Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Studie 2006/02 - in: AUSDRUCK (Februar 2006)

Intellektuelle Brandstifter: Die „Neuen Kriege“ als Wegbereiter des Euro-Imperialismus

Jürgen Wagner (17.02.2006)

https://www.imi-online.de/download/JW-NeueKriege.pdf

Die „Neuen Kriege“ des „Alten Europa“

Seit je her wird versucht die gewaltsame Durchsetzung ökonomischer und strategischer Interessen als selbstloses, moralisch gebotenes und allenfalls defensives Unterfangen darzustellen. Als besonders effektiv hat sich diesbezüglich in jüngster Zeit die Theorie der „Neuen Kriege“ erwiesen, auf deren Hauptvertreter Herfried Münkler und Mary Kaldor sich in der Folge primär bezogen werden soll. Sie besagt im Kern, es habe ein grundlegender Formwandel gewaltsamer Konflikte stattgefunden. Während klassische zwischenstaatliche Kriege der Vergangenheit angehören würden, sei gleichzeitig eine rasant steigende Zahl innerstaatlicher Gewaltkonflikte in der Dritten Welt zu beobachten, die allein auf endemische Ursachen zurückzuführen wären. Regionalspezifische Umstände, nicht etwa die Interessenspolitik des Westens, seien es ethnische oder religiöse Rivalitäten, Stammesfehden o.ä., wären die ausschlaggebenden Triebfedern dieser Konflikte, die überall dort entstünden, wo es zu einer Erosion staatlicher Ordnung gekommen sei.

Dabei wird eine gefährliche – und rassistische – Zweiteilung der Welt in prä- und postmoderne Zonen beschrieben. Der „Westen“, besser noch Europa, das sei der Leuchtturm der Freiheit, der Hort universell gültiger „kosmopolitischer Wertvorstellungen“ und friedfertigen Verhaltens, des Guten; der Rest (die Dritte Welt), das seien Barbarei, Chaos und Krieg, die drohten auf Europa überzuschwappen, so kurz und verkürzt stellt sich die Welt aus Sicht der „Neuen Kriege“ dar. Unterstützt von derlei Spenglerschen Untergangsphantasien wird dem Westen das globale Gewaltmonopol erteilt und eine moralisch-sicherheitspolitische Notwendigkeit zu immer häufigeren westlichen Kriegseinsätzen abgeleitet, um die Dritte Welt aus ihrer angeblich selbstverschuldeten Gewaltexistenz zu befreien. Nicht von ungefähr mündet die Hybris, der Westen habe die Moral, das Recht etc. gepachtet, in Forderungen nach einem „Europäischen Imperium“, das Staaten solange einer quasi-kolonialen Kontrolle unterwirft, bis sie die „kosmopolitischen Werte“ – allen voran das neoliberale Weltwirtschaftsmodell – verinnerlicht haben.

Obwohl die „Neuen Kriege“ auf methodologisch wie empirisch hochgradig fragwürdigen Annahmen beruhen, genießen sie in weiten Kreisen des politik-wissenschaftlichen Spektrums derzeit hohe Akzeptanz, verleihen sie doch westlichem Überlegenheitsdenken einen quasi-theoretischen Unterbau. Die „Neuen Kriege“ ebnen damit einer Kriegspolitik den Weg, die ausschließlich zum Ziel hat, die Funktionsweise der globalen Ökonomie und der darin angelegten Ausbeutung der Dritten Welt aufrecht zu erhalten, wie in diesem Artikel dargelegt werden soll.[1] Hiermit werden gezielt die eigentlichen Ursachen heutiger Gewaltkonflikte verdeckt, die im alltäglichen (Wirtschafts-) Krieg zu suchen sind, den der Westen gegen den Rest der Welt führt. Die Folgen dieser im neoliberalen Wirtschaftssystem angelegten strukturellen Gewalt, in Form von Ausbeutung, Armut, Krankheiten und Unterernährung sind es, die primär für das gewaltsame Ausbrechen von Konflikten verantwortlich sind.

Aus alt mach neu: Kernaussagen der „Neuen Kriege“

Um die Kernaussagen der „Neuen Kriege“ darzustellen ist eine Systematisierung hilfreich, bei der zunächst die grundsätzlichen Befunde (Behauptungen), anschließend deren angebliche Ursachen und daraufhin die hieraus abgeleiteten politischen Forderungen beschrieben werden.

I. Befunde

a) Der klassische Staatenkrieg als Auslaufmodell
Alle Vertreter der „Neuen Kriege“ stimmen darin überein, es habe ein tief greifender Formwandel gewaltsamer Konflikte stattgefunden, ein „neuer Typus organisierter Gewalt“ sei entstanden,[2] der sich wahlweise in Begriffen wie „Kriege der dritten Art“ (Holsti), „Privatkriege“ (Hobsbawm), „post-nationalstaatliche Konflikte“ (Duffield), „postnationale Kriege“ (Beck) oder etwa „neo-hobbessche Kriege“ (Trotha) niederschlägt.[3] Die 1998 von Mary Kaldor in die Debatte eingeführten „Neuen Kriege“ beendeten diese babylonische Sprachverwirrung und setzten sich in der Folge als Bezeichnung für das zu beschreibende Phänomen durch.[4] „Gemeinsam ist den meisten dieser Studien, dass sie innerstaatliche Kriege thematisieren, deren Grundmerkmale herausstellen und zunächst auf die Unterscheidung zu dem als ‚alt‘ angesehenen Typ des zwischenstaatlichen Krieges zielen. Das Attribut ’neu‘ soll diese Kriege von den für eine frühere Epoche typischen Kriegsformen abgrenzen.“[5] Auf die erheblichen methodologischen Probleme dieser Herangehensweise wird weiter unten noch näher eingegangen.

