Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2007/053

Militarisierung mit Lichtgeschwindigkeit

Deutschland und die EU wappnen sich für globale Kriegseinsätze.

Tobias Pflüger (20.07.2007)

Artikel in: „antimilitarismus“, Beilage der jungen Welt, 04.07.2007

Rund 7200 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beteiligen sich derzeit an Einsätzen im Ausland. Davon sind allein nahezu 3000 im Rahmen des ­NATO-Kriegseinsatzes in Afghanistan, dazu kommen über 200 Soldaten im Rahmen des Tornado-Einsatzes. Im Kosovo stehen 2200 Soldaten »Gewehr bei Fuß«. Bosnien, Sudan, Libanon und der sogenannte Antiterroreinsatz am Horn von Afrika sind weitere Einsatzorte der Bundeswehr. Das Grundgesetz verpflichtet die Bundeswehr zur Beschränkung auf Territorialverteidigung; so heißt es in Artikel 87a, Absatz 1: »Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf«, und in Absatz 2: »Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt« – Grundsätze der Außenpolitik, die längst passé sind. Bundeswehrsoldaten werden heute weltweit eingesetzt, um deutsche Interessen durchsetzen; die Bundeswehr ist zur Vollstreckerin deutscher Außenpolitik geworden.

Für unsere Märkte

Schon der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) hatte Anfang der 90er Jahre die Aushöhlung des Grundgesetzes betrieben, indem er zunehmend eine Militärpolitik vertrat, die Interventionen im Ausland vorsah. Der Weg zur Zustimmung zu Kriegseinsätzen – und damit zur Regierungsfähigkeit im Bund – führte 1991 bei der SPD und 1998 bei den Grünen über das Plazet für UN-mandatierte Militäreinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta. Stand früher bei Militäreinsätzen die Berufung auf sogenannte humanitäre Ziele im Vordergrund, wurden sie in jüngster Vergangenheit zunehmend auch als Durchsetzung der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen oder als Kampf gegen den »Terrorismus« legitimiert.

Bemerkenswert ist allerdings, daß inzwischen auch ganz offen »deutsche Interessen« wie Rohstoffsicherung oder Marktöffnungen als Rechtfertigungen der Beteiligung an Militäreinsätzen angeführt werden. So sprach Militärminister Franz Josef Jung Anfang Juni 2006 im Zusammenhang mit der Entsendung deutscher Soldaten in die Demokratische Republik Kongo davon, daß der Einsatz »auch im Interesse einer besseren wirtschaftlichen Zukunft für uns und unsere Märkte« sei. Schließlich handele es sich beim Kongo um eines der »rohstoffreichsten Länder« der Welt.

Vier Monate währte die offizielle militärische Absicherung des Wahlsiegs des EU-Verbündeten Joseph Kabila im Kongo. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Bernhard Gertz sprach zu recht davon, daß im Kongo viele die EU-Soldaten »eher als Leibgarde für den Präsidenten sehen«. Inzwischen hat Kabila nahezu sämtliche Ressourcen des Landes an internationale Konzerne verscherbelt, nicht ohne sich selbst und seine Familie dabei zu bereichern. Zwischenzeitlich ging Kabila mit Waffengewalt gegen Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba vor, der heute im Exil in Portugal lebt. Hunderte Oppositionelle wurden von Kabilas Sicherheitskräften massakriert, in deren Vorzimmern EU-Militärberater saßen. Dennoch wird dieser Militäreinsatz, der von einer Mehrheit der deutschen Bevölkerung abgelehnt wurde, mittlerweile von einigen Politikern der Linken als positives Beispiel (»Good Practice«) angeführt, um die Partei programmatisch für Militäreinsätze der Bundeswehr zu öffnen.

Militarisierung der EU

Zur Militarisierung der deutschen Außenpolitik gehören auch die Bemühungen der Bundesregierung, die Europäische Union mit einer eigenständigen, global einsatzfähigen Streitmacht zu versehen. Die Bundesrepublik ist nicht nur mit 22 Prozent der größte Zahler für die EU-Militäroperationen, sondern auch treibende Kraft des Militarisierungsprozesses. Seit 1998 geht es Schlag auf Schlag. Nicht nur, daß die einzelnen Militarisierungsprojekte im EU-Verfassungsvertrag, der jetzt unter dem Namen »Reformvertrag« den Bürgerinnen und Bürgern erneut schmackhaft gemacht werden soll, festgeschrieben wurden. In der Tagespolitik machten die Staats- und Regierungschefs bereits Nägel mit Köpfen. Meilensteine dieser »Militarisierung mit Lichtgeschwindigkeit« (Javier Solana) waren 2004 die Einrichtung der EU-Rüstungsagentur und 2007 die Indienststellung der ersten von insgesamt bis zu 19 geplanten »Battle Groups«, die jeweils 1500 Soldatinnen und Soldaten umfassen und weltweit innerhalb von 15 Tagen einsetzbar sein sollen.

Parallel zur Militarisierung der EU wird seit 1999 die NATO auf weltweite Interventionsfähigkeit getrimmt. Von der Bündnisverteidigung als Aufgabe hat man mit der neuen NATO-Charta 1999 endgültig Abschied genommen. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist etwa ihre Schnelle Eingreiftruppe, die NATO Response Force (NRF), die mittlerweile 25000 Soldaten umfaßt, davon allein 7000 Angehörige der Bundeswehr. Ihr erstes Manöver fand denn auch außerhalb des NATO-Gebiets 2006 auf den Kapverden statt. Von den 6500 Soldaten, die eine Invasion in einem Wüstengebiet probten, waren ein Drittel Deutsche. Insgesamt trägt Deutschland über 18 Prozent des NATO-Militärhaushalts und ist damit nach den USA und noch vor Frankreich und Großbritannien der zweitgrößte Beitragszahler.

Die Interventionsstreitkräfte der EU und der NATO dienen der deutschen Außenpolitik inzwischen als ganz »normales« politisches Instrument. Deutschland ist ein Hauptakteur der zunehmenden weltweiten Militärinterventionen. Dies gilt im übrigen auch für symbolische Militäreinsätze mit nur wenigen Soldatinnen und Soldaten. Die Linke muß sich dieser Entwicklung stellen. Die bisherigen Forderungen nach einem Ende der EU-Militarisierung oder einer »Überwindung der NATO« reichen nicht aus. Angesichts von EU-Aufrüstung und weltweiten NATO-Kriegseinsätzen oder auch Kooperationen der NATO bei Folterflügen bedarf es eines kampagnenfähigen Aktionsprogramms. Ein erster Schritt ist mit der Kampagne »Holt die Soldaten zurück« getan, die sich auf Afghanistan bezieht.

Um der Militarisierung der deutschen Außenpolitik wirksam entgegenzutreten, muß man ihr die Instrumente nehmen. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr müssen beendet werden, aber diese Forderung muß mit der nach dem Ausstieg Deutschlands aus den militärischen Strukturen von EU und NATO, insbesondere mit Blick auf die Ausrichtung auf globale Militäreinsätze, untermauert werden. Krieg als Mittel der Politik ist auf jeder Ebene konsequent abzulehnen, egal in welchem Mäntelchen er daherkommt.

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