Dokumentation: Politische Veraenderungen in den USA von Lars Klingbeil (Hannover)
(09.10.2001)
Dokumentation: Politische Veraenderungen in den USA von Lars Klingbeil (Hannover)
Ich moechte Euch noch mal ein paar Infos zur Lage in den USA geben. Vieles davon bekommt man, so habe ich den Eindruck aus den deutschen Medien, bei Euch gar nicht mit. Das Ganze nur stichwortartig, falls ihr weitere Fragen habt, meldet Euch bitte:
Buergerrechte
Justizminister Ashcroft hat unmittelbar nach den Anschlaegen ein umfassendes Paket („Patriot Act 2001“) vorgelegt, wie man seines Erachtens Terrorismus bekaempfen kann. In Detailfragen gibt es noch Unstimmigkeiten mit dem Kongress, naechste Woche wird es aber einen Beschluss geben, der wohl folgende Punkte umfasst:
+ Auslaender, die des Terrorismus verdaechtigt werden, koennen bis zu sieben Tagen festgehalten werden bevor Beweise vorgelegt werden muessen (Ashcroft wollte sie ueber einen undefinierten Zeitraum festhalten, bisher sind es 48 Stunden)
+ Bisher musste fuer das Abhoeren jede Telefonleitung einzeln durch ein Gericht genehmigt werden, dies wird geandert und an den verdaechtigten Person ausgerichtet (sie koennen an jedem Ort abgehoert werden – das beinhaltet dann auch Emails, Voiceboxen und Handys).
+ Terrorismusdefinition: Ashcroft hat Terrorismus dermassen allgemein definiert, dass Buergerrechtler befuerchten, dass selbst der Teenager, der mit seinem Computer hackt oder der steinwerfende Demonstrant rechtlich einer terroristischen Aktion bezichtigt werden koennen.
+ In der Diskussion ist noch der strittigste Punkt, die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten, CIA und FBI. Bisher duerfen FBI/ Gerichte keine Unterlagen mit dem CIA austauschen. Dies will Ashcroft aendern. Es wird wohl eine Lockerung der Vorschriften geben, aber nicht so stark wie vom Innenminister gefordert.
+ Ein weiterer Streitpunkt: Das Repraesentantenhaus fordert das Gesetz nur fuer zwei Jahre zu beschliessen und die Verlaengerung von einer erneuten Zustimmung des Kongresses abhaengig zu machen. Loesung ist noch nicht in Sicht, wird aber wohl eine zeitliche Begrenzung geben.
+ Abgesehen davon wurde ein neues Gremien eingerichtet, der Homeland-Sicherheitsrat unter Fuehrung des Governeurs Tom Ridge. Der Rat ist Schnittstelle verschiedenener Ministerien und ist im Weissen Haus angesiedelt.
Sicherheitspolitik
+ Wolfowitz (stv. Verteidigungsminister und der Haerteste von allen) fordert ein Gesetz aus dem Jahre 1878 aufzuheben, nachdem Militaer nicht im Inland eingesetzt werden darf. An den Grenzen wird das wohl demnaechst auf jeden Fall passieren. Die Nationalgarde ueberwacht zudem jetzt die Flughaefen.
+ Verteidigungshaushalt: Es wird eine „substantielle Erhoehung“ des Haushaltes geben. Der naechste V-Haushalt liegt bei $345 Milliarden, das ist eine Erhoehung um 11% (hinzukommen noch weitere Betraege, die ueber Umwege einfliessen, bspw. Teile des beschlossenen $40 Milliarden-Paketes).
+ Interessant ist die Entwicklung bei NMD: Hatten die Demokraten im Senat noch vor den Attentaten den „Frontalangriff“ (nach amerikanischen Verhaeltnissen) auf NMD geplant – Josef Biden, Vorsitzender des Auswaertigen Ausschusses hat am Tag vorher noch eine sehr ablehnende Rede dazu gehalten – ist die Kritik nun zunaechst verstummt. Der Senat hat den Etat fuer NMD auf $8,3 Milliarden festgelegt, hat dem Praesidenten jedoch die Moeglichkeit gegeben davon $1,3 Milliarden in die Terrorismusbekaempfung zu transferieren. Bush muss also die Prioritaeten setzten. Ansonsten gibt es einige Stimmen, die NMD zunaechst auf Eis gelegt sehen, da die USA in der momentanen Situation keinen Internationalen Vertrag aufkuendigen koennen. NMD dient somit auch als eventuelle Verhandlungsmasse beim Aufbau einer Internationalen Allianz gegen den Terrorismus.
+ Geheimdienste: Es wird auf jeden Fall zu einer massiven Aufstockung der Etats kommen, zudem wird es einen strukturellen Umbau geben. Auch die Aufruestung beispielsweise durch neue Spionageflugzeuge (Global Hawk) wird nicht zu gering ausfallen.