Dem klassischen zwischenstaatlichen Krieg, der etwa seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zur vorherrschenden Form des Konfliktaustrags geworden war, werden verschiedene Merkmale zugesprochen, oder vielleicht besser angedichtet, doch auch hierzu später mehr. Betont wird dabei die zentrale Rolle der Staaten als „Monopolisten der Gewalt“. Krieg war also lange „ein Geschöpf des zentralisierten, ‚rationalisierten‘, hierarchisch geordneten modernen Flächenstaats.“[6] Als besonderes Charakteristikum der klassischen Staatenkriege wird deren „Zivilisierung“ durch feste Regeln wie das Kriegsvölkerrecht oder die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zur Begrenzung und Eindämmung der Gewalt hervorgehoben.[7]

Diese Staatenkriege seien nunmehr ein Relikt der Vergangenheit, sie seien, in den inzwischen häufig zitierten Worten Herfried Münklers, zu einem „historischen Auslaufmodell geworden.“[8] Während also zwischenstaatliche Kriege im Aussterben begriffen seien, steige aber gleichzeitig die Zahl innerstaatlicher Konflikte rapide an, die sich zudem grundlegend von klassischen Kriegen unterscheiden würden. Insbesondere auf zwei angeblich neue Faktoren wird diesbezüglich aufmerksam gemacht: Die Privatisierung, Kommerzialisierung und damit Entpolitisierung sowie die Brutalisierung des Krieges.

b) Die Privatisierung, Kommerzialisierung und Entpolitisierung des Krieges
Heutzutage, so die These, seien die Staaten als Monopolisten des Krieges abgelöst und durch privatwirtschaftlich organisierte Kriegsunternehmer ersetzt worden. Genannt werden hier immer wieder Kriegsherren, Gewaltunternehmer, Rebellen, Guerilleros, Banditen, Milizen, Söldner sowie organisierte Kriminelle. Dabei habe heutzutage der „Krieg aus Habgier“ lange maßgebliche politisch-ideologische Motivationen fast vollständig verdrängt. Es gehe nicht mehr darum, einen Sieg davon zu tragen bzw. Territorium zu erobern, sondern vielmehr darum, die Bedingungen für die Realisierung von Profiten – den Krieg – als Erwerbsquelle und Lebensform längstmöglich aufrecht zu erhalten. Dies trage zu einer Verselbstständigung und einer langen Dauer der Kriege bei, indem bspws. Entscheidungsschlachten vermieden würden.[9]

c) Die Barbarisierung der Gewalt
Ein weiterer zentraler Befund ist, dass die postulierte Einhegung zwischenstaatlicher Kriege mit der Folge einer Re-Brutalisierung verloren gegangen sei. In den „Neuen Kriegen“ wäre die Unterscheidung in Kombattanten und Nicht-Kombattanten aufgehoben, es komme zu steigenden Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung, insbesondere im Kontext ethnischer und sexueller Gewaltexzesse, die teilweise systematisch angewandt würden. Zusammen mit der praktischen Bedeutungslosigkeit des Kriegsvölkerrechts habe somit eine dramatische Barbarisierung der Gewalt stattgefunden.[10]

II. Die Ursachen der „Neuen Kriege“

a) Gewandelte Finanzierungsformen
Eine Hauptursache für das Aufkommen der „Neuen Kriege“[11] wird in den gewandelten Finanzierungsformen gesehen: Dass sich „Krieg wieder lohnt“ trage dabei maßgeblich zum Aufkommen nicht-staatlicher Gewaltakteure bei, denn „ohne Rentabilität der Gewalt keine Privatisierung des Krieges.“[12]

Diese Rentabilität sei vor allem daher gegeben, da der „Neue Krieg“ in der Dritten Welt „mit leichten Waffen, billigen Kämpfern und Anschlussmöglichkeiten an die großen Geschäfte der globalisierten Wirtschaft geführt werden kann.“[13] Während einerseits soziale Perspektivlosigkeit massenhaft gewaltbereite, weil verzweifelte Jugendliche hervorbringe, seien andererseits gerade ressourcenreiche Gebiete besonders konfliktanfällig, da dort die höchsten Profite erzielt werden könnten. „Unter diesen Bedingungen finanzieren sich die Kampfeinheiten selbst – durch Plünderungen, den Schwarzmarkt oder Unterstützung von außen … Der Zufluß aus diesen Quellen läßt sich nur durch fortgesetzte Gewalt aufrechterhalten, so daß eine Kriegslogik in die Funktionsweise der Wirtschaft eingebaut wird.“[14]

b) Ethnisch-kulturell-religiöse Konfliktursachen
Zwar wird neben den gewandelten Finanzierungsformen ein ganzes Bündel von Konfliktursachen präsentiert, fast nirgendwo taucht dabei allerdings eine wie auch immer geartete Verantwortung westlicher Interessenspolitik auf: „Die neuen Kriege werden von einer schwer durschaubaren Gemengenlage aus persönlichem Machtstreben, ideologischen Überzeugungen, ethnisch kulturellen Gegensätzen, sowie Habgier und Korruption am Schwelen gehalten.“[15]

c) Abwesenheit „robuster Staatlichkeit“
Die wichtigste und überragende Ursache für das Entstehen der „Neuen Kriege“ erblicken die Autoren aber einhellig in der Erosion staatlicher Autorität: „Die Aushöhlung der Autonomie des Staates, in Extremfällen eine völlige Auflösung, bildet den Kontext, aus dem die neuen Kriege erwachsen.“[16] Auch für Münkler entstehen diese Konflikte „am Sog einer wirtschaftlichen Globalisierung, die vor allem dort ihre destruktiven Wirkungen entfaltet hat, wo sie nicht auf eine robuste Staatlichkeit traf.“[17]

III. Krieg als moralisch-sicherheitspolitischer Imperativ

Mit den zuvor beschriebenen Kriegsursachen ist der Argumentationsteppich ausgebreitet, der eine moralisch-sicherheitspolitische Notwendigkeit westlicher Pazifizierungskriege nahe legt, um „das aufgebrochene Gewaltmonopol des Staates wieder herzustellen … und so dafür zu sorgen, dass die Staaten (wieder) die alleinigen Herren des Krieges werden.“[18]

a) Krieg als militärischer Humanismus
Die „Neuen Kriege“, so Herfried Münkler, sind „reine Staatszerfallskriege, die zerstörte Gesellschaften ohne tragfähige Zukunftsperspektiven erzeugen. Diese Gesellschaften sind … nicht nur auf den Import von Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe, sondern mindestens ebenso auf den von Staatlichkeit angewiesen.“[19] Die Welt ist aus Sicht der Propagandisten der „Neuen Kriege“ zweigeteilt in eine „Friedenszone der westlichen Demokratien“, geprägt von der Akzeptanz kosmopolitischer, universeller Werte und einen barbarischen Rest (die Dritte Welt), der dringend auf die „aufgeklärte Fremdverwaltung“ (Max Boot) des Westens angewiesen sei, um seiner selbstverschuldeten Gewaltexistenz zu entkommen.

