Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2005/012 - in: "Das andere Afrika: Widerstand gegen Krieg, Korruption und Unterdrückung", Hrsg. von Connection e.V. und der Antimilitaristischen Angolanischen Menschenrechtsinitiative e.V. (IAADH), April 2005

Der Sudan als Spielfeld der Mächte

Jürgen Wagner (19.04.2005)

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Seitdem der Sudan 1956 die Unabhängigkeit erlangte befand sich das Land nahezu permanent im Ausnahmezustand. Schon die Jahre 1963-1972 waren von blutigen Auseinandersetzungen geprägt, denen nach einer nur kurzen Zwischenphase von 1982 bis heute ein zweiter Bürgerkrieg folgte. Im Wesentlichen stehen sich dabei zwei Parteien gegenüber: Einmal die Regierung in Khartoum, geführt von dem 1989 durch einen Militärputsch an die Macht gelangten Omar Hassan al Bashir, die die arabischen Muslime im Norden vertritt und zum anderen die von John Garang befehligte Sudanesische Befreiungsarmee (SPLA) die ihre Machtbasis im überwiegend christlichen Süden hat.

Trotz der Tatsache, dass in Folge der Auseinandersetzungen etwa zwei Millionen Sudanesen umkamen und wohl doppelt so viele vertrieben wurden, zeigte der Westen lange Zeit wenig bis kein Interesse sich für eine Beilegung des Konfliktes einzusetzen. „Da… Afrika nach dem Zusammenbruch des Ostblocks an strategischem Wert verlor, nahm die internationale Politik kaum Anteil an dem zerstörerischen Bürgerkrieg, der weite Teile des Landes ruinierte und entvölkerte.“1

Nachdem im Sudan bedeutende Ölvorkommen gefunden wurden, hat sich dies aber geändert. Vor allem Deutschland und die Vereinigten Staaten haben ein großes Interesse an der Beendigung des Bürgerkrieges, das mit erheblichem Druck auf die beiden Konfliktparteien bis hin zu militärischen Drohungen gegenüber Khartoum untermauert wird. Dieser Druck führte nun scheinbar zum Erfolg indem Khartoum widerwillig Anfang Januar 2005 einen „Friedensvertrag“ mit der SPLA unterzeichnete, denn das Abkommen sieht die Möglichkeit einer Spaltung des Landes im Jahr 2010 vor. Genau dieser Passus deckt sich exakt mit den ökonomischen und strategischen Interessen Berlins und Washingtons, ist aber tragischerweise gänzlich ungeeignet den Konflikt dauerhaft beizulegen.

Transatlantische Stimmungsmache

War man sich noch in der Frage des amerikanischen Alleingangs gegen den Irak spinnefeind, drängen nun deutsche wie amerikanische Politiker einmütig auf ein bewaffnetes Eingreifen im Sudan, was einmal mehr den instrumentellen Charakter des periodisch auftretenden deutschen Pazifismus unterstreicht. Schon im Dezember 2003 forderte die Grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, ein bewaffnetes Eingreifen2 während ihr Parteikollege, Außenminister Josef Fischer, auch in dieser Frage einmal mehr seinen zweifelhaften Ruf als humanitärer Falke bestätigt. In das gleiche Horn bläst Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die sich für die Entsendung einer EU-unterstützten Eingreiftruppe ausspricht.3 Somit verwundern auch Meldungen nicht mehr weiter, der Stab des I. Deutsch-Niederländischen Korps in Münster bereite sich auf „eine mögliche Führungsaufgabe“ im Sudan vor.4 Auch Washington, unterstützt von seinen engen Verbündeten Großbritannien und Australien, deutete in Form seines Außenministers Colin Powell die Notwendigkeit eines militärischen Eingreifens an.5 Der US-Kongress forderte die Regierung gar dazu auf, „ernsthaft eine multilaterale oder sogar unilaterale Intervention zu erwägen.“6

Da die Erfahrung zeigt, dass humanitäre Erwägungen keineswegs ausreichen um eine Militärintervention auszulösen, bleibt die Frage, weshalb sowohl in Deutschland als auch in den USA gezielt Stimmung für einen bewaffneten Eingriff gemacht wird.

