Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Studie 2009/05 - in: AUSDRUCK (Februar 2009)

Gas-OPEC und Afrikanische Nabucco

Der Neue Kalte (Gas-)Krieg zwischen EU und Russland geht in die nächste Runde

Jürgen Wagner (16.02.2009)

https://www.imi-online.de/download/JW-Gas-OPEC-Nabucco.pdf

Mittlerweile ist es unübersehbar, dass die machtpolitischen Konflikte zwischen den USA und der Europäischen Union auf der einen sowie Russland (und China) auf der andern Seite immer weiter zunehmen. Nüchtern beschreibt Robert Kagan, einer der bekanntesten US-Politikwissenschaftler, diese „Rückkehr der Geopolitik“ mit folgenden Worten: „Die alte Rivalität zwischen Liberalismus und Autokratie ist neu entflammt, und die Großmächte der Welt beziehen entsprechend ihrer Regierungsform Position.“[1] Aufgrund ihrer Relevanz ist die Energiefrage derzeit der Schauplatz, auf dem die Auseinandersetzungen am deutlichsten zutage treten: „In den Köpfen vieler Strategen ist die traditionelle Geopolitik des militärischen Gleichgewichtes durch die Geopolitik der Energiebeziehungen ersetzt worden. […] In Europa haben Sorgen über die North-Stream-Pipeline Bedenken über die Fulda-Lücke abgelöst. Und Neuerwerbungen von Gazprom werden mit fast derselben Ängstlichkeit betrachtet wie lokale Stimmgewinne kommunistischer Parteien in verschiedenen westlichen Ländern während des Kalten Krieges.“[2]

Tatsächlich droht ein neuer Kalter (Energie-)Krieg, zu dieser Schlussfolgerung gelangt auch eine vom Bundeskanzleramt bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Auftrag gegebene Studie zur Energiesicherheit Deutschlands im Jahre 2050. Dort wird gleich zu Anfang folgendes Szenario beschrieben: „Berlin im Winter 2050: Die Bundesregierung sieht sich gezwungen, bei der Europäischen Energieagentur in Brüssel eine Vergrößerung des deutschen Energiebudgets noch im laufenden Zuteilungsjahr einzufordern. Erkältungswellen und Grippeepidemien als Folgen der durch die Energie- und Wärmerationalisierungen verursachten unzureichenden Heizmöglichkeiten [drohten] eine bisher einmalige Staatskrise der Bundesrepublik Deutschland zu verursachen [und] haben die Regierung zu diesem Schritt bewogen. Dabei nimmt sie das Risiko in Kauf, den zwischen der Europäischen Union und der Chinesisch-Russischen Föderation im Jahr 2045 nach einer drohenden bewaffneten Auseinandersetzung erzielten Ressourcenpakt indirekt in Frage zu stellen.“[3]

Die Konturen dieser Blockkonfrontation zeichnen sich bereits heute ab, vor allem im Gasbereich wird derzeit mit den härtesten Bandagen gekämpft. Im Zuge einer immer anti-russischer agierenden EU-Politik setzte Moskau zu einer energiepolitischen Gegenoffensive an, die zum Ziel hat, die europäische Gasversorgung unter seine Kontrolle zu bringen. Würde dies gelingen, würde dies in Zeiten rapide schwindender Energievorkommen bei gleichzeitig schnell wachsendem Verbrauch einen machtpolitischen Hebel allererster Güte darstellen. Da diese Vorstellung in den EU-Hauptstädten fast panikartige Reaktionen auslöst, ist die Europäische Union bestrebt, ihre Abhängigkeit von Russland durch die Erschließung alternativer Energievorkommen und den Bau russisches Territorium umgehender Pipelines zu reduzieren („Diversifizierung“). Moskau wiederum kontert jeden dieser Schachzüge gegenwärtig mit eigenen Maßnahmen. Mit dem Georgienkrieg im Sommer 2008 und den neuen Auseinandersetzungen um das Nabucco-Pipelineprojekt, der vor kurzem auf russisches Betreiben erfolgten Gründung einer Gas-OPEC und den EU-Plänen, eine Pipeline quer durch die Sahara zu verlegen, geht der bereits mehrere Jahre andauernde Neue Kalte (Gas-)Krieg nun in die nächste Runde.

EU-Politik und Russlands energiepolitische Gegenoffensive

Ungeachtet aller wohlfeilen Absichtserklärungen, die Abhängigkeit von Öl und Gas durch den Einstieg in die erneuerbaren Energien drastisch reduzieren zu wollen, geht man in Sicherheitskreisen fest davon aus, dass Auseinandersetzungen um die Kontrolle von Energievorkommen künftig massiv zunehmen werden. So liefert die Army Modernization Strategy Juni 2008, ein wichtiges Pentagon-Planungsdokument, folgende Lageeinschätzung: „Uns droht eine mögliche Rückkehr zu traditionellen Sicherheitsbedrohungen durch neu auftretende, fast ebenbürtige Mächte, und zwar jetzt, wo wir im weltweiten Wettstreit um knapper werdende Rohstoffe und Überseemärkte stehen.“[4]

Die Europäische Union befindet sich dabei in einer besonders misslichen Lage, denn aufgrund ihrer rapide zur Neige gehenden eigenen Reserven (v.a. in der Nordsee) ist sie in immer größerem Maße auf Energievorkommen im Ausland angewiesen. So prognostiziert die EU-Kommission für das Jahr 2030 einen Anstieg der Importabhängigkeit im Gasbereich von gegenwärtig 57% auf 84% und was Öleinfuhren anbelangt gar von heute 82% auf 93%. Im Gasbereich wird künftig ein Großteil der Einfuhren aus Russland stammen. Schon heute importiert die EU knapp 45% ihres Gasbedarfs von dort, ein Wert, der sich in wenigen Jahren auf schätzungsweise 60% erhöhen wird.[5]

Angesichts dieser – absehbaren – Entwicklung darf gefragt werden, ob es von EU-Seite sonderlich klug war, Moskaus ausgestreckte Hand und das Angebot einer engen Partnerschaft in den Wind zu schlagen: „Insgeheim hoffte er [Wladimir Putin] bei seinem Amtsantritt, Europa würde Russland beim Wiederaufstieg helfen und Russland in der gesamteuropäischen Familie akzeptieren. Zwei Wochen nach den Anschlägen vom 11. September kam er nach Berlin, um im deutschen Bundestag eine versöhnliche Grundsatzrede über das Ende des Kalten Kriegs zu halten und eine strategische Partnerschaft, beispielsweise bei gemeinsamen Modernisierungsprojekten in Sibirien, anzuregen. Eine konkrete Antwort ist der Westen Putin schuldig geblieben. Heute kann Putin seine Wut und Enttäuschung über seine im Großen und Ganzen verfehlte Westoffensive kaum verbergen.“[6]

