Dokumentation / in: Tagesspiegel, 29.07.2003
Bombodrom soll pro Jahr 7500 Mal angeflogen werden
Das bisher geheim gehaltene Betriebskonzept offenbart: Es wird weitaus mehr Einsätze geben als bisher angekündigt
Rainer W. During / Tagesspiegel / Dokumentation (01.08.2003)
Wittstock. Das Ausmaß der Übungseinsätze auf dem geplanten Bombodrom bei Wittstock wird sehr viel größere Dimensionen annehmen, als man bisher dachte. Das Betriebskonzept, das dem Tagesspiegel vorliegt, sieht auf dem Platz nicht nur Übungen der Bundeswehr vor, sondern auch Einsätze anderer Nato-Luftstreitkräfte. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums bestätigte die Pläne. Jährlich werden bis zu 1700 Flugzeuge Kurs auf das 120 Quadratkilometer große Gelände nehmen. Da die Ziele bei den Tageseinsätzen jedoch durchschnittlich fünfmal angesteuert werden, ist mit insgesamt rund 7500 Anflügen zu rechnen.
Weitere Belastungen drohen, weil nach Tagesspiegel-Informationen zusätzlich ein Schießplatz für Bodentruppen entstehen soll. Indessen ist die EU-Kommission bei der Ablehnung der Beschwerde einer Bürgerinitiative gegen die Inbetriebnahme des Platzes offenbar von falschen Zahlen ausgegangen. Die Kommission hatte nur die Zahl von 161 Flügen pro Jahr angenommen und auf dieser Grundlage die Beschwerde einer Bürgerinitiative abgelehnt.
Neben den Tornados und Eurofightern der Bundeswehr sollen auch der von Frankreich und Spanien eingesetzte Typ Mirage auf dem Gelände trainieren, die von den Amerikanern genutzte A-10 Thunderbolt sowie die von acht Nato-Staaten eingesetzte F-16. Die Nutzung sei für die Partner im Rahmen des Nato-Truppenstatuts kostenlos, sagte der Ministeriums-Sprecher. Der Anteil der ausländischen Kampfjets hänge „vom Bedarf“ ab. Im bayerischen Siegenburg, einem der beiden bereits aktiven Luft-Boden- Schießplätze der Bundeswehr, würden die ausländischen Maschinen zehn Prozent des Flugbetriebes ausmachen.
Die EU-Kommission orientierte sich offensichtlich an den 15000 Einsätzen der Sowjetarmee, als sie die Beschwerde einer Bürgerinitiative gegen die Inbetriebnahme des Platzes ablehnte. Auf dieser Grundlage erklärte EU-Referatsleiter Georges Kremlis, bei der vorgesehenen, geminderten militärischen Nutzung sei keine erhebliche Beeinträchtigung der betroffenen Naturschutzgebiete zu erwarten. Unter Hinweis auf „Angaben der Bundesregierung“ heißt es in dem Schreiben, mit dem die Beschwerde zurückgewiesen wurde, die Bundeswehr plane nur bis zu 161 Einsätze pro Jahr.
Diese Zahl könne sich nur auf die Flüge beziehen, die bereits vor einigen Jahren stattgefunden hätten, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums und löste damit neue Verwirrung aus. Denn einen offiziellen Flugbetrieb der Bundeswehr hat es in Wittstock bisher überhaupt nicht gegeben, so Susanne Hoch von der Bürgerinitiative „Freie Heide“.
Auf die Anwohner kommen noch weitere Belastungen zu. Denn zusätzlich ist ein Schießplatz für Bodentruppen geplant. Für ein Luftwaffen-Ausbildungsbataillon, das in Alt-Daber stationiert wird, entsteht eine Anlage, auf der auch mit Maschinengewehren und -pistolen geschossen wird. Ferner sollen an bis zu 100 Tagen im Jahr Flugabwehrraketen-Verbände hier trainieren.
Am 18. August beginnt die Testphase für den Platz, der eigentliche Schießbetrieb soll Anfang September aufgenommen werden. Tagsüber wird es überwiegend Einsätze von Vierer-Formationen geben, die durchschnittlich fünf Zielanflüge vornehmen. Bis zu 240 Mal pro Jahr wird nachts geflogen. Außer Standardübungen werden auch Manöver trainiert, bei denen schon in 150 Metern Höhe geflogen werden darf.
Über 28 Ortschaften gelten Mindesthöhen von 450 Metern. Für den Müritzsee, den Müritz-Nationalpark, die Mecklenburger Kleinseenplatte und die Region um Rheinsberg gelten diese Beschränkungen nur von Mai bis August. Außerhalb des Sperrgebietes soll der Überflug von Ortschaften vermieden und eine Mindesthöhe von 600 Metern eingehalten werden. Auf dem Übungsgelände werden die Jets auf bis zu 30 Meter herunterkommen. Damit man auf der Landstraße, die durch das Bombodrom führt, auch während der Übungen fahren kann, gilt dort eine Mindesthöhe von 75 Metern für den Überflug.
Geflogen wird montags bis donnerstags von 9 bis 11.30 Uhr, 14 bis 17 Uhr und von 30 Minuten nach Sonnenuntergang bis maximal 23.30 Uhr. Freitags endet das Training um 12 Uhr. An Wochenenden und Feiertagen, von Weihnachten bis Neujahr und während der Brandenburger Sommerferien gibt es keine Flüge. Für Wittstock soll jetzt eine Fluglärmkommission gebildet werden. Bürgerinitiativen, Kommunen und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern haben Klagen gegen die Inbetriebnahme des Bombodroms angekündigt.
Original: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/29.07.2003/674848.asp