IMI-Analyse 2007/034
Der Sudan im Räderwerk der Weltpolitik
David Meienreis (15.10.2007)
https://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2007-034.pdf
In Darfur, der westlichsten Region des Sudan, herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Auf massiven Druck der USA und ihrer Verbündeten in der Europäischen Union (EU) hin hat die sudanesische Zentralregierung unter Präsident Umar al-Baschir im Juni der Entsendung einer militärischen „Hybrid-Mission“ zugestimmt, an der sich insgesamt bis zu 26.000 UN-Blauhelmsoldaten und Einheiten der Afrikanischen Union (AU) beteiligen sollen. Diese internationale militärische Intervention wird dem Land weder Frieden noch Demokratie oder Wohlstand bringen. Die humanitäre Katastrophe, die zur Begründung des Einsatzes angeführt wird, ließe sich zudem ohne Militär und weiteres Blutvergießen lösen. Dazu wäre nicht mehr, sondern weniger Einmischung durch ausländische Regierungen nötig.
Zur Geschichte der aktuellen Krise
Der Sudan ist das größte Land des afrikanischen Kontinents und umfasst eine Fläche, die sieben Mal so groß ist wie Deutschland. Seine Entstehung als einheitliches Staatsgebilde schuldet er der Kolonialpolitik Frankreichs und Großbritanniens, die die Gebiete am Horn von Afrika im 19. Jahrhundert untereinander aufteilten. Die Grenzziehung des Sudan wie auch seiner ostafrikanischen Nachbarstaaten nahm auf ethnische oder geographische Zusammenhänge keine Rücksicht, sondern fußte allein auf dem militärischen Kräfteverhältnis der beiden größten Kolonialmächte zu der Zeit. Die Bevölkerung des Landes ist größtenteils muslimisch. Arabisch ist Landessprache. Wirtschaftlich unterteilt sich das Land in wenige städtische Industriezentren und ländliche Gebiete, in denen nomadische Stämme und sesshafte landwirtschaftlich orientierte Gemeinden nebeneinander leben. Die Bevölkerung des Landes ist von knapp zwei Millionen 1905 auf 26 Millionen 1993 und rund 40 Millionen 2006 angewachsen und hat sich damit allein in den vergangenen 15 Jahren fast verdoppelt. Dies hat im Zusammenwirken mit dem vielerorts extrem trockenen Klima der Sahelzone bereits seit vielen Jahren zu teils gewaltsamen Auseinandersetzungen um Weide- und Ackerflächen geführt, von denen die Weltöffentlichkeit kaum Notiz genommen hat. Der Sudan ist seit seiner Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht 1956 fast ununterbrochen Schauplatz innerstaatlicher bewaffneter Konflikte gewesen. Als Verbündeter des Westens im Kalten Krieg und als Empfänger auch deutscher Waffenlieferungen, die erst 1993 eingestellt wurden, war das Land aber von Kritik an seiner Menschenrechtsbilanz lange Zeit ausgenommen.[1]
1998 machte die Regierung unter US-Präsident Clinton die al-Qaeda als Verantwortliche für die Attentate auf die US-Botschaften in Nairobi und Dar-es-Salaam aus. Weil die al-Qaeda im Sudan Lager unterhielt, bombardierte die US-Luftwaffe 1998 eine Medikamentenfabrik im Sudan und forderte von der sudanesischen Regierung die Auflösung der al-Qaeda-Strukturen in ihrem Land. Präsident Al-Bashir kam dieser Forderung nach und stieg nach dem 11. September 2001 zu einem der Verbündeten der Bush-Regierung im „Kampf gegen den Terrorismus“ auf.
