Pressebericht / in: Phase 2, Nummer 6
Eine neue Friedensbewegung?
Entgegen dem Vorurteil, die Friedensbewegung sei ausschließlich ein ethisches Unterstützungskommando der deutschen Außenpolitik, stellte die "Informationsstelle Militarisierung" (IMI) auf ihrem diesjährigen Kongress in Tübingen trotz des bevorstehenden Irakkrieges die deutsche Kriegs- und Militärpolitik in den Mittelpunkt ihrer Kritik.
Udo Schneider (BgR Leipzig) / Pressebericht / Dokumentation (10.01.2003)
Vorbemerkung: Dieser Text ist in der „linken“ Zeitschrift „Phase 2“ erschienen. Es ist ein Bericht vom IMI-Kongress im November. Diese 6. Ausgabe von „Phase 2“, in der der Artikel erschien wurde im übrigen vom deutschen Zoll vollständig beschlagnahmt unter dem Vorwand „verfassungsfeindlicher Inhalte“.
Monsterinsel
Mal angenommen man wäre neu in der deutschen Linken und käme auf die Idee, sich ein Bild von der deutschen Friedensbewegung zu verschaffen, hätte zu diesem Zweck aber nur Zeitschriften wie „Bahamas“ oder „Jungle World“ zur Verfügung. Unweigerlich entstünde vor dem geistigen Auge eine politische Horrorvorstellung. Man sähe sich von einer massenhaften Kolonne deutscher Friedensfreunde und Freundinnen umzingelt, in der vereint im Hass auf Israel und die Vereinigten Staaten von Amerika Walserianer und Möllemänner, rechte und alternative HeimatschützerInnen sowie GegnerInnen der Finanzspekulation einträglich mit der Bundesregierung marschierten. Spekulierte man über die Agenda bei einem Meeting im Umkreis dieser unappetitlichen Gesellschaft, so ließe sich als großes Überthema wohl nur die von Finanzkapital und jüdischer Lobby gesteuerte Weltherrschaftspolitik der USA, dicht gefolgt von der Thematisierung der imperialistischen Sperrspitzenfunktion Israels und schließlich die Hervorhebung deutscher Friedenskompetenz vermuten. Beim wirklichen Kongress der IMI, welcher vom 9. bis 10. November unter dem Titel „Deutschland und die Bundeswehr als globaler Akteur“ mit etwa 100 Teilnehmenden stattfand, ging es nur sekundär und in Form nüchterner, materialistisch geerdeter Analysen um die Außenpolitik der USA. Israel war vorrangig in Form eines ausgelegten Flugblatts aus dem Umkreis der IMI Thema, in welchem sein Existenzrecht verteidigt und linker Antisemitismus in den Reihen der Friedensbewegung angeprangert wurde. Um Deutschland ging es dann allerdings in besonderem Maße. Jedoch wurde nicht im Sinne des oben geschilderten Vorurteils die deutsche Kriegsskepsis mit einer Feierstunde begangen, sondern ihre Substanz und ihre Hintergründe in den Mittelpunkt von Analyse und Kritik gerückt.
Deutschland als globaler Akteur
Von der ersten bis zur letzten Veranstaltung zeigte sich, dass man in IMI-Kreisen weit davon entfernt ist, die ablehnende Haltung der Bundesregierung gegenüber einer Militärintervention im Irak als Ausdruck philanthropischer Gesinnung oder Überbleibsel historisch motivierter Selbstbeschränkung zu interpretieren. Die deutsche Außenpolitik will die Gegenmachtbildung und strebt in diesem Zusammenhang eine andere, mit den US-amerikanischen Interessen im Widerspruch stehende geopolitische Neuordnung des Nahen Ostens an. Dabei sind es nicht in erster Linie die wirtschaftlichen Beziehungen zum Irak, sondern vielmehr die Befürchtungen, dass nach Bagdad mit dem Iran ein potenterer Partner der deutschen Exporteure ins Fadenkreuz der USA gerät, die für die gegenwärtige Anti-Kriegshaltung handlungsleitend sind.
