Pressebericht

Bericht vom SiKo-Wochenende! (von http://www.no-nato.de )

Das erste Februarwochenende hat wieder einmal bewiesen, dass öffentliche Kritik an der sogenannten NATO-"Sicherheitskonferenz in hohem Maße unerwünscht ist.

von: ConAction auf no-nato.de | Veröffentlicht am: 10. Februar 2004

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Widerstand und Protest gegen diese Kriegskonferenz soll in München um jeden Preis und mit allen Mitteln unterbunden werden. Ein martialisches Aufgebot von 4000 Einsatzkräften aus dem gesamten Bundesgebiet, von Seiten der Polizeiführung bereits im Vorfeld der Konferenz als „Deeskalation durch Stärke“ höhnisch angekündigt, verwandelte die Innenstadt der Bayernmetropole für das komplette Wochenende in ein Ausnahmezustandsgebiet. „Je näher man an den Bayerischen Hof kommt, desto mehr erinnert die Bewachung an einen südamerikanischen Polizeistaat“, ist sogar in der SZ zu lesen.

Der Freitag:

Etwa 1500 Menschen kamen am Freitagnachmittag an den vier Kundgebungsorten – Lenbachplatz, Platz der Opfer des Nationalsozialismus, Odeonsplatz und Schrammer-/Theatinerstr. – zusammen, um die Anreise der Kriegstreiber zu stören. Vor allem am „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“ war die Situation von Anfang an geprägt von massiven Attacken der Polizei, bereits zu langsames Überqueren von Straßen wurde als „Blockadeversuch“ gewertet und mit Einkesselungen und Festnahmen beantwortet. Zum Teil vermummte Spezialeinheiten sowie Greiftrupps in Zivil griffen immer wieder willkürlich und mit brutalen Mitteln Einzelne aus der Kundgebung raus. Belegt sind zwei Fälle von erheblich verletzen Demonstranten, einer wurde bewusstlos geschlagen und über den Platz geschleift, eine ärztliche Versorgung wurde erst nach ca. 30 Minuten zugelassen. Im zweiten Fall musste ein Demonstrant, vermutlich nach Tonfas-Einsatz, mit einem Leberriss ins Krankenhaus eingeliefert werden. Darüber hinaus wurde einem Journalisten aus einem Polizeifahrzeug heraus mit Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Einige Fotographen wurden offenbar gezwungen, ihr Bildmaterial von Polizeiübergriffen zu löschen.

Kurzzeitig gelang es einer größeren Gruppe DemonstrantInnen den Verkehr zu blockieren und einen Konvoi mit TeilnehmerInnen der Konferenz an der Durchfahrt zu hindern. Die Polizeikräfte waren jedoch derart massiv präsent, so dass die Blockade ziemlich bald abgeräumt war. Rund um den Platz wurden daraufhin etwa 80-100 Leute in drei Polizeikesseln eingeschlossen, immer wieder wurden die Leute in den Kesseln mit Tonfas, Schlägen, Fußtritten und Pfefferspray malträtiert, Frauen wurden zudem mit übelsten sexistischen Sprüchen angemacht. Sämtliche BlockiererInnen und auch Leute, die dort lediglich rum standen durften anschließend die „gesiebte Luft“ in der Ettstraße genießen. Insgesamt wurden am Freitag laut Ermittlungsausschuss (EA) über 200 Menschen vorübergehend festgenommen, der Polizeibericht spricht von insgesamt 147 Personen in Gewahrsam und 28 Festnahmen.

Durch das massive und äußerst brutale Vorgehen der Einsatzkräfte war es definitiv unmöglich die angemeldeten Versammlungen unter regulären Bedingungen durchzuführen. Schon vor Beginn der Kundgebungen wurde jede/r als DemonstrantIn erkennbare Mensch systematisch mit Kameras abgefilmt. Der Lenbachplatz war komplett eingegittert, KonferenzgegnerInnen durften erst nach Taschen- und Personalienkontrolle den „Polizeikäfig“ betreten. Am „Platz der Opfer des Nationalsozialismus“ konnte die Kundgebung nur unter extremen Schwierigkeiten abgehalten werden, da einzelne Einsatztrupps immer wieder bis vor die Bühne stürmten. Der Platz selber war von Hunderten bis an die Zähne bewaffneten Polizisten umzingelt, speziell das bayerische USK machte seinem negativen Ruf einer besonders üblen „Schlägertruppe“ wieder mal alle Ehre. Selbst vor den „Promis“ wurde nicht Halt gemacht, Tobias Pflüger, von der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen, wurde nach seiner Rede vom Lautsprecherwagen gezerrt und festgenommen. Dabei wurde ihm der Hals verdreht und verletzt. Grund soll, wie schon im letzten Jahr, der Inhalt seiner Rede gewesen sein. Auch die geplante Menschenkette wurde stark behindert, Einzelpersonen wurden von Polizei mit und ohne Uniform herausgegriffen und es wurde Pfefferspray eingesetzt, deshalb war sie letztendlich auch nicht durchführbar.

