Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Studie 2006/06

Wahlen im Kongo – Aufgabe für die Bundeswehr?

Rohstoffe, Militär und Interessen in der DR Kongo – eine Analyse

Lühr Henken (26.06.2006)

https://www.imi-online.de/2006.php3?id=1374

Die Bundesregierung hat am 17. Mai beschlossen, sich mit 780 Bundeswehrsoldaten an einer etwa 2.100 Mann starken EU-Kampftruppe zu beteiligen, die auf Grundlage eines UN-Mandats ab etwa eine Woche vor dem voraussichtlichen Wahltag im Kongo, dem 30. Juli, für vier Monate die UN-Blauhelm-Truppe MONUC unterstützen soll, um einen friedlichen Verlauf der ersten Präsidenten- und Parlamentswahlen im Kongo seit 1960 zu gewährleisten. Das Hauptkontingent der deutschen Truppen wird allerdings im etwa 800 km entfernten Gabun stationiert und steht dort für Not-Evakuierungen im Raum Kinshasa bereit. Andere deutsche Einheiten sollen den internationalen Flughafen der Hauptstadt und das von Frankreich geführte taktische Hauptquartier in Kinshasa sichern. Der insgesamt 850 Soldaten starke französische Anteil dieser EUFOR RD Congo genannten Kampftruppe ist zusätzlich für landesweite Not-Evakuierung und für Abschreckungsfunktionen zuständig. Erstmalig übernimmt Deutschland mit ihrem Einsatzführungszentrum in Potsdam die militärische Führung eines autonomen Militäreinsatzes der EU. Nach dem Somalia-Einsatz 1993/1994 ist dieses Militärkontingent das zweitgrößte der Bundeswehr auf afrikanischem Boden. Der Bundestag wird am 1. Juni abschließend debattieren und über den Antrag der Bundesregierung entscheiden.

Nie wurde ein Bundeswehreinsatz so kontrovers diskutiert. Stellungnahmen aus der Friedensbewegung und auch des Bundesausschusses Friedensratschlag, dem der Autor angehört, haben bereits ebenso Ablehnung bekundet wie die Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Selbst aus weiten Teilen der FDP, aus Kreisen der SPD wurde Kritik laut und einzelne Abgeordnete aus CDU und CSU sowie der Bundeswehrverband trugen Zweifel vor. Eine Umfrage im Auftrag der Zeitschrift „Internationale Politik“ ergab, dass „63 Prozent der Befragten angaben, sie seien gegen einen Kongo-Einsatz der Bundeswehr (Ostdeutschland: 77 Prozent, West: 60)“ (FAZ 11.4.2006). Trotzdem scheint eine Zustimmung des Bundestages sicher. Sollte es einmal mehr so sein, dass die Mehrheit des Bundestages in ihrer Entscheidung nicht dem Willen der Bevölkerung entspricht?

Die folgende Analyse beschäftigt sich vor allem mit den aktuellen Verhältnissen in der DR Kongo, legt dabei den Schwerpunkt auf die ökonomische und militärische Situation und belegt, dass der Grund für den EU-Militäreinsatz nicht in der Absicherung eines Wahlvorgangs, sondern in der Absicherung ökonomischer Interessen der Interventen liegt.

In Stichworten: Land und Leute der DR Kongo

Fläche: 2,34 Mio. km², zwölftgrößtes Land der Erde, nach Fläche und Einwohnerzahl drittgrößtes in Afrika, 6,6fache Größe der BR Deutschland. Um einen Eindruck von der Größe der DR Kongo zu bekommen: Nach der flächentreuen (Peters-)Projektion reicht die Nord-Südausdehnung der DRK übertragen auf Europa vom Nördlichen Polarkreis bis zur Südspitze Siziliens. Dass entspricht einer Entfernung von 2.900 km. Die Entfernung zwischen Kinshasa und der Krisenregion Ituri beträgt demnach 1.750 km. Die Einwohnerzahl der DRK lag 2003 bei 53,1 Mio., heute sind es wohl über 60 Millionen, darunter sind etwa 20.000 Europäer (meist Belgier). In der Hauptstadt Kinshasa konzentrieren sich mindestens 7 Mio., evtl. sogar 12 Millionen Menschen. Weitere große Städte sind: Lubumbashi, Mbuji-Maji, Kolwezi und Kisangani. Insgesamt gibt es etwa 300 bis 350 Ethnien. Die DRK ist in elf Provinzen unterteilt.

Religionen: 51 % katholisch, ca. 25 % protestantisch, 15 % werden zu anderen christlichen Glaubensgemeinschaften gerechnet, 2 % Muslime, dazu indigene Religionen (Fischer Weltalmanach 2006, S. 274). Analphabeten: ein Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen. Tageszeitungen haben eine Auflage von etwa 1000 Ex. und sind wenig verbreitet. Hauptmedium ist das Radio. Verkehrssprache: Französisch.

Wirtschaftliche Eckdaten

Das Bruttonationaleinkommen pro Kopf betrug 2003 100 USD. Die DR Kongo zählt zu den ärmsten Ländern. Rund 80 Prozent der Kongolesen leben unter der absoluten Armutsgrenze von 1 USD am Tag. Nach Aussage der Vorsitzenden von „Brot für die Welt“ sind 72 Prozent der Kongolesen unterernährt (Cornelia Füllkrug-Weitzel, Deutschlandradio 20.5.06). „Monatlich sterben 31.000 Menschen an den Kriegsfolgen wie Hunger, Armut und Vertreibung“ (amnesty international, taz 24.5.2006). Bei einem Bruttosozialprodukt von 5,7 Mrd. (2002) beträgt die Auslandsverschuldung rund 10,5 Mrd. USD. Der Exportwert lag 2001 bei nur 883 Mio. USD. Der Staatshaushalt von 2,2 Mrd. USD wird zu 57 Prozent durch ausländische Hilfsgelder finanziert.

Dabei verfügt die DR Kongo über sehr große Naturreichtümer. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Koppelprodukte Kupfer und Kobalt, um Diamanten, Gold, Tantal als Bestandteil des Koppelprodukts Coltan, Germanium, Zinn, Holz und Wasserkraft. Erwähnenswert sind zudem Erdöl, das vor allem in der Kongomündung gefördert wird, Uran, Wolfram, Zink, Silber und Mangan. Im Boden Kongos lagern große Schätze. Kongos Reichtum kam bisher jedoch nur einer kleinen korrupten Führung und ausländischen Minengesellschaften zu Gute. Aber zunächst ein kurzer Abriss der Geschichte des Landes.