Das Öl schmiert den Bürgerkrieg

Zwar sind ausländische Ölfirmen schon lange im Sudan aktiv, erst in jüngster Zeit aber kam es zu einem regelrechten Boom in der sudanesischen Ölindustrie: Allein im Zeitraum von 2001 bis Anfang 2004 verdoppelten sich die nachgewiesenen Reserven von 262 auf 563 Millionen Barrel Öl. Die geschätzten Reserven werden vom sudanesischen Energieministerium bei etwa 3 Milliarden Barrel vermutet, was etwa doppelt so viel wie in Kolumbien wäre und den Sudan zu einem der relevantesten mittleren Ölländer machen würde. Nachdem 1999 eine Pipeline fertiggestellt wurde, die das ausschließlich im Süden zu findende Öl 1540 Kilometer weit nach Port Sudan im Nordsudan am Roten Meer pumpt, stieg auch der Export sprunghaft an. Die Fördermenge erhöhte sich von 270.000 Barrel am Tag (b/d) im Jahr 2003 auf 345.000 b/d im Folgejahr und soll 2005 auf 500.000 steigen. Für 2006 werden sogar 750.000 b/d erwartet.7 Da das Land zusätzlich über erhebliche Erdgasreserven verfügt, kommt ihm somit eine erhebliche strategische und ökonomische Bedeutung zu.

Schon 1974 kaufte sich die amerikanische Firma Chevron ins sudanesische Ölgeschäft ein, kurze Zeit später die französische Total. Beide Konzerne zogen sich nach Rebellenangriffen 1984 aus dem Land zurück. Während Total aber seine Rechte bis heute behielt, musste Chevron seine Konzession auf Druck der amerikanischen Regierung 1989 verkaufen. Nachdem sich die Beziehungen zur sudanesischen Regierung beständig verschlechterten, verhängte Washington 1997 umfassende Wirtschaftssanktionen, die es amerikanischen Firmen endgültig verboten in dem Land zu investieren. Zwischenzeitlich waren dann kanadische (Talisman), schwedische (Lundin Oil AB) und österreichische (OMV) Konzerne im Sudan aktiv,8 die allesamt sehr gut von dem Bürgerkrieg profitierten. Einem ausführlichen Bericht von Human Rights Watch zufolge ist der Bürgerkrieg untrennbar mit den Profitinteressen der Ölkonzerne verknüpft: „Der Zusammenhang zwischen Krieg und Vertreibungskampagne zur Entwicklung des Ölsektors ist offensichtlich: Die Ölgebiete, in denen die Bevölkerung gezielt vertrieben wurde, sind diejenigen, in denen eine Konzession genehmigt und eine Pipeline fertiggestellt wurde.“9

Allerdings ging die sudanesische Bonanza zunehmend in andere Hände über: „Unter dem Druck internationaler und besonders kanadischer Menschenrechtsgruppen verkaufte Talisman schließlich im Herbst 2002 seine Rechte im Sudan an die indische Firma Videsh – mit einem Gewinn von 30 Prozent…2003 verkauften Lundin und OMV ihre Rechte an die…malaysische Petronas und die indische Vindesh. Block 6 wurde insgesamt an die staatliche chinesische CNCP vergeben. Jetzt sind alle Öl-Claims in chinesischer, malaysischer, indischer und (zum kleinen Teil) sudanesischer Hand, außer dem ungenutzten Block 5 von TotalFinaElf.“10

