IMI-Standpunkt 2005/012
Mehr als erwartet
Die Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 14. Februar 2005
Schlechte Voraussetzungen
Schon im Vorfeld erwarteten die Veranstalter der Proteste gegen die NATO-Kriegskonferenz dieses Jahr weniger Demonstranten als in den Jahren zuvor. Dies hatte verschiedene Gründe: Zunächst gab sich die Kriegskonferenz dieses Jahr besonders friedlich, das Motto lautete „Frieden durch Dialog“, Kofi Annan bekam eine neu geschaffene Friedensmedallie verliehen und Bundespräsident Köhler sprach auf seiner Eröffnungsrede in erster Linie von „Armut“, die es zu bekämpfen gelte.
Zweitens sind die globalen Kriege der NATO-Staaten zur Zeit relativ wenig präsent, über Afghanistan und den Einsatz am Horn von Afrika wird kaum berichtet, gegen den Irak-Krieg wurde nun schon zwei Jahre demonstriert und die Angriffspläne auf den Iran werden von vielen noch nicht so wirklich ernst genommen. NATO-Soldaten werden in den Medien zur Zeit eher noch mit Fluthelfern in Südostasien assoziiert.
Drittens haben Münchener Stadtverwaltung und bayrische „Sicherheits“-Experten offenbar etwas aus den Fehlern der vergangenen Jahre gelernt und dieses Jahr nicht im Vorfeld durch Repressionen wie die Räumung des Tröpferlbades oder ein dreitägiges Demonstrationsverbot in ganz München für Empörung und Schlagzeilen gesorgt, die zusätzliche Motivation für Menschenrechtler, Friedensbewegte, Antifaschisten und Autonome lieferten, sich an der Demonstration zu beteiligen.
Viertens mussten sich dieses Jahr wohl viele „Berufsdemonstranten“ entscheiden, ob sie gegen die Sicherheitskonferenz demonstrieren oder lieber den Neonazi-Aufmarsch in Dresden zu verhindern versuchen. Beides wäre dann wohl doch zu anstrengend geworden und wer will sich schon das ganze Wochenende mit aggressiven Polizeihundertschaften konfrontieren.
Die Auftaktkundgebung
Gegen elf Uhr war der Marienplatz dementsprechend auch noch relativ leer. Ein paar hundert Leute waren da, in der Mitte ein kleiner Block schwarzgekleideter hinter einem antikapitalistischen Transparent, am Rande skandiert eine kleine Gruppe über Megafon „Intifada bis zum Sieg“ auf der anderen Seite fährt ein kleiner Wagen der FAU (Freie ArbeiterInnen Union) auf. Zwei kleine Infotische antimilitaristischer Gruppen, dazwischen ziemlich viele junge Leute, Punks und Rastas und ältere Leute mit Pappschildern gegen die USA, insgesamt eine ziemlich bunte Mischung. Drumherum etwa doppelt soviel Polizei, die sich aber zunächst ruhiger verhält als die Vorjahre. Es finden beispielsweise deutlich weniger Vorkontrollen statt und man konnte bereits befürchten, dass die Polizei mit ihrer Vermutung, die Demonstration würde diesmal recht ruhig und klein bleiben, die Bewegung abebben, recht gehabt hätte.
Doch innerhalb der nächsten Stunde füllte sich der Platz dann doch, nicht so eng wie in den Vorjahren, aber doch deutlich über dreitausend Menschen. weitere Große Transparente tauchen auf und mindestens hundert(!) Zivilpolizisten stehen völlig offensichtlich mit Knopf im Ohr in Gruppen herum und streifen über den Marienplatz. kurz nach zwölf beginnen die Redebeiträge, leider kann man nur Claus Schreer vom Bündnis „München gegen den Krieg“ und Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) gut verstehen. Dazwischen sprechen noch zwei Frauen, die ich leider nicht verstehen konnte. Die Redebeiträge beschäftigen sich viel mit der US-amerikanischen Außenpolitik und der Rechtsbeugung in Deutschland, dass der Generalbundesanwalt versprach, keine Ermittlungen gegen Rumsfeld zu führen um ihn zu einer Teilnahme an der Kriegskonferenz zu bewegen. Claus Schreer mahnt dazu, die Drohung eines Krieges gegen den Iran ernst zu nehmen und Tobias Pflüger macht klar, dass die EU in ihrer jetzigen Form, beispielsweise durch den Verfassungsvertrag mit Militarisierung und Ausbeutung des „Südens“ verbunden ist.