Zu dieser Zeit bekämpfte die sudanesische Regierung im Süden des Landes verschiedene bewaffnete Gruppen, die sich zur Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) zusammengeschlossen hatten und sich seit Mitte der 80er Jahre im Aufstand befanden. Dieser Krieg hat seit 1985 Schätzungen zufolge 2,2 Millionen Todesopfer gefordert und ist damit einer der blutigsten seit dem zweiten Weltkrieg.[2] Der langjährige Anführer der SPLA, John Garang, orientierte seine Miliz auf eine größere Autonomie des südlichen Landesteils, der an der politischen Macht und den Ressourcen des Landes stärker beteiligt werden sollte. Garang kam im Juli 2005 bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben. Auf massiven diplomatischen Druck der USA hatte die sudanesische Zentralregierung im Januar 2005 ein Umfassendes Friedensabkommen (CPA) mit seiner Bewegung unterzeichnet, als Teil dessen die SPLM, der politische Arm der SPLA, an der Zentralregierung beteiligt wurde, und das für 2011 eine Volksabstimmung nur im Süden des Landes über dessen Unabhängigkeit vorsieht.[3] Alle Beobachter gehen davon aus, dass dieses Referendum zur Bildung eines neuen Staates führen wird. Unsicher ist, ob die Regierung in Khartum Militär einsetzen wird, um diese Entwicklung zu verhindern. Die NATO-Mächte und allen voran die USA setzen jedenfalls – all ihrer öffentlichen Sorge um den Zerfall von Staaten und die Stabilität der internationalen Ordnung zum Trotz – auf die Zergliederung des Sudan und nehmen dabei in Kauf, die sudanesische Regierung vor den Kopf zu stoßen. „Was des einen Terrorist, ist des anderen Freiheitskämpfer“, wusste Präsident Bush schon kurz nach dem 11. September.
Zur Rechtfertigung einer internationalen Invasion
Was in Darfur zurzeit geschieht ist umstritten. Teile der US-Regierung sprechen von Völkermord und bis zu 400.000 Toten. Der US-Gesandte für Darfur, Andrew Natsios , beschuldigt die sudanesische Regierung, bei Bombardements den Tod von Zivilisten in Kauf zu nehmen.[4] Die Vereinten Nationen schätzen, dass bislang bis zu 200.000 Menschen den Gewalttätigkeiten zum Opfer gefallen und bis zu 2,5 Millionen weitere vertrieben worden sind. Vier Millionen sollen denselben Schätzungen zufolge humanitärer Hilfe bedürfen. Bei einer Gesamtbevölkerung des Darfur von sieben Millionen Menschen würde das bedeuten, dass sämtliche Einwohner des riesigen Gebietes mehr oder weniger schwer von den Kämpfen betroffen sind. Diese Schätzungen beruhen allerdings großenteils auf den Zählungen der Mitarbeiter der UN-Flüchtlingslager, die in Darfur selbst und im angrenzenden Tschad eingerichtet wurden. Dort wird eingestanden, dass in armen Regionen das Angebot von Lebensmitteln, sauberem Trinkwasser, medizinischer Versorgung und wetterfesten Unterkünften erfahrungsgemäß eine starke Anziehungskraft hat. Auch in Abwesenheit kriegerischer Auseinandersetzungen sind Armut und Elend ausreichende Motivation, Hilfe aufzusuchen, wenn sie denn angeboten wird.
Die US- und die britische Regierung drängen seit langem beharrlich auf die Einrichtung einer Flugverbotszone über Darfur.[5] Ein Berliner Universitätsinstitut mit langer Erfahrung in der Fernerkundung Darfurs bot vergeblich an, zu geringen Kosten aktuelle Satellitenbilder der Region auszuwerten. Bislang sind keine Massengräber gefunden worden, und auch von den angeblich 2.000 zerstörten Dörfern in Darfur werden der Öffentlichkeit keine Bilder präsentiert. „Dies legt den Schluss nahe, dass man das wahre Ausmaß der Zerstörungen gar nicht wissen will. Punktuelle Überprüfungen der häufig abgedruckten Karte der USAID (US Agency for International Development) mit Hilfe von Quickbird-Aufnahmen ergaben vielmehr in einem der angeblich am schlimmsten betroffenen Gebiete keine einzige niedergebrannte Hütte“, berichtete der Sudan-Experte Dr. Stefan Kröpelin von der Universität Köln Ende 2006. „Und warum ist der seit über drei Jahren angekündigte UN-Report, der die hohen Schätzungen belegen soll, noch immer nicht erschienen? In den letzten Ankündigungen im Juni 2006 sprach der Chefankläger Luis Ocampo entgegen den sonst genannten Zahlen nur noch von >einer erheblichen Anzahl von Massakern mit jeweils Hunderten Opfern<, was schrecklich genug ist, aber der Realität wahrscheinlich näher kommt. Bis endlich schlüssige Beweise vorgelegt werden, ist davon auszugehen, dass in den vergangenen Jahren ungleich mehr unschuldige Zivilisten im Irak, in Afghanistan, in Palästina und im Libanon ums Leben gekommen sind.