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Dokumentation: Offener Brief an Bundesinnenminister Otto Schily

(06.11.2001)

von Eva Weissweiler

Köln, im Oktober 2001

Sehr geehrter Herr Schily,

erlauben Sie mir, daß ich mich mit diesem Brief persönlich an Sie wende, weil ich zu den vielen Intellektuellen meiner Generation gehöre, die Sie indensiebziger und achtziger Jahren sehr bewundert haben und nun von Ihnenpauschal diffamiert werden, weil sie dem Geist, den Sie damals gesät haben,treugeblieben sind.

Für mich waren Sie nicht nur ein brillanter, aufmüpfiger, gebildeterStrafverteidiger, der Tucholsky, Brecht und Hannah Ahrendt zitierte und derpolitischen Justiz jener Zeit immer wieder ihre NS-Vergangenheit vor Augenhielt,sondern auch einer der wenigen glaubwürdigen Pazifisten im deutschenBundestag.Um meine Bewunderung von damals zu verifizieren, habe ich noch einmal IhreBücher nachgelesen, vor allem die noch heute eindrucksvolle Schrift „VomZustand der Republik“, erschienen bei Wagenbach (Berlin) 1986. In diesemBuch, dasIhre wichtigsten „grünen“ Bundestagsreden zusammenfasst, schreiben Sie imVorwort:

„Der Glaube an das Vorschriftsmäßige, an Aktenzeichen und Paragraphen, istein deutsches Elend. Die Verbrechen der Naziherrschaft waren vermittelt vonParagraphen, Strafbestimmungen, Rundverfügungen, Verordnungen, Erlassen undGesetzen. Es scheint mir ein trauriges, gespenstisches, illusionäres undhoffnungsloses Unterfangen zu sein, die Zerstörung des Gewissens, derKultur, desRechts, die in unsere heutige Gegenwart hineinreicht, mit Paragraphen wiedereinzuholen.“

Ich hätte es damals nicht im Albtraum für möglich gehalten, daß Sie selbsteines Tages an der Spitze derjenigen stehen würden, die die Freiheit desEinzelnen und der Gesellschaft mittels „Paragraphen, Strafbestimmungen,Rundverfügungen, Verordnungen, Erlassen und Gesetzen“ zu beschneidenversuchen; ineiner Art, die sogar der Justizministerin bedenklich erscheint, da sieGrundsätzeunserer demokratischen Verfassung außer Acht lässt.

Ihr Schlag- und Drohwort heißt „Terrorismus-Bekämpfung“, ein Gebiet, auf demSie ohne Zweifel kompetent sind. Waren Sie doch der Verteidiger von GudrunEnsslin, haben Sie doch 1975 gefordert, das Verfahren gegen die GefangeneninStammheim einzustellen, wurden Sie doch selber von der Neuen Rheinzeitung(22. 11. 1974) als „Anwalt des Terrors“ bezeichnet, der am 26. April 1986kategorisch verlangte, „daßdie über mich beim Verfassungsschutz lagernden Akten sofort und vollständigvernichtet werden.“ (Frankfurter Rundschau). Vielleicht darf ich Sie und dievielen, die es offenbar vergessen haben, daran erinnern, was Sie selber zumPhänomen der Terrorismus-Hysterie gesagt haben:

Sie verurteilten Bundeskanzler Helmut Schmidt, der Mitglieder derBaader-Meinhof-Gruppe als „Verbrecher, Gewaltverbrecher, skrupelloseGewalttäter undBanditen“ bezeichnete, noch „bevor der erste Zeuge oder ersteSachverständigegehört“ worden sei. (zit. nach Wolfgang Dreßen: Politische Prozesse ohneVerteidigung? Wagenbach, Berlin 1976, S. 64f.) Sie sprachen davon, daß dieMassenmedien, unterstützt von „Politikern aller Schattierungen“, einen“psychologischen Krieg“ gegen die Angeklagten führten (ebda.) Sie meinten,der Rechtsstaatmüsse die Kraft haben, „sich selbst in Frage stellen“ zu lassen, „weil ersich dem Recht und der Wahrheit“ verpflichte und „sich seiner selbst gewiß“wisse (ebda., S. 81). Ja, Sie gingen sogar so weit, den Begriff“Terrorismus“als Nazi-Erbe zu brandmarken, indem Sie in einem Ihrer Stammheimer Plädoyersdarauf hinwiesen, daß Joseph Goebbels 1942 die Presse angewiesen habe, stattvon „Partisanen“ nur noch von „Terroristen“ zu sprechen, da der Begriff“Partisan“ einen glorifizierenden Beigeschmack habe (ebda., S. 65). Um dieseThesezu stützen, zitieren Sie aus einem Befehl des Generalobersten von Blaskowitzvom 17. Juni 1944:

„Ich habe in meinen Befehlen für die Bekämpfung der Terroristen daraufhingewiesen, daß dieser Kampf mit aller Schärfe zu führen ist. Zu meinerFreudehabe ich an zahlreichen Stellen ein energisches Durchgreifen gegen dieTerroristen feststellen können… Daß dabei auch mitunter ein Unschuldigerdem vonden Terroristen angezettelten Kampfe zum Opfer fällt, wird sich nichtvermeidenlassen.“ (ebda., S. 65) Heute sprechen Sie genauso wie der Generaloberst.