Allerdings stellte bereits bei der Auftaktdiskussion über die „Szenarien der Bundeswehr im Krieg gegen den Terror“ und besonders bei einer folgenden über die „Deutschen Interessen im „Antiterror-Krieg“ der Referent Tobias Pflüger, IMI-Vorstand und eine Art intellektuelles Aushängeschild des Veranstaltervereins, klar, dass nur mit Blick auf die Interessen der Exportwirtschaft in Vorderasien, die deutschen Großmachtstrategien nicht zu verstehen sind. Andere Teilnehmende wiesen in diesem Zusammenhang daraufhin, dass Deutschland die Hälfte seiner Exporterlöse auf Dollarmärkten realisiert. Der deutsch-amerikanische Waren- und Finanzaustausch inklusive der kapitalverflechtenden Direktinvestitionen übersteigt das Handels- und Investitionsvolumen Deutschlands mit dem gesamten Nahen Osten um ein Vielfaches. Dass deutsche Außenpolitik neben politischen und militärischen Eigendynamiken vor allem aus den unterschiedlichen, oft auch widersprüchlichen Anforderungen nationaler und transnationaler Kapitalfraktionen resultiert, ließe sich auch am Verhalten der Wirtschaftslobbyisten beobachten. So lädt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Ludolf von Wartenberg, die Vertreter von Politik und Wirtschaft nicht nur zu Gesprächsrunden in den Nah- und Mittelostverein ein, sondern appelliert parallel dazu in der „FAZ“ an die Bundesregierung, „sich auf die gemeinsamen Werte und traditionell engen Beziehungen mit den Amerikanern“ zu besinnen. Die Vermittlung der differenzierten Interessenstruktur läuft demzufolge nicht auf einen eindimensionalen Weg deutscher Machtprojektion hinaus. Die Optionenvielfalt könne man laut Pflüger an den unterschiedlichen „Hüten“ erkennen, die sich die Bundeswehr bei ihren weltweiten Interventionen aufsetzt. Ob im UN-, NATO-, EU- oder ad hoc-Einsatz, entscheidend sei das Ziel der Einfluss- und Kompetenzerweiterung. Letztendlich ist auch das „nein“ der Bundesregierung zum Irakkrieg nur ein halbherziges „ja“. Deutschland wird de facto mit dabei sein und die Invasion unterstützen. Sei es durch die Entlastung amerikanischer und britischer Kapazitäten in Afghanistan oder die fortdauernde Stationierung der ABC-Abwehrkräfte in Kuwait. Es wird versuchen, die eigenen militärischen Handlungsoptionen auszuweiten sowie die bisherigen Mitspracherechte und Einflusszonen zu sichern.
Vom Stand der Großmachtrivalität
Unter der Prämisse „Einflusserweiterung“ ist auch die Zustimmung der Deutschen zur geplanten NATO-Eingreiftruppe wahrscheinlich. Obwohl diese auf eine erneute Anerkennung US-amerikanischer Weisungsbefugnis hinausliefe. Das Verhältnis von Konflikt und Kooperation in den transatlantischen Beziehungen bestimmte dann insbesondere die Veranstaltung mit dem Titel „Die USA und die militarisierte Europäische Union: Partnerschaftliche Führung der Welt oder Rivalität zwischen zwei Großmächten?“, die vom zweiten herausragenden IMI-Primus Jürgen Wagner eingeleitet wurde. Erneut wurde deutlich, dass die Kritik der amerikanischen Weltordnungspolitik immer in Relation zu den deutsch-europäischen Machtambitionen thematisiert wurde. Entgegen der auch auf dem Kongress oftmals artikulierten These, das Weltsystem werde vom Konflikt zwischen den USA und den europäischen Staaten vollständig determiniert, sprach der Referent die Existenz gegenläufiger Tendenzen an. Sicher sei eine Zunahme transatlantischer Konflikte zu beobachten. Im geopolitischem Bereich dreht sich die Rivalität um die Frage, wer Schutzmacht in Osteuropa wird. Ökonomisch konkurriert man um Weltgeld und Absatzmärkte. Und militärisch versucht die USA die europäischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu torpedieren. Aber nicht nur die USA halten ihr Angebot, dass sich Deutschland als Juniorpartner an der Weltordnungspolitik beteiligt für plausibel. Wagner zitierte mit Jens van Scherphenberg einen Vertreter der Position, die für das deutsche Vorankommen im Windschatten der USA steht. Immerhin gewährleisten die Vereinigten Staaten nach Meinung des Mitarbeiter der SPD-nahen „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Gestalt der Pax Americana mit der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Weltordnung ein globales öffentliches Gut und wären in dieser Funktion derzeit nicht ersetzbar. Trotz der Zunahme von Konflikten, stünde ein innerimperialistischer Showdown derzeit nicht bevor. Wie könne man sonst erklären, so Wagner, dass die dominante Weltmacht die nächstfolgenden Großmächte fortwährend zur Verstärkung ihrer militärischen Fähigkeiten auffordert?
Papiertiger Bundeswehr?