Nach den Redebeiträgen geht es los und das mit der Demoaufstellung funktioniert dieses mal wesentlich besser als die Jahre zuvor, vermutlich weil der Platz diesmal nicht so gerammelt voll war. Ein starker Wind weht und lässt die hundert Fahnen und die Großen Transparente kräftig wedeln. Jetzt wo sich die meisten in der Demo eingereiht haben, sieht sie schon recht stattlich und mächtig aus.
Die Demo
Nach hundert Metern wird sie aber bereits von Hundertschaften in grün und schwarz angegriffen: Ein Teil des internationalistischen Blocks wird eingekesselt, Pfefferspray versprüht, geknüppelt, Transparente werden entwendet und einzelne Leute können herausgegriffen werden.
Als Begründung für diesen ersten Angriff werden die Demoauflagen genannt, die wie immer sehr repressiv sind: Keine Seitentransparente, keine Verunglimpfung nationaler Symbole, Mütze und Sonnenbrille gelten als Vermummung.
Nachdem einige Leute festgenommen wurden gelang ein kleiner Durchbruch und die Demonstration konnte endlich richtig losgehen. Ganz vorne dass traditionelle Transparent „Stoppt den globalen Krieg der NATO-Staaten“, dann die eher klassische Friedensbewegung, Pax Christi, DFG-VK, eine Attac-Tanzgruppe und eine ziemlich gute Sambaband. Dahinter der internationalistische Block, der ziemlich durchmischt war: DKP, Antiimperialsten, Migranten, Falken, eine Pink-Silver-Gruppe und Autonome. Darauf folgte der Lautsprecherwagen der FAU und der schwarz-rote Block. Den Abschluss bildete ein bunter Wagen von dem Raggae-Musik tönte und hinter dem etwa hundert tanzende Menschen herliefen.
Quasi an jeder Straßenbiegung griff die Polizei die Demo an, zumeist in der Nähe des großen Lautsprecherwagens im internationalist
ischen Block. Das folgte jedesmal dem gleichen Muster: rechts und links liefen Hundertschaften auf, bis etwa 50 bis 100 Polizisten da waren. Dieser Demoabschnitt wurde dann intensiv gefilmt und auf einzelne TeilnehmerInnen gezeigt. Dann marschierte ein Einsatzzug in die Demonstration und zerrte diesen heraus, meist in eine private Einfahrt, die von mehreren Hundertschaften gesichert wurde. Die Gründe für die Verhaftungen waren nicht ersichtlich, es reichte aber offensichtlich, dass jemand zu lange Nieten an seiner Kleidung hatte, ein vermeintlich verfassungsfeindliches Symbol trug oder jemandem der Schal über den Mund gerutscht war (Vermummung).
Zu Beginn war ich überrascht, wie schnell dies hingenommen wurde, die Demo hielt dann kurz an, pfiff und rief „lasst die Leute frei“ um dann bald weiter zu ziehen. Die Demonstration wäre jedoch überhaupt nie angekommen, hätte sie bei jeder Verhaftung länger angehalten. Mit der Zeit zeigte sich, dass diese Provokationen Wirkung zeigten und die Reaktionen der Demonstranten wurden entschlossener. Die Demo wurde auch insgesamt lauter. Sie war viel zu groß, um gemeinsam einen Spruch zu skandieren, so wurden von verschiedenen Gruppen unterschiedliche Dinge thematisiert: Imperialismus, Krieg, Repression und auch Abschiebungen. Von den Lautsprecherwaagen kam viel Musik und die Sambaband trommelte unaufhörlich. Zu hören war diese Demo bestimmt weit.
Die Strecke war die selbe wie die letzten Jahre und es dauerte dreieinhalb Stunden sie abzulaufen.
Die Abschlusskundgebung.
