Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2007/002 - in: UZ 22.12.2006

Spart endlich an der Rüstung

Arno Neuber (18.01.2007)

Wenn Deutschland am 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, dann steht auf Angela Merkels Agenda die weitere Militarisierung der Europäischen Union ganz oben an. So will sie die in den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden abgelehnte EU-Verfassung wieder auf den Weg bringen.

Diese Verfassung enthält bekanntlich die Verpflichtung der EU-Länder zur Aufrüstung, die Etablierung einer EU-Rüstungsagentur (die inzwischen längst arbeitet) und die Verabredung zu einer ständigen, strukturierten Zusammenarbeit beim Aufbau von Interventionstruppen.

Deutschland, das unter Beteiligung niederländischer und finnischer Soldaten die erste voll einsetzbare EU-Battlegroup stellt, wird außerdem Druck auf die anderen EU-Regierungen machen, damit die Ausrüstung und Aufstellung weiterer „Schlachtgruppen“ für Interventionseinsätze vor allem in Afrika vorangetrieben wird. Ab Januar will die EU in der Lage sein, ihre schnell verlegbaren Interventionstruppen in zwei parallele Kampfeinsätze zu schicken.

Innenminister Schäuble hat mit Blick auf die Interventionstruppen der EU und der NATO bereits dazu aufgefordert, die generelle Beteiligung des Bundestages bei der Beschlussfassung über weltweite Bundeswehreinsätze in Frage zu stellen. Schließlich sollen die EU-Battlegroups binnen fünf Tagen abmarschbereit sein. Da bleibt in Schäubles Logik keine Zeit für demokratische Debatten.

Auch an der sogenannten NATO-Response Force ist die Bundeswehr mit rund 15.000 Soldaten beteiligt. Für Interventionen unter EU-Flagge werden bis zu 18.000 Soldaten bereit gehalten.

„Auffällig beschäftigt sich auch die Bundeskanzlerin immer öfter mit der Bundeswehr“, schreibt die Militärzeitschrift „Europäische Sicherheit“ in ihrer Dezember-Ausgabe. „Es sieht so aus, dass ihr inzwischen klargeworden ist, welches bedeutsame Instrument internationaler Einflussnahme und Gestaltung Streitkräfte darstellen.“

Zweiter Punkt in der Aufgabenplanung der Kanzlerin für die EU-Ratspräsidentschaft ist die noch engere Verzahnung „ziviler“ und militärischer Instrumente der EU-Außenpolitik und zwar mit einer eindeutigen Rollenverteilung: Das Kommando liegt bei der Truppe.

In einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik und des deutschen Institutes für Internationale Politik und Sicherheit wird der deutschen Ratspräsidentschaft folgende Empfehlung auf den Weg gegeben:
„Zu überlegen wäre angesichts des integrierten zivil-militärischen Ansatzes der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, A.N.), ob die beiden Stränge nicht noch enger zusammengeführt und zivile Komponenten bereits in der Planungsphase in die Kampfeinheiten inkorporiert werden könnten.“

Zum Dritten wird eine Richtungsentscheidung zugunsten einer Militarisierung des Weltraumes dringend angemahnt. Hier „verfügt die EU mit Galileo und GMES über Systeme, die militärisch nicht zu nutzen unsinnig wäre angesichts der Tatsache, dass die Union diesen Nutzungsbedarf für ihre Streitkräfte selbst festgestellt hat“ (SWP-Studie: Europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Aufgaben und Chancen der deutschen Ratspräsidentschaft).

Der Öffentlichkeit wird währenddessen noch immer der angeblich rein zivile Charakter des Satellitennavigationssystems Galileo und der Erdbeobachtungsplattform GMES versichert.

Steigender Rüstungshaushalt

Der Rüstungshaushalt 2007 wurde gegenüber dem laufenden Jahr um 480 Millionen Euro aufgestockt. Die Bundeskanzlerin hatte sich persönlich zu steigenden Militärsausgaben bekannt. Der Etat beträgt jetzt insgesamt 28,4 Mrd Euro. (Erstmals sind darin allerdings die Versorgungsausgaben enthalten, rund 4 Mrd Euro, die bislang im Einzelplan 33 aufgeführt waren.) Insbesondere die so genannten „verteidigungsinvestiven“ Ausgaben wurden hochgefahren – um satte 8,1 Prozent. Die Ausgaben für direkte militärische Beschaffungen wurden um 6,7 Prozent erhöht.