“[6] Die Situation wird zusätzlich verkompliziert, weil neben den beiden größten Rebellengruppen in Darfur, der Sudanesischen Befreiungsarmee (SLA) und der Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM), die untereinander ebenso wie intern zerstritten sind, mittlerweile eine Vielzahl anderer bewaffneter Gruppen in Darfur agieren, von denen nur einige Absplitterungen dieser beiden Gruppen darstellen. Einige werden von der eritreischen Regierung unterstützt, deren Rivale Äthiopien, Hauptverbündeter der USA am Horn von Afrika, zur sudanesischen Regierung hält.[7] Das im Mai 2006 unterzeichnete Darfur Friedensabkommen (DPA) wurde unter anderem von der JEM nicht anerkannt. Die JEM erhält Unterstützung von der Regierung des Nachbarlandes Tschad, dessen Präsident Déby Aufstände gegen sein Regime im April vergangenen Jahres nur mit ihrer und der Hilfe Frankreichs niederschlagen konnte. Umgekehrt soll die sudanesische Regierung Gegner Débys zur Bekämpfung der Rebellen in Darfur eingesetzt haben.[8] Auch die Zentralafrikanische Republik, wo innerstaatliche Konflikte toben, dient als Rückzugs- und Kampfgebiet der in Darfur streitenden Parteien. Die USA und Großbritannien sind um eine Vereinheitlichung der Aufständischengruppen in Darfur bemüht, um deren Position gegenüber der sudanesischen Regierung zu stärken.[9] Der Darfur-Konflikt ist eingebettet in ein Netz rivalisierender lokaler, regionaler und globaler Interessen. In diesem komplizierten Geflecht agiert die US-Diplomatie auf der Suche nach Einfluss und Verbündeten so verlässlich wie ein Schmetterling und so sensibel wie ein Elefant im Porzellanladen. Der ehemalige Afrikazuständige des Nationalen Sicherheitsrates von George W. Bush, John Prendergast, bezeichnet die Politik der Bush-Regierung am Horn von Afrika als „erratisch und kurzsichtig“.[10] Vorschläge für eine politische Lösung des Konfliktes zur Zufriedenheit aller Beteiligten und Betroffenen hat bislang niemand vorgelegt. Für die Befürworter einer „friedenserzwingenden“ UN-Mission, also eines Kampfeinsatzes, ist die Behauptung zentral, in Darfur finde ein Völkermord statt. Denn zur Legitimierung eines Eingriffs in die Souveränität eines Staates durch die UNO sind nach aktueller Lesart der UN-Charta massive Menschenrechtsverletzungen oder eben ein Völkermord notwendig, zu deren Beendigung der betreffende Staat nicht bereit oder unfähig ist.[11] Es sollte misstrauisch stimmen, dass die Forderung nach dem Schutz der Menschenrechte durch ausländische Truppen von eben jenen Politikern am lautesten erhoben wird, deren Opfer im Irak, in Afghanistan und in Guantánamo in die Hunderttausende gehen. Mindestens zwei weitere Erwägungen sprechen aber dagegen, das Leiden der Menschen in Darfur militärisch beenden zu wollen. Globale Konkurrenz und das Ringen um Afrika
Zum einen sind in den vergangenen Jahren am Horn von Afrika – besonders in Somalia und im Sudan – erhebliche Vorkommen an Erdöl und –gas entdeckt worden. Die Erkundung der Reserven im Sudan ist noch nicht abgeschlossen. Nach ersten Funden im Süden des Landes stellt sich nun heraus, dass sich die bekannten Felder kontinuierlich nach Westen, also nach Darfur hinein erstrecken. Aktuelle Schätzungen vermuten im Sudan Ölvorkommen, die das Land zu einem relevanten Lieferanten machen könnten.[12] Ein zentraler Streitpunkt zwischen der SPLA und der Zentralregierung in Khartum ist die Aufteilung der Einkünfte aus diesen Funden. Die US-Regierung unterstützt die Position der SPLA.