Mary Kaldor etwa vertritt die These, dass die ideologisch-politischen Auseinandersetzungen vergangener Zeiten „durch eine neue politische Frontstellung abgelöst worden sind: die zwischen einer, wie ich es nennen werde, kosmopolitischen, also auf Werten der Einbeziehung, des Universalismus und Multikulturalismus basierenden Politik und einer Politik partikularer Identitäten.“[20] Mit einer schier unglaublichen Arroganz wird hier propagiert, der „Import von Staatlichkeit“ und damit Frieden, sei nur durch den Export westlicher Ordnungsvorstellungen zu gewährleisten: „Die Analyse der neuen Kriege legt jedoch nahe, dass nicht Friedenssicherung, sondern die Durchsetzung kosmopolitischer Normen erforderlich ist, also die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte.“[21] Westliche Pazifizierungskriege sind also nicht mehr die Fortsetzung der (Interessens) Politik mit anderen Mitteln, sondern der selbstlose Ausdruck für „eine neuartige postnationale Politik des militärischen Humanismus, … des Einsatzes transnationaler Militärmacht mit dem Ziel, der Beachtung der Menschenrechte über nationale Grenzen hinweg Geltung zu verschaffen.“[22]

Dieses westliche Überlegenheitsdenken führt zu einer „kopernikanischen Wende“ internationaler Sicherheitspolitik, indem das völkerrechtliche Angriffsverbot endgültig ad acta gelegt wird. Über die Frage von Krieg oder Frieden soll künftig ausschließlich in den Hauptstädten der westlichen Demokratien entschieden werden, die sich hiermit das globale Gewaltmonopol aneignen: „Wird die Selbstkonstruktion von Demokratien als das friedenspolitisch überlegene politische System handlungsbestimmend, dann führt dies zu einer Aufkündigung des so genannten Westfälischen Staatensystems, das sich dadurch auszeichnete, dass Staaten unabhängig von ihrer inneren Verfasstheit als gleichberechtigte Subjekte der internationalen Politik angesehen werden … Was hier … umgesetzt wird, ist der Übergang von einer auf der formalen Gleichheit der Staaten aufbauenden Sicherheits- zu einer demokratisch begründeten Ordnungspolitik im internationalen System.“[23]

Dieses Überlegenheitsdenken führt schließlich zu Schlussfolgerungen, für die EU gäbe es eine moralische „Notwendigkeit post-westfälischer Interventionen.“[24] Damit wird eine hierarchische internationale Ordnung mit den westlichen Demokratien an der Spitze propagiert. Denn die Alternative, basierend „auf der Grundlage der Gleichheit aller Staaten erweist sich als eine Fehlkonstruktion.“[25] Konsequenterweise bezeichnet Münkler denn auch „die Normen des Völkerrechts“, insbesondere also das Angriffsverbot, als „Auslaufmodell“.[26] Diese moralisch verbrämte Legitimation westlicher Kriegspolitik wird gleichzeitig durch sicherheitspolitische Erwägungen ergänzt und weiter verstärkt.

b) Krieg als sicherheitspolitischer Imperativ
Der Westen könne den „Neuen Kriegen“ nicht einfach tatenlos zusehen, da von ihnen eine „hohe Infektionsgefahr“ (Martin van Creveld) ausgehe.[27] Dabei werden Spenglersche Untergangsphantasien bemüht, um eine direkte Bedrohung des Westens zu untermauern. Für Münkler etwa ist „das Konglomerat aus Raubzügen und Plünderungen, Massakern und Gewaltexzessen … ein Menetekel dessen, was Europäer und Amerikaner ereilen wird, wenn es ihnen nicht gelingt, das aufgebrochene Gewaltmonopol der Staaten im globalen Maßstab wiederherzustellen.“[28]

Dies gelte besonders „für den internationalen Terrorismus, dessen Ausbildungslager und Rückzugsgebiete vorzugsweise dort liegen, wo im Verlauf eines innergesellschaftlichen Krieges die staatlichen Strukturen zusammengebrochen sind. [Weshalb] es in einer globalisierten Welt keine Region mehr gibt, in denen die staatlichen Strukturen zusammenbrechen können, ohne dass dies schwer wiegende Folgen für die weltpolitische wie weltwirtschaftliche Ordnung hätte.“[29] Aufgrund der hohen Gefahr, die von den „Neuen Kriegen“ ausgehe, müssten diese notfalls auch mit militärischer Gewalt im Keim erstickt werden, der Westen müsse bereit sein, so Münkler weiter, „sich auf bewaffnete Pazifizierungen ganzer Regionen einzulassen.“[30] So setzt sich in politik-wissenschaftlichen Zirkeln immer mehr die Ansicht durch, es gäbe keinerlei Alternative, als Pazifizierungskriege zu führen, „um neue Bürgerkriege und den transnationalen Terrorismus zu bekämpfen und um der Spirale von Staatszerfall, Staatsterror und schweren Kriegsverbrechen entgegenzutreten.“[31] Selbstredend habe das keineswegs einen imperialistischen Charakter, da „es sich – anders als die Theorien des Neokolonialismus und Imperialismus unterstellen – zumeist um defensive, nicht offensive Interessen handelt.“[32]

Von der Hybris, der Westen vertrete das universelle Recht, die Moral etc., der Rest der Welt die Barbarei, ist der (Rück) Schritt zum Kolonialismus nicht mehr weit. Und auch diesen Weg gehen die Vertreter der „Neuen Kriege“ konsequent zu Ende.