Als die Demo am Lenbachplatz ankam, war dieser natürlich von hunderten Polizisten und Absperrgittern umringet. Dennoch stürmte eine Gruppe auf den Zufahrtsweg zum Bayrischen Hof zu, um kurz vor dem Gitter anzuhalten. Es gab noch einen Redebeitrag von der Initiative „Wiederentwaffnug Jetzt!“ wo zur aktiven Wehrkraftzersetzung aufgerufen wurde. Es war mittlerweile 17 Uhr, es regnete immer stärker und viele verließen den Kundgebungsort recht schnell. Die Polizei wurde zunehmend aggressiver, mehrmals zerrten Zivilpolizisten einzelne Leute quer über den Platz. Es hätte sicherlich deeskalierend gewirkt endlich die aktiven Hundertschaften auszuwechseln, bei einzelnen Polizisten konnte man tatsächlich beobachten, wie sie immer aggressiver wurden, immer schneller zu Tonfa und Tränengas griffen. Leider gilt das selbe auch für einige Demonstranten und jetzt wurden auch einige Plastik- und eine Glasflasche geworfen. Die Kundgebung wurde aufgelöst und die Lage ziemlich unübersichtlich. Hunderte Polizisten standen kreuz und quer auf dem Platz herum und griffen einzelne Leute heraus, die meisten Demonstranten machten sich aus dem Staub und es blieben nur noch wenige übrig, die offensichtlich wütend waren und zunehmend unüberlegt handelten. Es wäre zu einem bestimmten Zeitpunkt vermutlich besser gewesen, den Platz einfach geschlossen zu verlassen. Selbst auf dem Weg zur U-Bahn wurden noch Leute festgenommen, in einem Fall sogar aus einem fahrenden Einsatzwagen heraus.
Versuch einer Einschätzung
Trotz schlechter Voraussetzungen waren mehr Leute da als erwartet. Die Kriegsgegner haben sich von der Friedensrhetorik der Veranstalter und der hilflosen Geste der Friedensplakette nicht blenden lassen und sind wieder nach München gekommen um gegen die „Sicherheitskonferenz“ zu protestieren. Die meisten waren nicht da, um einfach nur gegen Bush oder Rumsfeld zu sein, sondern weil ihnen klar ist, dass die Politik Deutschlands und der EU nicht besser ist. Insofern hat sich gestern gezeigt, dass diese Proteste so lange weitergehen werden, wie diese Konferenz stattfindet.
Tatsächlich wächst der Unmut in München auch innerhalb der Stadtverwaltung über diese Konferenz und die alljährlichen Proteste dagegen. Denn es ist nicht leicht, seine Stadt alljährlich in den Ausnahmezustand zu versetzen um Militärstrategen und Rüstungslobbyisten ein Forum zu bieten. Das lässt sich der einkaufenden Bevölkerung, die sich mit einem martialischen Polizeiaufgebot und Strassensperren konfrontiert sieht schlecht vermitteln. So tauchten dieses Jahr in verschiedenen Zeitungen Meldungen über ein Drittel an Umsatzeinbußen in der Innenstadt am Wochenende der „Sicherheitskonferenz“ auf. So heißt es beispielsweise in der Internetausgabe von „Der Standard“: „Der Anblick von behelmten Polizisten schreckt die Kunden ab. Der Umsatz der Geschäfte sei am Samstag um durchschnittlich 30 Prozent gesunken. Der Verband habe daher seit langem eine Verlagerung des Treffens an einen Ort außerhalb des Zentrums gefordert.“ Traurig aber wahr, solche Argumente zählen, vor allem bei der Stadtverwaltung.
Nicht nur deshalb ist das völlig übertriebene Polizeiaufgebot auch als Erfolg zu sehen. Offensichtlich können sich die Kriegstreiber nicht öffentlich treffen, ohne eine Stadt in Ausnahmezustand zu versetzen und so zeigt sich auch, dass die Kriege, die „unsere“ Regierungen in fernen Ländern führen, auch hier eine Art „Kriegszustand“ erzeugen, Straßensperren und prügelnde Polizisten. Und diese Polizeitaktik, die alljährliche „Bombendrohung“ und die Diskussionen über die nie wirklich erscheinenden „Krawalltouristen“ und „autonomen Gewalttäter“ legt auch dar, welchen Sicherheitsbegriff die Damen und Herren im Bayrischen Hof und ihre Kollegen im Innenministerium haben, und welche Politik sich daraus ergibt.
Erst eine Bedrohung erfinden (Krawalltouristen, Massenvernichtungswaffen), dann eine Bedrohung provozieren (Flaschenwürfe, iranisches Atomprogramm) und dann zuschlagen.