Geschichtlicher Abriss

In der vorkolonialen Zeit existierten im heutigen Kongo relativ hochentwickelte Königreiche, die auch Gebiete des heutigen Angola und Sambia einschlossen. Von 1884/85 bis 1960 wurde es vom belgischen Kolonialismus geprägt. Bis 1908 war der Kongo im Privatbesitz des brutalen belgischen Königs Leopold II. Belgien entließ nach Unabhängigkeitskämpfen den Kongo am 30. Juni 1960 in die Unabhängigkeit. Der Linke Patrice Lumumba ging als Präsident aus den ersten freien Wahlen im Kongo hervor. Er wurde im Januar 1961 von Belgien ermordet. Sein antikommunistischer Gegner Moise Tschombé wurde in den Kriegswirren 1964/65 Chef der Zentralregierung. Da dies nicht zur Stabilisierung des Landes führte, setzten die USA, Belgien und andere westliche Staaten Mobutu Sese Seko in einem von der CIA unterstützten Staatstreich im November 1965 als Staats- und Regierungschef ein. Mobutu verfügte auch über enge Beziehungen zu Frankreich. Er herrschte diktatorisch bis zu seinem Sturz 1997 durch Laurent Désirée Kabila und bereicherte sich und seinen Clan. Mobutu schaffte „10 bis 20 Milliarden Dollar kongolesischen Vermögens auf Auslandskonten“ (Financial Times Deutschland 9.3.2006). Laurent Kabilas Machtübernahme wurde unterstützt von Ruanda, Uganda und Burundi, damit von den USA. Insbesondere die Minengesellschaft American Mineral Fields (AMFI), 1995 gegründet, um weite Teile des Kongo auszubeuten, unterstützten logistisch, finanziell und militärisch Kabilas Vormarsch. AMFI ist verknüpft mit den größten US-kanadischen Gold- und Minenkonzernen. Die AMFI-Konzernzentrale ist in Hope, der Hauptstadt Arkansas’, dem Heimatstaat des damaligen US-Präsidenten Clinton. Kabila hatte AMFI in einem Vertrag im April 1997 die staatliche Bergbaugesellschaft Gécamines abgetreten. 1998 brach Kabila mit seinen ruandischen Bündnispartnern und den USA. Ruandische Truppen mussten Kinshasa verlassen. Der Vertrag mit AMFI wurde 1998 zu Gunsten des südafrikanischen-britischen Konzerns Anglo-American Corp. (AAC ist die zweitgrößte Minengesellschaft der Welt) aufgekündigt. Ruanda besetzte daraufhin mit Unterstützung Ugandas und Burundis den Ostkongo. Um einen Sturz Kabilas zu verhindern, intervenierten daraufhin Angola, Namibia und Zimbabwe. Im Kongo tobte ein Krieg, der als der erste afrikanische Weltkrieg bezeichnet wurde (M. Albright) und dessen Totenzahl auf bis zu vier Millionen geschätzt wird. Frankreich stand an Laurent Kabilas Seite. Im Januar 2001 wurde Kabila von einem eigenen Leibwächter ermordet. Man sagt „im Auftrag westlicher Geheimdienste“ (Das Parlament 14.7.2003). Sein (Adoptiv-)Sohn Joseph übernahm die Macht in Kinshasa und baute insbesondere die Beziehungen zu Frankreich aus. Der Krieg im Kongo endete schrittweise. Allerdings ist der Osten des Landes bis heute nicht befriedet. Im Juni 2003 wurde eine Übergangsregierung gebildet, die nach zwei Jahren durch Wahlen abgelöst werden sollte. Dieser Prozess ist um ein Jahr verlängert worden. Die Wahlen sollen nun am 30. 7. stattfinden.

Kleptokratie an der Macht

Die Übergangsregierung wird von den einstigen Kriegsgegnern gebildet: Präsident ist Joseph Kabila, auch Oberbefehlshaber der Armee (der seine Hauptbastion in der Kupferprovinz Katanga hat) und vier Stellvertreter: Jean-Pierre Bemba (MLC, von Uganda unterstützt, Schwiegersohn von Mobutu), Azurias Ruberwa (RCD-Goma, der Vertreter Ruandas), Yerodie A. Ndombasi (ein Vertreter aus Kabilas Partei) u. A.Z. Ngoma (gehört zur politischen Opposition). Hier handelt es sich um die Herrschaft einer Kleptokratie. Zwei Meldungen mögen dies belegen. Im Jahr 2004 hatte eine parlamentarische Untersuchungskommmission festgestellt, „dass die heute regierenden Kriegsparteien die staatlichen Unternehmen des Landes schlimmer ausplündern als zu Zeiten der Mobutu-Diktatur“ (taz 9.8.2005). Und die Neue Zürcher Zeitung kommt zu dem niederschmetternden Urteil: „Seither (gemeint ist Juni 2003, L.H.) haben sich die Regierungsmitglieder hauptsächlich darauf konzentriert, die Erlöse aus den grossen Rohstoffvorkommen in die eigenen Taschen abzuzweigen“ (NZZ 20.12.2005). Und konkret: „In der Herrschaftszeit Joseph Kabilas (sind) nach Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen 70 Prozent der Aktiva von Gécamines, darunter fast alle produktiven Bergbaukonzessionen, an private Partner im Ausland gegangen – zu Bedingungen, bei dem der Staat und der lokalen Bevölkerungen nur ein paar Brosamen bleiben. Joseph Kabila ist damit für einen nationalen Ausverkauf verantwortlich, der die oft angeprangerten informellen Mineralexporte aus Ostkongo zu Zeiten des Krieges in den Schatten stellt“ (taz 8.5.2006). Im August 2005 teilte die Übergangsregierung auf einen Schlag die strategischen Schaltstellen des Landes unter sich auf: „An die MLC, deren Führer Jean-Pierre Bemba aus einer der reichsten Familien der Landes stammt, gehen einträgliche Schaltstellen, wie die Leitung der staatlichen Ölfirma Cohydro, der das Tankstellennetz des Kongo gehört, und die für die Zertifizierung von Diamantenexporten zuständige Kontrollbehörde CEEC. Die RCD kriegt unter anderem die staatliche Elektrizitätsgesellschaft SNEL und die lukrative Zollbehörde Ofida. Die PRRD (Partei des Präsidenten J. Kabila, L.H.) behält die strategisch wichtige Luftraumbehörde RVA, der Kongos Flughäfen unterstehen, und das Staatsfernsehen RTNC“ (taz 9.8.05). Am 12. Mai 2006 stellte der IWF die Zusammenarbeit mit der kongolesischen Regierung „wegen Korruption und mangelndem Reformwillen“ (taz 13.5.2006) ein.