Für Auslandseinsätze im kommenden Jahr wurden 642 Millionen Euro eingeplant. Allerdings laufen die Kosten insbesondere des Afghanistan-Einsatzes den Planungen schon längst wieder davon, der Einsatz der Marine vor Libanon ist noch gar nicht berücksichtigt.

Weitere Steigerungen sieht die „mittelfristige Finanzplanung“ der Bundeswehr bis zum Jahr 2010 vor. 2008 sollen 28,7 Mrd Euro in die Rüstung fließen, 2009 rund 29 Mrd und im Jahr 2010 sind 29,5 Mrd Euro eingeplant.

Für die Rüstungslobby reicht das alles längst nicht aus, „um den Einstieg in die zahlreichen Großvorhaben und die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Ausrüstung in den schwierigen Auslandseinsätzen sicherzustellen“. Ein verschärfter „Kampf um die Mittel auf der Rennstrecke zum Haushaltsausschuss“ (Soldat und Technik, 10/2006) wird angekündigt.

Die EADS hat nämlich große Pläne. Der Umsatz der Militärgeschäfte soll von heute 7,7 Mrd Euro auf mindestens 10 Milliarden bis Ende 2007 vergrößert werden. Seit dem Jahr 2000 war er bereits um 54 Prozent gewachsen.

“Europas Verteidigungsaktien sind heimliche Stars”, meldete “Die Welt” am 10.05.2005. Der so genannte „Antiterrorkrieg“ lässt die Kassen klingeln und die Augen der Aktionäre leuchten. Großbritanniens Rüstungsriese BAE Systems konnte seine Notierung binnen zwei Jahren verdoppeln. Die Anteilscheine des französischen Rüstungskonzerns Thales legten rund 50 Prozent zu. Der deutsche Panzerbauer Rheinmetall konnte seinen Aktienkurs in drei Jahren verdreifachen. Und Mitte Dezember wurde der zweite deutsche Panzerkonzern Krauss-Maffei Wegmann vom „Verteidigungs“minister persönlich zu Sonderschichten angetrieben. „Aufgrund sich verändernder Sicherheitslagen“ – eine müde Umschreibung für die militärische Katastrophe in Afghanistan – muss die Produktion des gepanzerten Fahrzeuges „Dingo 2“ beschleunigt werden. KMW liefert im nächsten Jahr 100 statt der geplanten 33 Einsatzfahrzeuge. Der Haushaltsausschuss des Bundestages genehmigte darüber hinaus am 13. Dezember die Beschaffung von 272 Transportfahrzeugen „GTK Boxer“. Der Auftrag soll 827 Millionen Euro kosten.
Am 31. März 2006 hat Generalinspekteur Schneiderhahn den Bundeswehrplan 2007 erlassen. Es handelt sich dabei um die Rüstungsplanung für die Jahre 2007 bis 2011, die jährlich fortgeschrieben wird. Deutlich werden die militärischen Beschaffungen von Jahr zu Jahr gesteigert. Sollen es 2007 4,27 Mrd Euro sein, werden in den nächsten Jahren folgende Werte veranschlagt: 4,69 Mrd in 2008; 5,1 Mrd 2009; 5,53 Mrd 2010 und 6,06 Mrd 2011.

Totenkult an der Heimatfront

Zum Jahresende 2006 sehen sich Regierung und Bundeswehr in Sachen Auslandseinsätze unter erheblichem Druck.

Nicht nur das Fiasko der US-Besatzer im Irak ist nicht mehr zu übersehen, auch der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan kann nicht länger als „Aufbauhilfe in Uniform“ vermittelt werden. Längst führt die NATO-Truppe ISAF einen brutalen Krieg, der immer mehr zivile Opfer fordert. Von den Menschen in Afghanistan werden die ISAF-Soldaten als Besatzer wahrgenommen und auch an der „Heimatfront“ immer stärker abgelehnt.

