Pressebericht - in: Odenwälder Echo, 03.09.2004
Bedenken gegen neue EU-Verfassung
Politik: Gemeinsame Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbunds und der Naturfreunde zum Antikriegstag
mg / Odenwälder Echo / Pressebericht / Dokumentation (04.09.2004)
MICHELSTADT. Vielleicht lag es an der Einladung, dass nur gut 30 Besucher gekommen waren. Die hatte aus Anlass des Antikriegstags mit bekannten Slogans wie „Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg. Abrüstung statt Sozialabbau“ für diese Veranstaltung des DGB Odenwaldkreis und der Naturfreunde in Michelstadt geworben. Vielleicht haben die Menschen auch andere Sorgen, als sich über Krieg und Aufrüstung Gedanken zu machen. Beides scheint zurzeit weit weg zu sein und Deutschland hat sich schließlich doch deutlich davon distanziert, Soldaten in den Irak zu schicken. Was also sollte der Referent Uwe Reinecke von der Informationsstelle Militarisierung (Tübingen) Neues berichten, abgesehen davon, dass sich der Tag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf Polen aus dem Jahre 1939 wieder jährte?
Doch der Historiker und Journalist befasste sich mit einer Facette des Problems, die derzeit öffentlich unter völlig anderem Vorzeichen diskutiert wird: der Europäischen Verfassung. Auch wer sich mit diesem Thema bisher nicht auseinander gesetzt hatte, hatte nun Gelegenheit dazu – dies allerdings bezogen auf den Punkt, was in Bezug auf die Verteidigungspolitik im vorliegenden Entwurf vom Juni 2004 geschrieben steht.
„Die europäischen Mitgliedstaaten verpflichten sich zur militärischen Aufrüstung“, lautete Reineckes Fazit. Und zum Beweis zitierte er Artikel 1 Absatz 40,3 und weitere Passagen aus dem 465 Artikel umfassenden Werk. Geradezu mickrig dagegen erschien die Minitaschenbuch-Aussage des Grundgesetzes, die er zum Vergleich mit dem großformatigen weißen Buch, das an die Ausmaße eines T
elefonbuchs erinnerte, mitgebracht hatte. Während die deutsche Verfassung in Artikel 26 ausdrücklich einen Angriffskrieg verbiete, gehe der Geist der Europäischen Verfassung in eine ganz andere Richtung.
Diese sehe beispielsweise vor, ein neues Amt einzurichten, das den militärischen Bedarf der Gemeinschaft definieren und umsetzen soll. Sowohl die rüstungspolitische Zielsetzung wie auch die Einrichtung dieser Behörde in der Verfassung fest zu schreiben, sei einmalig in der Welt. Bedenken äußerte Reinecke auch hinsichtlich der vorgesehenen Zuständigkeit, beispielsweise über einen Militäreinsatz. Ohne Mitbestimmung durch das Parlament habe nach dem Entwurf der Ministerrat, in dem die Regierungschefs der Mitgliedsländer zusammen kommen, die alleinige Entscheidung über Krieg und Frieden. Da EU-Recht nationales Recht breche, käme dies in der Konsequenz einer Aushebelung deutscher Gesetze und Parlamentsbeschlüsse gleich. Als der Referent erläuterte, dass auch der Europäische Gerichtshof für militärische Angelegenheiten nicht zuständig sein soll, häuften sich die Wortmeldungen im Saal. Ein Publikumsbeitrag brachte die Stimmung auf den Punkt: „Die Europäische Verfassung löst die Gewaltenteilung auf.“
Durch die Veranstaltung führten Harald Staier vom DGB und Stefan Orth von den Naturfreunden. Mit den Worten „In Deutschland stehen völlig andere Probleme auf der Agenda als der Umbau der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee. Aufrüstung und Militarisierung werden durch Sozialabbau finanziert“, beendete DGB-Sekretär Horst Raupp den Abend.
mg
3.9.2004