IMI-Standpunkt 2008/061
Wird die NATO zum militärischen Flügel der UN?
(04.12.2008)
Weitgehend unbemerkt und an den Strukturen der Vereinten Nationen vorbei hat deren Generalsekretär, Ban Ki-moon, bereits am 23. September 2008 ein Abkommen mit der NATO unterzeichnet. Die UN allerdings scheinen nicht besonders stolz auf das einseitige Dokument zu sein und hielten dessen Inhalt bislang geheim. Mittlerweile ist es an die Öffentlichkeit gedrungen und hat heftige Kritik insbesondere am UN-Generalsekretär ausgelöst.
„Der Generalsekretär der Vereinten Nationen und der Generalsekretär der Nato begrüssen die bereits über ein Jahrzehnt andauernde Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und der Nato zur Unterstützung der Arbeit der Vereinten Nationen an der Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit…“ Mit diesen Worten beginnt die gemeinsame Erklärung. Die USA, Frankreich und Großbritannien, alles ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, hätten Druck auf Ban Ki-moon ausgeübt, zu unterzeichnen. Russland, ebenfalls ständiges Mitglied im Sicherheitsrat und eigentlich der einzige Rest Feind, den die NATO noch hat, bekam im Vorfeld der Unterzeichnung Wind von dem Abkommen und stellte Ban Ki-moon zur Rede, erhielt aber nur ausweichende Antworten.[1] „Es liegt auf der Hand, dass dies ein Affront gegen China und Russland ist sowie auch gegen die «blockfreien» Staaten darstellt“ urteilte deshalb Alfred de Zayas, ehemaliger Sekretär des UN-Menschenrechtsausschusses.[2] Der Generalsekretär habe hiermit seine Kompetenzen überschritten und die UN endgültig parteilich werden lassen. Eben diese Parteilichkeit macht er für den Tod zahlreicher UN-Mitarbeiter im Irak verantwortlich, da sie dazu führte, „dass die Iraker die Uno als einen imperialistischen Arm der Nato verstanden haben beziehungsweise wahrscheinlich noch so verstehen“.[3]
Ein atomwaffengestütztes Militärbündnis als Friedensbringer
Eine ähnliche Kritik formulierte der Vorstand der Transnational Foundation for Peace and Future Research: Ein solches Abkommen erschwere es noch mehr, zwischen NATO- und UN-Einsätzen zu unterscheiden. Nachdem die UN die NATO auf diese Weise mit einem „besonderen Status“ ausgezeichnet hat, dürfte es künftig nahezu unmöglich werden, dem Bündnis, das bereits drei von fünf Vetomächten im Sicherheitsrat stellt, Brüche des Völkerrechts vorzuwerfen. Außerdem stellt das Friedensinstitut in Frage, wie die UN nach diesem engen Abkommen noch ihre Ziele der weltweiten Abrüstung und Abschaffung von Atomwaffen verfolgen kann, wo doch die NATO-Staaten für 70% der globalen Rüstungsausgaben verantwortlich sind und es sich das Bündnis vorbehält, auch auf konventionelle Angriffe mit Atomschlägen zu reagieren. Das Abkommen zwischen UN und NATO sei „auf gleicher Augenhöhe“ geschlossen worden. Bei der NATO handle es sich aber um ein von Atomwaffen gestütztes Militärbündnis, die UN hingegen verfolge nach Artikel 1 ihrer Charta das Ziel, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen.“ Irritiert zeigt sich die Transnational Foundation außerdem über den Zeitpunkt des Abkommens, schließlich seien die NATO-Staaten gegenwärtig in „mehrere sehr heikle Konflikte – heikel auch unter Mitgliedern des Sicherheitsrates – verwickelt“, darunter die Georgien-Krise und die sich zuspitzende Lage in Afghanistan.[4]
UN als neues Vehikel der USA