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In einer Infratest-Umfrage für den Spiegel vom 14. bis 16.11.06 stimmten nur noch 27 Prozent der Befragten Strucks Parole „Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt“ zu. 68 Prozent lehnten sie ausdrücklich ab. 82 Prozent waren gegen Kampfeinsätze im Süden Afghanistans und 55 Prozent lehnen jedes „Engagement“ in Afghanistan ab (wobei aus der Fragestellung nicht zu erkennen war, um welches „Engagement“ es sich handeln sollte).

Selbst die jährliche Emnid-Umfrage für die Bundeswehr, die jeweils Rekordergebnisse über das Ansehen der Bundeswehr in der deutschen Öffentlichkeit produziert (sonst würde sie die Bundeswehr kaum weiter finanzieren), musste festhalten, dass 55 Prozent der Bundesbürger eine „zurückhaltendere Rolle Deutschlands in der internationalen Politik“ wünschen. Der Wert hat gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent zugelegt und wurde ermittelt, bevor die makabren Totenschädel-Fotos durch die Medien gingen.

Grund genug für die interventionistische Fraktion, der Bearbeitung der „Heimatfront“ mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Die FAZ zeigte, wie man auch negative Schlagzeilen nutzt, um eine weitere Militarisierung voranzutreiben.

Noch bevor der „Spiegel“ am 20.11.06 titelte „Die Deutschen müssen das Töten lernen“, freute sich das Zentralorgan des deutschen Großkapitals, dass die Bundesbürger endlich „aus dem Traum gerissen“ wurden. Nicht das Posieren mit Totenschädeln ist für die FAZ das Skandalöse, und schon gar nicht die hemmungslose Kriegsführung der NATO-ISAF-Truppe, sondern „wie sehr man hierzulande an der Vorstellung festhalten will, ein Krieg könne, so nur die Soldaten tadellos ausgebildet würden, eine saubere Angelegenheit sein“.

„Bei allem Bemühen“, belehrt uns der FAZ-Leitartikler, „lässt sich die vergleichsweise heile Welt des deutschen Kasernenhofs nicht eins zu eins auf die Schlachtfelder des 21. Jahrhunderts übertragen. Und Schlachtfelder sind es, auch wenn dort nicht mehr Panzerdivisionen gegeneinander anrennen.“

Im Kampf gegen den Terrorismus – das ist die zentrale Botschaft – gelten die herkömmlichen Regeln nicht und die Bundeswehr könne nicht länger eine „unmilitärische Armee bleiben“ (FAZ 28.10.06).

Zwei Tage später legt die FAZ nach.
„Die makabren Totenkopffotos aus Afghanistan erregen das deutsche Publikum vor allem deshalb, weil sie dem Bild vom Bundeswehrsoldaten als untadeligem ‘Staatsbürger in Uniform’ widersprechen. Politiker aller Couleur haben bisher die Botschaft verbreitet, dass unsere Soldaten im Ausland eine humanitäre, sogar eine zivilisatorische Mission wahrnehmen. Das stößt sich hart an der unangenehmen Wirklichkeit, dass Kampf und Krieg Exzesshandlungen bleiben, die unvermeidlich eine unzivilisierte, eine unmenschliche Seite haben“ (FAZ 30.10.06).

Exzesse sind normal, Krieg ist Alltag und das Töten gehört zum Handwerk. Damit auch das Sterben der eigenen Soldaten propagandistisch ausgeschlachtet werden kann, macht sich Wehrminister Jung für ein neues Kriegerdenkmal der Bundeswehr stark.
In der September-Ausgabe der Reservisten-Zeitschrift „loyal“ erklärte er die Errichtung eines Ehrenmals der Bundeswehr für längst überfällig.
„Wir können und dürfen vor dem Geschehenen nicht weglaufen. Stattdessen haben wir uns in die Pflicht derer zu stellen, die aus ihrem Auftrag jäh herausgerissen wurden“. Alle, „denen persönliche Pflichterfüllung das höchste Opfer abrang, haben ein ehrendes Andenken verdient, das über den Tag des ersten Schmerzes hinausreicht.“
Auch der Bundespräsident beteiligte sich mit seiner Gedenkrede am Volkstrauertag am neuen Totenkult.