Noch im unmittelbaren Vorfeld des US-Angriffskrieges gegen den Irak war allenthalben die Rede von der sich herausbildenden Achse Paris-Berlin-Moskau, die symbolhaft für die Formierung eines gegen die Vereinigten Staaten gerichteten Gegenblocks stand. Ihren energiepolitisch-geostrategischen Niederschlag fand dieses Bündnis bspws. im Vorhaben, eine Gaspipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland zu verlegen (North Stream bzw. Ostseegaspipeline), die das Ziel hat, Moskaus Einfluss auf die bisherigen Transitländer für westeuropäisches Gas, v.a. die Ukraine, zu vergrößern. Nun hat sich bekanntlich der Wind gedreht, eine neue Eiszeit im russisch-europäischen Verhältnis ist ausgebrochen, selbst eine neuerliche Blockkonfrontation, ein Neuer Kalter Krieg, ist nicht mehr ausgeschlossen. Dies hängt einerseits mit den Regierungswechseln und der Rückkehr zu einer stark pro-amerikanischen – und damit anti-russischen – Politik in Frankreich und Deutschland zusammen, aber mindestens ebenso mit der Tatsache, dass Moskau nicht gewillt war, in besagter Achse länger den Juniorpartner zu spielen, der jeden russlandfeindlichen Schachzug seiner „Partner“ klaglos hinnimmt.

In diesem Kontext war es neben den NATO-Osterweiterungen vor allem die europäische (und natürlich amerikanische) Unterstützung der „bunten“ Revolutionen, bei denen pro-russische Regierungen in unmittelbarer Nachbarschaft Moskaus u.a. in Georgien (2003) und in der Ukraine (2004) durch pro-westliche Machthaber ersetzt wurden, die Russland zu einer Neubewertung seines Verhältnisses mit der Europäischen Union veranlassten. Moskau reagierte hierauf, indem es – zuweilen recht raubeinig – eine energiepolitische Gegenoffensive einleitete. Ein wesentliches Element hierfür ist der offensichtliche Versuch, die europäische Gasversorgung so weit wie möglich auf sich zu monopolisieren. Hierfür verfolgt Russland ein ganzes Bündel an Strategien: Verstärkte staatliche Kontrolle der eigenen Energieversorgungs- und Transportunternehmen; Zurückdrängung in Russland operierender westlicher Firmen; Einkauf in den westeuropäischen Energiesektor etc. Vor allem aber strebt Russland – teils unter massiven Drohungen bis hin zum Einsatz der „Energiewaffe“ (wie etwa in den russisch-ukrainischen „Gaskriegen“) – die Übernahme der osteuropäischen Energie- und Transportunternehmen und vor allem der Leitungsnetze nach Westeuropa an. Parallel dazu arbeitet Russland darauf hin, die kaspischen Reserven langfristig an das eigene Leitungsnetz zu binden und sich so ein – politisch mächtiges – Monopol für die europäische Gasversorgung zu verschaffen (siehe ausführlich AUSDRUCK Juni 2007).

Nabucco und Georgienkrieg

Bislang können die erheblichen kaukasischen und zentralasiatischen Gasvorkommen nur über das russische Leitungssystem nach Westeuropa befördert werden, womit Moskau de facto auch diese Reserven kontrolliert. Um dieses Transportmonopol zu brechen, will die EU mit dem 8 Mrd. Euro teuren (ursprünglich waren es einmal 4 Mrd.) Pipeline-Projekt Nabucco ab 2013 eine alternative Trasse bereitstellen. Hierdurch solle ein „Bypass“ um Russland gelegt werden, heißt es dazu in der Presse.[7]

Das Projekt, mit dem kaspisches Gas u.a. über Aserbaidschan, Georgien und die Türkei nach Westeuropa geleitet werden soll, erfreut sich höchster EU-Unterstützung. „Zwei Drittel sollen von institutionellen Geldgebern wie der Europäischen Investitionsbank (EIB), der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und der Österreichischen Kontrollbank kommen.“[8] Ende 2007 wurde darüber hinaus mit dem ehemaligen niederländischen Außenminister Jozias van Aartsen ein eigener Nabucco-Koordinator ernannt. Seine Drohungen gegenüber Russland sind gleichzeitig auch die Begründung, weshalb sich die EU so massiv für die Nabucco-Pipeline einsetzt: „Energie muss im Zentrum des Sicherheitsdenkens stehen. […] Die EU muss auf den gegenwärtigen Druck seitens der Energieversorger mit einer kohärenteren internationalen Energiestrategie reagieren. [… ] Es geht um wirklich viel. Was können wir tun? Die EU kann Klartext reden – Russland muss aufhören, seine Energie für politische Zwecke einzusetzen.“[9]

In der ersten Ausbaustufe soll Nabucco 8-10 Mrd. Kubikmeter Gas transportieren, um aber rentabel zu sein, muss diese Zahl langfristig auf 31 Mrd. steigen. Dies stellte das Projekt aber vor immense Probleme, einzig Aserbaidschan konnte bzw. wollte genug Gas für die erste Ausbaustufe zusagen, woher der Rest kommen sollte, stand lange in den Sternen. Nachdem es Wladimir Putin im Mai 2007 auch noch gelang, über neue Verträge sicherzustellen, dass ein Großteil des zentralasiatischen Gases für Jahrzehnte an das russische Leitungssystem gebunden bleibt, befand sich das Nabucco-Projekt kurz vor dem Aus. Die einzige nennenswerte Alternative, um an ausreichend Gas zu gelangen, wäre der Iran gewesen, was aber aus politischen Gründen abgelehnt wurde.

In diesem Zusammenhang konnte EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner im April 2008 aus ihrer Sicht erfreuliche Neuigkeiten verkünden, als sie der Presse mitteilte, das gasreiche Turkmenistan habe der Nabucco-Pipeline jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas zugesagt. „Das ist ein Durchbruch“, so Ferrero-Waldner. „Bisher hat es nur allgemeine Äußerungen gegeben, doch jetzt haben wir eine echte, zusätzliche Perspektive für neue Gasfelder.“ Die verbindliche Zusage sei „ein wichtiger erster Schritt für die Nabucco-Pipeline.“[10] Schon kurz zuvor vermeldete BP, das aserbaidschanische Gasfeld Shah Deniz II berge deutlich größere Reserven als erwartet, womit größere Mengen für Nabucco bereitgestellt werden könnten.[11] Somit schien sich alles zum Positiven für das Nabucco-Projekt zu entwickeln – doch dann kam der Krieg in Georgien, der bislang letzte Akt der Nabucco-Arie.