Andere, wie Karl Müller in den Zeit-Fragen, finden den Zeitpunkt hingegen „bezeichnend“ und sehen eine Verbindung zu den Wahlen in den USA. Auch Obama wolle die weltweite Vormachtstellung der USA aufrechterhalten, anders aber als sein Vorgänger Bush eher durch eine Instrumentalisierung der UN anstatt an den Vereinten Nationen vorbei. So finden sich im außenpolitischen Beraterstab Obamas zahlreiche „Ideologen der humanitären Intervention“.[5] Eine wichtige Weichenstellung für solch eine Instrumentalisierung wurde mit der „Verantwortung zum Schutz“ (Responsibility to Protect) auf dem Reformgipfel zum 60jährigen Bestehen der UN vorgenommen, auf den sich das UN-NATO-Abkommen explizit bezieht. Mit der Feststellung dieser „Verantwortung“ – die irgendetwas zwischen Definition und völkerrechtlicher Norm darstellt – versuchten einige Staaten das Souveränitätsprinzip und damit das Interventionsverbot auszuhebeln und somit eine völkerrechtliche Legitimation für Staaten und Militärbündnisse zu schaffen, um unter humanitären Vorwänden Angriffskriege zu führen. Ebenso begründete die NATO ihr völkerrechtswidriges Bombardement Rest-Jugoslawiens 1999.
Vorbild EU
Betrachtet man ein sehr ähnliches Abkommen, das fast auf den Tag genau fünf Jahre früher, nämlich am 24. September 2003, zwischen der EU und der UN geschlossen wurde, so steht durchaus zu befürchten, dass NATO-Interventionen unter eigener Führung aber mit UN-Mandat zukünftig zunehmen werden. Das damalige Abkommen begann fast wortgleich folgendermaßen:
„Der Generalsekretär der Vereinten Nationen und die Ratspräsidentschaft der EU begrüssen die andauernde Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und der EU im Bereich des zivilen und militärischen Krisenmanagements, vor allem auf dem Balkan und in Afrika.“[6]
Im Abkommen mit der NATO wird angekündigt, dass ein „Rahmen für erweiterte Beratung und Zusammenarbeit zwischen ihren jeweiligen Sekretariaten zu schaffen“ sei, um die Kooperation „zwischen unseren Organisationen im Hinblick auf Fragen von gemeinsamem Interesse weiterzuentwickeln, einschliesslich, aber nicht beschränkt auf Kommunikation, Teilen von Informationen, einschliesslich Fragen des Schutzes der Zivilbevölkerung, des Aufbaus von Kapazitäten, von Training und Übungen, Auswertung von Lernergebnissen, Planung und Unterstützung für Eventualitäten und operationale Koordination und Unterstützung.“ Auch hierzu finden sich nahezu identische Formulierungen im fünf Jahre älteren EU-Dokument. Wichtig – und im Hinblick auf die NATO besorgniserregend – ist die Tatsache, dass es dabei keineswegs nur bei leeren Versprechen blieb. Im Anschluss an das Abkommen wurde ein EU-UN Lenkungsausschuss eingerichtet, der an der Vorarbeit eines „Implementierungsprogramms“ beteiligt war, in dem die EU ihre Fähigkeiten zur Konfliktbefriedung anpries und konkrete Vorschläge machte, wie sie im Rahmen von UN-Einsätzen oder diese ergänzend und ersetzend intervenieren könnte. Gleichzeitig machte die EU in diesem Prozess aber auch klar, dass sie zukünftig keine Soldaten mehr dem UN-Kommando unterstellen will sondern allenfalls – wenn es ihren Interessen entspricht – selbst interveniert.[7] Die so entstandene enge Abstimmung zwischen EU und UN kam bereits nach gut zwei Jahren das erste Mal zum Tragen, als die EU parallel zur UN-Mission Monuc einen eigenen Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo zur Absicherung der Wahlen beschloss. Auch der UN-mandatierte Einsatz in Tschad und der Zentralafrikanischen Republik wurde eher unbürokratisch zwischen beiden Organisationen abgestimmt. Seit dem heißt es zumindest in Bezug auf Afrika in Brüssel, man könne sich jeglichen Einsatz schnell von der UN mandatieren lassen, wenn man dies nur wolle.
