piraterie vorzugehen, fühlen sich aber noch weit mehr Staaten berufen und haben ihre Marine in den Kampfeinsatz geschickt, darunter Russland, Indien, China und Saudi-Arabien. An dem Nadelöhr des Welthandels tummeln sich also außer Tankern, Frachtern und Piraten zahlreiche Kriegsschiffe und dazwischen versuchen täglich mehrere Boote mit Flüchtlingen den Golf von Aden zu überqueren. Nicht zu vergessen sind dabei auch noch die verarmten somalischen Fischer, die mit ebenso kleinen Booten am Horn von Afrika versuchen, ihre Existenz zu sichern und sich dabei in unmittelbarer Konkurrenz mit Fischfangflotten befinden, die teilweise aus denselben Staaten stammen, wie die Kriegsschiffe.
Vor diesem Hintergrund stellt sich der „Kampf gegen die Piraterie“ ungleich komplizierter dar. Die Forderungen nach einem härteren Vorgehen, verbunden mit dem Verzicht auf rechtsstaatliche Prinzipen beim Umgang mit mutmaßlichen Piraten, wirken erschreckend. Erst am 5.5.2009 forderte die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, Birgit Homburger, die deutsche Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) gegen die Piraten einzusetzen,[5] was schon alleine deshalb ein überflüssiger Vorschlag ist, weil die Marine über eigene Spezialeinheiten verfügt. Erst einen Tag zuvor hatte der Radiosender Europe-1 berichtet, dass der bei einer Geiselbefreiung am 10.4.2009 getötete Segler Florent Lemaçon nicht durch die Piraten, sondern durch französische Elitesoldaten getötet wurde. Wenige Tage zuvor war bekannt geworden, dass die Sondereinheit GSG9 der Bundespolizei sich bereits zwei Mal im Einsatzgebiet befand, um mit Unterstützung von Kampfschwimmern gegen Piraten vorzugehen. Der erste Einsatz scheiterte, der zweite wurde auf Betreiben des US-Sicherheitsberaters James Jones abgebrochen.[6] Dieser war offenbar im Gegensatz zum deutschen Bundestag vorab von Innenminister Schäuble (CDU) informiert worden.
Die Schlepper auf den Flüchtlingsbooten sind bewaffnet. Wie lassen sich also Boote mit Flüchtlingen an Bord von Piraten unterscheiden? Vor diesem Hintergrund muten die alltäglichen Berichte seltsam an, wonach mutmaßliche Piratenangriffe durch Manöver von Kriegsschiffen oder Warnschüssen vertrieben wurden. Handelt es sich dabei etwa zumindest teilweise um Flüchtlingsboote, die einem Tanker zu nahe kamen? Sollten die zunehmend auf Kreuzfahrtschiffen zum Einsatz kommenden Sicherheitskräfte etwa dazu übergehen, vorsorglich das Feuer zu eröffnen, sobald sich ein kleines Boot mit Afrikanern an Bord nähert, bevor Panik unter den Passagieren ausbricht oder diese selbst Maßnahmen ergreifen, wie im Falle der MS Melody?[7]
Mittlerweile wird von vielen Beteiligten eingeräumt, dass die massive Militärpräsenz all der Staaten mit ihren doch bisweilen sehr unterschiedlichen Interessen und Vorgehensweisen die Situation eskaliert hätte. Auf jeden Fall hat sich der Aktionsradius der Piraten von der Küste auf die hohe See ausgedehnt, wodurch Kreuzfahrtschiffe eher betroffen sind. Militärische Geiselbefreiungen, wie sie Frankreich und die USA schon durchgeführt und Deutschland bereits geplant haben, gefährden v.a. auch die Geiseln und verändern dem Umgang der Piraten mit diesen. Frankreich und Deutschland meldeten bereits Angriffe durch Piraten auf ihre Kriegsschiffe (was sollten wohl die Beweggründe für solche aussichtslosen Angriffe sein?), erwiderten das Feuer und entwaffneten die Angreifer, um sie – zumindest falls die Staatsanwaltschaft Kiel keine eindeutigen Beweise findet – in Kenia vor Gericht stellen zu lassen.
Mittlerweile wird auch zunehmend darüber diskutiert, an Land – also in Somalia – gegen die Piraten vorzugehen. Doch an Land sind diese natürlich kaum von den Zivilisten zu unterscheiden, die in einigen Regionen ganz überwiegend auf die eine oder andere Weise von der Piraterie leben. Zudem weckt der Gedanken an ein militärisches Eingreifen unweigerlich schlechte Erinnerungen an die UN-Mission „Restore Hope“ und die sie letztlich beendende „Schlacht von Mogadischu“ vom 3.10.1993, bei der an einem Tag etwa tausend Somalis und 18 US-Soldaten getötet wurden. Seither bedienen sich insbesondere die USA der äthiopischen Armee bei der Bekämpfung der Union Islamischer Gerichtshöfe in Somalia, die vorübergehend weitgehend Ordnung im Land hergestellt hatte. Der letzte Einmarsch äthiopischer Soldaten mit Unterstützung der US-Luftwaffe im Dezember 2006 zersetzte diese Ordnung und schuf somit die Bedingungen für die heutigen Piratenattacken.[8]
Anmerkungen
[1] Thirty-five drown in latest smuggling tragedy in the Gulf of Aden, UNHCR Press Release (23.04.2009)
[2] Flüchtlingsdrama vor jemenitischer Küste, oe24.at (24.02.2009)
[3] s. FN 1
[4] Deadly migration drive also from Somalia to Yemen, afrol News (22.05.2006)
[5] FDP für Einsatz von KSK-Elitesoldaten gegen Piraten, Tagesspiegel (07.05.2009)
[6] GSG9-Einsatz vor Somalia gestoppt, handelsblatt.com (02.05.2009)
[7] „Die Kugel verfehlte meine Frau nur um Zentimeter“ – Interview mit Frank Königk, spiegel.de (02.05.2009)
[8] Claudia Haydt: Operation ATALANTA – Kanonenboote und Piraten, in: Friedensforum 1/2009