Auch wenn es sicher wichtige andere Gründe für den Krieg zwischen Georgien und Russland im Sommer 2008 gegeben hat, wäre es blauäugig seine energiepolitische Dimension zu vernachlässigen, denn sowohl die bereits gebaute wichtige Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan als auch die künftige Nabucco-Trasse verlaufen über Georgien. So zitiert das Insiderblatt Caspian Investor einen Kommentator mit folgenden Worten: „Das größte Opfer des Showdowns ist die naive westliche Vorstellung, Georgien könne einen sicheren alternativen Energiekorridor liefern, der sowohl Russland als auch den Iran als Mitglied der ‚Achse des Bösen‘ umgeht.“[12] Die um klare Worte selten verlegene Vizepräsidentschaftskandidatin John McCains, Sarah Palin, äußerte sich mitten im US-Wahlkampf über den Zweck der in den abtrünnigen georgischen Provinzen Süd-Ossetien und Abchasien stationierten russischen Truppen folgendermaßen: „Wir sehen, wie Russland eine wichtige Pipeline im Kaukasus in Schach hält. Seine Strategie besteht darin, unsere europäischen Verbündeten zu entzweien und einzuschüchtern, indem Energielieferungen als Waffe eingesetzt werden.“[13] Sollte dies tatsächlich eines der russischen Interessen gewesen sein, so war Moskau damit jedenfalls erfolgreich: „Die russische Invasion Georgiens hat ernsthafte Zweifel an der Durchführbarkeit von Nabucco verursacht, nicht zuletzt da sie droht, astronomische Versicherungskosten zu verursachen, um die Risiken eines bewaffneten Konflikts abzudecken.“[14]

Der russische Einmarsch in Georgien wird von vielen Anrainern als das wahrgenommen, was er zumindest in Teilen auch war: ein Fingerzeig, dass Russland machtpolitisch im Ringen um die kaspischen Energieträger nicht klein beigeben will und hierbei nötigenfalls auch bereit ist, auf Gewalt zurückzugreifen. So erhielt die Europäische Union aus Kasachstan eine Abfuhr, was die Bereitstellung von Gasreserven für die Nabucco-Trasse anbelangt. „Wir bekommen mächtigen Druck aus Moskau, bei Nabucco nicht mitzumachen“, sagte der kasachische Wirtschaftsminister Bachyt Sultanow dem Handelsblatt.[15]

Vor diesem Hintergrund äußern sich mittlerweile zahlreiche Beobachter skeptisch, was die Perspektiven des Projektes anbelangt. „Führende Energieexperten haben [am 19. Januar 2009] im Europäischen Parlament schwierige Fragen zur Zukunft des EU-Vorzeigeprojektes der Nabucco-Gaspipeline aufgeworfen. […] Auf politischer Ebene sah es zunächst so aus, als ob die Nabucco-Pipeline durch die Krise an Glaubwürdigkeit gewonnen habe. Den Europaabgeordneten wurde gestern jedoch ein eher pessimistischer Berichtsentwurf über die Energiesicherheit der EU vorgelegt, in dem auch die Nabucco-Pipeline umfassend behandelt wird. Der Bericht wurde nur wenige Tage vor dem ‚Nabucco-Gipfel’ vorgelegt, der am 27. Januar 2009 von Ungarn in Budapest veranstaltet wird.“[16]

Dennoch betonten schon unmittelbar nach dem Georgien-Krieg zahlreiche EU-Spitzenpolitiker, die Nabucco-Pipeline müsse nun umso dringender realisiert werden. Nach dem letzten der schon fast zur Routine gewordenen russisch-ukrainischen Gaskriegen zum Jahreswechsel 2008/2009 und den damit einhergehenden Versorgungsengpässen in zahlreichen EU-Staaten wurde dem Projekt noch mehr Rückendeckung gegeben. So äußerte sich Bernd Pfaffenbach, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMWi): „Der aktuelle Streit zwischen Russland und der Ukraine über den Transit nach Europa hat uns noch einmal drastisch vor Augen geführt, wie wichtig die Nabucco-Pipeline zur Erschließung zusätzlicher Lieferquellen ist.“[17]

Folgerichtig sicherten auf der bereits erwähnten Nabucco-Konferenz Ende Januar 2009 sowohl die tschechische EU-Ratspräsidentschaft als auch die EU-Kommission dem Projekt ihre Unterstützung zu. Auch die Europäische Investitionsbank erneuerte ihre Zusagen, zu einer Teilfinanzierung des Projektes bereit zu sein. Mehr noch: 200 bis 300 Mio. Euro sollen sofort zur Verfügung gestellt werden, um umgehend mit dem Bau beginnen zu können.[18] Aserbaidschan vermeldete zudem nun, es sei in der Lage, die 8-10 Mrd. Kubikmeter, die für die Inbetriebnahme 2013 benötigt werden, bereitzustellen, weshalb die „Welt“ vermeldete, der Baubeginn könne nun noch auf dieses Jahr vorverlegt werden.[19]

Wo allerdings tatsächlich die für die späteren Ausbauphasen benötigten Gasmengen herkommen sollen, um die Rentabilität des Projektes zu gewährleisten, ist weiterhin unklar – der Iran jedenfalls dürfte hierfür auch nach dem Regierungswechsel in den USA weiterhin ausscheiden. Gegenwärtig hofft man darauf, dass sich in Turkmenistan deutlich größere Vorkommen befinden als bisher angenommen. Doch selbst wenn dies so wäre, ist es keineswegs ausgemacht, dass diese Nabucco zur Verfügung gestellt werden. Noch weniger existiert bislang eine – aus vielen Gründen – schwierig zu bauende Pipeline durch das Kaspische Meer, die erforderlich wäre, um turkmenisches Gas an die Nabucco-Pipeline anzuschließen. Zumal Russland alles daran setzen dürfte, dies zu verhindern.

So steht das Nabucco-Projekt, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, weiterhin vor enormen Hürden. Deshalb – und da selbst eine erfolgreiche Realisierung die Abhängigkeit von Russland nur bedingt reduzieren würde, Nabucco würde lediglich ein Drittel des deutschen Gasbedarfs decken – werden fieberhaft weitere Alternativen gesucht.

