Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2009/020

Briten üben den Krieg

Auf dem Militärübungsplatz Senne sollen neue "Kampfdörfer" entstehen

Michael Schulze von Glaßer (28.03.2009)

Dieser Text im AUSDRUCK-Layout: https://www.imi-online.de/download/MSG-Juni2009-Briten.pdf

Seit Beginn des Afghanistan-Kriegs im Oktober 2001 sind 152 britische Militärangehörige getötet worden.[1] Im Irak beklagt das britische Verteidigungsministerium seit Beginn der Kampfhandlungen im März 2003 bereits 179 Tote.[2] Zu schaffen macht den Briten – wie auch den anderen im Irak und in Afghanistan stationierten Besatzern – vor allem die asymmetrische Kriegsführung[3] ihrer oft unsichtbaren Gegner. Um auf die unorthodoxe Bedrohung zu reagieren, trainieren die britischen Streitkräfte auf militärischen Übungsplätzen den Häuserkampf für den Einsatz im völkerrechtswidrigen Irak-Krieg – Schützenhilfe kommt dabei von der deutschen Regierung.

„British Forces Germany“

Die „Britischen Streitkräfte in Deutschland“ (engl. „British Forces Germany (BFG)“; bis 1994 „Britische Rheinarmee“) unterhalten noch immer zahlreiche Einrichtungen in Deutschland. Die britischen Liegenschaften konzentrieren sich in Nordrhein-Westfalen (u.a. Mönchengladbach, Münster, Bielefeld, Gütersloh, Herford, Paderborn) und Niedersachsen (u.a. Osnabrück, Celle). Trotz der nach Ende des Kalten Krieges begonnenen Streitkräfte-Umstrukturierung sind noch immer mehr als 20.000 britische Soldaten in Deutschland stationiert.[4] Die BFG ist damit die größte im Ausland stationierte Truppe des Vereinigten Königreichs. Allerdings sollen zwischen 2009 und 2014 einige Standorte geschlossen und die Zahl der britischen Soldaten auf etwa 15.000 reduziert werden.[5]

Die in Deutschland stationierten britischen Truppenteile gliedern sich in zwei Kommandoeinheiten – dem „United Kingdom Support Command“ mit Sitz in Mönchengladbach und der „1st (United Kingdom) Armoured Division“ mit Sitz in Herford – und sind für die britische Kriegsstrategie nicht unerheblich.[6] Immerhin leistet das „Support Command“ nicht nur für die in Deutschland stationierten britischen Streitkräfte administrative Aufgaben sondern für alle auf dem europäischen Festland.[7] Die „1st UK Armoured Divison“ besticht durch ihre militärische Schlagkraft: 176 schwere „Challenger 2“-Kampfpanzer, 273-„Warrior“-Schützenpanzer und 59 Panzerhaubitzen gehören zum Inventar der in Deutschland stationierten Division.[8]

Das enorme militärische Potential der BFG wird beispielsweise von der NATO ausgeschöpft:

Die in der Bundesrepublik stationierten britischen Truppen gehören dem „Allied Command Europe Rapid Reaction Corps (HQ ARRC)“ – einem schnellen Eingreifkorps der NATO – an. Als Hauptquartier dient der Sitz des Unterstützungskommandos in Mönchengladbach.[9] Bisher in Deutschland stationierte britische Truppenteile kommen heute unter anderem im völkerrechtswidrigen Irak-Krieg zum Einsatz – die Vorbereitungen fanden auf deutschem Boden statt.

Üben für den Krieg

Wie aus lokalen Presseberichten hervorgeht, trainierten im Oktober 2008 etwa 4.100 britische Soldaten für ihren Einsatz im Irak.[10] Die Übung fand auf einem von der US-Armee verwalteten Truppenübungsplatz im bayerischen Hohenfels statt. Die bis dato im ostwestfälischen Paderborn und im westfälischen Münster stationierten Briten trainierten Autokontrollen, Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Häuserkämpfe.[11] Auf dem Militärgelände in der Oberpfalz stehen gleich fünf künstlich angelegte Dörfer – so genannte Kampfdörfer -, die denen im Irak und in Afghanistan ähneln. Bei den Übungsszenarien kommen zahlreiche Statisten zum Einsatz um ein realitätsnahes Bild abzuliefern – oft irakische Flüchtlinge.[12] Das britische Militär möchte aber nicht länger auf den US-Übungsplatz zurückgreifen, sondern die eigenen Infrastruktur zur Ausbildung für Auslandseinsätze ausbauen.