Der Rückzug westlicher Konzerne, die einseitige Einflussnahme auf Seiten der SPLA und die amerikanischen Sanktionen ermöglichten China den Einstieg ins sudanesische Ölgeschäft. Dieses Engagement ist Teil des chinesischen Interesses seinen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent auszuweiten um hierdurch seinen rapide steigenden Ölbedarf künftig abzusichern.11 Einem Bericht von Bill Gertz zufolge, Kolumnist der Bush-nahen Washington Times, hat Peking bereits 4.000 Soldaten im Sudan stationiert, um seine dortigen (Öl)Interessen zu wahren. Obwohl er die Zahl nicht bestätigen wollte, gab eine hohe Regierungsquelle gegenüber dem Journalisten zu, dass sich chinesische Truppen im Land befänden.12

Dieser Entwicklung entgegenzuwirken, kommt aus Sicht der US-Regierung oberste Priorität zu. Da China als „strategischer Rivale“ (George W. Bush) betrachtet wird, ist Washington bestrebt wie Zalmay Khalilzad, eines der einflussreichsten Mitglieder der Bush-Administration, ausführt, „ein relatives Anwachsen chinesischer Macht im Vergleich zu den Vereinigten Staaten zu verhindern, oder zumindest so lange wie möglich hinauszuzögern.“13

Neben den Truppenstationierungen in Ostasien wird in Militärkreisen ganz offen betont, dass für eine solche Eindämmungsstrategie auch die Kontrolle der weltweiten Ölvorräte und ihrer Transportwege von zentraler Bedeutung ist, da hierdurch bei Bedarf Peking buchstäblich der Saft abgedreht werden kann.14 Offensichtlich droht der Sudan zum Schauplatz dieser Auseinandersetzung zu werden.

Zusätzlich engagiert sich inzwischen auch Russland im Sudan. So erhielt der russische Konzern Stroitransgaz den Zuschlag zum Bau einer weiteren Pipeline zum Hafen Port Sudan im Norden des Landes. Gleichzeitig beliefert Moskau den Sudan mit Waffen.15

Während also China und andere relevante Mächte im Sudan an Einfluss gewinnen, scheinen die USA vorläufig aus dem Spiel zu sein. So erklärt sich auch die Situation im Weltsicherheitsrat, in dem Moskau und Peking versuchen drastischere Aktionen gegen das Land zu verhindern.16 Wie ein westlicher Diplomat erklärt, wären solche Maßnahmen „nicht nur ein Schlag gegen Khartoum, sondern zugleich gegen wirtschaftliche Interessen Chinas und Russlands.17

All dies spricht dafür, dass eine Beendigung des Bürgerkrieges und der Wiedereinstieg amerikanischer Ölkonzerne nicht das alleinige, nicht einmal das wichtigste Ziel Washingtons ist. Tatsächlich geht den USA primär um geopolitische Interessen im Sudan. Diese machten es aus US-Sicht notwendig, gezielt auf die Abspaltung des Südsudan hinzuarbeiten.

Die Rolle der USA

Kurz nach dem Ende des Kalten Krieges stellten die USA die Waffenlieferungen an die sudanesische Regierung ein und distanzierten sich zunehmend von dem Regime al Bashirs. Insbesondere christlich-evangelikale Lobbygruppen drängten Washington, den Druck auf Khartoum massiv zu erhöhen. Da der Sudan auch zeitweise den Terroristen „Carlos“, vor allem aber zwischen 1991-1996 Osama Bin Laden beherbergte, fand sich das Land 1993 auf der Liste der „Schurkenstaaten“ wieder.