Die Renaissance des Imperialismus

„Was wäre schlecht an einem neuen Imperium?“, so die inzwischen häufig gestellte Frage.[33] Da gerade Europa die kosmopolitischen und universell gültigen Werte verinnerlicht hätte, sei es förmlich dazu prädestiniert – und selbstverständlich auch befugt – diese notfalls mittels Waffengewalt durchzusetzen, paradoxerweise angeblich besonders deshalb, weil es grundsätzlich keine kriegerischen, imperialistischen Ambitionen hege: „Das kosmopolitische Empire Europa zeichnet sich durch seinen offenen und kooperativen Charakter nach innen und außen aus und steht insofern im deutlichen Gegensatz zur imperialen Vorherrschaft der USA.“[34] Ein semi-offizielles EU-Dokument, das European Defence Paper, fordert bereits unverhohlen militärische Einsätze zur Einhaltung „universell akzeptierter Normen und Werte“ und den „Stabilitätsexport zur Sicherung und Stärkung fundamentaler Normen und Freiheiten.“[35]

Die moralisch-sicherheitspolitisch legitimierte militärische Ausweitung der europäischen Einflusszone wird schließlich sogar zu einem „Modernisierungsprojekt“ hochstilisiert: „Wenn aber Europa seine imperiale Bestimmung realisiert, so ist eben diese Ausdehnung einerseits schlicht und einfach notwendige Bedingung seiner Sicherheit, andererseits ein zivilisatorischer Auftrag, der Europas müde Eliten neu beleben könnte.“[36] Ganz im Sinne des selbst erteilten „zivilisatorischen Auftrags“, wird inzwischen immer offener nicht nur in den USA ein „demokratischer Imperialismus“ nebst „quasi-imperialer Kontrolle“ (Stanley Kurtz) gefordert. Exemplarisch hierfür sind die Ausführungen des Politikprofessors Ulrich Menzel: „Im Falle der ‚Failed States‘ kann die Einrichtung von ‚liberalen Protektoraten‘ erforderlich sein, um treuhänderisch das Gewaltmonopol herzustellen.“[37] Fast genauso klingt Mary Kaldor: „Wo noch keine legitimen örtlichen Behörden existieren, können treuhänderisch Mandate oder Protektorate in Erwägung gezogen werden.“[38] Letztlich bringt das Ganze wiederum Münkler präzise auf den Punkt: „Im Gefolge der ökonomischen Imperialismustheorien haben wir uns daran gewöhnt, Imperien mit Unterdrückung und Ausbeutung zu identifizieren. Genauso lassen sich Imperien aber auch als Friedensgaranten, Aufseher über politische und kulturelle Werte und Absicherer großräumiger Handelsbeziehungen und Wirtschaftsstrukturen begreifen.“[39]

Da hierfür immer häufiger militärische Mittel eingesetzt werden sollen (und müssen), ist Münkler darüber besorgt, wie die hierfür erforderlichen Gelder locker gemacht werden können. Auch hierfür hat er eine ebenso einfache wie perfide Lösung parat: „Söldner haben – im Unterschied zu den aus der eigenen Wahlbevölkerung stammenden Berufssoldaten und Wehrpflichtigen – keine Möglichkeit, sich bei riskanten und verlustreichen Einsätzen politisches Gehör zu verschaffen.“ Sie seien damit die „effektivste Form der Risikominimierung und Kostensenkung.“[40]

Die Kolonialtruppen des EU-Imperiums

Es geht also darum, militärisch „in der Fläche Ordnung zu schaffen.“[41] Somit kommt der „Stabilisierung“ (Kontrolle) inzwischen eine ebenso große Bedeutung zu, wie dem eigentlichen militärischen Sieg, wie sich u.a. auch anhand der US-amerikanischen Probleme in Afghanistan und im Irak erweist. Damit der angestrebte Export von Staatlichkeit gelingt, müssen also die Fähigkeiten zur „quasi-imperialen Kontrolle“ verbessert werden. Hierfür schlägt Kaldor vor, dass sich die „Streitkräfte dahingehend umorientieren müssen, daß sie zu gemischt militärischen und polizeilichen Einsätzen befähigt werden. Solche Einsätze, bei denen es um die Erzwingung von Normen geht, werden sich nicht ohne den Gebrauch von Gewaltmitteln abspielen.“[42] Deshalb müssten diese „kosmopolitischen ‚Gesetzeshüter‘ halb als Soldaten, halb als Polizisten agieren.“[43]

In gewisser Weise ist dies nur konsequent, denn wenn dem Westen (und nur ihm) das globale Gewaltmonopol zufällt (bzw. er es sich eigenmächtig erteilt), um dem weltweiten „Gemeinwohl“ Geltung zu verschaffen, dann werden Kriege tatsächlich zu einer Frage der inneren Sicherheit und damit eine polizeiliche Aufgabe: „So wie in einem demokratischen Rechtsstaat hinter jedem Gesetz im Fall der Regelverletzung auch ein Polizist stehen muss, der das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen hat, so bedarf auch eine multilaterale, auf Frieden, Demokratie und Menschenrechte verpflichtete Weltordnung der Macht, die diese Werte zu schützen bzw. durchzusetzen vermag.“[44] Inzwischen hat Kaldor ihre Vorstellungen wie diese westlichen Protektoratstruppen genau auszusehen haben in einer für den EU-Außenbeauftragten Javier Solana verfassten Studie präzisiert. Sie schlägt den Aufbau einer zivil-militärischen Truppe aus 10.000 Soldaten und 5.000 Zivilisten (Verwaltern) vor, die künftig unter der operativen Führung des Militärs die Protektorate organisieren soll.[45]