Im Interesse der Briten steht der schon massiv von der britischen Armee und anderen NATO-Truppen genutzte Militärübungsplatz Senne, zwischen Bielefeld und Paderborn.[13] Gleich sechs Kampfdörfer bestehend aus drei gemauerten Häusern arabischen Baustils und 20 Containern sollen bis 2012 am Rande des Übungsplatzes errichtet werden um Festnahmen, Geiselbefreiungen und Hausdurchsuchungen zu proben.[14] Hinzu kommen ein Höhlenkomplex, der denen im Hindukusch-Gebirge ähneln soll, mehrere zweigeschossige Schießübungshäuser und rund 40 Kilometer befestigte Straße um das fahren im Konvoi, das Verhalten bei Straßensperren und Autokontrollen sowie den Umgang mit selbstgebauten Sprengfallen – wie im Irak zu finden – trainieren zu können.[15] 18,2 Millionen Euro ist den Briten das Bauvorhaben in der rund 12.000 Hektar großen Senne wert, mit dem 2009 begonnen werden soll.[16]

Deutsche Unterstützung

Wie die Grünen-Bundestagsfraktion in einer kleinen Anfrage[17] festhält, liegt es trotz NATO-Verträgen letztendlich in den Händen deutscher Behörden, das britische Bauvorhaben zu erlauben. Die Regierung nimmt – wie schon die britische Armee – kein Blatt vor den Mund, wenn es um den Zweck des Bauvorhabens geht: „Die Übungen dienen der Vorbereitung der britischen Soldaten auf ihre Einsätze, u. a. in Afghanistan und im Irak […] Mit der Herstellung zeitgemäßer – künftigen Einsatzzwecken entsprechenden Übungseinrichtungen – und der Modernisierung bestehender Anlagen auf dem Truppenübungsplatz Senne beabsichtigen die britischen Streitkräfte, an die besonderen Erfordernisse bei Auslandseinsätzen in Krisengebieten angepasste Übungsgelegenheiten zu schaffen.“[18] In der Antwort auf eine Landtagsanfrage der Grünen[19] in Nordrhein-Westfalen unterstreicht die CDU/FDP-Landesregierung den Kurs der Bundesregierung: „Die freundschaftlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland sind historisch gewachsen, beruhen auf gemeinsamen kulturellen Wurzeln und einer vielfach bewährten Werte- und Interessengemeinschaft. Der Stationierung britischer Streitkräfte auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland kommt in diesem Zusammenhang eine herausragende Bedeutung zu, sie liegt unverändert im besonderen deutschen Interesse. Die Stationierung britischer Soldaten in Deutschland ist sichtbarer Ausdruck praktischer, gelebter Bündnissolidarität“.[20] Die Bundesregierung hat das britische Bauvorhaben im Bundestag gar als „unmittelbar der Landesverteidigung“ dienend bezeichnet.[21] Ist der Ausbau in Regierungskreisen unumstritten, regt sich rund um die Senne Widerstand. Eine Bürgerinitiative sammelt Unterschriften gegen den Bau von Kampfdörfern auf dem Übungsplatz.[22] Die lokale Politik ist gespalten.[23]