Parallel zu den sich stetig verschlechternden Beziehungen zur sudanesischen Regierung unterstützte Washington spätestens seit Mitte der 90er Jahre die SPLA, wie die Österreichische Militärische Zeitschrift berichtet. So traf sich im Oktober 1999 die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright mit John Garang und gewährte der Rebellenorganisation umfassende Rüstungshilfe.18

Mit dem Amtsantritt der Bush-Administration wurden die Bemühungen um einen Waffenstillstand intensiviert. So ernannte man mit John Danforth eigens einen hochrangigen Sonderbotschafter für diese Aufgabe.19 Aufgrund der hervorragenden Kontakte zur SPLA und dem amerikanischen Interesse an der Beendigung des Bürgerkrieges, dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass die SPLA im Frühjahr 2003 mit einer „Offensive im Westen begann, just zu dem Zeitpunkt, als die Friedensverhandlungen zwischen Norden und Süden ins Stocken geraten waren.“20 Laut FAZ wollten die Rebellen Khartoum mit der Offensive „zu schnellen Konzessionen bewegen.“21

Dass die sudanesische Regierung mehr oder minder an den Verhandlungstisch gezwungen werden musste, ist verständlich, da die „Konzessionen“ auf lange Sicht für Khartoum inakzeptabel sein dürften. Denn auf dessen Grundlage scheint eine Spaltung des Landes in einen nördlichen und einen südlichen Teil nahezu unausweichlich.

Der Weg zum Atlantik

Für das Verständnis der Konfliktkonstellation im Sudan ist es wichtig zu wissen, dass sich das sudanesische Öl im Süden des Landes befindet. Es wird per Pipeline in den Norden gepumpt, was der Zentralregierung weiterhin Einfluss auf die Vorkommen ermöglicht. Gleichzeitig beschuldigt die SPLA die Regierung, die Öleinkünfte drastisch überproportional dem Norden zufließen zu lassen und mit ihnen den Bürgerkrieg finanziert zu haben.22

Gegenwärtig wird davon ausgegangen, dass die südsudanesische Bevölkerung falls es 2010 zu einem Referendum kommen sollte, mit großer Mehrheit für eine Abspaltung votieren wird. Möglicherweise ist das das eigentliche Interesse der Vereinigten Staaten, denn dies würde es ermöglichen, das Öl nicht mehr nach Norden, sondern nach Südosten zum indischen Ozean oder noch besser nach Wes

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ten an die Atlantikküste abzutransportieren und damit dem chinesischen Einfluss zu entziehen. So ist ein „Hinweis auf geopolitische Interessen…der beschlossene Bau einer Ölpipeline vom südwestlichen Tschad bei Doba durch ganz Kamerun an die Atlantikküste. Die Westmächte könnten erwägen, sudanesisches Öl weder ans Rote Meer noch an den Indischen Ozean zu leiten, sondern nach Doba im Tschad.“23

Eine Anbindung der sudanesischen Vorkommen an die Tschad-Kamerun Pipeline würde sich nahtlos in die amerikanische Ölstrategie für den afrikanischen Kontinent einfügen. In spätestens zehn Jahren sollen 25 Prozent der aufgrund sich erschöpfender heimischer Vorräte rasant steigenden US-Ölimporte von dort bezogen werden, so das ehrgeizige Ziel. Bereits heute wird massiv mit der Stationierung von US-Soldaten zum Schutz dieses Öls begonnen. Die Ressourcen würden sich fortan unter amerikanischer Kontrolle befinden, könnten bequem per Schiff in die USA abtransportiert und im Extremfall ausschließlich für den amerikanischen Markt reserviert werden.

Aus der geopolitisch dominierten Sicht der US-Strategen würde also eine Spaltung des Sudan Washingtons Position erheblich stärken. Zwar dürfte eine Anbindung an die Atlantikküste aufgrund diverser Schwierigkeiten nur langfristig machbar sein, kurz- bis mittelfristig könnte deshalb ein Abtransport nach Südosten das Ziel sein. Zu allem Überfluss deckt sich dieses Interesse mit dem der deutschen Bundesregierung.