1980 war es der US-Ölkonzern Exxon, der sich Förderkonzessionen im Sudan sicherte. Aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage, der geringen damals zu erwartenden Fördermengen und der Verschlechterung des politischen Klimas zwischen dem Sudan und den USA, die in US-Wirtschaftssanktionen gipfelte, gab Exxon seine Lizenzen Anfang der 90er Jahre auf. Mittlerweile ist der chinesische Ölkonzern CNPC der größte und praktisch einzige Investor und Abnehmer der sudanesischen Vorkommen, die zu 80 Prozent im Süden des Landes lagern und über 40 Prozent der Gesamteinnahmen der Regierung in Khartum ausmachen. Diese erwägt mittlerweile ihren Beitritt zur Organisation erdölexportierender Länder OPEC.[13] CNPC hat eine Pipeline nach Port Sudan am Roten Meer bauen lassen, die von 4.000 chinesischen „zivilen Schutzkräften“ bewacht wird.[14] Sollte sich der Südsudan als unabhängiger Staat etablieren, könnte dessen Regierung alle geltenden Vereinbarungen, die mit der Khartumer Regierung geschlossen wurden, für nichtig erklären. Da dies wie alle bisherigen Schritte der westlichen Staaten nur gegen den Willen der sudanesischen Regierung durchzusetzen sein wird, zielt die US-Strategie auf deren weitestmögliche Schwächung. Vorschläge zur Untergrabung der Khartumer Regierung durch Stärkung der sudanesischen Provinzen präsentiert unablässig der oben bereits zitierte John Prendergast in seiner Funktion als Berater der International Crisis Group.[15]
Die Präsenz ausländischer Truppen, deren Auftrag in Darfur eindeutig gegen die sudanesische Regierung gerichtet sein soll, unter Kommando der vom Westen initiierten und finanzierten Afrikanischen Union, wäre hierfür ein wichtiger Meilenstein.
Wie so oft stehen auch im Fall Sudan/Darfur hinter der hehren Menschenrechtsrhetorik handfestere Interessen, die allerdings über die unmittelbaren Profitinteressen westlicher Energiekonzerne hinausreichen, denn Öl ist ein strategischer Rohstoff. Der Bedarf der chinesischen Wirtschaft ist mit ihrem gewaltigen Wachstum der letzten Jahrzehnte dramatisch gestiegen. Seit Mitte der 90er Jahre ist China daher von Ölimporten abhängig und mittlerweile der drittgrößte Käufer weltweit. Verfügbarkeit und Preis des Erdöls sind allerdings politisch beeinflusst, dabei spielen Chinas Konkurrenten Russland und die USA wesentliche Rollen.[16] Die USA wie auch die Regierungen Deutschlands und der EU sehen den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas zunehmend als Bedrohung an. Denn mit seinem wachsenden wirtschaftlichen Gewicht steigt auch seine Bedeutung als mögliche kommende Weltmacht.
