Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt.2004/026

Ostermarschrede von Uwe Reinecke im Eichsfeld

Uwe Reinecke (13.04.2004)

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Ostermontag 2004

Liebe Freundinnen und Freunde,

In gut zwei Wochen wird die EU größer werden. Bemerkenswert ist, dass die große Mehrheit aller Beitrittsländer zunächst der NATO beigetreten sind und später erst zur EU kommen. Auf viele Menschen übt das Militärische offenbar eine große Faszination aus.

Wir stehen hier, um zu bekennen, dass wir dieser Faszination nicht erlegen sind.

Noch zwei Wochen also, dann können Menschen die deutsch-polnische Grenze problemlos überschreiten. Bisher waren sie durch eine scharf bewachte Grenze getrennt. Seit Anfang der 90er Jahre starben an dieser deutsch-polnischen Grenze mindestens 90 Menschen. Flüchtlinge aus der Türkei, dem Irak oder Tamilen zumeist. Die strengen Regeln der Bundesrepublik Deutschland sind die Ursache dieser Grenztoten.

Daran zu erinnern, ist hier am „West-Östlichen Tor“ – einer ehemals waffenstarrenden Staatengrenze – der richtige Ort.

Die deutsche Bundesregierung hat innerhalb der EU stets liberalere Visa-Bestimmungen für Menschen aus so genannten Drittstaaten abgelehnt und zwingt Polen jetzt zu ebenso drastischen Grenzkontrollen.

Wir müssen darauf achten, dass nicht erneut eine Todesgrenze einfach nach Osten verschoben wird, diesmal an die polnisch-ukrainische Grenze.

Grenzen überwinden und nicht nur zu verschieben. Das ist die Herausforderung für die Zukunft.

Die Entwicklung geht aber in eine völlig andere Richtung. Deutschland und die EU setzen auf Abschottung und Militarismus. Deutschland spielte bei der Militarisierung der EU „in den vergangenen Jahren eine Vorreiterrolle“, wie Minister Struck Ende 2003 stolz erklärte. Folgerichtig will die Bundesregierung an der geplanten EU-Verfassung nichts mehr verhandeln. Inhaltlich soll sie unverändert bleiben. Zudem haben sich die EU-Regierungschefs im Dezember 2003 in Brüssel auf die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) verständigt. Die EU-Verfassung, die ab 2009 für die gesamte EU Gültigkeit erlangen wird, greift diese Strategie auf.

Der Artikel I. 40 schafft zwei verfassungsrechtliche Weltneuheiten: nämlich den permanenten Aufrüstungszwang für die Mitgliedstaaten und die Einrichtung eines „Europäischen Amtes für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“.

Diese neue EU-Behörde soll EU-weit die Aufrüstung und Waffenexporte koordinieren. Das Amt soll eben nicht Rüstungskontrolle, Rüstungsbegrenzung oder gar Abrüstung koordinieren.

Die EU-Verfassung erlaubt ausdrücklich „Kampfeinsätze“ außerhalb von Verteidigung, über die im übrigen der Ministerrat und nicht etwa das Europa-Parlament entscheidet. Das Europa-Parlament darf Fragen stellen, so regelt es Artikel III. 205.

Dass das Grundgesetz solche Kampfeinsätze strikt verbietet und unter Strafe stellt, hat die Bundesregierung bei den vielen Kriegen seit 1999 nicht gekümmert und wird sie zukünftig noch weniger kümmern, denn die EU-Verfassung steht über dem nationalen Verfassungsrecht.

Zur Möglichkeit einer richterlichen Überprüfung solcher Kampfeinsätze heißt es in der Verfassung lapidar: „Der Europäische Gerichtshof ist nicht zuständig.“ Damit entzieht sich die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (kurz ESVP) völlig der Gerichtsbarkeit, denn nationale Gerichte sind selbstverständlich ebenfalls nicht zuständig für die internationale Zusammenarbeit der Militärs in der EU.

Es sind also drei entscheidende demokratische Traditionen ausgehebelt worden:

1) das Parlamentsrecht,
2) das nationale Verfassungsrecht und
3) die unabhängige Justiz.
Dieser Verfassungs-Coup ist inakzeptabel.

Die Verfassung lässt sich auch nicht durch einen Gottesbezug retten, denn gottgefällig sind Aufrüstungsverpflichtung und Kampfeinsätze gewiss nicht.

Hinzu kommt: diese EU-Verfassung legt sich neben der militärischen Ausrichtung der EU auch auf den „freien und unverfälschten Wettbewerb“ fest. Zur „sozialen Marktwirtschaft“ heißt es, dass sie nur „in einer im hohen Maße wettbewerbsfähigen“ Form vertretbar sei. Mit diesen Formulierungen ist der Fortgang des Europa-weiten Sozialabbaus festgeschrieben. Frei nach den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) von Minister Struck heißt es: „Unser Sozialabbau wird zukünftig auch am Hindukusch verteidigt“.

Der eingangs schon zitierte Art. I. 40 schreibt eben den Mitgliedstaaten nicht vor; das Angebot an Ganztagsbetreuung von Kindern in Krippen, Horten, Kindergärten und Schulen schrittweise zu verbessern. Nein, ausdrücklich nur die militärischen Fähigkeiten müssen schrittweise verbessert werden.

Der Verfassungsrechtliche Aufrüstungszwang ist eine aberwitzige Selbstverpflichtung zur Geldausgabe, wenn gleichzeitig angeblich kein Geld für Kindergärten, Gesundheit und Renten vorhanden sein soll.

Sozialabbau und Kriegspolitik sind also zwei Seiten der selben Regierungsmedaille.

Die 500.000 DemonstrantInnen des Europaweiten Aktionstages haben diesen Zusammenhang am 3. April in der Bundesrepublik verdeutlicht. Viele der DemonstrantInnen waren ein Jahr zuvor schon in Berlin bei der Großdemo gegen den Irak-Krieg dabei.

In diesen Tagen geht von den Ostermärschen in der ganzen Republik und in Europa ein deutlicher Ostergruß an die Regierungen aus.

Damit komme ich zum Schluss, meine Freundinnen und Freunde:

Nein zu Sozialabbau und Kriegspolitik – weltweit!

Wir wollen keine Weltmacht USA, keine Weltmacht EU-Europa und schon gar keine Weltmacht Deutschland!

Wir lehnen die Verteidigungspolitischen Richtlinien und diese EU-Verfassung ab!

Denn Militär darf kein Mittel deutscher und europäischer Politik sein!

Vielen Dank.

Uwe Reinecke, Antikriegsbündnis Göttingen und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

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