IMI-Standpunkt 2007/006
Deportationen gegen Entwicklungshilfe?
Marokko hat wieder hunderte MigrantInnen deportiert
Christoph Marischka (16.01.2007)
Am Tag vor Heiligabend begannen die marokkanischen Behörden erneut, MigrantInnen aus Sub-Sahara-Afrika in die Wüste abzuschieben. Die Welle an Razzien dauert bis heute an. Dabei kommt es zu gewalttätigen Übergriffen und Vergewaltigungen durch die marokkanische Polizei, auch das marokkanische Militär wurde eingesetzt. Nach Angaben von ATTAC Marokko verlor eine schwangere Frau aus der Region der großen Seen nach einer Vergewaltigung ihr Baby.(1)
Am 23. und 25.12.2006 fanden Razzien in den Armenvierteln Rabats und Nadors statt, bei denen Menschen nach ihrem Aussehen zusammengetrieben, in Busse gedrängt, mit diesen dann ins Grenzgebiet zu Algerien gebracht und nachts dort ausgesetzt wurden. Unter den Deportierten befanden sich Frauen, Kinder, Flüchtlinge und Menschen, denen vom UNHCR Asyl zugesichert wurde. Einigen von ihnen gelang es, zu Fuß in die Grenznahe Wüstenstadt Oujda zu gelangen, wo es erneut zu willkürlichen Verhaftungen kam. Am 30. Dezember fanden weitere Razzien in der Wüstenstadt Layoun statt. Mittlerweile wurde von verschiedenen Menschenrechtsgruppen dokumentiert, dass Polizei und Soldaten die MigrantInnen vergewaltigten und misshandelten.
Marokko kann davon ausgehen, mit dieser groß angelegten und offenbar geplanten Repressionswelle im Sinne der EU zu handeln. Erst im Juli letzten Jahres fand in Rabat eine Euro-afrikanische Ministerialkonferenz zu den Themen Migration und Entwicklung statt. Im vorangegangenen Herbst waren marokkanische und spanische Polizisten gemeinsam an der Ermordung von MigrantInnen bei ihren Grenzübertritten bei Ceuta und Mellila beteiligt.
Tatsächlich besteht die EU-Nachbarschaftspolitik auf einer Kooperation mit den nordafrikanischen Staaten und macht von dieser ihre Wirtschaftshilfen und politische Anerkennung abhängig, bei Nicht-Kooperation drohen Sanktionen.(2) Diese Kooperation besteht neben Rücknahmeabkommen darin, die MigrantInnen als vollkommen rechtlose Menschen zu behandeln, denn sonst könnten sie ja ganz legal bis an die Grenzen der EU gelangen. Dies geht so weit, dass diktatorische Regime wie Algerien und Mauretanien mit Waffenlieferungen unterstützt werden, um ihre Grenzen schließen zu können. Der enorme Aufwand, mit dem die Menschen kriminalisiert und die Grenzen militarisiert werden, führt dazu, dass immer mehr Menschen im Maghreb stecken bleiben. Das UNHCR bemüht sich dort, sie zu sortieren und denjenigen mit Asylanspruch Papiere auszustellen, womit ihr Asylanspruch in der EU erlischt. Die nordafrikanischen Staaten bieten aber auch diesen anerkannten Flüchtlinge keinerlei Unterstützung und sie werden, wie im aktuellen Fall, ebenso zu Opfer von Übergriffen.
Bezeichnend ist die Militarisierung des Mittelmeers zum Zwecke der Migrationsabwehr vor allem deshalb, weil von der EU-Kommission einen Bedarf an Zuwanderung festgestellt hat(3) und die Mitgliedsstaaten zugleich aktiv ausländische Arbeitskräfte anwerben.(4) Anstatt die MigrantInnen aktiv zu entrechten, sollte die EU sich in ihrer Nachbarschaft für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzen. Zunächst müsste sie aber selbst bereit sein, Menschen legal einreisen zu lassen und ihre sozialen und politische Rechte anerkennen. Amnesty International forderte, aufgrund der jüngsten Deportationen die Kooperation mit Marokko bei der Bekämpfung „illegaler Migration“ einzustellen.(5) Dass die Flucht vor Hunger und Kriegen oder gar Menschen illegalisiert werden, ist menschenverachtend.
(1) siehe: http://fluechtlingsrat-hamburg.de/content/Meldung_Marokko_020107_franz.pdf , sowie: PRO ASYL e.V.: Informeller Rat in Dresden diskutiert Konzept von Schäuble und Sarkozy, Presseerklärung vom 15. Januar 2007
(2) Diese Strategie wird auf dem gegenwärtig stattfindenden informellen Treffen der EU-Innenminister in Dresden als „deutsch-französische Initiative für eine neue europäische Einwanderungspolitik“ erneut bestätigt. Siehe außerdem: Rat der EU 2002: Draft Council Conclusions – Cooperation with third countries of origin and transit to jointly combat illegal immigration, nicht-öffentlich, aber auf der HP von Statewatch veröffentlicht, URL: http://www.statewatch.org/news/2002/jun/9917.3.pdf (20.10.2006)
(3) Kommission der EG 2005e (KOM (2005 669 endgültig): Strategischer Plan zur legalen Zuwanderung
(4) Geddes, Andrew 2004: Towards Common EU Immigration and Asylum Policies?, Draft prepared for the international conference ‘Immigration Issues in EU-Turkish relations’, Bogazici University, Istanbul, Turkey, 8-9 October 2004
(5) Amnesty International European Office: EU respond to migrants abuse in Morocco, Pressemitteilung vom 9.1.2007