Deutsche Schweißtechnik hilft bei der Abspaltung

Der bisher ausschließlich über den Norden gewährleistete Abtransport des südsudanesischen Öls macht eine Abspaltung des Südens nahezu unmöglich, da er ohne Vermarktungsmöglichkeit seiner Ressourcen dastünde. „Geht es nach der Firma Thormählen Schweißtechnik in Bad Oldesloe, so soll sich das ändern. Die Firma aus dem Hamburger Umland will für eine Milliarde Euro eine Eisenbahn bauen, vom Ölgebiet im mittleren Süden über die südöstliche Grenze bis zum kenianischen Hafen Mombasa. Die Eisenbahn, 2500 Kilometer lang, soll Öl und andere Bodenschätze nach Kenia transportieren, einen Abzweig nach Uganda machen und den Indischen Ozean erreichen. Später soll eine Pipeline hinzukommen. Die USA und Großbritannien hätten großes Interesse am Bau, sagt Firmenchef Klaus Thormählen. Verständlich, denn dann könnte sich der Süden mit samt seinen Ölfeldern abspalten und die asiatischen Ölfirmen verlören ihr Monopol auf das sudanesische Öl.“24

Bemerkenswert offen plauderte der Unternehmenssprecher gegenüber German-Foreign-Policy.com aus dem geopolitischen Nähkästchen: „Die jetzt in Auftrag gegebene Eisenbahnlinie Juba-Mombasa soll – so bestätigt der Unternehmenssprecher – den 'Anschluss an die westlich orientierte Welt' herstellen. Zusätzlich wird es 'sicherlich auf Dauer eine Pipeline geben, die in den Süden geht', erklärt die deutsche Firma.“25

Der unter tatkräftiger Mithilfe von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingefädelte Deal im Gesamtwert von beachtlichen $8 Mrd. ist Teil einer Gesamtstrategie, den deutschen Einfluss in Afrika weiter zu vergrößern.26 Wird das Infrastrukturprojekt realisiert, hätte dies für die sudanesische Regierung dramatische Auswirkungen: „Der Transport in die nordsudanesische Hafenstadt Port Sudan entfiele, Khartoum verlöre jeden Einfluss auf das Öl und seine Erlöse.“27 Hiermit wäre endgültig der Weg zur Spaltung des Landes geebnet.

Interessant und aufschlussreich ist der Zeitplan, den Thormälen in einer Presseerklärung bekanntgab: „Es ist geplant, dass zumindest diese Teilstrecke von ca. 1.000 km bis zum Referendum, das in 6 Jahren im Sudan stattfinden soll, in Betrieb gehen kann.“28 Damit wäre der Abtransport des Öls zum indischen Ozean genau zu dem Zeitpunkt sichergestellt, an dem davon ausgegangen wird, dass sich der Südsudan vom Norden abspalten wird – aktive Sezessionshilfe könnte man hierzu wohl sagen.

Allerdings ist es äußerst unwahrscheinlich, dass Khartoum dieser Entwicklung tatenlos zusehen wird. Die Regierung wird höchstwahrscheinlich mit einer Wiederaufnahme des Bürgerkriegs reagieren – im schlimmsten Fall unterstützt durch China und Russland.29 Willkommen zurück im Zeitalter des Kalten (Stellvertreter)Krieges. Dabei scheint sich Deutschland gegenwärtig sehr darum zu bemühen eine Eskalation herbeizuführen: ,,Beim Thema Darfur ist Deutschland eines der unbeugsamsten Länder“, kritisiert der sudanesische Außenminister Mustafa Osman Ismail.30

Einseitigkeiten in Darfur

Trotz der unbestreitbaren Involvierung Khartoums in die grausamen Vorgänge in Darfur ist ein Großteil der Berichterstattung somit auch als Vorgriff auf einen im Falle einer neuerlichen Eskalation des Bürgerkrieges notwendigen „humanitären Friedenseinsatz“ durch die interessierten Mächte zu werten. Es wird ein „Stimmungsteppich für westliches Eingreifen ausgebreitet – nützlich für den Fall, dass die Transporttrasse nach Kenia nicht ungestört gebaut werden kann.“31 Dies wird auch daran deutlich, dass sich die Realität vor Ort deutlich komplizierter darstellt, als dass eine ausschließliche Verurteilung der sudanesischen Regierung gerechtfertigt wäre.

