Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2003/036b, in: Raumzeit Nr. 22 - 10. April 2003, ISSN 1611-2725

Zum Krieg im Iraq: Kein Friede durch Gegenmacht

Nachdem die globalen Regulierungsinstitutionen der Politik den Irak-Krieg nicht verhindern konnten, macht unter den KontrahentInnen Bushs in der Irak-Frage die Forderung nach einer Gegenmacht zur Militärmacht USA die Runde. Als Kern einer solchen Gegenmacht gelten diejenigen europäischen Staaten, die sich am Krieg nicht beteiligen wollten.

Michael Liebler / Raumzeit / Interview / Tobias Pflüger (12.04.2003)

Wir fragten Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen nach den möglichen Konsequenzen dieser Debatte:

raumzeit: Schröder sorgte vergangene Woche mit seiner Äußerung, man müsse über die Finanzierung der Bundeswehr neu nachdenken, zunächst für Aufregung innerhalb der Koalition. Später nahm er dieses Statement zurück. War es nur so dahin gesagt?

Pflüger: Nein, es war ein Hinweis darauf, was es mit der Gegenposition der Bundesregierung zur Haltung der US-amerikanischen und britischen Regierungen in Sachen Irak eigentlich auf sich hat.

Peter Struck hat ja nach einer ersten Irritation darauf hingewiesen, dass die Umstrukturierung der Bundeswehr planmäßig laufe. Es ist eine Umschichtung der Militärausgaben in zwei Richtungen vorgesehen: einmal werden die Ausgaben für Beschaffungsprojekte insgesamt erhöht. Zum anderen forciert man innerhalb dieser Beschaffungsprojekte diejenigen, mit denen man auch Interventionen oder Stationierungseinsätze machen kann, während solche für die „Landesverteidigung“ zurückgefahren werden. Das heißt, es wird weiter vorangetrieben, die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee zu machen.

Ideologisch wird das ja auch klar begründet. Der berühmte Satz von Peter Struck, „in Zukunft wird die Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt“, ist ein Hinweis darauf.

rz: Bedeutet denn das Nein der Regierung zum Irak-Krieg, dass sie wenigstens gegen Präventivkriege ist?

Zentraler Punkt der Veränderungen bei der Bundeswehr sind die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien, die im Mai vorgelegt werden sollen. Der Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan sagt, dass in ihnen auch das Konzept des Präventivkriegs eine Rolle spiele. Und das bedeutet natürlich, dass man gleiche strategische Grundlagen, die in den USA bereits gelten (National Security Strategy) bei der Bundeswehr einführen will.

rz: Galt das Nachdenken Schröders vielleicht auch der Spaltung Europas in der Kriegsfrage? Könnte das auf eine eigenständigere Rolle der Bundeswehr abzielen, als bisher z.B. im Zusammenspiel mit einer EU-Eingreiftruppe angedacht war?

Pflüger: Ja. Die französische, die deutsche und die belgische Regierung kündigten an, sich auf einem Sondergipfel am 29. April über eine Forcierung gemeinsamer Militärpolitik unterhalten zu wollen – sowohl im Industriebereich als auch im Bereich der Armeen.

Und das bedeutet die Konkretisierung dessen, was Joschka Fischer und der französische Außenminister de Villepin in den EU-Konvent einbrachten: Nämlich dass in Zukunft auch Koalitionen einzelner Staaten innerhalb der Europäischen Union Militärinterventionen oder Stationierungseinsätze durchführen können. Und insofern fügt sich dies alles sehr gut in die Entwicklung einer Gegenmacht EU.

Die Bundesregierung hingegen hält sich immer die Option offen verschiedene Hüte zu nutzen: Ob das nun die Europäische Union ist, die NATO, die UNO. Ob das ad-hoc-Bündnisse sind, oder auch rein nationale Einsätze. Zwar wird immer wieder dementiert, dass es rein nationale Einsätze geben soll, aber die Option ist offen. So hat man zum Beispiel das Kommando Spezialkräfte in keinerlei internationale Strukturen eingeordnet, sondern als rein nationale Truppe behalten.

rz: Der Chef des auswärtigen Ausschusses in der Duma, Dimitri Rogossin, phantasierte in der „Welt“ von einer Eurasischen Union mit Frankreich, Deutschland und Russland als Kern einer Gegenmacht. Könnten sich die globalen politischen Verhältnisse tatsächlich derartig drastisch verschieben?

Pflüger: Was ich für sehr realistisch halte, ist, dass diejenigen Länder in der EU, die eine andere Position haben als die britische und die US-amerikanische Regierung, dieses Gegenmachtmodell vorantreiben und dann auch jeweils ad hoc-Koalitionen mit Russland oder mit China durchführen. Innerhalb Russlands wird die Entwicklung bezüglich des Irakkrieges als „die schlimmste Entwicklung seit dem Kalten Krieg“ empfunden.

Ich persönlich bezeichnete Russland einmal als den „kleinen Bruder der USA“, und es gibt eindeutig einen Rückschritt in dieser sehr engen Zusammenarbeit. Eine feste Koalition Russland-China und Deutschland-Frankreich sehe ich noch nicht, aber man stimmt sich, wie im Vorfeld des Krieges im UN-Sicherheitsrat, durchaus miteinander ab und nimmt auf die jeweiligen Positionen der anderen Rücksicht.

Und insofern denke ich schon, es ist eine Neuordnung innerhalb der Weltpolitik passiert, in der sich zwar noch keine eindeutigen Konstellationen abzeichnen. Aber es ist relativ deutlich, dass eine Reihe von Ländern eine Weltordnung nicht akzeptiert, die im Wesentlichen von einem Staat geprägt wird.

rz: Direkt gefragt: Lässt sich für die Friedensbewegung aus dieser Debatte auch irgend etwas Positives ablesen?

Pflüger: Nein. Unsere Position als Antikriegs- und Friedensbewegung müsste eindeutig lauten: Solche Gegenmachtmodelle führen nur zu einer Kopie der Hegemonialmacht USA. Auf dem EU-Konvent wurde der Barnier-Bericht für den Bereich der Verteidigung vorgelegt, in dem man die Ausgaben im Militärbereich der verschiedenen EU-Staaten zusammenrechnete und formulierte, sie müssten mindestens so hoch sein wie die der USA. Eindeutig der Versuch, eine interimperiale Aufrechnung durchzuführen.

Wenn die Entwicklung also so weitergeht, und wir tatsächlich die Herausbildung einer Gegenmacht erleben, dann müssen wir genauso gegen Interventionskriege Stellung beziehen, die von dort ausgehen. Und das heißt für uns in Deutschland: der Kampf gegen die Militarisierung der Außenpolitik ist noch wichtiger als bisher.

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