Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

Pressebericht - in: Telepolis, 19.10.2003

Gegen Sozialabbau, Neoliberalismus, Krieg und Antisemitismus

Attac stellte am Wochenende in Aachen "die Weichen für morgen und übermorgen"

Michael Klarmann / Telepolis / Pressebericht / Dokumentation (20.10.2003)

Auch wenn Attac Deutschland [1] eigenen Angaben zufolge „Erfolgsgeschichte“ geschrieben hat, den Globalisierungskritikern wird in Zukunft weiter wenig Zeit zum Aufatmen bleiben. So will man sich vermehrt gegen den Sozialabbau sowie die Auswirkungen des Welthandels auf Gen-Food und Privatisierung engagieren. Dies beschloss am Wochenende der „Ratschlag“, das höchste deutsche Attac-Entscheidungsgremium. Auch gegen Krieg als zunehmendes Mittel zur Durchsetzung globaler Marktwirtschaft sprach man sich aus.

Vergangenen Freitag beschloss der Bundestag erhebliche Kürzungen bei den deutschen Sozialsystemen. Für Elmar Altvater [2] – „Senior der globalisierungskritischen Bewegung“ – legte Rotgrün dabei „die Axt an die Wurzel des Sozialstaates“ und habe „damit kräftig zugeschlagen“. Altvater verwies in seinem Eingangsreferat zum ebenso am Freitag in Aachen begonnenen Ratschlag [3] auf einen Widerspruch: Während Deutschland zum Exportweltmeister geworden sei, jammere die heimische Wirtschaft über zu hohe Lohnnebenkosten als Exporthindernis. „Erkläre das, wer will.“

Erklären wollte dies Hugo Braun, Mitglied im Attac-Koordinierungskreis – quasi der Bundesvorstand -, eigentlich nicht, als er schon im Vorfeld des Treffens einen neuen Schwerpunkt in der Arbeit von Attac skizzierte. Für Braun ist der Sozialabbau im Inneren eine Folge der neoliberalen Globalisierung, ein „Angriff der großen Kapitaleigner und transnationalen Konzerne sowie deren Regierungen“ auf die Bürger der Industriestaaten. Zugleich kämen aber der Wirtschaft große Steuererleichterungen zugute. Habe Attac bislang eher mit den Gewerkschaften, Umweltschutzverbänden und der Friedensbewegung kooperiert, gelte es nun – auch auf lokaler Ebene – mit Sozialverbänden gegen den Sozialabbau zu protestieren. So rufe man gemeinsam mit Sozialverbänden und Arbeitsloseninitiativen zu einer Demonstration gegen Sozialabbau [4] am 1. November in Berlin auf. Schon am Montag werde man in vielen Städten mit Demonstrationen und „Besuchen“ in SPD-Büros protestieren.

Drei Tage lang debattierten rund 350 Attac-Mitglieder von 150 lokalen Gruppen in Aachen unter dem Motto: „Menschenwürdige Zukunft für alle – jetzt!“ Beim „Ratschlag“ werden zukünftige Kampagnen diskutiert, die Gremien gewählt und der Haushalt für das kommende Jahr aufgestellt. Gegründet im Jahr 2000 verfüge man heute über einen Jahresetat von 1,2 Millionen Euro, sagte Pressesprecher Malte Kreutzfeldt. Attac-Deutschland gehörten fast 13.000 Mitglieder an, organisiert in rund 200 lokalen Gruppen. In Frankreich gebe es rund 40.000 „Attacies“, weltweit etwa 100.000. Laut Jahresbericht des Koordinierungskreis gebe es viele junge Mitglieder – ein „Kapital“, für das man von anderen, oft überalterten Bündnissen oder Parteien beneidet werde.

Erfolge erzielte Attac-Deutschland in diesem Jahr, so Pressesprecher Kreutzfeldt, mit seiner Kampagne gegen das GATS [5], einem internationalen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. So habe etwa der Bundestag – auch unter dem Druck und Einfluss von Attac – einen kritischen Entschluss gefasst, der dem Attac-Standpunkt sehr nahe kam. Der von den reichen Staaten als Scheitern gewertete Ausgang der Welthandelskonferenz in Cancun [6] sei ein vorläufiger Gewinn für die armen Länder. Auch sei der Massenprotest [7] gegen den G8-Gipfel in Evian [8] ein deutliches Zeichen gewesen. Attac sei immer „als eine der bedeutendsten Kräfte der globalisierungskritischen Bewegung“ dabei gewesen.