Die chinesische Regierung hat sich deshalb auf eine „Nischenstrategie“ verlegt und nach Öllieferungen aus Ländern Ausschau gehalten, die von westlichen Unternehmen gemieden werden. Der politisch isolierte Sudan ist eines dieser Länder, Iran und früher der Irak weitere. „Doch der Späteinsteiger China“, schreibt Friedemann Müller von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik, „wirkt als Störenfried [weil er] sich darum bemüht, Konkurrenten aus den enger werdenden Angebotsmärkten [für Erdöl] zu verdrängen.“[17] Müllers Kollege Denis Tull versteht Chinas „rücksichtslose Interessenpolitik“ sogar als „Herausforderung für die deutsche Afrikapolitik“.[18] „Mit dem Aufschwung wirtschaftsstarker Schwellenländer hat sich die globale Konkurrenz um die Beschaffung fossiler Brennstoffe dramatisch verschärft“, erklärten die Regierungsfraktionen im Februar. „Deutschland steht vor der Herausforderung, seine Position und Kooperation gegenüber konkurrierenden Schwellenländern zu überdenken, den neuen politische Gegebenheiten anzupassen, die eigenen Interessen stärker zu betonen und den internationalen Interessenausgleich im Energiesektor zu fördern.“[19] Und die Bertelsmann-Stiftung fordert, bei der Beschaffung von Öl und Gas, „den Lebenselixieren der westlichen Industrienationen“, die „geballte Macht der EU-27“ einzusetzen, „[d]rohen doch in der Zukunft Verteilungskonflikte, deren mögliches Ausmaß und deren Kosten die Zeit des Kalten Krieges noch in den Schatten stellen könnten.“[20] In Kreisen der Bundeswehr, zu deren Aufgaben laut aktuellem Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands auch die Sicherung von Ressourcen gehört, gilt der Sudan als wahrscheinlichster Schauplatz ihres nächsten Auslandseinsatzes.
Die USA, die China als strategischen Konkurrenten einstufen, zählen die Energiesicherheit seit eh und je zu den Kernthemen der nationalen Sicherheit. Das Horn von Afrika gilt wegen seiner Nähe zum Persischen Golf, seiner eigenen Ölvorkommen und seiner strategischen Lage an einem viel befahrenen Seeweg als strategisch bedeutsam. Es kann nicht bezweifelt werden, dass in den Pentagon-Planungen zum Sudan geostrategische und wirtschaftliche Interessen einen zentralen Platz einnehmen.[21]
Truppen rein – und was dann?
Über die Auseinandersetzungen in Darfur schreiben die Außenpolitiker der Linksfraktion Dr. Norman Paech und Paul Schäfer, die das Land im vergangenen Oktober bereisten: „In dem Konflikt spielen ethnische, rassische oder religiöse Motive keine Rolle. Bei allen Parteien handelt es sich um Muslime. Der Grundkonflikt ist Generationen alt und besteht zwischen sesshaften Bauern und wandernden Viehnomaden um Wasser und Weideflächen, auf beiden Seiten sind >Araber< und >Afrikaner<. Diese Konflikte verschärfen sich in Zeiten der Dürre [...]“[22] Der bereits zitierte Dr. Stefan Kröpelin, der die Region seit vielen Jahren und ebenfalls 2006 besuchte, schreibt über die Soldaten der UN-Mission im Sudan (UNMIS), „die wenig überraschend bei den wenigsten Sudanesen auf Gegenliebe stößt“, sie wüssten „kaum, wo und wofür sie da sind.“[23]Ihr Auftrag wie auch der der AU-Mission AMIS lautet, die Einhaltung von Friedensabkommen zu überwachen, die nur auf ausländischen Druck hin zustande gekommen sind, den Interessen der Unterzeichner nicht entsprechen und zwischen Parteien geschlossen wurden, die es großenteils in dieser Form nicht mehr gibt. Der Einwand, den Befürworter eines UN-Militäreinsatzes oft vorbringen, dass man „doch nicht einfach zusehen“ dürfe und sich statt an abstrakten Prinzipien an den Realitäten vor Ort orientieren müsse, lässt sich passend gegen sie wenden. Zum einen gibt es keinen Grund, ähnlich wie im Kosovo-Krieg der NATO 1999 nur die – kaum dokumentierten – Gräueltaten der einen Konfliktseite aufzuzeigen und unkritisch Partei für die andere zu ergreifen. Niemand zählt die Opfer der verschiedenen Rebellengruppen, für die der Westen Partei ergreift. Die eindeutige und einseitige Positionierung der führenden UN-Mitglieder USA und Großbritannien wie auch der Hauptfinanziers der