Inhaltlich fragwürdig – politisch gefährlich: Zur Kritik der „Neuen Kriege“

Inzwischen sind eine Reihe teils vernichtender Kritiken der „Neuen Kriege“ erschienen. So wird bspws. eingewendet, dass es zwar einerseits empirisch richtig sein dürfte von einem Rückgang zwischenstaatlicher Kriege zu sprechen, sie aus diesem Grund allerdings für irrelevant zu erklären legt die „Fehldeutung nahe, ‚alte‘ Kriege seien empirisch wie theoretisch inzwischen bedeutungslos.“[46] Schon allein die steigende Zahl westlicher Pazifizierungskriege deutet in eine andere Richtung. Zudem ist anzumerken, dass das Bild vom „eingehegten“ Staatenkrieg eine stark idealisierte Sichtweise darstellt, blendet sie doch die Brutalität der westlichen Kriege im 19. und 20. Jhd systematisch aus, die teils bewusst gegen die Zivilbevölkerung geführt wurden.[47]

Weder trifft also das Bild vom „zivilisierten Staatskrieg“ zu, noch stimmt die Analyseebene wenn dieser mit „neuen“ innerstaatlichen Kriegen verglichen wird. Die Unterschiede von Äpfeln und Birnen herauszuarbeiten führt naturgemäß zu „neuen“ Ergebnissen: „Der entscheidende Schwachpunkt der Studien über die ’neuen Kriege‘ besteht darin, dass sie die Entstehung eines neuen, unkontrollierten und womöglich unkontrollierbaren Phänomens suggerieren und dieses Phänomen negativ absetzen von den ‚eingehegten‘, nach Regeln ausgetragenen zwischenstaatlichen Kriegen der europäischen Mächte des 19. Jahrhunderts. Würden sie sich systematisch einem historischen Blickwinkel öffnen und auch nicht-zwischenstaatliche Konflikttypen über längere Zeiträume betrachten, kämen sie auch zu differenzierteren Ergebnissen.“[48] Um also überhaupt zu sinnvollen Aussagen gelangen zu können, müssten „alte“ und „neue“ innerstaatliche Konflikte vergleichend untersucht werden. Allein schon dieser gravierende methodologische Einwand lässt Fragen aufkommen, weshalb die „Neuen Kriege“ innerhalb weiter Kreise des politik-wissenschaftlichen Spektrums eine derart hohe Akzeptanz genießen.

Darüber hinaus sind erhebliche Zweifel angebracht, inwieweit der zentrale empirische Befund, es habe ein signifikanter Anstieg innerstaatlicher Gewaltkonflikte stattgefunden, überhaupt zutreffend ist. Einzig das Datenmaterial des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung scheint die These „Neuer Kriege“ zu bestätigen. Es beschreibt einen kontinuierlichen Anstieg der Gewaltkonflikte von 1945 (74) bis 2004 (230) bei einer erheblichen Zunahme von inner- und einem leichten Rückgang zwischenstaatlicher Kriege.[49] Demgegenüber betonen aber zahlreiche andere Studien, dass innerstaatliche Kriege seit 1992 entweder eine stark rückläufige Tendenz aufweisen oder zumindest stagnieren würden.[50] In diesem Kontext hat der 2005 veröffentlichte Human Security Report breite Aufmerksamkeit erlangt, der zu dem Ergebnis kommt, es habe einen dramatischen Rückgang innerstaatlicher Konflikte, deren Opfer und Vertriebene gegeben.[51]

Zumindest die Aussage, es habe eine drastische Zunahme innerstaatlicher Konflikte stattgefunden, erscheint somit mehr als fraglich, das angeblich „neue“ Drama in der Dritten Welt ist also in Wahrheit ein altes: „Was gegenwärtig als ’neu‘ wahrgenommen wird – die Dominanz innerstaatlicher Konflikte – ist folglich ein Charakteristikum des gesamten Konfliktgeschehens seit nahezu zwei Jahrhunderten.“[52] Innerstaatliche Kriege waren schon immer der „Regelfall bewaffneter Auseinandersetzungen … Somit liegt in Bezug auf die Behauptung des Phänomens neuer Kriege schon in quantitativer Hinsicht eine Fehlperzeption vor.“[53]

Ebenso verhält es sich mit der These einer Brutalisierung der Gewalt: „Bürgerkriege … haben sich von jeher durch besondere Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit ausgezeichnet … Von einer ’neuen‘ Entwicklung kann also hier ebenfalls nicht gesprochen werden.“[54] Weder was sexuelle noch ethnische Gewalt anbelangt, scheint die jüngere Vergangenheit eine signifikante Ausnahme von der unbestritten grausamen, aber eben nicht „neuen“ Regel innerstaatlicher Konflikte zu sein.[55] Somit ist es unerlässlich darauf hinzuweisen, „dass man gegenüber ‚alarmistischen Analysen‘ angeblich ’neuer Kriege‘, wie sie in letzter Zeit vorgetragen werden, skeptisch bleiben sollte … Die Zahl der nicht-zwischenstaatlichen Kriege ist seit der ersten Hälfte der 90er Jahre rückläufig oder stagniert. Auch die Thesen von einer wachsenden ‚Brutalisierung‘ und ‚Entzivilisierung‘ der Auseinandersetzungen und eines generellen Anstiegs der Opferzahlen lassen sich mit dem vorhandenen Zahlenmaterial und detaillierten historischen Analysen nicht glaubhaft machen.“[56]