Erst jüngst rügte NATO-Generalsekretär Robertson den zu niedrigen deutschen Militärhaushalt. Zwar lässt sich die Militarisierung der Außenpolitik nicht bezweifeln, immerhin ist Berlin mit 10000 Einsatzkräften zweitgrößter Truppensteller im internationalen Maßstab, doch eine mit dem Flottenwettrüsten im Vorfeld des 1. Weltkrieges vergleichbare Dynamik ist bei weitem nicht belegbar. In allen Medien der Republik beschweren sich deutsche Soldatenverbände über die dramatische Kassenlage. Der „Spiegel“ berichtet von der Fernmeldeschule des Heeres im bayerischen Feldafing in der nur noch behelfsmäßig eingesetzte Eichenstämme verhinderten, dass den SoldatInnen die Hörsaaldecke auf den Helm kracht. Der Jugendoffiziersausbilder Kai Samulowitz, nach Eigeneinschätzung ein Linker, der in der Bundeswehr den Marsch durch die Institutionen angetreten hat, illustriert auf dem IMI-Kongress die Lage mit der Information, dass die deutsche ISAF-Truppe in Kabul den Bundeswehreinheiten in Mazedonien die Heizlüfter abkommandierte. Der Wirtschaftskrise sei dank, für den ganz großen Zapfensstreich reicht es demzufolge in naher Zukunft noch nicht. Jedoch wies IMI-Mitglied Lühr Henken mit zwei äußerst faktenreichen Vorträgen nach, wie trotz angespannter Haushaltssituation die Bundeswehr über den effektiveren Einsatz ihrer Mittel und unterstützt von wachsenden Einnahmen aus dem Rüstungsexport zu einer modernen Interventionsstreitmacht umgebaut wird, der in 20 Jahren modernste Aufklärungs- und Angriffswaffensysteme zur Verfügung stehen.
Anschluss oder Ausschluss?
Es mag ein billiger Trick sein. Beim eingangs tiefschwarz gezeichnetem Vorurteil muss fast jede Realität ein stückweit heller und freundlicher erscheinen. Damit es nicht als propagandistische Blendung erscheint: Selbstverständlich bot auch der IMI-Kongress einigen Anlass zur Kritik. In einigen Statements zeigte sich ein unkritischer Optimismus angesichts der mehrheitlichen Ablehnung in der deutschen Bevölkerung gegenüber einer Militärintervention im Irak. IMI-Vorstand Pflüger hielt sofort dagegen, dass die gegenwärtigen Meinungsverhältnisse nur bedingt als Resonanzboden einer linken Kriegsgegnerschaft zu betrachten sind. Es komme darauf an, sehr genau zu betrachten, aus welcher Motivationslage sich die kriegsskeptischen Haltungen ergeben. Schlimmer wurde die Sehnsucht nach dem Subjekt „Volk“, wenn sie nicht naiver Gutgläubigkeit entsprang, sondern sich als Ausdruck einer überholten marxistischen Gesellschaftssicht entpuppte. Danach seien es die Herrschenden, welche im Auftrag der konkurrierenden nationalen Kapitale gegen die Interessen der Völker Kriege führen und deren Zustimmung allerhöchstens über den manipulativen Mediengebrauch erlangen könnten. Der in solchen Fällen zu vernehmende Widerspruch, welcher auf die Identifikation der Individuen mit Nation und Kapital, auf die durch die Menschen hindurchgehende Reproduktion von Ab- und Ausgrenzungsideologien hinwies, bekam in allen Fällen den lauteren Beifall. Ähnlich das Publikumsverhalten gegenüber dem fast schon schüchternen Versuch, an der Legende zu stricken, dass es in Deutschland öffentlich nicht möglich ist, Kritik an der israelischen „Besatzungspolitik“ zu formulieren. Auch hier wurde postwendend sichtbar, dass solche Positionen in IMI-Kreisen auf dünnem Eis stehen. Überhaupt hatte man den Eindruck, der Kongress repräsentierte nicht nur die thematische Auseinandersetzung sondern auch eine Art Generationenbruch in diesem Teil der Friedensbewegung, in Folge dessen sich eine von antinationalen Debatten beeinflusste Fraktion durchsetzt. In Zeiten, wo für nicht unrelevante Teile der hiesigen Linken das Stichwort „Friedensbewegung“ nur noch im Feindbildraster existiert, schon dessen Nennung das Ende der Debatte markiert, bevor diese begann, wird diese Entwicklung wohl kaum zur Kenntnis genommen. Deshalb die Schwarz-Weiß-Kontrastierung, hinter welcher die Hoffnung steckt, dass ein positiver Aha-Effekt die Ausmaße denunziatorischer und identitätsversessener Streitkultur glättet und am Anfang einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit linken Positionen in der Friedensbewegung steht.
Quelle: http://phase2.nadir.org/rechts.php?artikel=99&print=