AU aus der Europäischen Union stellt sicher, dass die UNAMID-Truppe sich als Gegner der sudanesischen Regierung verstehen und so zu einer aktiven Kriegspartei mutieren wird. Von zentralerer Bedeutung aber ist, dass die Interventionisten kein Konzept vorlegen, das die zugrundeliegenden Ursachen der Konflikte in dem Land zu lösen verspricht. Als wichtigste ist hierbei die grassierende Armut zu nennen. Ihr stünde nach den bisherigen Planungen des Westens ein enormer Reichtum aus dem Verkauf des südsudanesischen Öls gegenüber. Eine politische Lösung der Probleme des Landes muss eine möglichst gleichmäßige Verteilung dieses Reichtums sicherstellen und die Bevölkerung des ganzen Sudan, die in den vergangenen Jahren so rasant angewachsen ist, daran beteiligen. Die westliche Strategie setzt dagegen auf eine Abspaltung gerade der ressourcenreichen Landesteile, um die Mittel der Zentralregierung zugunsten der eigenen Klientel zu beschneiden.[24] Die Bevölkerung des Sudan hat weder in der SPLA noch in der Khartumer Regierung oder den westlichen Hauptstädten aufrichtige Vertreter ihres Interesses an politischer und sozialer Sicherheit. Eine solche demokratische Interessenvertretung müsste aus einem von der Zivilgesellschaft getragenen Prozess der Selbstorganisation hervorgehen. Die durch die internationale Truppenpräsenz noch forcierte Militarisierung der sudanesischen Innenpolitik verspricht derlei Ansätze im Keim zu ersticken. Die vorgesehene Aufteilung des Sudan droht darüber hinaus nicht nur die sudanesische Regierung zu provozieren, sondern auch die chinesische. Ergebnis könnte ein Stellvertreterkrieg im Stile des Kalten Krieges sein. Die forcierte Zerschlagung des Sudan als einheitlichem Staatsgebilde ist derweil nicht nur unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten fragwürdig. Sie würde das Fundament für neue Zwiste und Begehrlichkeiten legen und voraussichtlich neben dem Süden auch den Osten des Landes abtrennen, womit ausgerechnet der Darfur und die Landesmitte um Khartum als Restsudan zusammenhängend verblieben. Die Bevölkerung Darfurs droht immer stärker zum Spielball der Großmächte in einem neuen Ringen um Afrika zu werden. Die Behauptung, die Khartumer Regierung verstehe keine andere Sprache als die der Gewalt, wiederholt nur die Vorwürfe gegen die Regierungen Serbiens, des Irak, Kubas und aller anderen Länder, die die NATO- und vor ihnen die Kolonialmächte je als Hindernis angesehen haben. „Bomb the niggers“ war schon die Anweisung Premierminister Churchills zum Umgang mit den indischen Aufständischen unter Mahatma Ghandi.[25] Die G8-Staaten wären, den politischen Willen vorausgesetzt, ohne weiteres im Stande, in Zusammenarbeit mit den Regierungen der beteiligten Staaten eine politische Lösung für die Konflikte des Sudan zu erwirken, ohne auf militärische Mittel zurückgreifen zu müssen. Im Mittelpunkt einer solchen Lösung müssten die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes stehen. Die sture Präferenz militärischer Mittel resultiert ein weiteres Mal nicht aus „handwerklichen Fehlern“, sondern entspricht dem handfesten Interesse der führenden imperialistischen Mächte an Vorherrschaft in einer sich verschärfenden internationalen Konkurrenz. Der Sudan könnte seit der Entdeckung der Ölvorkommen als eines von wenigen Ländern des globalen Südens eine eigenständige und auf sozialen Ausgleich orientierte Entwicklung ohne äußere Hilfe finanzieren. Stattdessen droht der Rohstoffreichtum des Landes - wie in vielen anderen Staaten auch - zum Fluch zu werden, da er die Begehrlichkeiten ausländischer Mächte weckt und deren Politik ohnehin vorhandene interne Konflikte massiv verschärft. Glossar:
Umfassendes Friedensabkommen (CPA): Im Januar 2005 zwischen der SPLA und der sudanesischen Regierung unterzeichnetes Abkommen, das auf massiven westlichen Druck zustande kam. Es sieht eine stärkere Beteiligung der SPLM an der Zentralregierung, die Entwaffnung der SPLA und für 2011 ein Referendum über den Verbleib des Südens im Sudan vor. Die Entwaffnung der SPLA macht keine Fortschritte.