Afrikanische Nabucco: Die Trans-Sahara Gas-Pipeline

Das geopolitische Fingerhakeln zwischen Russland und der Europäischen Union bleibt nicht auf die kaspische Region begrenzt. Nach den russischen Teilerfolgen sieht Brüssel dringenden Handlungsbedarf: „In der EU gibt es von Seiten der Mitgliedsstaaten, besonders nach dem Georgienkrieg, eine erhebliche Nachfrage nach einer Diversifikation, einer wirklichen Diversifikation der Versorgung“, so EU-Energiekommissar Andris Piebalgs nach einem Gespräch mit hohen nigerianischen Energiebeamten. „Die EU-Regierungen sind besorgt über eine zu große Abhängigkeit von Russland.“[20] Ganz ähnlich äußerte sich EU-Kommissionschef José Manuel Barroso: „Wir werden nicht untätig herumsitzen und zuschauen, wie die EU in eine Energieabhängigkeitskrise gerät.“[21]

Afrika spielt in diesen Überlegungen schon länger eine wichtige Rolle: „Europas Interesse an Energielieferungen aus Afrika wurde im November 2006 wiedererweckt, als feststand, dass man zu keinem neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland gelangen werde, das den gemeinsamen Beziehungen im Energiebereich eine offizielle Grundlage hätte geben können.“[22] Schon auf dem Afrika-EU-Gipfel im Dezember 2007 vereinbarten beide Seiten eine engere Kooperation in „Energiefragen mit strategischer Bedeutung“. In der Zwischenzeit wurde die Zusammenarbeit weiter konkretisiert: „Bei einem Treffen der EU-Kommissare Piebalgs und Michel mit Vertretern der Afrikanischen Union (AU) im September 2008 in Addis Abeba bezeichneten beide Seiten die geplante Transsahara-Pipeline als ‚ersten konkreten Schritt‘ hin zur Energie-Partnerschaft EU-AU. […] Gegenwärtig gibt es innerhalb der EU zudem Überlegungen, die Energieimporte aus Afrika durch Investitionen in die dortige Infrastruktur nochmals deutlich zu steigern.“[23]

Vor allem die nigerianischen Gasvorkommen sind dabei derzeit das Objekt der Begierde – immerhin verfügt das Land über die größten Reserven Afrikas. Dieses Gas soll nun mit einer Trans-Sahara-Gaspipeline (TSG) durch halb Afrika geleitet und dann über das algerische Leitungsnetz nach Europa geschleust werden: „Das Ausgangsterminal dieser insgesamt 4300 km langen Pipeline wäre Brass im Nigerdelta. Die Pipeline würde durch Nigeria (1050 km), Niger (750 km) und Algerien (2500 km) verlaufen und entweder in Beni Saf oder in El Kala an der algerischen Mittelmeerküste enden. Von dort könnte das Gas durch die Medgaz- und die Galsi-Pipeline nach Spanien und Italien weiter transportiert werden. Ab 2015 könnten so jährlich ca. 20 Mrd. Kubikmeter und ab 2030 sogar 30 Mrd. Kubikmeter Erdgas nach Europa gelangen.“[24]

Wichtiges EU-Projekt

Von EU-Seite wird das Vorhaben massiv unterstützt. So äußerte sich Energiekommissar Piebalgs folgendermaßen: „Die Trans-Sahara Gaspipeline könnte eine viel versprechende Versorgungsroute für die EU darstellen.“[25] Auch in ihrer „Zweiten Überprüfung der Energiestrategie“ vom November 2008 hob die EU-Kommission die Bedeutung der Pipeline hervor: „Die Transsahara-Gaspipeline ist für die EU eine wichtige zusätzliche Gelegenheit zur Diversifizierung ihrer Versorgungswege und -quellen. Die EU ist bereit, die Realisierung dieser Pipeline durch unterschiedliche Instrumente zu fördern, namentlich im Zuge einer bilateralen Zusammenarbeit, durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument, den Europäischen Entwicklungsfonds und die Europäische Investitionsbank.“[26] Die Nigeria-Reise der EU-Kommissare Piebalgs und Michel im September 2008 diente explizit dem Zweck, „das Projekt voranzutreiben.“[27]

Auch in Deutschland wurden die Zeichen der Zeit erkannt: „Im Rennen um Rohstoffe in Afrika darf Deutschland nicht im Abseits stehen, hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier diese Woche in Berlin gewarnt. Nun schmiedet die Bundesrepublik eine Energiepartnerschaft mit Nigeria. ‚Andere haben die Investitionsbedingungen erkannt und sind dabei, sich politische Einflusssphären zu schaffen‘, mahnte der SPD-Politiker auf der diesjährigen Botschafterkonferenz. In Nigeria immerhin versuchen die Deutschen, mit der Konkurrenz aus Asien und Russland mitzuhalten. Berlin schmiedet derzeit eine Energiepartnerschaft mit dem westafrikanischen Land, die in Afrika ihresgleichen sucht. Im Gegenzug für technologische Unterstützung habe Nigeria ‚uns zugesagt, Zugang zu Gasvorkommen zu verschaffen‘, pries Steinmeier das Projekt.“[28]

Konkurrenz zu Russland

Kaum ein Hehl wird daraus gemacht, dass dieses Pipeline-Projekt darauf abzielt, Russlands energiepolitische Position zu schwächen, nicht umsonst wird sie in manchen Medien als „afrikanische Nabucco“ bezeichnet.[29] Doch überall wo die EU wildert, ist Russland derzeit nicht weit entfernt. „Der neueste Schauplatz im Kampf um Energiequellen liegt in Nigeria. Die EU und Russland wetteifern um das Recht, eine Gaspipeline durch die Sahara zu bauen“, titelte Ende 2008 die Neue Züricher Zeitung.[30] Das Nachrichtenportal Euractiv überschrieb einen Artikel ganz ähnlich mit den Worten „EU und Russland reißen sich um nigerianisches Gas.“ Weiter heißt es dann: „Die parallelen Schachzüge Brüssels und Moskaus illustrieren den Wettlauf um Rohstoffe.“[31]

Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages betont in einem Gutachten die geopolitische Konfliktkonstellation, vor deren Hintergrund die Sahara-Pipeline gebaut werden soll: „Die EU steht mit ihren Bemühungen um eine Erschließung der nigerianischen Gasvorkommen in Konkurrenz zum russischen Monopolisten Gazprom. Wenige Wochen vor dem Besuch der EU-Kommissare in Lagos schloss Gazprom sowohl mit Nigeria als auch mit Algerien Abkommen zur Exploration ihrer Gasvorkommen und zur Beteiligung an der Transsahara-Pipeline ab. Damit unterläuft Gazprom, wie in der jüngeren Vergangenheit schon häufiger, die Versuche der EU, unabhängiger von russischen Energielieferungen zu werden.“[32]

Mit dieser Absichtserklärung scheint Russland die Europäische Union einmal mehr im Pipeline-Poker ausgestochen zu haben. „Gazprom – Europas Alptraum“ titelte im September 2008 die russische Zeitung „Gaseta“: „Gestern hat der russische Gasmonopolist ein Verständigungs-Memorandum mit der Nigerian National Petroleum Corporation (NNPCA) unterzeichnet und somit die energiewirtschaftliche Schlinge um Europas Hals noch fester zugezogen. […] Nach dem gestrigen Memorandum mit der NNPCA zweifeln Experten nicht mehr daran, dass der Bau der Trans-Sahara ohne Gazprom kaum erfolgen könnte.“[33]

Militarisierung der Region

Ein weiterer bislang kaum thematisierter Aspekt des TSG-Projektes stellt dessen Absicherung dar. „Im Nigerdelta um Port Harcourt machen Aufständische die Ölförderung unsicher; sie haben bereits damit gedroht, eine allfällige Trans-Sahara-Pipeline in die Luft zu sprengen. In Niger kämpfen Tuareg-Rebellen, in Algerien Islamisten gegen die Regierungen.“[34] Nicht nur Infrastruktur in Nigeria selbst, der gesamte Streckenverlauf soll „beschützt“ werden: „Die lange Strecke durch politisch instabile Regionen wie das nigerianische Niger-Delta, der wichtigsten Fördergegend auch für Gas, oder den Norden des Niger müsste gesichert werden.“[35] Was dies bedeutet, erläutert Susanne Nies vom French Institute of International Relations: „Das wäre dasselbe, wie eine Pipeline durch Afghanistan zu bauen – sie würde permanent bombardiert und angegriffen werden. […] Man müsste die gesamte Pipeline militarisieren und eine Pipeline erfordert ein 20 bis 30jähriges Engagement.“[36]

Solche Überlegungen sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass Afrika immer stärker in den Fokus der EU-Militärpolitik gerät, schließlich betrachtet nicht zuletzt der EU-Außenbeauftragte Javier Solana den Schutz sog. „kritischer Infrastruktur“ als eine militärische Aufgabe: „Im Bereich der Krisenreaktion […] müssen wir mehr tun, um zu gemeinsamen Risiko- und Bedrohungseinschätzungen zu gelangen. Damit zusammen hängt die Frage der physischen Absicherung – Raffinerien, Terminals, Pipelines, etc.“[37]

Afrika: Schauplatz im Neuen Kalten Krieg

Afrika droht wieder verstärkt Austragungsort von Großmachtkonflikten zu werden. China liefert sich bereits im Sudan eine Art Stellvertreterkrieg mit den USA und der Europäischen Union. Nun kommt auch noch Russland, das ebenfalls nicht gerade für seinen rücksichtsvollen Umgang mit schwächeren Staaten bekannt ist, als Akteur hinzu: „Was sich jetzt in Afrika abspielt, ist in jeder Beziehung ein Neuer Kalter Krieg um Energie. Jetzt ist auch Russland als Mitspieler in diesem dreidimensionalen Wettlauf um Ressourcen auf den Plan getreten.“[38]

Gas-OPEC und Energie-NATO

Aufgrund der beschriebenen erfolgreichen russischen Maßnahmen, die EU-Diversifikationsstrategie im Pipelinebereich zu durchkreuzen, versucht Brüssel auf anderem Wege an neue Gasquellen zu gelangen. Das Hauptproblem der EU ist, dass es augenblicklich nicht möglich ist, flexibel und kurzfristig auf Lieferengpässe zu reagieren, sollte ein Land die viel beschworene „Energiewaffe“ einsetzen. Denn weil Gas bislang nahezu ausschließlich über langfristige Verträge und via Pipelines bezogen werden kann, stellt es derzeit – noch – keine globale Handelsware wie Öl dar, die aus jedem Winkel der Welt gekauft werden könnte. In den vergangenen Jahren ist die Produktion von Flüssiggas, bei der der Stoff aufwendig heruntergekühlt und damit verschiffbar gemacht wird, jedoch effizienter, die Herstellung der für den Transport notwendigen Tanker um die Hälfte günstiger geworden. Die EU setzt deshalb massiv auf den Ausbau dieses Bereiches, womit mittelfristig ein globaler Gasmarkt entstehen dürfte.

Doch auch diese Entwicklung macht sich Russland zunutze. Ohne globalen Gasmarkt machte bislang ein OPEC-ähnliches Kartell, mit dem Angebot und Nachfrage und damit der Preis bestimmt werden kann, ebenso wenig Sinn wie ein Zusammenschluss, um die eigenen Gasressourcen als machtpolitischen Hebel zu verwenden. Mit dem Ausbau des Flüssiggasbereiches ändert sich diese Konstellation jedoch grundlegend. Schon als sich Russland erstmals positiv zu Überlegungen zur Gründung einer Gas-OPEC äußerte, löste dies deshalb hysterische Reaktionen in den westlichen Hauptstädten aus.

Bereits im November 2006 warnte der NATO-Wirtschaftsausschuss in einer an sämtliche Mitglieder verschickten Studie, Russland strebe ein Gaskartell mit dem Ziel an, seine Ressourcen als machtpolitischen Hebel zu verwenden. Am Ende desselben Monats ging US-Senator Richard Lugar, einer der führenden NATO-Strategen, buchstäblich in die Offensive. Am Rande des NATO-Gipfels in Riga kritisierte er Moskau für seine Versuche, Öl als „Waffe“ gegen den Westen einzusetzen und schlug die Bildung einer „Energie-NATO“ vor. Kernidee dabei ist es, dass die NATO künftig eine Unterbrechung der Öl- und Gaszufuhr wie einen militärischen Angriff behandeln soll (siehe AUSDRUCK Juni 2007).

