IMI-Standpunkt 2005/025
Debatte statt Propagandatruck!
Abgeordnetenspalte im Schwäbischen Tagblatt, 08.04.05 - Tobias Pflüger
Tobias Pflüger (08.04.2005)
In der Osterwoche habe ich drei südmexikanische Bundesstaaten bereist und dabei soziale Initiativen besucht. Menschenrechts-, Umwelt-, Gewerkschafts- und Frauengruppen arbeiten dort unter schwiergsten Bedingungen. Im Auftrag der Linken Fraktion im Europäischen Parlament (GUE/NGL) traf ich auch die zapatistische autonome Regierung in Chiapas, als erster EU-Parlamentarier.
Zwischen der EU und Mexiko besteht seit dem Jahr 2000 ein Freihandelsabkommen. Die darin vereinbarte Einhaltung von Menschenrechten bleibt jedoch außen vor. So erfahren Oppositionsgruppen in Oaxaca und Guerrero harte Repression wie willkürliche Inhaftierungen und Demonstrationsverbote. In Guerrero konnte ich einen inhaftierten Umweltaktivisten unterstützen und zu seiner möglichen Freilassung beitragen.
In Chiapas besuchte ich vier gewerkschaftliche Lehrer im Gefängnis. Die EU ist in Chiapas entwicklungspolitisch tätig, finanziert mit 15 Millionen Euro Projekte im lakandonischen Urwald. Auf den ersten Blick sieht das nach Armutsbekämpfung aus. Beim näherem Hinsehen stellt sich heraus: Was „nachhaltig“ klingt, entpuppt sich als Ausbeutung einer lukrativen Region, ohne die Bevölkerung einzubeziehen und ohne der sozialen Spaltung entgegenzuwirken.
Die neoliberale Handelspolitik der EU unterscheidet sich im Kern nicht von der der USA. Expansionismus, Rüstungsprojekte und militärische Interventionsbereitschaft werden zum konstitutiven Element der EU. Das ist auch Kern meiner Kritik am EU-Verfassungsvertrag, der am 12. Mai im Bundestag und am 27. Mai im Bundesrat ratifiziert werden soll, vereinbarungsgemäß vo
r dem Referendum am 29. Mai in Frankreich, um Einfluss zu nehmen. Der so genannte freie Wettbewerb und die Kapitalmobilität werden als Ziele der EU-Außenwirtschaftspolitik festgeschrieben.
Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gewinne „mit Lichtgeschwindigkeit“ an Gestalt, erklärte der außenpolitische Repräsentant der EU, Javier Solana. Er hat recht mit dieser Feststellung, und die neue Verfassung legitimiert dies ausdrücklich. Warum eigentlich wird über den Inhalt dieses 500-Seiten Vertrages in den Medien so wenig diskutiert? Warum winken Bundestagsabgeordnete ab, wenn sie zu diesem Thema eingeladen werden? Die Bundesregierung setzt lieber einen gläsernen Propagandatruck auf die Straße. Der aber kommt in Baden-Württemberg erst an, wenn die Entscheidung gefallen ist. Geht man so mit einer zukünftigen Verfassung um?
Bisher wurde die Chance für eine offene gesellschaftliche Debatte über die Verfassungsinhalte vertan, anders als im Nachbarland Frankreich, wo die Bevölkerung gefragt wird. Ich war letztes Wochenende in Paris bei großen Veranstaltungen gegen den EU-Verfassungsvertrag mit Vertreter/innen aus 18 EU-Ländern. Viele setzen die Hoffnung auf ein „Non à la Constitution“ in Frankreich. Notwendig hier sind: Aufklärung, was im Vertragstext steht. Gut wäre ein offenes Hearing in Tübingen, mit Verfassungsrechtlern, Repräsentanten der Friedensbewegung und Attac, Bundestagsabgeordneten. Ich nehme daran gerne teil. Europa gerät in schlechte Verfassung! Informationen erhalten Sie unter http://www.eu-verfassung.com oder http://www.tobias-pflueger.de .