Bodenschätze und Wasserkraft

Die Fülle der Bodenschätze der DR Kongo, ihre Werte und Besitzverhältnisse können in diesem Rahmen nur schlaglichtartig beschrieben werden. Deutlich werden jedoch die zu Grunde liegenden Ausbeutungsverhältnisse.

Insgesamt liegt die Rohstoffförderung und folglich die Ausfuhr, gemessen an früheren Zeiten danieder, bis auf eine Ausnahme:

Diamanten

Bei Industriediamanten hält Kongo im Jahr 2003 Platz 4 der weltweiten Förderung. Im Jahr 2001 machte die Diamantenausfuhr 58 % des kongolesischen Exportwerts aus. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor. Für geschürfte 19,4 Mio. Karat wurde ein Ausfuhrwert von 512 Mio. USD erzielt. Der Großteil der Industriediamanten wird durch Zehntausende wenn nicht noch mehr Individidualschürfer ausgebeutet und über ein libanesisch kontrolliertes Händlernetz teils legal, teils illegal außer Landes geschafft.
Abbaugebiete liegen vor allem um Mbuyi-Maji (Provinz Kasai) sowie bei Kisangani. In Kisangani besitzt das AMFI-Tochterunternehmen American Diamond Buyers die Schürfrechte. Noch weitgehend nicht exploriert ist der kongolesische Teil des Kimberlit-Korridors, der sich von der angolanischen Diamanten-Provinz Lunda Norte in die DRK zieht. Hier hat sich ein Joint Venture des kanadischen Unternehmens SouthernEra Diamonds Inc. mit der weltweit größten Minengesellschaft, der australisch-südafrikanischen BHP Billiton, Lizenzen für eine mehr als 13000 km² große Fläche (nahezu die Größe Schleswig-Holsteins) gesichert (www.goldinvest.de, abgelesen 5.5.2006).

Gold

Die Abbaugebiete liegen vor allem im äußersten Nordosten der DRK im Distrikt Ituri. Allerdings ist der Abbau im globalen Maßstab gering. Kongo ist 2003 nicht unter den ersten 19 in der Welt zu finden. Das könnte allerdings auch damit zu tun haben, dass das im Bezirk Ituri geschürfte Gold illegal über Uganda exportiert wurde. So konnte MONUC „nachweisen, dass Uganda 2004 Gold im Werte von 60 Millionen Dollar exportiert, dabei selbst jedoch nur im Wert von neun Millionen Dollar gefördert hat. Die Differenz kann nur aus illegaler Einfuhr aus Ituri stammen“ (Albrecht Conze, Internationale Politik, April 2006, S. 44). Die US-Firma Barrick-Gold, seit Neustem die Nr. 1 in der Weltgoldproduktion, besitzt ein Claim von 82.000 km² in der Provinz Oriental, eine Fläche so groß wie Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen zusammen. Sein Goldgehalt wird mit 100 t angegeben, was einem Marktwert von derzeit 1,7 Milliarden USD entspricht. Dem Direktorium von Barrick-Gold gehören u.a. George Bush Senior und James Baker an. Außerdem hat der südafrikanische Goldriese AngloGold Ashanti (Tochter von Anglo American) in Ituri Schürfrechte in einem 10.000 km² großen Gebiet (www.derstandard.at, 1.3.06).

Kupfer und Kobalt

Die kongolesischen Kupferproduktion darbt vor sich hin. Das Land findet sich 2003 nicht unter den 14 Ersten der Kupferproduzenten. Während Zaire (so hieß die DR Kongo unter Mobutu von 1971 bis 1997) in den Jahren 1982 bis 1984 noch jeweils 500.000 Tonnen förderte, waren es im Jahr 2004 nur noch 21.000 t. Damals waren es 6 Prozent der weltweiten Förderung, heute kommen gerade mal 0,15 Prozent des Kupfers aus der DR Kongo. Die International Crisis Group schätzt, dass im Kongo 10 Prozent der weltweiten Kupferreserven lagern (The International Crisis Group, Katanga: The Congo’s Forgotten Crisis, Africa Report Nr. 103, 9.1.2006, Seite 8). Das Abbaugebiet liegt im äußersten Südosten der DRK um Lubumbashi und Kolwesi. Bei geschätzten weltweiten Reserven von 600 Mio. t (Fischer Weltalmanach 2006, S. 630), müssten es demnach rund 60 Millionen Tonnen sein. Derzeit bringt die Tonne Kupfer um 8.000 USD (historisches Hoch), so dass sich daraus ein Marktwert von 450 bis 500 Mrd. USD errechnet. Kupfer ist damit das wertvollste Gut in Kongos Boden. Allerdings gehen die Einnahmen weitgehend an der Staatskasse vorbei, seit Laurent Kabila aus dem Staatskonzern Gécamines durch den Verkauf von Teilbereichen eine leere Hülle gemacht hat, indem er Konzessionen an transnationale Bergbaukonzerne vergab, um sich selbst daran zu bereichern. Man schätzt, dass 60.000 junge Männer in Südkatanga auf primitive Weise individuell Kupfer abbauen. Die statistische Erfassung von Produktion und Export insbesondere ins benachbarte Sambia ist dürftig, so dass unklar ist, in welcher Höhe am Staat vorbei das Kupfer exportiert wird (vgl. Global Witness: Rush and Ruin, The Devastating Mineral Trade in Southern Katanga, Washington, September 2004).