So betont der UN-Koordinator für Nothilfe in Krisengebieten, Jan Egeland, die Übergriffe in Darfur seien ,,nicht nur die Schuld der Regierung. Es gibt dort viele Milizen und andere Kräfte… Die selben Stämme sind vertreten, sowohl unter denjenigen, die andere vertreiben, als auch unter denjenigen, die vertrieben werden.“ Weiter gibt der UN-Mitarbeiter an, alle Bürgerkriegsparteien seien an der Eskalation beteiligt: „Die sogenannten Janjawid-Milizen, organisierte Kriminelle, zu viele Arbeitslose mit zu vielen Gewehren, Regierungstruppen und mit Bestimmtheit auch Streitkräfte der Aufständischen.“ Dies wird auch von amnesty international bestätigt: „Es gibt Berichte über Missbrauch und Folter, einschließlich Vergewaltigung durch Mitglieder der SLA und der JEM,“ die beide Rebellenorganisationen sind.32 An einem differenzierten Bild aber, wie es Egeland zeichnet, scheinen Politik und Medien nicht interessiert zu sein.

Prototyp für EU-Interventionen im Zeitalter der Globalisierung
Dass der Vorsitzende des EU-Militärkomitees Gustav Hägglund die Krise im Sudan als prototypisch für künftige Einsätze der neu geschaffenen schnellen europäischen Eingreiftruppen, den sogenannten Battlegroups, bezeichnet, kommt nicht von ungefähr.33 Die Stabilisierung so genannter fehlgeschlagener Staaten, die von neoliberaler Politik in Armut und Konflikte gestürzt wurden, ist essentiell, um Handelsinteressen auf dem afrikanischen Kontinent zu wahren: „Solche Geschäfte brauchen stabile politische Rahmenbedingungen. Joschka Fischers klare Ansage, man könne Darfur 'nicht sich selbst überlassen', ist deshalb keine Phrase, sondern ein Programm. Ausufernde Unruhen und eine Regierung, die ihren eigenen Staat nicht im Griff hat, sind Gift für profitablen Handel.“34

Natürlich hat jeder Konflikt auch spezifisch regionale Ursachen. Im Falle des Sudan spielen materielle Konflikte um Wasser und Land, wie auch Rivalitäten der lokalen Eliten eine wichtige Rolle.35 Die Chancen für eine friedliche Beilegung sinken aber erheblich, wenn weite Teile der Bevölkerung auch aufgrund gezielter westlicher Ausbeutungspolitik auf das Drastischste verarmt sind, wie selbst die Weltbank inzwischen zugesteht.36 Dass sich all die humanitären Interventionisten, die augenblicklich für einen bewaffneten Eingriff im Sudan plädieren, keinen Deut um die Beendigung dieser unseligen Ausbeutungspolitik scheren, spricht Bände über die eigentliche Motivation dieser selbsternannten Gutmenschen: „Es ist schon ein starkes Stück, mit welcher Perfidie hier ökonomische Interessensdurchsetzung mit humanitären Motiven bemäntelt wird: Diejenigen, die aktuell Waffenlieferungen an die SPLA und die 'Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit' nicht unterbinden wollen, die mit der sudanesischen Regierung über Jahre hinaus beste Geschäfte gemacht haben, vergießen jetzt Krokodilstränen und schreien nach der Militärintervention.“37 Tatsächlich tragen die westlichen Staaten mit ihrer Interessenspolitik eine erhebliche Mitverantwortung bei der Eskalation blutiger Auseinandersetzungen und machen damit militärische Interventionen in Ländern wie dem Sudan häufig erst „notwendig.“