Für die Welt“ordnung“ der Herrschenden

„Jede Glorifizierung eines Menschen, der im Kriege getötet worden ist, bedeutet drei Tote im nächsten Krieg“, schrieb einst Kurt Tucholsky. Offensichtlich sollen die Bundesbürger auf eine weitere Verschärfung der außenpolitischen Gangart vorbereitet werden.

Per Salamitaktik wurden sie jahrelang an Auslandseinsätze der Bundeswehr gewöhnt. Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen, „nation building“und „Stabilitätsexport“ hießen die Schlagworte.

Ideologisch abgesichert wurde der zunehmende Interventionismus mit einem „erweiterten Sicherheitsbegriff“, der in einen Rundum-Alarmismus mündete. Das Militär sollte nun für alles und jedes zuständig sein: Umweltprobleme, Migration, Hunger, Drogenhandel etc.

Das mehr als 900 Seiten dicke „Kompendium zum erweiterten Sicherheitsbegriff“ der Bundesakademie für Sicherheitspolitik kümmert sich unter dem Titel „Sicherheitspolitik in neuen Dimensionen“ um „AIDS als globale sicherheitspolitische Herausforderung im 21. Jahrhundert“ genauso wie um demografische Entwicklungen und organisierte Kriminalität.

Der Trick ist denkbar einfach: Der breite Ansatz soll den Eindruck vermitteln, hier würde das Militärische quasi zivil eingehegt. Das Gegenteil war und ist der Fall: Militärische „Lösungen“ dominieren, zivile Instrumente werden dem militärischen Knüppel untergeordnet.

Im Vorfeld der Entsendung deutscher Marineeinheiten an die Küste des Libanon hat uns die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (13.08.06) noch einmal in aller Deutlichkeit erklärt, worum es den Herrschenden hierzulande geht.

„Als Industrienation ist Deutschland auf Öl angewiesen, als Exportweltmeister auf Absatzmärkte, als Demokratie auf die Herrschaft des freien Worts.“

„Die größte Aufgabe, die die deutsche Sicherheitspolitik in den nächsten Jahren vor sich hat, ist deshalb eine pädagogische, eine ins Innere gerichtete: Die Politiker müssen der deutschen Öffentlichkeit beibringen, dass geschichtliche, humanitäre und vordergründige materielle Erwägungen nicht der Grund dafür sind, dass deutsche Soldaten zu Konfliktherden geschickt werden. Im Kern geht es um etwas Grundlegenderes: Deutschland leistet seinen Beitrag zur Aufrechterhaltung der herrschenden Weltordnung, von der es profitiert wie wenige andere Länder.“

Die herrschende Weltordnung, von der hier die Rede ist, hat dafür gesorgt, dass seit Ende des Kalten Krieges 300 Millionen Menschen an armutsbedingten Ursachen gestorben sind, zwei Drittel davon Kinder. Jährlich kommen 18 Millionen Tote dazu, während USA und EU für rund 80 Prozent der Weltrüstungsausgaben verantwortlich sind.

Die herrschende Weltordnung treibt auch in den kapitalistischen Metropolen Millionen Menschen in die Armut, während die Vermögen der Superreichen immer obszönere Dimensionen annehmen.

Nach einer Statistik der sogenannten „Europäischen Verteidigungsagentur“(EDA) vom November 2006 lassen sich 24 EU-Staaten (ohne Dänemark) die militärische Aufrechterhaltung dieser Ordnung genannten Herrschaft 193 Mrd Euro jährlich kosten. Das sind weit über 500 Millionen Euro jeden Tag.

Tendenz steigend. 19 battle groups – fünf davon mit deutscher Beteiligung – wollen ausgerüstet und ihre weltweiten Kampfeinsätze finanziert werden.

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