Bezüglich des Koppelprodukts Kobalt, das u.a. wichtig ist als Speziallegierung für Flugzeug- und Kraftwerksturbinen, ist die kongolesische Weltstellung noch bedeutsamer als bei Kupfer: Die DR Kongo liegt jeweils bei Förderung und Reserven auf Platz 1 in der Welt. 2003 kamen 24,1 % (http://de.wikipedia.org/wiki/Kobalt) des Weltkobalts aus Katanga und die International Crisis Group schätzt den Anteil an den weltweiten Kobaltreserven dort sogar auf 34 Prozent. 1986 wurden sie auf 2 Mio. t geschätzt. Das ergebe einen Marktwert von ca. 70 Mrd. USD. Die VR China ist mit Abstand der größte Abnehmer kongolesischen Kobalts bei steigender Tendenz.

Einblicke in den Ausbeutungsmechanismus zwischen transnationalen Konzernen und der kongolesischen Machtelite gibt folgender Vorgang. Im August 2005, als schon das Ende der Übergangsregierung Kabila abzusehen war, sicherte sich die US-Minengesellschaft Phelps Dodge von der staatlichen Minengesellschaft Gécamines mit dekretierter Zustimmung der Übergangsregierung Kabila einen Anteil von 57,75 Prozent an der Kupfer-Kobalt-Mine Tenke-Fungurume in Katanga für nur 60 Mio. USD. Die Mine enthält nach Angaben von Phelps Dodge 103 Millionen Tonnen Erz, dessen Kupfergehalt das Unternehmen mit 3,44 % und dessen Kobaltgehalt mit 0,34 % angibt (Vgl. Jahresbericht 2005 bei www.phelpsdodge.com). Nach derzeitigen Preisen ergibt sich ein Marktwert des Kupfers von gut 16 Milliarden USD, das Kobalt valutiert mit etwa 7 Milliarden USD (15,60 USD/lb am 26.5.06; 1 lb = 453,59 g). Die Konzession kostet also nur etwa ein Vierhundertstel des Umsatzes. Selbst wenn das Unternehmen Hunderte Millionen Dollar in die Erschließung investieren muss, sind diese Summen angesichts der exorbitanten Renditeaussichten als Peanuts zu bezeichnen.

Germanium

In einer etwa 100 m hohen Abraumhalde am Rande Lubumbashis lagert etwa ein Viertel des weltweiten Germanium-Vorkommens. Germanium ist Bestandteil von Glasfasern und wird in der Infrarot-Sensorik verwendet, ist somit auch militärisch relevant. Der Marktwert beläuft sich derzeit etwa auf 2,6 Mrd. USD.

Coltan

ist ein Gemisch aus den chemischen Elementen Tantal und Niob. In der DR Kongo lagern zwei Prozent der weltweiten Niob-Reserven und 13 Prozent der weltweiten Tantalvorkommen (Hans W. Maull, Strategische Rohstoffe, München 1988). Tantal ist wichtig für die Handyherstellung. Die deutsche Firma H.C. Starck aus Goslar, Tochterunternehmen des Bayer-Konzerns, ist Weltmarktführer bei der Verarbeitung von Tantalerzen. H.C. Starck war in den Jahren 2000 und 2001 – während des Kongokrieges – größter Abnehmer des Tantalerzes Coltan und geriet in die Kritik, weil dadurch Kriegsparteien finanziert wurden.

Erdöl

Rohöl steht für 24 % des kongolesischen Exports im Jahr 2001, entsprechend 211 Mio. USD. Im Juni 2002 verlieh die Regierung in Kinshasa der kanadischen Heritage Oil Corp. das Exklusivrecht, in einem 31.000 km² großen Gebiet Ituris am Westufer des Albertsees nach Erdöl zu suchen. Zusammen mit der südafrikanischen Firma Energy Africa besitzt sie direkt an der Westgrenze Ugandas ebenfalls eine Konzession und hat „dort nahe der Grenze zu Kongo-Kinshasa ein Erdölfeld gefunden, dessen Potenzial die Firma auf ‚mehrere Milliarden Fass’ schätzt“ (NZZ 21.5.2003). Bei einem Fasspreis von derzeit um 70 USD klingt dies nicht nur verheißungsvoll für Ugandas zukünftige Prosperität, sondern lässt auch auf einen Ölsegen im allein schon wegen des Goldvorkommens mit Gewalt umkämpften Ituri hoffen.

Holz

Internationale Holzkonzerne verfügen im Kongo über Konzessionen, die die Fläche Frankreichs bedecken würden. Größter Abholzer ist das deutsche Unternehmen Congolaise Industrielle des Bois (CIB). Die deutsch-schweizerische Tropenholzfirma Danzer ist ebenfalls im Kongo aktiv.

Infrastruktur und Wiederaufbau

Im Dezember 2003 hat eine Geberkonferenz in Paris der DR Kongo für 2004 bis 2006 insgesamt 3,9 Milliarden USD zugesagt. „70 Prozent davon sind für Verkehrsinfrastruktur vorgesehen, der Rest für Soziales, Bildung und Landwirtschaft. Bedingung sei die Vollendung des Friedensprozesses samt Wahlen“ (taz 20.12.2003). Im April 2003, also vor der Einsetzung der Allparteienregierung im Juli, besorgten sich US-Firmen lukrative Verträge im Kongo. „Die US-Baugruppe ‚Louis Berger International’ soll für 1,2 Milliarden Dollar Straßen bauen – das Geld dafür kriegt Kongo von der EU“ (taz 4.11.203).