Gleichzeitig geben Sie sich als Freund und Unterstützer der Regierung Bushaus und verurteilen jeden, der die amerikanische Außenpolitik kritischsieht.“Eine wirklich schlimme Entgleisung, die leider in gewissen intellektuellenKreisen gegenwärtig zu hören ist“, zitiert Sie am 23. Oktober 2001 derKölnerStadtanzeiger.

Sie werden besser wissen als ich, daß Sie selber zu den „gewissenintellektuellen Kreisen“ gehört haben, die den Vietnam-Krieg und dieamerikanischeRüstungspolitik scharf verurteilten. Als Verteidiger von Horst MahlersprachenSie vor Gericht immer wieder vom „amerikanischen Völkermord in Vietnam.“(zit.nach Jürgen Serke: Strafverteidiger in Deutschland, Luchterhand 1976, S.38).Axel Cäsar Springer hielt Ihnen daraufhin entgegen, er werde die USA nichtkritisieren, solange ihm „der letzte Einblick“ versagt bliebe. Darauf Sie:“Bei Kriegsende haben auch viele Leute gesagt, sie hätten den letztenEinblickin die Judenverfolgung nicht gehabt.“ (ebda.)

In Ihrer Zeit als Grüner wurden Sie nicht müde, gegen die Stationierungamerikanischer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden Front zu machen.“Wirhaben die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß Europa nicht zum SchlachtfeldderSupermächte, sondern zu einem Kontinent des Friedens wird“, sagten Sie am23. Juni 1983 im deutschen Bundestag. Am 6. Mai 1983 unterstellten Sie deramerikanischen Regierung eine „Bereitschaft zum Massenmord“ und zitiertendenehemaligen amerikanischen Außenminister Byrnes mit den Worten: „Was wirjetzttun müssen, ist nicht, die Welt für die Demokratie, sondern für dieVereinigten Staaten sicher zu machen.“ Den amerikanischen Präsidenten ReagannanntenSie jemanden, „der mit der Wahnidee“ umgehe, „es sei die Zeit…desapokalyptischen Endkampfes zwischen Gut und Böse.“ (21. November 1983) Undder damalsamtierenden Bundesregierung warfen Sie vor, sie suche „ihr Heil in derstrikten Anlehnung und Unterord-nung gegenüber den USA.“

Dies ist nur eine kleine Auswahl Ihrer einschlägigen Zitate, die ichaufgrund meiner Recherchen mühelos erweitern könnte. Erwähnt werden solltevielleicht noch der folgende, Ihnen von Jürgen Serke (a.a.O., S. 45)zugeschriebeneAusspruch:

„Wenn ich in Asien oder Südamerika leben würde, dann würde ich auch dieKnarre in die Hand nehmen, um nicht vor Hunger zu krepieren. Das ist garkeineFrage.“

Was mich persönlich schockiert und enttäuscht, ist nicht die Tatsache, daßSie Ihre Meinung geändert haben, sondern die Souveränität, mit der Sie IhreVergangenheit verdrängen. Schämen Sie sich etwa Ihrer Ansichten von damalsodergeht es Ihnen nur um „ein bißchen aura populis“, wie Ihr Vorfahr, derTrierer Rechtsanwalt und Marx-Freund Victor Schily einmal zu einem GenferOberstaatsanwalt gesagt hat – jener Schily, der wegen seines Sturms auf dasZeughausim Eifelort Prüm zum Tode verurteilt wurde, in die Schweiz floh, dort insGefängnis kam und darum bat, in die Türkei (!) ausgewiesen zu werden, da dertürkische Halbmond, „wenn der Flüchtlingshäscher an der Pforte klopft, dieHörner zeigt und nicht zu Kreuze kriecht.“ (zit. nachMarx-Engels-Gesamtausgabe,Aufl. von 1972, 14. Bd., S. 650).

Ich gebe diesen Brief mit gleicher Post an die Presse weiter, die esunbegreiflicher Weise bis jetzt unterlassen hat, Ihre Worte von damals mitdenen vonheute zu vergleichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Eva Weissweiler, Köln Publizistin

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