Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

(aus dem Buch Ulrich Sander: "Szenen einer Nähe - Nach dem großen Rechtsum bei der Bundeswehr", Bonn 1998)

Die Garnisonkirche kommt wieder

die Glocken bimmeln schon

Ulrich Sander (20.03.2002)

Feierliches steht in Potsdam bevor. Die Garnisonkirche, wo Reichswehr und NS-Bewegung ihr blutiges Bündnis schlossen, entsteht in neuem Glanze. Zumindest für die Ouvertüre zum Hauptakt – der Wiedererrichtung der Garnisonkirche – sorgten schon vor längerer Zeit die Fallschirmjäger des Sauerlandes.

Doch zunächst der Rückgriff in die Geschichte. Am 21. März 1933 war dies zu erleben: „Auf der einen Seite standen die Formationen der Reichswehr mit aufgepflanzten Seitengewehr, auf der anderen Seite Abteilungen der SS und SA. Ungefähr 20 Minuten nach 11 Uhr begannen von allen Potsdamer Kirchen die Glocken zu läuten. Der Staatsakt in der Garnisonkirche: Das Kernstück der Potsdamer Veranstaltung. … Während Adolf Hitler zu seinem Platz zurückschreitet, streckt ihm der Reichspräsident in tiefer Bewegung die Hand entgegen: Es ist der Händedruck der Repräsentanten des alten und des neuen Deutschlands, von denen der Kanzler in seiner Rede gesprochen.“ So berichtete der „Generalanzeiger“ für das rheinisch-westfälische Industriegebiet, Deutschlands größte Zeitung außerhalb Berlins, am 22. März 1933 über den „Tag von Potsdam“.

Derartige feierliche Momente müssen es im westfälischen Iserlohn den Offizieren des Fallschirmschirmjägerbataillons 271schon lange vor der Wende 1989/90 angetan haben. Ihr Chef, Oberstleutnant Max Klaar, sammelte seit 1984 Spenden, um im Falle der Wiedervereinigung der Stadt Potsdam das Glockenspiel der Garnisonkirche neu zu stiften. Nach dem „Anschluss der DDR“, wie er in den „Informationen für die Truppe“ tatsächlich heißt, übergaben dann die Fallschirmjäger einem extra geschaffenen Traditionsverein den für 1,35 Millionen Mark angeschafften überdimensionalen Schellenbaum, dessen Klang dereinst den Tag von Potsdam versüßt hat, auf daß das teure Stück den Potsdamern übergeben werde.

Vorerst erklangen die Glocken den Sauerländern. Auf dem Gelände der Iserlohner Winkelmann-Kaserne war das Glockenspiel provisorisch errichtet worden. In die 40 Glocken wurden unter anderem die Namen der „verlorenen Ostgebiete“ Königsberg, Ostpreußen, Breslau, Schlesien, Stettin, Pommern und Westpreußen geprägt.

Für einige Zeit allerdings mussten die braven Fallschirmjäger das „Lobe den Herren“ und „Üb immer Treu und Redlichkeit“ für viele Wochen vermissen. Sie hatten sich, so wird erzählt, an der Mobilen Eingreiftruppe der Nato und ihrem Manöver „Deterrent Force“ im kurdischen Osten der Türkei zu beteiligen. Ein Manöver, das infolge der Golfkrise auf unbestimmte Zeit ausgedehnt wurde. Unter anderem wurde der Häuserkampf in Bagdad geübt, wie später dann an westfälischen Stammtischen zu hören war. Nach Rückkehr von der Beinahe-Front wurde das Glockenspiel dann nach Potsdam geschafft.

Nachdem dann 50 Jahre nach der kriegsbedingten Zerstörung der Garnisonkirche das Glockenspiel wieder in Potsdam zu hören war, standen neue große Aufgaben vor Oberstleutnant Klaar und seinen Männern. Aus dem Traditionsverein wurde ein Kirchenbauverein gemacht, der weitere Spenden sammeln soll, um den Potsdamern nicht nur zu zeigen, was die Glocken schlagen, sondern auch um die optische Kulisse des historischen Händedrucks des Generalfeldmarschalls Hindenburg und des Gefreiten Hitler wiederherzustellen: Die Garnisonkirche. Großes erwartet uns dann wieder an jenem Platz, auf dem das SED-Regime schnöde ein Rechenzentrum errichten ließ, womit es sich verrechnete.

Klaar: „Nach dem Fall der Mauer und der formellen Vereinigung brauchen wir etwas, das uns auch innerlich zusammenführt.“ Wie sagte schon Hindenburg 1933 in der Garnisonkirche: „Möge der alte Geist dieser Ruhmesstätte auch das heutige Geschlecht beseelen, möge es uns frei machen von Eigensucht und Parteizank und uns in nationaler Selbstbesinnung und seelischer Erneuerung zusammenführen zum Segen eines in sich geeinten, freien, stolzen Deutschlands.“

Zurück nach Iserlohn. Dort geschah nach Entsendung des Glockenspiels schreckliches: Eine niederschmetternde Nachricht war aus dem Bundesverteidigungsministerium eingetroffen. Im Zuge der Umstrukturierung und Verkleinerung der Bundeswehr beschloss das Bundesverteidigungsministerium, den Standort Iserlohn im Rahmen der Truppenreduzierung aufzugeben. Das Fallschirmschirmjägerbataillon 271 erhielt einen neuen Standort, und Oberstleutnant Klaar wurde ins Bundesverteidigungsministerium versetzt.

Doch das Werk der Iserlohner Fallschirmjäger lebt weiter. In Potsdam steht das, was uns „innerlich zusammenführt“: Das Glockenspiel mit seinen einzelnen, den Ostprovinzen gewidmeten einzelnen Glocken, die bis Polen vom „freien, stolzen Deutschland“ künden. Demnächst soll auch die zum Glockenspiel gehörige Garnisonkirche wieder erstehen.

(aus dem Buch Ulrich Sander: „Szenen einer Nähe – Nach dem großen Rechtsum bei der Bundeswehr“, Bonn 1998)

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