„Wichtigster deutscher Investor im Kongo ist Siemens, dessen belgische Filiale das Stromnetz der Hauptstadt Kinshasa instand setzt, gefördert von der Weltbank. […] Und der deutsche Konzern ist auch in der Telekommunikation präsent“ (taz 11.7.2003). 2003 erhielt Siemens von der Weltbank den Auftrag die zwei bestehenden Kraftwerke an den Inga-Staudämmen südlich von Kinshasa, die derzeit nur mit einer Kapazität von 30 Prozent arbeiten, zu sanieren. 550 Mio. USD seien dafür bis 2010 notwendig. Siemens hat in Kinshasa auch ein Büro eröffnet. Weitere Informationen sind jedoch nicht zu erhalten (International Rivers Network, IRN, April 2005, www.irn.org). Die international tätige Stuttgarter Consultingfirma Fichtner hat von der Weltbank den Auftrag, die Instandsetzung der elektrischen Infrastruktur im Süden des Landes, was Inga einschließt, zu planen und mit den ersten dringlichen Maßnahmen zu beginnen. Zudem berät Fichtner die kongolesische staatliche Elektrizitätsgesellschaft SNEL bei der Ausschreibung, Angebotsauswertung und Vergabe von Aufträgen (www.Fichtner.de). „Die DR Kongo hat nach China und Russland die drittgrößten durchschnittlichen Reserven an Wasserkraft in der Welt. Davon werden bisher nur 2 % genutzt,“ stellt die EU-Kommission in ihrer Afrika-Strategie „zur Beschleunigung der Entwicklung Afrikas“ fest (KOM(2005) 489 endgültig vom 12.10.2005). Berechnungen kommen auf potenziell 44.000 MW Leistungskapazität des Kongo. Zum Vergleich: Die 17 deutschen AKWs kommen auf 20.000 MW Leistung. Am konkretesten sind die Planungen für Inga 3, für dessen Bau rund 5 Mrd. USD notwendig wären, und der 2012 abgeschlossen sein soll. Eher Zukunftsmusik ist der gigantische Plan „Grand Inga“, für einen Damm, der den gesamten Kongo staut und dessen 52 Turbinen 39.000 MW Strom erzeugen, der vom Kap bis Ägypten Afrika mit Energie versorgen soll. Hier wird von Investitionskosten von 50 Mrd. USD ausgegangen (www.irn.org). Siemens gilt als „gut positioniert, den Löwenanteil an diesem vermutlich interessantesten Großinvestitionsprojekt des Kongo zu bekommen“ (taz 11.7.2003).

Frankreichs Einfluss im Kongo

ist eine gesonderte Untersuchung wert. Nicht nur, dass es die Nähe zu allen Präsidenten Kongos hergestellt hatte, wobei die Nähe zu Kabila Junior so eng sein soll wie zu keinem seiner Vorgänger.

Die französische Consultingfirma Sofreco hat sich das Management des staatlichen Bergbauunternehmens Gécamines gesichert, dem einst die Kupfer- und Kobaltminen Katangas unterstanden, jedoch auf Grund des Ausverkaufs nur noch über schätzungsweise 30 Prozent der ursprünglichen Aktiva verfügen. Ungeachtet dessen ist es das größte Unternehmen Kongos. Die Sanierung Gécamines’ ist der Schlüssel zur Gesundung des Landes. Oder anders: Wer Gécamines kontrolliert, kontrolliert Kongos Aufbau.

Das derzeit größte ausländische Unternehmen im Kongo gehört dem Belgier George Forrest. Er ist Frankreichs Honorarkonsul in Lubumbashi und besitzt ein Viertel des Germaniumbergs bei Lubumbashi und Anteile an Kupfer-Kobalt-Minen. „Belgische NGOs nennen Forrest als Hauptfinanciers von Joseph Kabilas PPRD“ (taz 8.5.2006).

Auch auf militärischer Ebene ist Frankreichs Einfluss im Kongo führend. Die militärische EU-Mission EUSEC, die seit Juni 2005 den Aufbau der kongolesischen Armee FARDC überwacht, wird vom französischen General Joana geleitet. EUSEC stellt Berater des kongolesischen Generalstabs und sitzt auch im Büro des kongolesischen Verteidigungsministers.

Die EU-Truppe „Artemis“, die im Sommer 2003 im ostkongolesischen Bunia militärische Stärke demonstriert hat, war eine französische.

Sehr deutlich drückt Dominic Johnson, Afrikaredakteur der taz, die Interessen Frankreichs (und der USA) im Zusammenhang mit den Wahlen aus: „Frankreich gilt unter den internationalen Partnerländern zusammen mit den USA als eifriger Unterstützer Kabilas. Die beiden Länder, heißt es bei der MONUC, betreiben aktiv Kabilas Wiederwahl im ersten Wahlgang“ (D. Johnson, Internationale Politik, April 2006, S. 54).

Zum Wahlausgang

Zur Präsidentenwahl hat die Wahlkommission 33 Kandidaten zugelassen, die Kandidatenzahl für die 500 Parlamentssitze liegt bei über 9.600. Grundlage der Wahl ist die im Dezember 2005 in einem friedlich verlaufenden Referendum von der Bevölkerung angenommene Verfassung. Sie gibt dem Präsidenten des Landes eine große Machtfülle, wenngleich den Provinzen wesentlich mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen sollen als heute. Schon bei diesem Verfassungsreferendum hatte sich der Oppositionelle Etienne Tshisekedi, dem vor allem in seiner Heimat, der Diamantenprovinz Kasai, und in Kinshasa die beachtliche Anhängerschaft von drei bis vier Millionen Wählern, immerhin etwa ein Siebentel der Wählerschaft, nachgesagt wird, zu einem Boykott aufgerufen. Und auch für die Wahlen am 30.7. steht er und seine Partei UDPS nicht auf den Wahlzetteln. Die Neue Zürcher Zeitung wagte angesichts dessen Anfang April bereits eine Prognose für den Wahlausgang: „Tshisekedis Abseitsstehen erhöht die Chancen Kabilas, bereits im ersten Wahlgang als Präsident Kongo-Kinshasas bestätigt zu werden. Von den Kandidaten der unbewaffneten Opposition scheint einzig Antoine Gizenga, der 80-jährige Präsident des Parti lumumbiste unifé, in der Lage zu sein, im ganzen Land Stimmen zu mobilisieren. Aber die Opposition ist verzettelt. Zahlreiche Führer von Kleinstparteien haben wohl die Kandidatur nur deswegen eingereicht, um ihren ‚Marktwert’ in Verhandlungen mit Kabila steigern zu können; im Tausch gegen einen Posten in der künftigen Regierung oder Verwaltung dürften sie bereit sein, sich vom Rennen zurückzuziehen und Kabila zu unterstützen“ (NZZ 5.4.2006). Es sieht so aus, als wenn der Wunschkandidat der französischen und der US-Regierung tatsächlich das Rennen macht. Kabila ist der haushohe Favorit.