Zu einem Zwischenfall kam es auch unter den Sicherheitskräften. Im Tagungshotel „Bayerischer Hof“ löste sich aus bislang unbekannten Gründen um 13.10 Uhr aus der Waffe eines französischen Personenschützers ein Schuss. Das Projektil schlug im Marmorboden eines Seitenflures ein. Mehrere umstehende Personen wurden von Marmor-Splittern getroffen, darunter drei Journalisten und ein Angehöriger der Bundeswehr. Vier Polizeibeamte erlitten ein Knalltrauma. Die Kriminalpolizei ermittelt jetzt!

Einigen Dutzend KriegsgegnerInnen gelang es am späteren Abend noch, US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beim Abendessen mit hochrangigen NATO-Generälen im Nobelrestaurant „Feinkost Käfer“, in der Prinzregentenstraße, mit ihrem Protest zu konfrontieren. Während einige direkt ins Restaurant liefen und Parolen riefen, setzten sich andere in den Eingangsbereich bzw. waren vor dem Nobelschuppen lautstark präsent. Nach kurzer Zeit wimmelte es jedoch nur so von Polizei, die unverzüglich Jagd auf die ungebetenen Gäste machte und schließlich rund 30 Leute einkesselte und für etliche Stunden in Unterbindungsgewahrsam steckte.

Der Samstag:

Nach der Auftaktkundgebung auf dem Marienplatz formierten sich etwa sieben bis zehntausend Menschen zu einem Demonstrationszug. Die Auflagen beinhalteten, dass Seitentransparente verboten sind, solange ihre Unterkante nicht mindestens 2 Meter über dem Boden verläuft. Der Sinn dieser Auflage war klar, die Bullen wollten die Möglichkeit behalten, in die Demonstration
hineinzukommen und wollten freie Sicht zum photographieren. Letztes Jahr hatten sie diese Auflagen vergessen und sahen sich mit einem vollkommen geschlossenen internationalistischen Block konfrontiert, der sich mit Seitentransparenten und Seilen gegen Zugriffe abgesichert hatte.

Mehrfach wurde auch dieses Jahr versucht, Seitentransparente am internationalistischen Block anzubringen. Es blieb aber beim Versuch, denn jedesmal griffen die „Robocops“ den Block sofort an und entrissen die verbotenen Kundgebungsmittel mit brachialer Gewalt. Dabei kam es immer wieder zu kleineren Scharmützeln zwischen der Blockspitze und dem USK. Bereits im Tal kam es zur ersten und heftigsten Auseinandersetzung, mit Fußtritten und gezielten Schlägen wurde versucht die ersten beiden Reihen zu zermürben und den Leuten Verletzungen zuzufügen. Als dann der Befehl „Helm auf“ kam, drohte die Situation zu eskalieren. Das besonnene Verhalten im Block, unzählige PhotographInnen, die sich im Gewühle tümmelten und einzelne FriedensfreundInnen, die sich beherzt zwischen die „Fronten“ warfen, sorgten jedoch dafür, dass sich die Situation wieder entspannte und die Bullen sich zurückzogen.

Der ganze vordere Teil der Demo lief von Beginn bis Ende in einem dichten Spalier (bis zu 3 Reihen auf jeder Seite), eine Art Wanderkessel. Trotz mehrfacher Versuche, durch Stehenbleiben, Haut-ab-Rufen oder Verhandlungen war dieser Zustand nicht zu beseitigen. Während der gesamten Demonstration wurde verhindert, dass sich einzelne TeilnehmerInnen aus dem Zug entfernten, der Charakter eines Kessels wurde dadurch nicht nur optisch bestätigt. Immer wieder wurden Personen aus völlig unersichtlichen Gründen aus der Demo abgegriffen. Nähe Viktualienmarkt war noch eine lustige Aktion nicht nur zu sehen, sondern auch zu riechen, ein offensichtlich verloren gegangener Bullenhelm ging plötzlich in Flammen auf (Kommentar eines Cops: „da brennt die Dummheit eines Kollegen“).