Afrikanische Union (AU): ein afrikanisches Bündnis aus 53 Staaten, das 2002 aus der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) hervorgegangen ist. Der Hauptsitz der AU ist in Äthiopien. Die AU und besonders ihr militärischer Bereich werden von der EU und anderen westlichen Staaten finanziell und logistisch unterstützt. Die deutschen Regierungsfraktionen loben, dass die AU das UN-Prinzip der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten aufgegeben hat.
UNMIS: Militärmission der Vereinten Nationen im Süden und Osten des Sudan zur Überwachung des CPA. An dieser Mission dürfen bis zu 10.000 Militärangehörige teilnehmen, zurzeit sind darunter rund 40 Bundeswehrsoldaten.
AMIS: Militärmission der AU im Sudan. Die 6.300 afrikanischen Soldaten werden unter anderem vom deutschen und US-Militär in ihr Einsatzgebiet in Darfur geflogen, wo sie das Waffenstillstandsabkommen zwischen der SLA, der JEM und der sudanesischen Regierung überwachen sollen. Die geplante „Hybrid-Mission“ soll beide Unternehmen miteinander verschmelzen.
Hybrid-Mission UNAMID: Ende Juli beschloss der UN-Sicherheitsrat, eine bis zu 26.000 Mann starke Truppe in den Sudan zu entsenden, die die bisherigen AMIS-Kräfte in sich aufnehmen soll. Die Resolution 1769 des Sicherheitsrates, in der Auftrag und Befugnisse der Truppe geregelt sind, wurde aufgrund des chinesischen Widerstands erheblich gegenüber dem ursprünglichen Entwurf der Westmächte abgemildert.
SPLA: Sudanesische Volksbefreiungsarmee kämpft seit den 80er Jahren um mehr Rechte für den Süden des Landes. Ihr Anführer John Garang unterzeichnete 2005 das CPA.
SLA: Sudanesische Befreiungsarmee kämpft seit den 90er Jahren um Einfluss in Darfur.
JEM: Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit, zweitgrößte bewaffnete Gruppe in Darfur, die sich im Zuge der Auseinandersetzungen in Untergruppen aufgespalten hat.
Endnoten:
[1] Von 1968 bis 1977 wurde die sudanesische Regierung von der Sowjetunion unterstützt. Erst danach kam es zu einer Annäherung an die USA.
[2] Prendergast, John und Thomas-Jensen, Colin, “Blowing the Horn”, Foreign Affairs, Mar/ Apr 2007, S. 61.
[3] Vgl. Grono, Nick und Prendergast, John, “To Halt Sudan´s Atrocities, Follow the Money”, International Herald Tribune, 22. Aug 2006; Prendergast, John, “Sudan: Divide and Destroy in Darfur”, AllAlfrica.com, 7. Jun 2006.
[4] International Herald Tribune, “U.S. envoy criticizes Sudanese government for bombing civilians in Darfur”, www.iht.com, 13. Jul 2007.
[5] The Guardian Online, 28. März 2007, „Blair wants no-fly zone enforced over Darfur“, www.guardian.co.uk/sudan/story/0,,2044314,00.html. Dieses Flugverbot wollten Blair und Bush nötigenfalls mit Luftschlägen gegen die Khartumer Regierung durchsetzen.
[6] Kröpelin, Dr. Stefan, „Der inszenierte Konflikt – Spiel der Weltöffentlichkeit in Darfur“, in: International – Zeitschrift für internationale Politik, Nr. IV 2006, S. 11.
[7] Prendergast, John, und Thomas-Jensen, Colin, “Blowing the Horn”, Foreign Affairs, Mär/ Apr 2007. Die Autoren zitieren die US Agency for International Development mit den Worten, Äthiopien sei „wegen seiner geographischen Lage von strategischer Bedeutung für die Vereinigten Staaten“ und „von großem Wert am Horn von Afrika und im globalen Krieg gegen Terror“, S. 66.
[8] International Crisis Group, „Chad: Back towards War?“, Africa Report Nr. 111, 1. Jun 2006.