Zum Militär in der DR Kongo

Um einen Standpunkt dafür zu entwickeln, ob es einen Sinn macht, EU-Truppen in die DR Kongo zu entsenden, ist es notwendig, die im Kongo vorhandenen wesentlichen militärischen Kräfte zu analysieren.

MONUC

Die UN führt seit 2000 eine immer weiter verstärkte Blauhelm-Mission nach Kapitel VII durch – MONUC. Sie umfasst rund 16.000 reguläre Soldaten aus 19 Ländern. Pakistan und Indien stellen davon jeweils rund 3.500, Bangladesh, Südafrika und Uruguay jeweils knapp 1.400 Soldaten. Französische und frankophone Teile dominieren und kommandieren den militärischen Teil. Johnson bemerkt, dass sie sogar mit den kongolesischen Generälen paktierten und vor deren Umtrieben die Augen verschlössen. „MONUC-Militärchef Babacar Gaye aus Senegal absolvierte schließlich einst gemeinsam mit dem FARDC-Oberkommandierenden Kisempia die französische Militärakademie Saint-Cyr“ (D. Johnson, Internationale Politik, April 2006, S. 53).

Den Kern der MONUC-Heeressoldaten bilden zehn Panzergrenadierbataillone und zehn Panzergrenadierkompanien. Zwei Bataillone befinden sich in Kinshasa, fast sämtliche anderen Verbände befinden sich im Distrikt Ituri, in den Provinzen Nord- und Südkivu sowie in Nord-Katanga, somit im Osten. Dominic Johnson gibt einen guten Überblick über ihre aktuellen Aufgaben: „Sie soll in einem völlig unübersichtlichen, 1000 Kilometer langen Kriegsgürtel entlang der kongolesischen Ostgrenzen Dutzende lokale Milizen in den Frieden einbinden, ausländische irreguläre Gruppen wie die Hutu-Kämpfer aus Ruanda und Burundi zur freiwilligen Demobilisierung anhalten, humanitäre Hilfe schützen, vertrauensbildende Maßnahmen für die Bevölkerung betreuen, dazu noch in Kinshasa die Institutionen der Übergangsregierung schützen und im ganzen Land Materialien und Helfer für die Vorbereitung der geplanten Wahlen transportieren“ (Internationale Politik, April 2006, S. 52). Da das Land über keine befestigten Fernstraßen verfügt, findet der Transport durch die Luft statt. MONUC fliegt 60 Flugplätze und Landepisten sowie 150 Hubschrauberlandeplätze an und verfügt über 24 Flugzeuge, darunter 2 Boeing 727 und drei Iljushin-76, sowie 62 Hubschrauber (http://monuc.org). MONUC hat sich ein flächendeckendes Luftverkehrsnetz geschaffen. Es spricht nichts dagegen, dass MONUC für die Not-Evakuierung von bis zu 200 europäischen Wahlbeobachtern zuständig sein könnte. Die dafür vorgesehenen EU-Truppen, insbesondere ein deutsches Fallschirmjägerbataillon, sind dafür überflüssig.

Die kongolesische Armee

In der Übergangszeit seit 2003 sollten die kämpfenden Milizen im Kongo in eine reguläre Armee integriert werden. Das ist nur zu einem kleinen Teil umgesetzt worden: „Kongos neue nationale Armee FARDC sollte 18 Brigaden haben – sie hat acht. Die neue Polizei PNC sollte 32.000 ausgebildete Mitglieder haben – es sind 15.000“ (taz 9.2.2006). Die Hälfte dieser landesweiten Armee steht in Ituri. „Die kongolesische Truppe begeht schwere Menschenrechtsverletzungen, plündert hemmungslos, ist in Rohstoff- und Waffenschmuggel verwickelt und hält lokale Konflikte mit Milizen in Ostkongo – von Ituri bis Katanga – selbst am Laufen, um einen Grund für neue Geldausschüttungen und Materialausgaben zu haben. Fast überall dort, wo sie präsent ist, hat die FARDC mit ihren inneren Konflikten neue Kriege produziert, statt alte zu schlichten“ (D. Johnson, Internationale Politik, April 2006, S. 51). Die FARDC ist in weiten Teilen eher ein Unsicherheitsfaktor im Land. Dessen ungeachtet gingen 500 Mann der MONUC mit 2000 Soldaten der FARDC in Ituri gegen Rebellengruppen vor (NZZ 23.5.2006). Die schweren Waffen der Armee sind allgemein in einem schlechten Zustand. An schweren Waffen verfügt sie über etwa 70 alte Kampfpanzer und 130 Artilleriesysteme als Hauptwaffen des Heeres. Die Luftwaffe hat sechs Kampfflugzeuge (2 MiG 23, 4 Su-25) und sechs Kampfhelikopter (Mi-24), die Marine besteht aus acht Patrouillenbooten, die kaum einsatzfähig sind (The Military Balance 2005/2006, S. 375). FARDC hat eine integrierte Führung, dessen Oberbefehlshaber Joseph Kabila ist. Das Heer wird von Ruberwas RCD befehligt, die Luftwaffe von Kabilas Partei und die Marine von Jean-Pierre Bembas MLC (FAZ 1.7.2003).

Die Milizen und der EU-Militäreinsatz

Offiziell angefangen hat alles mit einem Brief des für Blauhelm-Missionen zuständigen UN-Untergeneralsekretärs, dem Franzosen Jean-Marie Guéhenno, vom 27. Dezember 2005. Darin wünscht er von der EU „Abschreckungskräfte“ und „Reservekräfte“, um während der Wahlen MONUC zu unterstützen. Anzumerken ist, dass die Anforderung nicht von MONUC kam und bei der kongolesischen Übergangsregierung erst noch Überzeugungsarbeit geleistet werden musste. Der Spiegel am 30.1.2006: „Die Regierung in Kinshasa, meldete der Diplomat (gemeint ist der deutsche Kongo-Botschafter Reinhard Buchholz, L.H.) kürzlich nach Berlin, sehe für die Europa-Truppe ‚keinen Bedarf’“.

