IMI-Standpunkt 2005/044
„Der Kampf geht jetzt erst richtig los“
Rede von Tobias Pflüger zur strategischen Neuausrichtung der europäischen Linken nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Gehalten auf der "Europäischen Konferenz"* in Paris am 24. und 25.6.2005
Tobias Pflüger (10.07.2005)
„Ich möchte erst einmal ganz herzlich Dank sagen an die französischen und niederländischen Linken. Sie haben für uns als europäische Linke gekämpft und haben für die europäische Linke gewonnen, weil es ja in vielen Ländern nicht möglich war, abzustimmen. Die Analysen in Frankreich und den Niederlanden zeigen eindeutig, dass es in der weit überwiegenden Mehrheit ein linkes „Nein“ gegen diesen Verfassungsvertrag war.
Ich habe auch so etwas wie Genugtuung empfunden, weil es nach zweieinhalb Jahren Kampf endlich ein Sieg gegen diesen Verfassungsvertrag gewesen ist. Das ist für diejenigen, die von Anfang an gegen diesen Verfassungsvertrag waren, tatsächlich Genugtuung.
Ich will einige Anmerkungen zur strategischen Situation im Moment machen. Offiziell haben die Regierenden ja gesagt, es gäbe eine Denkpause. Was tatsächlich passiert, ist aber etwas anderes. Sie machen Pause, die Regierenden, um ihre Propagandamaschinerie anlaufen zu lassen, und diesen Verfassungsvertrag doch noch durch zu bekommen. Die Regierungen reagieren fast schon autistisch. Wir hatten im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlamentes den luxemburgischen Außenminister als Redner, und der sagte ganz offen: „Ich habe es nicht verstanden, warum in Frankreich und den Niederlanden ´Nein´ gesagt wurde, wir müssen den Bürgern den Verfassungsvertrag besser vermitteln“. Es ist kein Vermittlungsproblem, es ist ein Problem des Inhalts dieses Verfassungsvertrages und das wurde in den Kampagnen hier in Frankreich und in den Niederlanden sehr deutlich gemacht.
Jetzt stehen wir in einer strategischen Situation mit drei ganz schwierigen Punkten. Der erste Punkt ist, dass fast alle Länder die Ratifizierung ausgesetzt haben. Aber eben nur fast alle. Es gibt zwei Länder, die die Ratifizierung nicht ausgesetzt haben. Nämlich Zypern und Luxemburg. In Zypern soll am 30. Juni im Parlament der Verfassungsvertrag ratifiziert werden. Durch Gespräche mit unseren zypriotischen Freunden ist deutlich geworden, dass es dort unter Umständen keine Mehrheit im Parlament gibt. Und dann wird die wesentliche Entscheidung am 10. Juli beim Referendum in Luxemburg fallen. Wenn es dort, in diesem europhilen Land, ein „Ja“ gibt, dann werden die Regierenden weitermachen. Wenn es ein „Nein“ gibt in Luxemburg, dann haben wir gewonnen. Und deshalb ist es so wichtig, dass möglichst viele von uns, die luxemburgischen Freunde, die Linken dort, von attac und von den linken Parteien, unterstützen, damit es auch in Luxemburg beim Referendum dort am 10. Juli ein „Nein“ gibt. Und ich versteh das sehr gut, für die Franzosen ist es so, es ist gewonnen worden, um im Grunde will man jetzt nicht weiterkämpfen, aber – vielleicht hinkt der Vergleich – es ist wie beim Sex: nach dem Höhepunkt geht es weiter. Und die wesentliche Entscheidung kommt erst jetzt. Und die Entscheidung ist am 10. Juli in Luxemburg.
Der zweite schwierige Punkt, der jetzt bevorsteht, ist, dass von den Regierenden die Gründe für das ´Nein´ uminterpretiert werden. Die Regierenden sagen, es wäre ein „Nein“ gegen die Erweiterung der EU durch Bulgarien, Rumänien, Türkei, Kroatien gewesen. Das ist ganz offensichtlich falsch. Es war kein Votum gegen die Erweiterung, und Francis Wurtz hat es in der Debatte im Europäischen Parlament auch noch einmal ganz klar dargestellt, es war ein Votum für ein sozialeres Europa, sowohl hier in Frankreich als auch in den Niederlanden. Und das müssen wir überall klarstellen, wo behauptet wird, es sei ein Votum insbesondere gegen die Türkei gewesen.
Und der dritte und zentrale Punkt ist der, dass die Regierenden versuchen, den Verfassungsvertrag durchzubekommen, ohne dass er ratifiziert wird. Sie versuchen jetzt Stück für Stück die Einzelteile des Paketes einzeln durchzubekommen. Ich erlebe das im Auswärtigen Ausschuss im Europäischen Parlament, wo ganz offen gesagt wird, „die Punkte, die wir im Militärbereich im Verfassungsvertrag verankert haben, die wollen wir jetzt anderweitig durchsetzen“. Stichworte: Rüstungsagentur, strukturierte militärische Zusammenarbeit, Kampfeinsätze der EU-Truppen usw.
Und das gilt jetzt für alle Politikbereiche, dass sie versuchen, die Inhalte des Verfassungsvertrages, auch ohne den Verfassungsvertrag durchzusetzen. Das dies verfassungsrechtlich äußerst dubios ist, scheint sie dabei nicht weiter zu stören. Und was wir jetzt machen müssen, ist, gegen die ganzen Einzelpunkte, die im Verfassungsvertrag drin waren, jeweils einzeln kämpfen. Und das heißt konkret im Sozialbereich gegen die Bolkestein-Richtlinie, gegen die Arbeitszeitrichtlinie, und dass heißt im Bereich der Grundrechtscharta, die ja nichts weiter als ein hohles Papier war, wo nichts konkretes drinstand, weil alles wieder durch die Erläuterungen eingeschränkt wurde (Art. II 112), dass wir für die Grundrechte tatsächlich kämpfen.
Und das bedeutet im Militärbereich, dass wir kämpfen müssen gegen das, was dort geplant ist: Schlachttruppen der EU, 1 Mrd. Euro jährlich für Rüstungsforschung, ein neues Strategiepapier, welches Präventivkriege beinhaltet.
Und dieser Kampf wird viel schwieriger für uns als vorher, weil wir jeden Punkt jetzt einzeln diskutieren müssen, und nicht mehr das Paket vor uns haben.
Das heißt zusammen gefasst: Der Kampf geht jetzt erst richtig los, und wir müssen jetzt Luft holen und die nächste Zeit mit aller Kraft gemeinsam, alle Linken, parlamentarisch und außerparlamentarisch, kämpfen.
Vielen Dank.“
Tobias Pflüger (MdEP)
* Am 24 und 25 Juni 2005 – ein Monat nach dem Refendum in Frankreich- fand in Paris eine Europäische Konferenz statt, um europaweit zu diskutieren, was gemeinsam unternommen werden soll und kann, im Sinne einer Konstruktion Europas unter verändereten Vorzeichen.
Die mehr als 200 TeilnehmerInnen kamen aus 20 europäischen Ländern (80) und aus Frankreich (130).
Das gesamte Spektrum der Akteure des französischen fortschrittlichen „Nein“ und die Komitees aus Holland und Luxemburg waren vertreten, wie auch zahlreiche politische Parteien der gesamten Palette der antineoliberalen Linken, soziale Bewegungen, FeministInnen, AktivistInnen des ESF, einige GewerkschafterInnen u.v.m