Anfang 2008 veröffentlichten fünf hohe NATO-Generäle ein Grundlagenpapier, das explizit als Forderungskatalog für die anstehende Aktualisierung des Strategischen Konzeptes der NATO in die Debatte eingespeist wurde: „Es wird eine zunehmende globale Konkurrenz um knappe Ressourcen geben, auf alle Fälle wird dies für fossile Brennstoffe zutreffen, was die Möglichkeiten für die Versorger anwachsen lässt, ihre Stellung und ihren Hebel zu missbrauchen. […] Die Abhängigkeit von Öl und Gas ist eine Verwundbarkeit, die manche Regierungen versuchen werden auszunutzen – die Gazprom-Krise hat unter Beweis gestellt, wie einfach die Nachfrage manipuliert werden kann. Die Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) ist ein Mechanismus – und wird es wohl auch bleiben –, um die Ölpreise künstlich hoch zu halten und jüngst haben Russland und die Vereinigten arabischen Emirate die Möglichkeiten zur Bildung einer Gas-OPEC untersucht. […] Aus diesem Grund könnte es überlegenswert sein, in Betracht zu ziehen, die NATO als ein Instrument zur Energiesicherung zu verwenden.“[39]

Mitte 2008 erneuerte Richard Lugar, der zwischenzeitlich als Obamas Verteidigungsminister im Gespräch war, bei einer Senatsanhörung seine Vorschläge zur Gründung einer Energie-NATO und setzte sich vehement für den Bau der Nabucco-Pipeline ein.[40] Bei derselben Anhörung lobte der neue US-Vizepräsident Joseph Biden ausdrücklich Lugars energiepolitische Arbeit und betonte die Bedeutung der Auseinandersetzungen in der kaspischen Region: „Es geht um viel, um hunderte von Milliarden Dollar Öl und Infrastruktur, den Wiederaufstieg Russlands und die Energiesicherheit Europas. […] Die Russen lieben Schach. Unsere strategische Antwort auf dem Schachbrett Zentralasiens muss es sein, eine Präsenz auf den Teilen des Bretts zu etablieren, die sie noch nicht kontrollieren. Das bedeutet neue Pipelines zu verlegen, die Alternativen […] zum russischen Monopol eröffnen.“[41]

Russland ließ sich von diesem Säbelrasseln jedoch nicht beirren, am 23. Dezember 2008 fand der Gründungsgipfel von 16 gasexportierenden Ländern in Moskau statt, die Gas-OPEC ist damit Realität geworden.[42] Manche Experten bezweifeln zwar die Durchschlagskraft dieses Kartells[43], aber allein schon die westlichen Reaktionen zeigen deutlich, wie ernst dieser Versuch genommen wird. So warnte David Clark, ein ehemaliger Berater des britischen Außenministeriums: „Dabei handelt es sich um einen eindeutigen Versuch Russlands und anderer Staaten, ihren Einfluss zu vergrößern und Energie als geopolitische Waffe zu verwenden.“[44] Etwas weniger brachial, aber dennoch deutlich war auch die Kritik vonseiten der EU-Kommission: „Die Kommission ist grundsätzlich gegen Kartelle zum Verkauf und Marketing von Produkten und Kohlenwasserstoffe machen da keine Ausnahme“, so Ferrán Tarradellas Espuny, Energiesprecher der Kommission. „Wir glauben, die besten Bedingungen für den Verkauf eines Produktes wie Gas sind freie und transparente Märkte.“[45]

SCO und die Konturen des Neuen Kalten Krieges

In Russland reagiert man auf die westlichen Versuche, die Energiefrage zu militarisieren, äußerst empfindlich. „In letzter Zeit haben neue Mitglieder der Allianz vorgeschlagen, eine ‚Energie-NATO‘ zu gründen, ein Vorschlag, der in Washington auf enthusiastische Unterstützung traf. […] Angesichts dieser Entwicklungen kann sich Russland nicht mehr länger auf die allgemeinen Versicherungen freundlicher Absichten des Blocks verlassen.“[46] Moskau reagierte hierauf, indem es die lange vor sich hindämmernde Shanghai Cooperation Organization (SCO), ein Bündnis mit China und vier zentralasiatischen Staaten, stärkte.

Schon heute stellt die SCO einen überaus potenten Machtblock dar, dessen sechs Mitglieder 25% der Weltbevölkerung, 8% der Öl- und 31% der Gasvorkommen auf sich vereinen. Während dabei den USA der beantragte Beobachterstatus verwehrt wird, wurde dieser neben der Mongolei (2004) im Jahr 2005 Pakistan, Indien und ausgerechnet dem Iran eingeräumt. Im Oktober 2008 kündigte Wladimir Putin darüber hinaus an, dass die Zusammenarbeit mit den Beobachterstaaten deutlich intensiviert und sie sukzessive in sämtliche SCO-Aktivitäten eingebunden werden sollen.[47] Dies könnte eine Vorstufe zu einer Vollmitgliedschaft darstellen, um die der Iran bereits ersucht hat. Sollte dies eintreffen, so würden die Mitgliedsstaaten über 18% der weltweiten Öl- und 37% der Gasvorräte verfügen.[48] Darüber hinaus wurde auf russische Initiative bereits im August 2007 ein „SCO-Energieclub“ eingerichtet, in dem im Rahmen des Bündnisses auch rohstoffrelevante Fragen diskutiert werden.

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Pressemitteilungen, die angeben, die OPEC suche „den Schulterschluss mit den Nicht-Opec-Anbietern, um den Fall der Ölpreise zu stoppen. Opec-Präsident Chakib Khelil hat die Ölförderländer außerhalb seiner Organisation aufgefordert, sich an Produktionskürzungen zu beteiligen.“[49] Umgekehrt scheint sich auch Russland, das bislang einen solchen Schritt immer kategorisch abgelehnt hatte, künftig an die OPEC-Mengenbegrenzungen halten zu wollen: „Das russische Energieministerium plant die Einführung von ‚inneren Quoten‘, die die Erdölförderung in Russland regeln sollen. Dies würde zwangsläufig zur Begrenzung des Erdölexports und zur Stärkung von staatlich kontrollierten Ölunternehmen führen. Marktteilnehmer sind der Auffassung, Moskau könne alsbald vollwertiges OPEC-Mitglied werden.“[50] Ganz deutlich äußerte sich der russische Präsident Dmitri Medwedew über einen möglichen OPEC-Beitritt Ende 2008: „Wir sind dazu bereit, wir müssen uns und unsere Einkommensbasis verteidigen.“[51]

