IMI-Standpunkt 2006/074
Auswärtiger Ausschuss des Europäischen Parlaments befürwortet mehrheitlich erhebliche Militarisierung
Tobias Pflüger (05.10.2006)
Im Namen der Fraktion GUE/NGL brachte Tobias Pflüger ein Minderheiten-Votum zum Bericht ‚von Wogau‘ ein. Im Minderheiten-Votum kritisiert die Fraktion GUE/NGL u.a. die fortgesetzte Militarisierung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, die bewusste Vermischung von zivilen und militärischen Einsätzen, die Schaffung von EU Battle Groups, der Gendarmerie Force, der Schnellen Eingreiftruppen und selbstständigen EU-Kommandostrukturen nach dem Vorbild der NATO sowie die Militarisierung der EU-Außengrenze und die militärische Bearbeitung von ‚Problemen‘ mit Flüchtlingen. Eine Stellungnahme von Tobias Pflüger.
Heute wurde im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments über den Bericht „Über die Umsetzung der europäischen Sicherheitsstrategie im Kontext der ESVP“ (2006/2033(INI) verantwortet von Karl von Wogau (CDU – EPP-ED, abgestimmt.
Der mit 30 Ja-Stimmen und 9 Nein-Stimmen verabschiedete Bericht ‚von Wogau‘ ist ein zentrales Dokument über die Fortschreitung der Militarisierung der EU. Sichtbar wird dies u.a. in der Forderung, die Gelder innerhalb der EU für Militärausgaben und Rüstungsforschung erheblich zu erhöhen.
Der Bericht ‚von Wogau‘ fordert sogar einen zweiten „virtuellen“ Haushalt der EU-Mitgliedstaaten für Militärausgaben, als Parallel-Haushalt zum EU-Haushalt. Damit würden die bisherigen Tricks bei der Finanzierung der EU-Militärpolitik (ATHENA-Mechanismus, Ad Hoc Haushalte u.a.) offen fortgeschrieben.
Der Bericht beschreibt auch die fatale, enge Verzahnung zwischen EU und NATO. Das Berlin Plus Abkommen, in dem der Zugriff der EU auf NATO-Kapazitäten geregelt wird, wird im Bericht ‚von Wogau‘ ausdrücklich begrüßt. Im Bericht wird für die militärische Luftüberwachung eine noch engere Verzahnung mit der NATO eingefordert.
Die Zuständigkeit für Militärpolitik wird im Bericht der EU und den Mitgliedstaaten zugeschrieben, was bzgl. der Militärstrukturen eine zusätzliche Ebene EU bedeutet.
Im Entwurf des Berichtes hatte es noch geheißen, „ist demgegenüber der Auffassung, dass die Europäische Sicherheitsstrategie zwar davon ausgeht, dass die erste Linie der Verteidigung im Ausland liegen kann, jedoch empfiehlt, dass präventive Militäreinsätze nur bei unmittelbar bevorstehenden und klar erkennbaren Bedrohungen zulässig sind.“ Dies wäre als eine offene Unterstützung des Präventivkriegskonzeptes zu lesen gewesen. Aufgrund meiner harten Kritik an dieser Forderung entschloss sich der Berichterstatter schlussendlich von dieser Formulierung abzusehen.
Den einzigen Bereich des Berichtes, den Tobias Pflüger für die Fraktion GUE/NGL mittragen konnte, waren Forderungen nach einer tatsächlichen parlamentarischen Kontrolle der EU-Militärpolitik. Dass das EU-Parlament bis heute keine Möglichkeit hat, von den zuständigen Organen der EU verpflichtend Berichte z.B. über Militäreinsätze, deren konkrete Durchführung oder deren Finanzierung einzufordern, ist ein Skandal. Das „Politische und Sicherheitspolitische Komitee“ der EU, in dem die Botschafter der Mitgliedstaaten bei der EU oder ihre für Militärpolitik zuständigen Stellvertreter sitzen, ist die eigentliche Vor-Entscheidungsinstanz für EU-Militäreinsätze. Eine echte parlamentarische Kontrolle der EU-Militäreinsätze ist nicht vorgesehen.
Anmerkung:
Das vollständige Minderheitenvotum findet sich unter folgendem Link: http://tobiaspflueger.twoday.net/stories/2762871/. Und der Berichtsentwurf unter: http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2004_2009/documents/pr/614/614115/614115de.pdf
Der Beschluss des Ausschusses wird erst nach Einarbeitung der beschlossenen Änderungsanträge zur Verfügung stehen. Danach wird der Bericht zur nächsten Plenartagung des Europäischen Parlaments vorgelegt, um dort erneut diskutiert und abgestimmt zu werden.