UN-Deckmäntelchen und Ban Ki-moon Marionette
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen beiden Erklärungen liegt in ihrer Kontrafaktizität bzw. ihrer beschönigenden Darstellung der bisherigen Kooperationen. Das Abkommen mit der EU lobte deren Engagement auf dem Balkan und am Kongo, dasjenige mit der NATO deren Missionen in Bosnien und Afghanistan. In all diesen Fällen hat sich die UN mit der Delegation an EU und NATO bzw. mit der nachträglichen Legitimation von Angriffskriegen nicht eben mit Ruhm bekleckert, während sich sowohl die EU in Afrika und auf dem Balkan als auch die NATO auf dem Balken und in Afghanistan erfolgreich zu militärischen Interventionsbündnissen weiterentwickeln konnten. Zumindest in Bosnien, aber auch in Afrika insgesamt, kann man hingegen sagen, dass die EU und NATO-Staaten die UN geschwächt haben, indem sie deren eigenständigen Missionen kaum unterstützt haben und nur darauf warteten, als Feuerwehr gerufen zu werden.
Das neue Abkommen mit der NATO droht eine eingespielte Zusammenarbeit zwischen NATO, EU und UN weiter zu verfestigen: Während die UN selbst langfristige Einsätze in geopolitisch uninteressanten Regionen unter eigenem Kommando ausführt, greift die NATO – mit oder ohne UN-Mandat – dort ein, wo sie eigene Interessen verfolgt. Die EU übernimmt danach UN-mandatiert die Stabilisierung und führt gelegentlich maneuverartige Missionen in Afrika durch, um ihre Kapazitäten hierfür auszubauen. Deshalb fordern nun viele Mitarbeiter und Unterstützer der UN eine intensive und ergebnisoffene Debatte um das bislang geheim gehaltene Dokument. Sie greifen Ban Ki-moon scharf an. Ganz zurecht: Er gefährdet mit diesem Abkommen die Neutralität und damit auch die Legitimität der UN und wird selbst zunehmend als Marionette der USA wahrgenommen. „Die einzigartige Bedeutung der Vereinten Nationen“ scheint tatsächlich nur noch darin zu bestehen, „einen notwendig werdenden Einsatz militärischer Gewalt mit der völkerrechtlichen Legitimität zu versehen“, wie es das Bundesverteidigungsministerium bereits 2006 in seinem Entwurf für ein Weißbuch der Bundeswehr formulierte.[8]
Anmerkungen
[1] UN and NATO sign Secret Military Cooperation Agreement in Violation of UN Charter – Ban Ki-moon acting beyond his powers, RIA Novosti (9.10.2008)
[2] Alfred de Zayas: Verstoss gegen Uno-Charta, in: Zeit-Fragen Nr. 48.
[3] Karl Müller: Geheimabkommen zwischen Uno und Nato kann nicht im Sinne der Weltgemeinschaft sein, in: Zeit-Fragen Nr. 48.
[4] TFF PeaceTips vom 3.12.2008: Breaking News… Secret UN-NATO Cooperation Declaration
[5] Jürgen Wagner: Change We Can´t – Barack Obama, der Siegeszug der „War-Democrats“ und die Re-Vitalisierung der NATO, in: AUSDRUCK (Dezember 2008)
[6] Council of the European Union: Joint Declaration on UN-EU Co-operation in Crisis Management (CL03-310EN)
[7] Christoph Marischka: Battlegroups mit UN-Mandat – Wie die Vereinten Nationen die europäische Rekolonialisierung Afrikas unterstützen, Studien zur Militarisierung EUropas 31/2007
[8] Martin Kutscha: Abschied von der Friedensstaatlichkeit? – Stellungnahme zum Entwurf eines „Weißbuchs zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ vom 28.April 2006