Fazit

Die Bundesregierung hat mittlerweile scheinbar alle Versuche fallen gelassen eine Beteiligung Deutschlands am völkerrechtswidrigen Krieg im Irak zu verschleiern und geht in die Offensive. Dabei spielt nicht zuletzt das Mitnutzungsrecht der britischen Kampfdörfer durch die Bundeswehr eine Rolle – denn Deutschland will auch in künftigen Kriegen mitmischen.[24] Die Mithilfe bei der Ausbildung britischer Soldaten für den völkerrechtswidrigen Krieg reiht sich ein in eine lange Liste deutscher Unterstützungsleistungen für das westliche Kriegsbündnis gegen den Irak: Auf bitten der USA bewachten bis zu 4.200 Soldaten der Bundeswehr US-Militärbasen in Deutschland – die entsprechend freiwerdenden US-Kräfte konnten in den Irak verlegt werden.[25] Die Bundesregierung gewährte den britischen und US-amerikanischen Bombern überflugrechte und selbst von deutschem Boden – vornehmlich von der inzwischen geschlossenen Rhein-Main-Airbase in Frankfurt und der US-Airbase Ramstein Rheinland-Pfalz – wurde Kriegsmaterial in den Irak gebracht, die US-amerikanische Truppenverlegung nach Irak und Afghanistan erfolgt über den Flughafen Halle/Leipzig.[26] Die NATO-Aufklärungsflugzeuge AWACS – die über türkischem Territorium eingesetzt wurden und auch den irakischen Luftraum überwachen und als Feuerleitzentrale dienen können – wurden weiterhin mit deutschen Soldaten bestückt.[27] Dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND während der Gefechte um die irakische Hauptstadt Bagdad kriegswichtige Daten an die US-Armee weitergegeben hat, scheint ebenfalls bewiesen.[28] Bleibt die Frage, warum die Briten gerade in Deutschland für ihren völkerrechtswidrigen Krieg üben müssen.

Anmerkungen

[1] Britisches Verteidigungsministerium. 15.03.2009 – http://www.mod.uk/DefenceInternet/FactSheets/OperationsFactsheets/OperationsInAfghanistanBritishFatalities.htm

[2] Britisches Verteidigungsministerium. 12.02.2009 – http://www.mod.uk/DefenceInternet/FactSheets/OperationsFactsheets/OperationsInIraqBritishFatalities.htm

[3] Partisanenkampf

[4] British Forces Germany: Informations-Broschüre – http://www.bfgnet.de/Documents/english_bro.pdf

[5] Britisches Verteidigungsministerium. 12.09.2007 – http://www.mod.uk/DefenceInternet/DefenceNews/DefencePolicyAndBusiness/BritishForcesToMoveFromGermanyToUk.htm

[6] British Forces Germany: FactFinder – http://www.bfgnet.de/Documents/Factfinder.pdf

[7] Ebenda

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Westfalen Batt. „In ‚Al Übungsdorf’ trainieren Briten für ihren Einsatz“. 28.10.2008 – http://westfalen-blatt.de/nachrichten/generator/reg_show.php?id=21709

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Westfalen Blatt. „Das planen die Briten in der Senne“. 30.01.2009 – http://westfalen-blatt.de/nachrichten/generator/reg_show.php?id=23779

[14] Ebd. und Westfalen Blatt. „Afghanische Höhle mitten in der Senne“. 19.02.2009 – http://westfalen-blatt.de/nachrichten/generator/reg_show.php?id=24450

[15] Ebd.

[16] Westfalen Blatt. „Das planen die Briten in der Senne“. 30.01.2009 – http://westfalen-blatt.de/nachrichten/generator/reg_show.php?id=23779

[17] Bundestags-Drucksache 16/10801 – http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/108/1610801.pdf

[18] Ebd.

[19]Landtag-NRW Drucksache 14/8231 http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD14-8231.pdf

[20] Ebd

[21] Bundestags-Drucksache 16/10801 – http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/108/1610801.pdf

[22] Westfalen Blatt. „4500 Unterschriften gesammelt“. 04.03.2009 – http://westfalen-blatt.de/nachrichten/generator/reg_show.php?id=24918

[23] Westfalen Blatt. „Senne wird anders genutzt“. 24.02.2009 – http://westfalen-blatt.de/nachrichten/generator/reg_show.php?id=24624

[24] Westfalen Blatt. „Afghanische Höhle mitten in der Senne“. 19.02.2009 – http://westfalen-blatt.de/nachrichten/generator/reg_show.php?id=24450

[25] Pflüger, Tobias.„Die deutsche Unterstützung für den Krieg im Irak“. 15.03.2006 – https://www.imi-online.de/fpdf/index.php?id=1314

[26] Ebd.

[27] Ebd.

[28] SPIEGEL-Online. „BND-Ausschuss: Opposition sieht Beweis für deutsche Beteiligung am Irak-Krieg“. 18.09.2008 – http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,578933,00.html

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