Fußnoten

1. Martin Pabst, „Der Sudan – Land der Gegensätze“, in: Österreichische Militärische Zeitschrift, 1/2004, S.13
2. Otfried Nassauer, „Das neue sicherheitspolitische Interesse an Afrika – Europa und Amerika als Konkurrenten statt als Partner?“, in: Streitkräfte und Strategien, 21.08.04, S. 3
3. Gerald Oberansmayr, „Sudan: Vor der nächsten Militärintervention“, in: Guernica, 3/2004
4. Osnabrücker Zeitung zit. Jürgen Elsässer, Schritt für Schritt in den Krieg, Telepolis, 26.07.04
5. Norm Dixon, Crisis in Sudan: Oil Profits Behind Wests's Tears for Darfur, Counterpunch, 09.08.04
6. Oberansmayr 2004
7. US Government, Department of Energy, Sudan Country Analysis Brief, July 9, 2004; Sudan's estimation of crude oil, Liquid Africa, 16.07.04
8. Steinberg 2004
9. Human Rights Watch, Sudan, Oil and Human Rights, September 2003, S. 37
10. Steinberg 2004. Hervorhebung JW
11. Amy Myers Jaffe and Steven W. Lewis, „Beijing's Oil Diplomacy“, in: Survival, Spring 2002, S. 115- 134
12. Bill Gertz, Chinese in Sudan: Notes from the Pentagon, URL: http://www.gertzfile.com/gertzfile/ ring030504.html (eingesehen 17.09.04)
13. Zalmay Khalilzad, „U.S. Strategy Toward China“, in: Frank Carlucci, Robert Hunter and Zalmay Khalilzad, (eds), Taking Charge: A Bipartisan Report to the President Elect on Foreign Policy and National Security – Discussion Papers, RAND: Santa Monica 2001, S. 64
14. Siehe Sam Tangredi (ed), Globalization and Maritime Power, National Defense University 2002
15. „Russian company to build oil pipeline in Sudan“, Russian Information Agency Novosti, 29.07.04
16. „China asks U.S. to revise draft on Sudan's Darfur“, Reuters, 14.09.04; Elsässer 2004
17. Thomas Burmeister, „Der Sudan – zwischen Völkermord und Ölgeschäft“, Passauer Neue Presse, 11.09.2004
18. „US Steps up Support for South Sudanese Resistance“, in: Middle East Intelligence Bulletin, Vol. 1, No. 11, November 1999
19. Lange 2002, S. 33
20. Oberansmayr 2004
21. Ebd
22. Lange 2002, S. 34
23. Steinberg 2004. Hervorhebung JW
24. Steinberg 2004
25. „Keimzelle“, Informationen zur deutschen Außenpolitik, 27.07.2004
26. „Beeindruckende Entwicklung“, Informationen zur deutschen Außenpolitik, 06.01.2004
27. „Die Bahn zur Unabhängigkeit“, Informationen zur deutschen Außenpolitik, 18.07.2004
28. Thormählen Schweißtechnik AG, Bad Oldesloe: Pressemitteilung „Großauftrag in Afrika – Neubaustrecke Südsudan-Kenia-Uganda“
29. Pabst 2004, S. 22. Allerdings sollte betont werden, dass es fraglich ist, ob China in naher Zukunft bereit sein wird, einen heftigen Konflikt mit Washington zu riskieren
30. Informationen zur deutschen Außenpolitik, 18.07.2004
31. Steinberg 2004
32. Oberansmayr 2004
33. Judy Dempsey, „EU-led Forces 'Could Intervene' in Sudan Conflict“, Financial Times, 12.04.04
34. Rüdiger Falksohn und Thilo Thilke, „Tod im Geisterhaus“, Spiegel Online, 01.08.04
35. Pabst 2004, S. 14
36. World Bank, Breaking the Conflict Trap: Civil War and Development Policy, Oxford 2003
37. Tobias Pflüger, Sudan: Mit Volldampf zur nächsten „humanitären Intervention“, IMI-Standpunkt 2004/048, 21.09.04

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de