Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2003/106b - in: junge Welt vom 25.11.2003

Rückkehr zum Faustrecht

IMI-Kongreß »Globalisierung und Krieg« in Tübingen konstatiert Kolonialismus neuen Typs

Jürgen Wagner (01.12.2003)

»Globalisierung und Krieg« lautete das Thema des 6. Kongresses der Informationsstelle Militarisierung (IMI), der am vergangenen Wochenende in Tübingen stattfand.

Die Referenten näherten sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Den Anfang machte Dr. Ulrich Brand von der Bundeskoordination Internationalismus, der in Grundstrukturen und Probleme der Globalisierung einführte. Die westlichen Staaten weiteten das neoliberale Wirtschaftsmodell aus, das zur Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung führt und in westlichen Staaten, aber auch insbesondere in der »Dritten Welt« auf zunehmenden Widerstand stößt. Diesen Protest ernst zu nehmen und zu unterstützen sei eine Hauptaufgabe der globalisierungskritischen Bewegung und der Linken.

Der Buch- und jW-Autor Dr. Winfried Wolf beschäftigte sich mit dem Zusammenhang zwischen Militarisierung und Globalisierung. Entgegen vielfältiger Annahmen, so Wolf, seien die 200 weltweit größten Konzerne weiterhin eindeutig einer nationalstaatlichen Basis zuzuordnen, die sowohl unterstützend den Kampf um Absatzmärkte mit Konkurrenzunternehmen zur Aufgabe habe, aber auch die militärische Absicherung von Investitionen im Ausland. In diesem Kontext komme insbesondere zwei Phänomenen besondere Bedeutung zu: Einmal Konzentrationsprozessen in der EU-Rüstungsindustrie als direkter Konkurrenz für den amerikanisch-britischen militärisch-industriellen Komplex und in diesem Zusammenhang dem amerikanisch-britischen Bestreben, ölreiche Regionen unter direkte Kontrolle zu bringen. Diese Prozesse seien primär unter dem Gesichtspunkt einer nationalstaatlichen Unterstützung verschiedener Konzerninteressen zu interpretieren. Transnationale Konzerne hätten fast immer einen »nationalen« Standort und würden entsprechend agieren.

Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung widmete sich dem Thema »Ein Platz an der Sonne – deutsche und EU-Interessen«. Zu Beginn schilderte er eine Reihe von Gesetzen, die die Bundesregierung im Militärbereich derzeit auf den Weg bringt, allerdings zuvor schon anwendet: Beispielsweise das »Parlamentsbeteiligungsgesetz«, dieses habe im Kern das Ziel, daß nur noch reine Kampfeinsätze beim ersten Mal im Bundestag abgestimmt werden müssen, alle anderen und die Verlängerungen würden der parlamentarischen und damit vor allem öffentlichen Kontrolle entzogen. Zentral seien die neuen »Verteidigungspolitischen Richtlinien«, in denen für die Bundeswehr u. a. geregelt wird, daß die Bundeswehr »im Innern« und »weltweit« eingesetzt werden kann. Deutschland wird dort als Schlüsselstaat in der NATO und bei der Herausbildung der Militärmacht EU bezeichnet. Die neue EU-Verfassung sei im wesentlichen eine Militärverfassung. So gibt es in der – in Zukunft auch für Deutschland verbindlichen – Verfassung (»EU-Recht bricht deutsches Recht«) eine Aufrüstungsverpflichtung und die Festschreibung von weltweiten Kampfeinsätzen.

Der erste Kongreßtag wurde mit einem Vortrag von Prof. Dr. Werner Ruf, emeritierter Professor der Universität Kassel, abgerundet. Er widmete sich der Frage, inwieweit der sogenannte »Kampf gegen den Terror« lediglich als Deckmantel für einen »neuen Kolonialismus« fungiere. Aufgrund offensichtlicher Unterschiede müsse man von einem »Kolonialismus neuen Typs« sprechen, der nicht mehr primär auf eine direkte Kontrolle möglichst großer Landstriche abziele, sondern vielmehr auf eine gezielte Ausbeutung einiger weniger ökonomisch wichtiger Regionen – im Zeitalter der Globalisierung auch zunehmend unter Rückgriff auf private militärische Sicherheitsfirmen. Festzustellen sei aber, daß der Ausbeutungscharakter derselbe geblieben sei und der »Kampf gegen den Terror« hierfür eine Legitimation liefere. Die Essenz dieses Prozesses bestehe in der endgültigen Aushebelung des Völkerrechts, die darauf hinauslaufe, daß westliche Interessen in immer stärkerem Maße militärisch durchgesetzt würden, was letztlich auf eine Rückkehr zum Faustrecht hinauslaufe.

Den zweiten Tag eröffnete Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung, indem sie – ähnlich wie in dem jüngst vorgelegten Buch: »Globalisierung und Krieg« – den Zusammenhang zwischen Globalisierung, Armut und Krieg aufzeigte. Erhellend für diesen – vielfach geleugneten – Zusammenhang sei eine neue Studie der Weltbank. Diese komme einmal zu dem Ergebnis, daß Armut als der bestimmende Faktor für das Ausbrechen und Eskalieren von Konflikten zu betrachten sei. Weiterhin kam die Weltbankstudie zu dem Schluß, daß nach Ausbruch eines Konfliktes Interventionen von ausländischen Staaten wenig zur Beilegung hätten beitragen können: »Die Ergebnisse waren enttäuschend.« Im Gegenteil, nach militärischen Interventionen habe sich die Situation sehr häufig verschlechtert. Wenn also neoliberale Globalisierung zu einer massiven Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung führt und diese das Kriegsrisiko dramatisch erhöht, Interventionen westlicher Staaten zur Beilegung nichts beitragen können, sondern verschärfend wirken, aber dennoch durchgeführt werden, falls diese armutsbedingten Konflikte eigene Interessen gefährden, kann tatsächlich festgehalten werden: »Der Imperativ neoliberaler Globalisierung heißt Krieg«, oder die automatische Kehrseite neoliberaler Politik ist (Bereitschaft zu) Kriegsführung westlicher Staaten gegen Menschen im Süden.

Über die Auseinandersetzungen in Kongo als Prototyp eines Globalisierungskonfliktes referierte Christoph Marischka, ebenfalls von der Informationsstelle Militarisierung. »Der Kongo-Konflikt ist in erster Linie das Ergebnis kapitalistischer Globalisierung«, so lautete das vernichtende Resümee des Referenten. Zu einem ähnlichen Ergebnis sei auch ein UN-Bericht über den Zusammenhang westlicher Konzerninteressen an der Ausbeutung kongolesischer Rohstoffe mit dem Bürgerkrieg im Kongo gekommen. Der Mechanismus, massiv Waffen in den Kongo zu liefern und im Gegenzug die Rohstoffe des Landes zu exportieren, trage maßgeblich zur Verlängerung des Bürgerkrieges bei, so der UN-Bericht. Offensichtlich werde dabei auch der Zusammenhang zwischen ökonomischen Interessen und militärischen Einsätzen.

* Infos: www.imi-online.de

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Original: http://www.jungewelt.de/2003/11-25/010.php

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