So zeichnen sich derzeit gravierende Veränderungen innerhalb des internationalen Mächtegefüges ab. Insbesondere nach den heftigen Konflikten mit dem Westen im Kontext des russisch-georgischen Krieges im Sommer 2008 mehren sich in Russland die Stimmen, die dafür plädieren, die SCO als anti-westlichen Gegenblock massiv auszubauen. So äußert sich etwa der Chef der Fernostabteilung der russischen Akademie der Wissenschaften, Anatoly Bolyatko, folgendermaßen: „Die SCO sollte möglicherweise damit beginnen, eine neue Rolle sowohl im als auch außerhalb des Kaukasus zu spielen. Was wir gegenwärtig beobachten, ist eine konkrete Krise der Vorstellung von einer unipolaren Weltordnung […]. Ich bin der Ansicht, dass Organisationen wie die SCO und BRIC, die Russland mit Brasilien, Indien und China vereinigt, eine wichtigere Rolle spielen sollten. Viele Menschen haben bereits den Bedarf realisiert, dass die SCO und andere internationale Organisationen damit beginnen, sich stärker darauf zu konzentrieren, globale Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten.“ Im Anschluss an diese Sätze warb Bolyatko dafür, Länder wie Indien, Pakistan und den Iran in die SCO aufzunehmen.[52]

Bereits im Sommer 2007 fand im Rahmen der SCO das erste Militärmanöver („Peace Mission 2007“) aller sechs Mitgliedsstaaten statt, an dem 6.500 Soldaten teilnahmen. Innerhalb des US-Militärs wird diese Übung als ein alarmierender Schritt gewertet, dass sich die SCO rasant in Richtung eines voll ausgewachsenen Militärbündnisses entwickelt.[53] Tatsächlich wird die SCO in russischen Zeitungen teils offen als „Anti-NATO“ und „Warschauer Pakt II“ bezeichnet.[54] Solche Aussagen werden in westlichen Sicherheitskreisen sehr ernst genommen, wo teils scharf vor dem neuen Militärblock gewarnt wird: „Das Jahr 2001 hätte ein Augenöffner sein können, aber der Westen, zu traumatisiert von den islamistischen Angriffen auf Amerika, versäumte es, eine ähnlich bedeutsame wenn auch weniger spektakuläre Entwicklung zu bemerken: […] Es dauerte fünf weitere Jahre, bis westliche Außenpolitikexperten realisierten, dass die sich herausbildende Shanghai Cooperation Organization de facto eine OPEC mit Bomben ist, die das Potenzial hat, sich mit der Zeit zu einer ‚NATO des Ostens‘ zu entwickeln.“[55]

Ausstieg aus der Eskalationsspirale

Der Aufstieg Russlands (und Chinas) ist unvermeidlich, die Vorherrschaft des Westens und ihres militärischen Durchsetzungsorgans, der NATO, steht fundamental in Frage: „Zwar basiert die Weltordnung des beginnen – den 21. Jahrhunderts weiterhin auf der Sicherheitsarchitektur der Transatlantischen Gemeinschaft und ihrem soliden Verteidigungsinstrument, der NATO. […] Am fernen Horizont sind die Konturen einer neuen Weltordnung mit ihren Begriffen wie BRIC (inoffizielle Bezeichnung der am schnellsten wachsenden Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China), Schanghai Organisation für Zusammenarbeit und der Gas OPEC zu erkennen.“[56]

Wird der Westen bereit sein, Macht und Einfluss abzugeben oder (militärisch) auf seiner Vorherrschaft beharren? In Russland jedenfalls stellt man sich inzwischen auf heftige Konflikte ein. Die Einschätzung herrscht vor, der Westen wolle einen Wiederaufstieg Russlands unter allen Umständen verhindern.[57] Auch von Obama scheint man diesbezüglich keine substanzielle Verbesserung zu erwarten. Leonid Ivashov, ehemaliger russischer Generalstabschef, schreibt hierzu: „Die globale US-Führerschaft und die Förderung amerikanischer Interessen waren schon immer die Prioritäten der politischen Elite der Vereinigten Staaten. […] Kein US-Präsident wird die US-Strategie je ändern, noch würde ihm dies durch die finanziellen Schattenorganisationen erlaubt werden. Es ist diese Allianz aus Obama und dem globalen Finanzwesen (global finances), die bei den Wahlen am 4. November triumphierte. Gegenwärtig ist es eine Priorität dieser Allianz, den Aufstieg der Vereinigten Staaten zur globalen Vorherrschaft fortzusetzen, während dieser Kurs im Namen einer neuen US-Politik angekündigt werden wird.“[58]

Der Vorschlag Dmitri Medwedews, eine „alternative Sicherheitsarchitektur“ zu schaffen, die im Gegensatz zur NATO auch Russland einbindet, verhallte bislang ungehört. Auch der neue US-Präsident Barack Obama scheint davon nichts wissen zu wollen. Schlimmer noch: mit Michael McFaul ernannte er einen ausgewiesenen Russland-Hardliner zum Leiter des Arbeitsgebietes Russland im Nationalen Sicherheitsrat. Somit deutet wenig darauf hin, dass es unter Obama zu einem dringend erforderlichen Kurswechsel kommen wird, vielmehr läuft auch er Gefahr, den Neuen Kalten Krieg zu einer self-fullfilling prophecy zu machen.

Anmerkungen:

[1] Kagan, Robert: Die Demokratie und ihre Feinde, Bonn 2008, S. 7.
[2] Trenin, Dimitri: Energy geopolitics in Russia-EU relations, in: Pipelines, Politics and Power: The future of EU-Russia energy relations, Centre for European Reform, October 2008, S. 15-24, S. 15.
[3] Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Energiesicherheit 2050. Eine ressortübergreifende Herausforderung, Berlin, Juni 2008. Hervorhebung JW.
[4] America’s Army: The Strength of the Nation, The Army Modernization Strategy 2008, S. 5f.
[5] Mitteilung der Kommission an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament: Eine Energiepolitik für Europa, Brüssel, den 10.1.2007 KOM(2007) 1 endgültig.
[6] Rahr, Alexander: Putin nach Putin – das kapitalistische Russland am Beginn einer neuen Weltordnung, Tübingen 2008, S. 29f.
[7] Friedl, Dieter: Ein Bypass für die Gasversorgung, Wiener Zeitung, 28.01.2009.
[8] Seiser, Michaela: Projekt „Nabucco“ für Europa, faz.net, 18.01.2009.