Globalisierung und Krieg

Weiterhin dabei sein wird Attac wie bisher mit Kampagnen und Aktionen gegen den Welthandel. Schwerpunkte hierbei werden Privatisierung und Gen-Food sein. So wird man in ganz Europa gegen die gentechnische Veränderungen von Lebensmitteln, deren Patentierung und einer quasi „Zwangsfütterung mit solchen Nahrungsmitteln durch die WTO“ informieren. Andererseits, sagte Timm Zwickel, wolle man Themen wie GATS und die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen mehr auf lokaler Ebene kritisieren. Wechselten Rathäuser, Wasserversorgung oder Abwasserkanäle in internationaler Dimension mittels „Cross-Boarder-Leasing“ die Besitzer, müsse man hierzu „die vor Ort betroffenen Menschen erreichen“.

Engagierte sich Attac im Vorfeld des Irak-Kriegs bei den weltweiten Friedendemonstrationen, will man auch in Zukunft „aktiver Teil der Friedensbewegung“ sein und lehnt den Ausbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee ab. Da die neoliberale Globalisierung zunehmend militärisch durchgesetzt werde, werde man ebenso verstärkt auf die Zusammenhänge zwischen „Globalisierung und Krieg“ hinweisen, sagte Hugo Braun. Globalisierung und Krieg [9]ist auch der Titel des Band 5 der AttacBasisTexte, wo die Autoren Tobias Pflüger [10], Jürgen Wagner und Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung [https://www.imi-online.de/2003.php3?id=685 ] Hintergründe darstellen.

Quasi überschattet wurde der „Ratschlag“ von Lösungsversuchen einer schon in den vergangenen Monaten kontrovers geführten Diskussion zum Nahostkonflikt. Schon zu Beginn des Bundestreffen gab es einen Antrag von Attac-Mitgliedern aus Hamburg, die Diskussion über „Palästina und Antisemitismus“ wegen Dringlichkeit vorzuziehen. Unter den „Attacies“ stand das Thema dann in verschiedenen, sich teils spontan zusammengefundenen Arbeitsgruppen während des gesamten Bundestreffens auf der Tagesordnung. Samstags gab es dazu zudem eine Podiumsdiskussion.

Auf ihr plädierte Thomas Seibert von medico international [11], Konsens müsse sein, dass Attac sich mit allen israelischen und palästinensischen Friedenskräften solidarisiere und die Gewalt beider Konfliktparteien ablehne. Seibert warnte aber, die israelische Militärpolitik in einer Sprache zu kritisieren, die Neo-Nazis und so genannten Querfrontstrategen gefalle. Damit ging er indirekt auf die Holocaust-Überlebende und Autorin Felicia Langer [12] ein. Sie hatte mehrfach Martin Walsers aus der rechten Szene stammender Begriff von der „Auschwitz-Keule“ genutzt und gemahnt: viele Deutschen hätten einmal – während der NS-Diktatur – geschwiegen; wer nun schweige, sei mitschuldig.

Schweigen indes wird Attac nicht. Eine auf dem „Ratschlag“ erarbeiteten Erklärung folgt nahezu Seiberts Ausführungen und spricht sich vehement dafür aus, dass das parteiübergreifende Bündnis Attac Antisemiten keinen Platz biete – und bieten dürfe. Dennoch sei die Diskussion noch nicht beendet, müssten weitere folgen und seien Workshops zum Thema in Vorbereitung.

Links

[1] http://www.attac.de
[2] http://www.polwiss.fu-berlin.de/people/altvater
[3] http://www.attac.de/ratschlag-aachen
[4] http://www.demo-gegen-sozialabbau.de
[5] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12781/1.html
[6] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/15581/1.html
[7] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/14918/1.html
[8] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/14930/1.html
[9] http://www.attac-netzwerk.de/material/details/details_2320.php
[10] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/irak/14458/1.html
[11] http://www.medico.de
[12] http://www.felicia-langer.de

Original: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/konf/15892/1.html

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