+ Russland soll nun in sicherheitspolitischen Fragen oefter konsultiert werden. Powell hat eine Aufnahme Russland in die Nato nicht ausgeschlossen.
+ UNO-Politik der USA: In einem schnellen Prozess haben die USA beschlossen $582 Millionen Schulden an die UNO zu ueberweisen (Konservative Republikaner im Kongress hatten die Bezahlung der Schulden bisher davon abhaengig gemacht, dass die USA die Sicherheit bekommen, das keine amerikanischen Staatsbuerger vor den Internationalen Gerichtshof gestellt werden. Die jetztige Ueberweisung ist nicht an diese Bedingung gebunden). Nur einen Tag nach den den Attentaten hat der Senat den neuen UN-Botschafter der USA John Negroponte ernannt. Negroponte ist ein Hardliner, der fuer zahlreiche Verbrechen der USA unter anderem in Honduras (dort war er Botschafter) verantwortlich gemacht wird.
+ Die USA haben in einem Eilverfahren darauf gedraengt, eine Resolution im Sicherheitsrat zu verabschieden [1373], die denjenigen Laender mit Sanktionen droht, die sich nicht am Kampf gegen den Terrorismus beteiligt. Gefordert sind u.a. Zerschlagung der Finanzstrukturen, Weitergabe von Geheiminformationen und Auslieferung von Terroristen. Der Sicherheitsrat hat einen eigenen Ausschuss zur Ueberwachung der Implementierung durch die Mitgliedsstaaten eingerichtet (Vorsitz: GB). Durch das Aktivieren des Artikel 7 der UN Charta ist die Resolution fuer alle Staaten verpflichtend.
+ Kofi Annan sieht militaerische Schlaege der USA durch die beiden Resolutionen (eine direkt am Tag nach den Attentaten) anscheinend legitimiert. Wobei Condolezza Rice schon erklaert hat, sie braeuchten keinen UNSR-Beschluss, da sie auf Grundlage des Artikel 51 UNCh handeln.
+ Bush draengt den amerikanischen Kongress darauf, die restlichen der 12 Anti-Terrorismus Konventionen der UNO zu ratifizieren.
+ Ob sich an der amerikanischen UN-Politik und der allgemeinen aussenpolitischen Konzeption etwas entscheidend aendern wird, ist hoechst fraglich. Es wird sich in den naechsten Monaten zeigen, ob es zu einer Aenderung der amerikanischen Konzeption kommt oder ob es lediglich eine Internationalisierung amerikanischer Politik geben wird.
Oekonomie
+ $40 Milliarden Soforthilfe (noch unbestimmter Einsatz), 15 Milliarden Fluggesellschaften und demnaechst noch eine Finanzspritze in Hoehe von 60-75 Milliarden durch Steuersenkungen fuer Investitionen, Vorziehen der Steuerreform und mehr Geld fuer die Arbeitslosenunterstuetzung (Arbeitslosigkeit ist momentan so hoch wie seit 9 Jahren nicht mehr, war aber auch schon vor den Attentaten erheblich gestiegen). Die Kritik, die die Demokraten an dem letzten Gesetz eingebracht haben ist die, dass nur die einkommenstarke Schicht profitiert, hier wollen sie Nachbesserungen.
+ Die Regierung hat ein Gesetz vorgelegt, dass Bush mehr Rechte geben soll, Internationale Handelsvertraege abzuschliessen. Der Freihandel so die Begruendung sei die beste Waffe gegen den Terrorismus. Bisher muss der Kongress immer sein „Ja“ geben, dass soll nun umgangen werden. Vergleichbar mit den „fast-track“-Diskussionen unter Clinton. Demokraten haben schon leichten Protest angekuendigt, da nationale Interessen (vor allem der Gewerkschaften) betroffen sein koennen. Erste spannende Tendenzen des US-Handelns wird es bei dem WTO-Treffen im November in Katar geben.
+ Russland soll moeglichst schnell in die WTO aufgenommen werden.
Generalversammlung der UNO
+ Es gibt eine grosse Unzufriedenheit mit der Resolution 1373, da diese ohne oeffentliche Debatte beschlossen wurde. Amnesty International hat zudem (wie viele Mitgliedsstaaten auch) kritisiert, dass es keine Defintion von Terrorismus gaebe. Dies koennte u.a. Gewalt gegen politische Gegner rechtfertigen.
+ Mittlerweile gibt es Stimmen, die eine High-Level Konferenz zur Klaerung des Terrorismus-Begriff und sinnvoller Gegenstrategien fordern.
Soweit, viele Gruesse aus New York
Lars Klingbeil
(Lars Klingbeil, Student der Politologie, ist Vorsitzender der Jungsozialisten in Nordniedersachsen, Redaktionsmitglied von Wissenschaft & Frieden und Mitglied bei der Informationsstelle Militarisierung)
von ihm hier auf der IMI-Homepage: Neues vom Aufbau der EU-Militärunion https://www.imi-online.de/2001.php3?id=109