[9] Aartsen, Jozias: Why energy must be the core of EU security thinking, Europesworld, 18.02.2008.
[10] EU emanzipiert sich von russischem Gas, Die Presse, 14.04.2008.
[11] Nothegger, Barbara: Europas lange Leitung, Die Zeit, 2/2008.
[12] Georgian Conflict Obliges Export Route Reality Check, Excerpt from Caspian Investor by Dr. Kent Moors, Contributing, 21.08.2008, URL: http://tinyurl.com/ckvugn (02.02.2008). Siehe auch Georgia crisis could thwart EU project to bypass Russia for natural gas, International Herald Tribune,28.08.2008.
[13] US-Wahlkampf: Palin sieht in Russlands Energiepolitik Bedrohung für USA und Europa, RIA Novosti, 30.10.2008.
[14] Europolitics, 16.09.2008.
[15] Pany, Thomas: Europas Abhängigkeit von Russland, Telepolis, 13.11.2008.
[16] Gaskrise sorgt für neuerliche Zweifel an Nabucco-Pipeline der EU, euractiv, 20.01.2009.
[17] Glos will Einhaltung der Erdgas-Lieferversprechen, faz.net, 27.01.2009.
[18] EU will Pipeline-Projekt Nabucco vorantreiben, yahoo Nachrichten, 27.01.2009.
[19] Schraven, David: EU will Bau der Nabucco-Pipeline beschleunigen, Die Welt Online, 27.01.2009.
[20] Green, Mathew: Brussels takes on Gazprom in Nigeria, Financial Times, 17.09.2008.
[21] Pop, Valentina: EU to help Africa expand energy sector, Euobserver, 09.09.2008.
[22] EU und Afrika: Ehrgeizige Energiepartnerschaft eingeleitet, euractiv, 09.09.2008.
[23] Schneider, Jörg/Pohl, Marionka: Eine Gaspipeline von Nigeria bis zum Mittelmeer? Überlegungen in der Europäischen Kommission zum Bau einer Pipeline durch die Sahara, Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Nr. 30/08, 03.12.2008, S. 1.
[24] Ebd.
[25] Trans-Sahara Gas Pipeline conference: future possibilities for diversification of EU energy supply, Europaworld, 13.07.2007.
[26] Zweite Überprüfung der Energiestrategie, KOM(2008) 781 endgültig, Brüssel, den 13.11.2008, S. 11.
[27] Schneider/Pohl 2008, S. 2.
[28] Zapf, Marina: Deutsche hoffen auf Nigerias Gas, Financial Times, 11.09.2008.
[29] EU und Afrika: Ehrgeizige Energiepartnerschaft eingeleitet, euractiv, 09.09.2008.
[30] Green, Mathew: Die EU will an Nigerias Erdgas, Neue Züricher Zeitung, 21.09.2008.
[31] EU und Russland reißen sich um nigerianisches Gas, euractiv, 18.09.2008.
[32] Schneider/Pohl 2008, S. 2.
[33] Gazprom – Europas Albtraum – „Gaseta“, RIA Novost, 04.09.2008.
[34] Green 2008.
[35] Claasen, Heimo: Wettlauf um afrikanisches Gas, welt-sichten 10-2008.
[36] EU seeks best of bad options for energy security, Reuters, 17.09.2008.
[37] Javier Solana, EU High Representative for the Common Foreign and Security Policy, Address at the Conference Towards an EU External Energy Policy, S324/06, Brüssel, 20. November 2006.
[38] Engdahl, William F.: »Gazprom« und der Neue Kalte Krieg um die afrikanischen Bodenschätze, 16.01.2008, URL: http://tinyurl.com/bzlsxm (02.02.2008).
[39] Naumann, Klaus u.a.: Towards a Grand Strategy for an Uncertain World: Renewing Transatlantic Partnership, Januar 2008, URL: http://tinyurl.com/5bujl9 (02.02.2009), S. 47f.
[40] U.S. Senate Committee on Foreign Relations, Senator Richard G. Lugar Opening Statement for Hearing on Oil, Oligarchs and Opportunity: Energy from Central Asia to Europe, 12.06.2008, URL: http://tinyurl.com/df7tg8 (02.02.2009)
[41] BIDEN: We Need to Confront Russia’s Oil Dominance with Aggressive, 12.06.2008, URL: http://tinyurl.com/crjhol (02.02.2009). Vgl. auch Hantke, Martin: Imperiale Geopolitik: Ukraine, Georgien und der Neue Kalte Krieg zwischen der NATO und Russland, in: DFG-VK/IMI (Hg.): Kein Frieden mit der NATO, Tübingen 2009, S. 52-56.
[42] Blick in die Röhre, ntv, 06.01.2009.
[43] Vgl. etwa Götz, Roland: Pipeline-Popanz. Irrtümer der europäischen Energiedebatte, in: Osteuropa 1/2009.
[44] European exports help Gazprom profits soar by 30%, Guardian, 23.10.2008.
[45] Hotten, Russel: Gas producers plan Opec-style cartel, The Telegraph, 22.10.2008.
[46] Kokeyev, Mikhail: Russia-NATO Relations: Between the Past and the Future, in: Russia in Global Affairs, April/Juni 2007.
[47] Putin promotes SCO at international summit, Moscow News, 30.10.2008.
[48] Pham, Peter: NATO’s New Rival, National Interest Online, 19.08.2008.
[49] Palm, Regine/Wiede, Thomas: Russland und Opec nähern sich an, Handelsblatt, 21.10.2008.
[50] Gründet Russland Gas-Kartell für OPEC-Beitritt? RIA Novosti, 23.10.2008.
[51] Russland kann in OPEC eintreten, Ölförderung drosseln, Russland Aktuell, 12.12.2008.
[52] Korotun, Lada: Russia-China: SCO Military Alliance Challenges US-NATO Unipolar World, Globalresearch.ca, 07.09.2008.
[53] Nerlich, Uwe: Energy Security or a New Globalization of Conflicts? Oil and Gas in Evolving New Power Structures, in: Strategic Insights, Volume VII, Issue 1 (February 2008).
[54] Blomfield, Adrian: Putin praises strength of ‚Warsaw Pact 2‘, London Telegraph, 17.08.2007.
[55] Dillon, Dana: The Civilian Side Of the War on Terror, Policy Review, October/November 2007.
[56] Rahr 2008, S. 10f.
[57] Karaganov, Sergei: A New Epoch of Confrontation, Russia in Global Affairs, Oktober/Dezember 2007.
[58] Ivashov, Leonid: Obama to Move Into the White House: Do Changes Await the US Geopolitics? Strategic Culture Foundation, 09.11.2008, URL: http://en.fondsk.ru/article.php?id=1724 (02.02.2009).

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de