An dieser Stelle muss deutlich betont werden, dass mit den vorgebrachten Kritikpunkten in keiner Weise die grausame Realität heutiger Kriege verharmlost oder relativiert werden soll – im Gegenteil. Vielmehr geht es darum zu zeigen, wie mit Hilfe empirisch schwach belegter Thesen Bedrohungsängste geschürt und politische Schlussfolgerungen gezogen werden, die massiv die Bereitschaft zu militärischem Eingreifen erhöhen, diese legitimieren und sich perfekt für die Zwecke westlicher Kriegspolitik instrumentalisieren lassen. Klaus Jürgen Gantzel etwa frägt in diesem Kontext völlig zu Recht, „ob die ‚Neuentdecker‘ – bewusst oder unbewusst, zumindest unbedacht – nicht einer tieferen Strömung zu Diensten sind. Ihre generalisierenden Darstellungen einer unmenschlichen Kriegswelt wecken diffuse Bedrohungsgefühle, die geeignet sind, einer sich bis in Privatzonen hineinfressenden Sicherheitspolitik den Weg zu ebnen, die letztlich zerstört, was zu schützen sie vorgibt: eine starke demokratische Gesellschaft. Solche Bedrohungsgefühle können aber auch dazu genutzt werden, einem bloßen Draufhauen Vorschub zu leisten, etwa auf eine erfundene ‚Achse des Bösen‘.“[57]

Da gerade in Deutschland, wo aus historischen Gründen zu Recht besondere Vorbehalte gegenüber Militärinterventionen bestehen, die Debatte um die „Neuen Kriege“ besonders prominent geführt wird, „lässt sich der veränderte Forschungsdiskurs hierzulande sicherlich auch auf die ’neuen‘ militärischen Herausforderungen und Handlungsoptionen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zurückführen.“[58] Hiermit wird der instrumentelle Charakter der „Neuen Kriege“ als Steigbügelhalter westlicher Interessenspolitik weiter unterstrichen, vor allem, da sämtliche angeblichen Kriegsursachen am Kern der Sache vorbeigehen, dafür aber erfolgreich westliche Interessenspolitik aus der Verantwortung entlassen. Dies wird überdeutlich wenn man sich genauer das Verhältnis zwischen Ökonomie und Krieg betrachtet, wie es sich aus Sicht der „Neuen Kriege“ darstellt, der eine radikale Herangehensweise entgegengesetzt werden muss, die wortwörtlich an den Wurzeln heutiger Konflikte ansetzt.

Die „Neuen Kriege“ als Lizenz zum Plündern

Sicher ist es richtig, dass nach dem Kalten Krieg und dem (teilweisen) Wegfall der Unterstützungsleistungen seitens der Großmächte neue Finanzierungsformen gesucht (und gefunden) wurden.[59] Dies hilft womöglich zwar die „Umwandlung der Kriege in eigendynamische Prozesse, nicht jedoch ihre Entstehung als solche zu entschlüsseln. Sie setzt die Existenz des Krieges vielmehr schon voraus.“[60]

Um die Frage nach den Ursachen und damit auch Lösungen heutiger Gewaltkonflikte zu beantworten, ist es wenig hilfreich diese Prozesse völlig losgelöst von westlicher Interessenspolitik zu analysieren. Wenn Münkler also schreibt, man solle „’stärker den Blick auf die sich mit den Mitteln militärischer Gewalt durchsetzenden ökonomischen Interessen zu richten‘ [ist] einzuwenden, dass er im wesentlichen die Ökonomie auf die ökonomischen Interessen regional agierender Subjekte, Kriegsfürsten, Warlords u.s.w. reduziert und sie von den ökonomischen Interessen der kapitalistischen Großmächte abkoppelt.“[61]

Damit wird bewusst ausgeblendet, dass die westlichen Staaten wenig tun, um die Finanzierung dieser Konflikte zu unterbinden, ja sie häufig, bspws. über Rüstungsexporte, sogar anheizen. Darüber hinaus greifen Habgier und Staatszerfall als entscheidende Kriegsursachen deutlich zu kurz, da „die Motivation zur Gewaltanwendung … ohne Bezug auf den Mangel bzw. die Verknappung an physischer und ökonomischer Sicherheit in zerfallen(d)en Staaten nicht verstanden werden [kann].“[62] Staatszerfall, massenhaft gewaltbereite, weil sozial deprivilegierte Jugendliche und die Finanzierung durch Raub sind Symptome, die nicht mit Ursachen verwechselt werden dürfen. Selbstverständlich begünstigen all diese Faktoren das Ausbrechen gewaltsamer Auseinandersetzungen, sie kratzen jedoch nur an der Oberfläche und hängen allesamt mit einer tiefer liegenden Ursache zusammen – Armut. Man braucht also nur einen Schritt weiter zu denken, um zu erkennen, dass Armut der entscheidende Faktor für das gewaltsame Aufbrechen innerstaatlicher Konflikte ist, wie nicht nur die Weltbank inzwischen feststellt,[63] denn „in den meisten Ländern gingen ökonomische Krisen und der Zusammenbruch des Staates dem Ausbrechen von Gewalt voraus.“[64]

Und hier setzt auch die zentralste Kritik an den „Neuen Kriegen“ an, denn ihre Propagandisten kommen überhaupt nicht auf die Idee, die mit heutigen Konflikten elementar zusammenhängende Weltwirtschaftsordnung grundsätzlich in Frage zu stellen. Daher bleibt ihnen wenig anderes übrig, als sich für eine militärische „Befriedung“ einzusetzen: „Unter Wiederaufbau verstehe ich die Wiederherstellung einer funktionsfähigen, auf allgemeinen Regeln basierenden politischen Ökonomie“, betont etwa Mary Kaldor.[65] Unerwähnt bleibt dabei, wer diese Regeln aufstellt und wie sie sich auswirken. Denn es sind die vom Westen dominierten Institutionen, IWF, Weltbank und WTO, die die Regeln der internationalen Ökonomie diktierten und die maßgeblich verantwortlich sind für die „Verknappung an physischer und ökonomischer Sicherheit in zerfallen(d)en Staaten.“ So haben neoliberale Politiken nicht nur zu einer dramatischen Verarmung der Dritten Welt geführt, sondern sie tragen auch dazu bei, diesen Zustand – und die permanent hieraus resultierenden Konflikte – ad infinitum aufrecht zu erhalten. Auch die Erosion staatlicher Autorität hängt elementar mit den Strukturanpassungsprogrammen des IWF zusammen, da sie es den Staaten der Dritten Welt unmöglich gemacht haben, für eine auch nur halbwegs adäquate Sozial- und Gesundheitsfürsorge, für Bildung und letztlich auch für Sicherheit zu sorgen.[66]