Wenn die EU über einen Militäreinsatz im Kongo nachdenkt, setzt das eine Analyse des Störpotenzial von Wahlen im Kongo voraus. Versuchen wir uns an einem Lagebild:

Präsident Kabila befehligt eine Präsidialgarde GSSP als Privatarmee außerhalb der Armeestruktur. Die Angaben über dessen Stärke reichen von „fast 7000“ (Interview mit Albrecht Conze, Politischer Direktor von MONUC, www.fr-aktuell.de, 23.3.2006) „bis 15.000 Elitesoldaten“ (Denis M. Tull, Die Demokratische Republik Kongo vor den Wahlen, SWP-Aktuell 12, Februar 2006, S. 2.). Dominic Johnson, verwendet sogar die Zahl 16.000. Tull gibt an, dass diese sowohl in Kinshasa als auch in Lubumbashi, Kisangani und Bukavu stationiert seien.

Der Hauptstadt Kinshasa kommt für den Ausgang der Wahl die entscheidende Bedeutung zu. In einem weiteren Interview, diesmal mit der Deutschen Welle, fasste der deutsche Diplomat Albrecht Conze die Bedeutung Kinshasas und die militärischen Konstellationen um die Macht zusammen: „Dies ist das Nervenzentrum des Landes, hier wird sich tatsächlich entscheiden, ob das Wahlergebnis akzeptiert wird oder nicht. Größere Bewegungen für oder gegen den einen oder anderen Kandidaten außerhalb von Kinshasa werden keine nationalen Auswirkungen haben. Deswegen geht es wirklich um die Hauptstadt.“ Frage des Interviewers: „Es gibt Gerüchte, dass einzelne Politiker schon Milizen rund um Kinshasa zusammenziehen.“ Antwort Conze: „Wir sehen niemanden, der jetzt etwas zusammenzieht, wir sehen nur zwei Kandidaten, die hier schon immer Sondertruppen haben, die über das Abkommen von Pretoria hinausgehen. Das sind der jetzige Staatspräsident Kabila und einer der vier Vizepräsidenten, Jean-Pierre Bemba. Die muss man nach beiden Wahlgängen – je nach erwartetem Ausgang – besonders gut im Auge behalten“ (www.dw-world.de, 24.5.2006).

Über die Größe von Bembas Truppe gibt es sehr unterschiedliche Angaben. Sie reichen von 300 (!) bis 6.000. Albrecht Conze gab Bembas Truppenstärke mit „knapp 4000“ an (www.fr-aktuell.de, 24.3.2006), SPIEGEL-ONLINE mit 5.000 (10.3.2006) und die taz mit 6000 (15.3. 2006). Legt man diese hohen Angaben zu Grunde, würde die EU-Truppe in Kinshasa (500 bis 700 Soldaten aus Frankreich und Deutschland, taz 27.5.2006) beim Aufeinandertreffen der Truppen Kabilas und Bembas überfordert sein. Selbst eine aus Gabun herbeibeorderte Reserve von 1100 Mann („over the horizon force“), verstärkt durch die in Europa bereit gehaltene „strategische Reserve“, eine „1500 Mann starke EU-‚Battle-Group’, die aus französischen und einer Handvoll deutscher Soldaten besteht“ (Der Spiegel, 22.5.2006), wäre machtlos, wenn über 15.000 Bewaffnete übereinander herfielen. Die EU-Truppe würde im Worst-Case-Szenario ihren Abschreckungsauftrag nicht erfüllen können. Der Einsatz erwiese sich als unsinnig.

Was ist, wenn die niedrigeren Zahlen über Bembas Truppen zutreffen? Nur die FAZ berichtet von geringen Truppenstärken Bembas: Am 2. Mai 2006 gibt sie den CDU-Bundestagsabgeordneten Karl-Heinz Wellmann wieder, der von einer Kongoreise zurückkehrte: „Auch sein Vizepräsident und Gegenkandidat Bemba unterhalte eine Truppe von schätzungsweise 2000 Mann in der Nähe von Kinshasa.“ Am 19. Mai setzt sich der FAZ-Afrika-Korrespondent Thomas Scheen mit der Bemba-Truppe auseinander: „Daß Bemba tatsächlich noch 5000 Milizionäre in der Nähe der Hauptstadt stehen haben soll, ist ein hartnäckiges, aber unbewiesenes Gerücht. Fest steht, dass auf einer Farm der Familie Bemba außerhalb der Stadt zwei- oder dreihundert seiner alten Kämpfer mehr dahinvegetieren als leben. Ob von ihnen eine echte Bedrohung ausgeht, ist zweifelhaft. Denn Bemba pflegt seine Leute nicht zu bezahlen ‚Für den riskiert kein Mensch mehr irgend etwas’, sagt ein seit vielen Jahren in Kinshasa lebender Niederländer“ (FAZ 19.5.2006). Dass sehr viel für diese letzte Analyse spricht, wird dadurch unterstrichen, dass Denis M. Tull von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in seiner Analyse „Denkbarer Szenarien“, in denen er im Zusammenhang mit den Wahlen die „Chancen und Risiken für den Friedensprozess“ auslotet, Jean Pierre Bembas Miliz überhaupt nicht (!) erwähnt. Also geht von Bemba tatsächlich keine Gefahr aus. Folglich gibt es im Nervenzentrum Kinshasa kein denkbares militärisches Szenario.

Selbst Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützen diese Einschätzung: „Beobachter gehen mehrheitlich davon aus, dass diese Wahlen friedlich verlaufen werden.“ Und: „Es liegen zur Zeit keine konkreten Erkenntnisse darüber vor, dass es im Umfeld der Wahlen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen wird, die von den kongolesischen Ordnungskräften nicht bewältigt werden können“ (Drucksache 16/1398 vom 8.5.2006). Wozu dann EU-„Abschreckungskräfte“?

Die Bundesregierung benennt in dieser Antwort darüber hinaus staatliche Rundfunk- und Fernsehsender sowie Regierungseinrichtungen, die während der Wahlphase zu Objekten von Störern werden könnten. Auch hier stellt sich die Frage: Wer könnten die Störer sein? Die Antwort: Mit unbewaffneten Störern würden die kongolesischen Sicherheitskräfte und die MONUC-Verbände vor Ort fertig, als bewaffnete Störer kämen theoretisch allenfalls Bembas Leute in Frage. Und die werden nichts unternehmen.