Trotz der Tatsache, dass der Lautsprecherwagen aufgrund technischer Pannen die meiste Zeit ruhig war, war es eine laute und nicht zu überhörende Demo. Nach fast drei Stunden war dann schließlich der Platz der Abschlusskundgebung in unmittelbarer Nähe des Tagungsortes der
„Sicherheitskonferenz“ erreicht. Dort war bereits ein riesiger Kessel mit Absperrgittern aufgebaut, um zu verhindern, dass einzelne Gruppen sich dem Tagungsort noch weiter nähern. Anfängliche Gerüchte, es käme jetzt keiner mehr von dem Platz weg, erwiesen sich jedoch als unbegründet.

Nach Abschluss der Kundgebung versuchten einige TeilnehmerInnen noch zum Polizeipräsidium in der Ettstraße vorzudringen, um die dort einsitzenden Festgenommenen zu unterstützen. Die Ettstraße war aber komplett abgeriegelt und es kam auch hier nochmal zu einigen Festnahmen. Gruppen abziehender DemonstrantInnen wurden von Greiftrupps quer durch die Innenstadt gehetzt, zum Teil eingekesselt und verhaftet. Den ganzen Nachmittag über bis in den frühen Abend hinein versuchte die Einsatzleitung mit Hubschraubern einzelne TeilnehmerInnen der Demo zu identifizieren und im Stadtgebiet noch festnehmen zu lassen. Ein Mensch, der bereits heftig heftig blutete, wurde z.B. von den Bullen äußerst unsanft aus dem Kaufhof geschleift.

Am Samstag Abend fanden dann noch in Gebäuden in Giesing und im Westend zwei Scheinbesetzungen statt, die eindeutig Position gegen die „Sicherheitskonferenz“ bezogen. Sachschaden entstand dann noch in der Nacht zum Sonntag als Unbekannte am Stiglmaierplatz etwa zehn Schaufensterscheiben entglasten, für die Bullen war jedoch sofort klar, dass es sich bei dieser Aktion nur um auswärtige Autonome handeln konnte.

Insgesamt kam es am Samstag zu ca. 60 Festnahmen, laut EA sind an diesem Wochenende fast 300 Leute eingefahren. Im Polizeibericht ist die Rede von 74 Festnahmen, 177 Gewahrsamnahmen und 8 Identitätsfeststellungen.

Dem EA liegen Berichte vor, nach denen in den Zellen des Polizeipräsidiums erkrankte und verletzte Festgenommene die medizinische Versorgung verweigert wurde. Gefangene bekamen stundenlang kein Essen oder ausreichende Decken in der Nacht. Ein Gefangener wurde in Polizeigewahrsam von mehreren Polizisten körperlich misshandelt. Er wurde eine Treppe herunter gestoßen und getreten, u.a. in die Genitalien. Gegen den in Österreich lebenden türkischen Staatsangehörigen wurde später vom Ermittlungsrichter wegen Fluchtgefahr Untersuchungshaft verhängt. Dies wird begründet mit der österreichischen Meldeadresse des Beschuldigten. Alle anderen Verhafteten jedoch sind mittlerweile wieder auf freien Fuß gesetzt, auch Betroffene aus anderen Ländern.

Am Donnerstag, 12.02.04, soll es eine Soliaktion für diesen Genossen geben!

Eine Einschätzung und politische Auswertung des Wochenendes steht noch aus, dafür brauchen wir noch den Raum für eine gemeinsame Auseinandersetzung, fürs erste nur soviel: Der Zynismus des bayerischen Innenministers Beckstein, der die „professionelle Arbeit“ der Polizei am Wochenende in seiner Pressemitteilung rühmt, ist nicht zu überbieten. Wer die Brutalität der Einsatzkräfte, die sich willkürlich durch das Wochenende prügelten, als professionelle Arbeit tituliert, der macht offen welch Geistes Kind er ist. Die sogenannte „Bayerische Linie“ würde sogar jeglichem Polizeistaat alle Ehre machen.

Original: http://no-nato.de/cms/drucki.php?client=1&idcat=1&idlang=&idcatart=673&lang=1