Wer also „Sicherheit“ und „Staatlichkeit“ herbeibomben will, um Länder anschließend so lange unter die Schirmherrschaft westlicher Protektorate zu stellen, bis sie neoliberalen Spielregeln gehorchen, perpetuiert den Teufelskreis aus Armut und Gewalt. Genau das ist aber die traurige Praxis, die sich hinter dem beschönigenden Begriff des „Stabilitätsexports“ verbirgt (siehe den Beitrag von Claudia Haydt in diesem AUSDRUCK). Exportiert werden hiermit aber lediglich mehr Armut, mehr Leid und letztlich auch weitere Konflikte, die es wiederum militärisch zu „befrieden“ gilt, womit sich alles Gefasel, westlichen Interventionen lägen humanitäre Erwägungen zugrunde, als pure Heuchelei entlarvt.

Auffällig ist auch, dass einerseits zur Verhinderung von Opfern innerstaatlicher Kriege gefordert wird Milliarden in die Rüstung zu pumpen, während gleichzeitig die Abermillionen Opfer der in unserem Wirtschaftssystem begründeten strukturellen Gewalt weitgehend ignoriert werden: „Allerdings sind Gewaltkonflikte nicht die primären Verursacher lebensbedrohlichen menschlichen Leidens: Krankheitsepidemien, Naturkatastrophen, Armut, Hunger oder Unterdrückung zählen zu den wirklich massiven Bedrohungen menschlichen Überlebens. So sterben jährlich allein 6 Millionen Kinder an Hunger und Mangelernährung.“[67] Wer also wirklich effektiv Leid verringern und gleichzeitig sinnvolle Gewaltprävention betreiben will, der muss sich dafür einsetzen, dass die Ausbeutungslogik der internationalen Ökonomie durchbrochen wird. Die Lösung liegt also tatsächlich bei uns im Westen, aber nicht in mehr militärischen Interventionen, sondern in der Beendigung unserer ausbeuterischen Praktiken.

Abschließend sei hier deshalb eine exemplarisch am Beispiel des Kongo vorgebrachte Kritik zitiert, die sich aber problemlos verallgemeinern lässt: „Wenn sich die Mainstream-Presse mit dem Kongo-Krieg – oder Kriegen in Afrika generell – befasst, ist regelmäßig von ‚ethnischen‘ Kriegen oder ‚Stammeskriegen‘ die Rede – deren Wurzel liege in uraltem Hass. Das ist nicht nur eine falsche sondern auch eine rassistische Erklärungsoption und dient nur als Vorwand für das Argument, ‚wir‘, der Westen (d.h. ein Mix aus mehreren westlichen Nationen, eventuell noch gedeckt durch die UN) müssten uns einmischen, um dem irrationalen u. ethnisch-motivierten Töten ein Ende zu setzen. Dieses Argument ist eine Neuauflage jener rassistischen Entschuldigungen, die den europäischen Mächten im späten 19. Jahrhundert zur Rechtfertigung der Eroberung u. Kolonialisierung Afrikas dienten – den Kontinent ‚zivilisieren‘ hieß man das damals. Ein erfolgversprechender Versuch, den kriegerischen Konflikt im Kongo zu lösen, bräuchte einen ganz anderen Rahmen. Es geht nicht, dass man ausgerechnet die Architekten einer Krise zu deren Lösung einspannt.“[68]