Zusammengefasst: Die Einsatzziele der EU-Truppe sind unbegründet. Die vorgesehenen Aufgaben haben keine reale Grundlage oder können von MONUC und den kongolesischen Sicherheitskräften ausgeführt werden.

Die Hintergründe des EU-Militäreinsatzes

Es stellt sich dann die Frage, weshalb trotz öffentlich beklagter knapper Kassen so vehement für diesen Einsatz getrommelt wird.

Die Antworten:

Da der Einsatz vor allem vom französischen (und auch US-) Interesse diktiert ist, Frankreich jedoch im Kongo nicht auch noch die militärische Führung übernehmen kann, weil sonst überhaupt kein Anschein von Neutralität gewahrt werden könnte, hat die Bundesregierung die Führung der Truppe übernehmen. Das ist deshalb im deutschen Regierungsinteresse, weil sie und ihre Vorgängerinnen sich verpflichtet haben, beim Aufbau der Schnellen Eingreiftruppen (80.000 Mann bis 2010, davon 18.000 deutsche Soldaten) das größte nationale Kontingent zu stellen und sich auch an deren Speerspitze, zwölf oder 13 „Battlegroups“, maßgeblich zu beteiligen.

Die „Battlegroups“ sind „bestimmt für, aber nicht begrenzt auf den Gebrauch für zusammenbrechende oder zusammengebrochene Staaten (von denen sich die meisten in Afrika befinden),“ (www.geopowers.com) heißt es im Battle-Group-Concept vom Februar 2004. Die von den EU-Staats- und Regierungschefs beschlossene Europäische Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003 benennt als „Hauptbedrohungen“ im 21. Jahrhundert „regionale Konflikte“ und das „Scheitern von Staaten“. Diesen Ansatz präzisierte der Europäische Rat im April 2005: Im „Gemeinsamen Standpunkt zur Verhinderung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten in Afrika“ werden die Ziele genannt: Stärkung afrikanischer Mittel und militärischer Fähigkeiten und die enge Zusammenarbeit mit der UNO. Bezeichnend darin ist die folgende Festlegung: „Die EU wird ungeachtet ihres Eintretens für die Eigenverantwortung Afrikas weiterhin bereit sein, sich mit ihren eigenen Fähigkeiten der Krisenbewältigung in Afrika zu beteiligen, wo immer das erforderlich ist“ (6759/05 vom 6.4.2005). Wenn von „Fähigkeiten der Krisenbewältigung“ in offiziellen Dokumenten die Rede ist, ist das Militär mit gemeint.

Mit diesem EU-Militäreinsatz kann das deutsch-französische EU-Führungstandem seine Einheit demonstrieren und den Militärs ein möglichst anspruchsvolles Einsatzgebiet zur praktischen Erprobung ihrer Stabstrockenübungen bieten. Damit kommt die EU ihrem erklärten Ziel, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch zu einem globalen Akteur zu werden, einen weiteren Schritt näher. Diese Einschätzung wird auch unterstrichen durch die Aussage von Ex-General Klaus Naumann, früher Generalinspekteur der Bundeswehr und danach Chef des NATO-Militärausschusses. Naumann findet den „einzigen und entscheidenden Grund“ für diesen (Kongo-) Einsatz darin, zu zeigen, „dass Europas Sicherheitspolitik beginnt, handlungsfähig zu werden“ (Neue Osnabrücker Zeitung, 3. 4. 2006). Ein weiteres nicht zu unterschätzendes Motiv: Die Bevölkerungen der EU-Staaten sollen auf diese Weise an die Militarisierung der EU gewöhnt werden.

Ein weiterer Grund für das Eingreifen der EU ist der Griff nach dem Rohstoff- und Wasserreichtum des Landes. Es ist nicht daran gedacht, mittels dieser EU-Truppen direkt auf Rohstoffressourcen zuzugreifen. Aktuell geht es darum, die hergebrachte korrupte Machtstruktur im Kongo, die den transnationalen Konzernen einen preiswerten Zugriff auf die reichhaltigen Ressourcen des Landes sichert, mittels der Wahlen zu konservieren und vor allem zu legitimieren. Und die Größe des eigenen deutschen Anteils an diesen Ressourcen bemisst sich nach der Maßgabe der Richtlinie Nr. 27 der Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992: „Wenn die internationale Rechtsordnung gebrochen wird oder der Frieden gefährdet ist, muß Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft auch militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können.“

Zwar sind diese Richtlinien nicht mehr in Kraft, weil Kohl nicht mehr regiert, jedoch machen bereits Vorabveröffentlichungen aus dem Entwurf eines neuen Bundeswehrweißbuchs deutlich, von welchen Interessen sich der für den Kongoeinsatz zuständige Verteidigungsminister F.-J. Jung bei Auslandseinsätzen leiten lässt: „Vorrangige Interessen seien die Förderung der transatlantischen Stabilität und die Sicherung des Wohlstandes durch freien und ungehinderten Welthandel,“ zitiert Springers Welt aus dem Weißbuch und wörtlich: „Hierbei gilt es wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands, sich besonders den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, zuzuwenden.“ (Bundeswehr sichert Rohstoffversorgung, Die Welt 12.5.2006)

Bedenklich stimmt beim EU-Militäreinsatz außerdem:

Die Nonchalance, wie Gelder für’s Militär bereit gestellt werden, ohne die unmittelbaren Bedürfnisse der kongolesischen Bevölkerung zu berücksichtigen: Die UNO beklagt, dass für ihren diesjährigen Aktionsplan zur Nahrungs- und Gesundheitsversorgung im Kongo in Höhe von 682 Mio. US-Dollar erst 13 Prozent eingezahlt wurden (taz 15.5.2006). Der darin enthaltene mickrige deutsche Beitrag in Höhe von 2,2 Millionen für die UN-Nothilfe im Kongo ist skandalös angesichts der locker zur Verfügung gestellten 56 Mio. Euro für den Bundeswehreinsatz.

* Lühr Henken ist Sprecher des Hamburger Forums für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung sowie Sprecher des Bunddesausschusses Friedensratschlag.
Der vorliegende Text basiert auf dem Manuskript einer Veranstaltung zum Kongo vom 23. Mai im Hamburger Curiohaus. Quelle: www.friedensratschlag.de

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de