[9] International Crisis Group, „Unifying Darfur´s Rebels: A Prerequisite for Peace”, Africa Briefing Nr. 32, 6. Okt 2005; “5 Darfur rebel groups agree to unite ahead of peace talks with Sudanese government”, Associated Press, 15. Jul 2007; “Representatives of 18 countries meet to try to solve Darfur crisis”, Associated Press, 15. Jul 2007.
[10] Prendergast, John, und Thomas-Jensen, Colin, “Blowing the Horn”, Foreign Affairs, Mär/ Apr 2007, S. 65.
[11] Um diese radikale Neuinterpretation der UN-Charta durchzusetzen, berief der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan im Jahr 2000 eine Kommission, die International Commission on Intervention and State Souvereignty (ICISS) ein, die 2001 eine Auslegung vorlegte, die von der „Verantwortung zu schützen“ („Responsibility to Protect“) sprach und der UNO bzw. auch Staatengruppen oder gar Einzelstaaten das Recht zubilligt, zum Schutz der Menschenrechte militärisch zu intervenieren. Vgl. Helge von Horn, „>Humanitäre Intervention< und die UN-Charta - Die geplante >Weiterentwicklung< des Völkerrechtes“, www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/UNO/horn.html. Unverändert definiert das Völkerrecht einen Völkermord allerdings nicht allein an Hand der Anzahl der Toten, sondern auch an der Absicht, eine Volksgruppe auszulöschen.
[12] Der aktuelle BP Statistical Review of World Energy (June 2007) gibt für den Sudan 6.4 Mrd. Barrel gesicherte Reserven an.
[13] Energy Information Administration: Country Analysis Brief: Sudan, URL: http://www.eia.doe.gov/emeu/cabs/Sudan/Background.html
[14] Zweig, David und Jianhai, Bi, „China´s Global Hunt for Energy“, Foreign Affairs, Sep/ Okt 2005, S. 25-38.
[15] Die International Crisis Group ist ein informeller Zusammenschluss hochrangiger internationaler Außenpolitiker, der sich selbst als überparteilich und unabhängig bezeichnet. Seinem Vorstand gehören mit Zbginiew Brzezinski, Martti Ahtisaari, Joschka Fischer, Wesley Clark und Lakhdar Brahimi erfahrene Vordenker und Praktiker einer neo-kolonialen Außenpolitik an; www.crisisgroup.org/home/index.cfm?id=1139&l=1.
[16] Vgl. u.a. Klare, Michael T., „Fueling the Dragon: China´s Strategic Energy Dilemma“, Current History, Apr 2006, S. 180-185.
[17] Müller, Friedemann, „Energie-Außenpolitik“, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, Nov 2006, S. 19-20.
[18] Tull, Denis, „Die Afrika-Politik der Volksrepublik China“, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, Aug 2005, S. 27.
[19] Die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und SPD, „Energie- und Entwicklungspolitik stärker verzahnen – Synergieeffekte für die weltweite Energie- und Entwicklungsförderung besser nutzen“, www.bundestag.de.
[20] Bertelsmann-Stiftung (Hrg), „Europa im Wettlauf um Öl und Gas“, Gütersloh, Mai 2007, S 4-5.
[21] Vgl. die National Security Strategy 2006 oder die National Energy Policy der USA oder eine beliebige Ausgabe einschlägiger Publikationen wie Foreign Affairs, Weekly Standard oder The National Interest.
[22] www.norman-paech.de/index.php?id=165&no_cache=1&sword_list[]=sudan.
[23] Kröpelin, Dr. Stefan, a.a.O., S. 13.
[24] Die Strategie der Abspaltung einträglicher Regionen verfolgte bereits die britische Kolonialverwaltung, als sie die Grenzen der Golfstaaten festlegte und dabei Zwergstaaten wie Kuwait von den Bevölkerungszentren abtrennte, wie auch die US-Regierung mit ihren Vorgaben zur Aufteilung des irakischen Öls zurzeit.
[25] Zweifelsohne unterscheiden sich die sudanesische Regierung und die anti-koloniale Befreiungsbewegung des britisch besetzten Indien. Die westlichen Interventionisten folgen aber der Tradition, ihren Gegnern irrationale Motivationen zu unterstellen und sie als rationalen Argumenten unzugänglich zu beschreiben.