Anmerkungen

[1] Die kulturalistische Deutung der „Neuen Kriege“ kann als komplementäres Element der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung gesehen werden. Sie hat mit einem „lange vorbereiteten und grundlegenden Wechsel der intellektuellen und akademischen Mode in den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften zu tun … Das Paradigma der politischen Ökonomie ist durch das Paradigma des Kulturalismus ersetzt worden … Keineswegs bloß zeitlich schließt diese intellektuelle Wende komplementär an die sozial- und wirtschaftspolitische Wende des Neoliberalismus an. Die Gesellschaft wird nicht mehr wesentlich als das Produkt der politischen Ökonomie, sondern als Produkt eines ‚kulturellen Diskurses‘ begriffen, statt das kulturelle Moment zur Dynamik der Kapitalakkumulation und ihren Krisen in Beziehung zu setzen.“ Vgl. Robert Kurz, Weltordnungskrieg, Bad Honnef 2003, S. 91.
[2] Mary Kaldor, Neue und alte Kriege: organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main 2000, S. 7.
[3] Vgl. Sven Chojnacki, „Wandel der Kriegsformen? – Ein kritischer Literaturbericht“, in: Leviathan, 3/2004, S. 402-424, S. 402.
[4] Mary Kaldor and Basker Vashee (eds.), New Wars, London 1998.
[5] Volker Matthies, „Der vernachlässigte Blick auf den Frieden“, in: Der Bürger im Staat, Heft 4/2004, S. 185-190, S. 186.
[6] Kaldor 2000, S. 27.
[7] „Der Krieg wurde fortan als ein Krieg zwischen Staaten aufgefasst. Mit der zunehmenden Verrechtlichung – u.a. der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, sowie der Begrenzung zulässiger Gewalt im Frieden wie auch im Krieg – stellte der Krieg zwar keine seltene Erscheinungsform dar, aber zumindest ein Ereignis, das in seiner begrifflichen Bestimmung vom Zustand des Friedens genau abgegrenzt war.“ Vgl. August Pradetto, „Neue Kriege“, in: S. Gareis und P. Klein (Hg.), Handbuch Militär und Sozialwissenschaft, Opladen 2004, S. 192-202, S. 192f.
[8] Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Bonn 2002, S. 7.
[9] Vgl. Kaldor 2000, S. 15ff; Münkler 2002, 33ff.
[10] Vgl. Münkler 2002, S. 28, 145; Kaldor 2000, S. 8.
[11] Wenn auch die meisten Autoren die Herausbildung der „Neuen Kriege“ zeitlich deutlich früher ansetzen, sprechen sie zumeist dem Ende der Blockkonfrontation eine beschleunigende Wirkung zu, indem sie durch die Kombination aus überschüssigen Waffen (man mag hinzufügen hochgerüsteten und drastisch militarisierten Gesellschaften wie bspws. in Afghanistan), dem Zerfall totalitärer Systeme und dem Entzug der Unterstützung seitens der Großmächte angeheizt wurden. Vgl. Kaldor 2000, S. 11.
[12] Münkler 2002, S. 161.
[13] Münkler 2002, S. 161.
[14] Kaldor 2000, S. 20.
[15] Münkler 2002, S. 16.
[16] Kaldor 2000, S. 12.
[17] Münkler 2002, S. 19.
[18] Münkler 2002, S. 63. Auch für Kaldor 2000, S. 21 liegt der „Schlüssel“ in der „Wiederherstellung einer – sei es lokalen, nationalen oder globalen – öffentlichen Kontrolle der organisierten Gewalt.“
[19] Münkler 2002, S. 135.
[20] Kaldor 2000, S. 15.
[21] Kaldor 2000, S. 197.
[22] Ulrich Beck zit. in Münkler 2002, S. 223.
[23] Thomas Nielebock, „Der Friede zwischen den Demokratien: Friede den Palästen, Krieg den Hütten?“, in: Volker Rittberger (Hg.), Weltpolitik heute, Baden-Baden 2004, S.165-191, S. 185f.
[24] Ulrich Schneckener, Die Zivilmacht Europa und die prä-westfälische Herausforderung, SWP-Diskussionspapier, Juni 2005, S. 7.
[25] Ulrich K. Preuß, „Die UNeinigen Weltrichter“, Die Zeit, 23/2003.
[26] Münkler 2002, S. 240.
[27] Martin Kahl und Ulrich Teusch, „Sind die ’neuen Kriege‘ wirklich neu?“, in: Leviathan, 3/2004, S. 382-401.
[28] Münkler 2002, S. 63.
[29] Münkler 2002, S. 227.
[30] Münkler 2002, S. 221.
[31] Bernhard Zangl und Michael Zürn zit. in Chojnacki 2004, S. 406.
[32] Münkler 2002, S. 226. Vgl bspws. auch Schneckener 2005, S. 7.
[33] Michael Posener, „Empire Europa“, in: Internationale Politik (Januar 2006), S. 60-67, S. 60.
[34] Ulrich Beck, „Das kosmopolitische Empire“, in: Internationale Politik (Juli 2006), S. 6-12, S. 11.
[35] European Defence – A Proposal for a White Paper, Report of an independent Task Force, Paris, May 2004, S. 13.
[36] Posener 2006, S. 67.
[37] Ulrich Menzel, „Wenn die Staaten verschwinden“, taz, 30.8.03.
[38] Kaldor 2000, S. 211.
[39] Herfried Münkler, „Das imperiale Europa“, Die Welt, 29.10.04.
[40] Münkler 2002, S. 238.
[41] „Alte Hegemonie und Neue Kriege: Herfried Münkler und Dieter Senghaass im Streitgespräch“, in: Blätter 5/04, S. 539-552.
[42] Kaldor 2000, S. 198.
[43] Kaldor 2000, S. 22.
[44] Ulrich Menzel, „Comeback der drei Welten“, in: Blätter, 12/2003, S. 1453-1462.
[45] Vgl. Christoph Marischka, „Menschliche Sicherheit“, in: AUSDRUCK (April 2005), S. 3-9.
[46] Chojnacki 2004, S. 407.
[47] Vgl. Pradetto 2004, S. 196; Chojnacki 2004, S. 407.
[48] Kahl und Teusch 2004, S. 400.
[49] Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung, Konfliktbarometer 2004, Dezember 2004.
[50] Vgl. ausführlich Kahl und Teusch 2004, S. 386ff.
[51] Vgl. Andrew Mack (ed.), Human Security Report 2005, New York/Oxford 2005.
[52] Kahl und Teusch 2004, S. 388.
[53] Pradetto 2004, S. 197f.
[54] Kahl und Teusch 2004, S. 393f.
[55] Vgl. Chonjacki 2004, S. 412; Pradetto 2004, S. 196.
[56] Kahl und Teusch 2004, S. 400.
[57] Klaus Jürgen Gantzel, „Neue Kriege? Neue Krieger?“, in: Friedensgutachten 2002, S. 80-89, S. 88f.; Vgl. auch Pradetto 2004, S. 195.
[58] Chonjacki 2004, S. 418.
[59] Mats Berdal, „How ‚New‘ Are ‚New Wars‘?, in: Global Governance 9 (2003), S. 477-502, S. 484 nennt etwa das Beispiel der angolanischen UNITA, die sich nach dem Kalten Krieg über den Verkauf von Diamanten weiter finanzierte.
[60] Kahl und Teusch 2004, S. 395.
[61] Horst Großmann, „Die ’neuen Kriege‘ – Logisches und Historisches“, in: Gemeinsame Sicherheit — ein schwieriger Lernprozess, DSS-Arbeitspapiere Heft 70, Dresden 2004, S. 73-84, S. 80.
[62] Chonjacki 2004, S. 410.
[63] Vgl. World Bank, Breaking the Conflict Trap, Oxford 2003.
[64] Susan Willett, „Development and security in Africa“, in: Geoff Harris (ed.)., Achieving Security in Sub-Saharan Africa, Pretoria 2004, S. 101-120. S. 108.
[65] Kaldor 2000, S. 209.
[66] Vgl. Willett 2004, S. 105.
[67] Albrecht Schnabel, „Menschliche Sicherheit ist nicht nur durch Kriege bedroht“, in: Entwicklungspolitik Information Nord-Süd, 22/2005.
[68] Chris Fagen, Was steckt hinter dem Töten in Zentralafrika?, Socialist Worker / ZNet, 12.06.2003.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de