ÖTV gegen Militarisierung des Gesundheitswesens

Seminar der betroffenen Betriebs- und Personalräte in Baden-Württemberg

von: Arno Neuber | Veröffentlicht am: 31. Juli 2000

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Am 30. Juni führte die ÖTV Baden-Württemberg ein Tagesseminar mit Betriebs- und Personalräten aus Krankenhäusern durch, die Kooperationsverträge mit der Bundeswehr abgeschlossen haben oder über solche verhandeln.

Bekanntlich hatte die Deutsche Krankenhausgesellschaft im April vergangenen Jahres – während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien – einen Rahmenvertrag mit dem Verteidigungsministerium geschlossen. Die Bundeswehr wollte eigenes Personal an zivilen Kliniken weiterbilden lassen und in Übung halten und bot dafür überschüssiges Material der Reservelazarettgruppen an.

Die Abkommen wurden in aller Heimlichkeit verhandelt und unterzeichnet, ohne Betriebs- und Personalräte, ohne die Gemeinderäte und ohne die Öffentlichkeit zu informieren.

Ruchbar wurde die Angelegenheit zuerst am Klinikum in Karlsruhe, einem Haus der medizinischen Maximalversorgung. Dort hatte der Chef des Bundeswehr-Sanitätsdienstes eine alte Freundschaft mit dem Geschäftsführer der Karlsruher Klinik aufgefrischt und war mit diesem über einen Vertrag handelseinig geworden.

Dem erst in diesem Stadium informierten Betriebsrat blieb die Spucke weg, angesichts des Vertragsinhaltes. Abgesehen von der politischen Brisanz war die Kooperation – von der Geschäftsleitung als personelle und materielle Unterstützung des Klinikums durch die Bundeswehr angepriesen – in Wahrheit so angelegt, dass alle Vorteile bei der Bundeswehr lagen. Es ging nicht nur um kostenlose Ausbildung von militärischem Sanitätspersonal, sondern auch um Nachwuchswerbung für die Truppe. Das Klinikum sollte Bewerber, die aufgrund des Stellenschlüssels nicht eingestellt werden konnten, auf den Job bei der Bundeswehr orientieren. Und es ging um die Abordnung von Klinikumspersonal an Bundeswehrkrankenhäuser. Die Bundeswehr wollte sogar Einfluss auf die Arbeitsverträge der Klinikumsbeschäftigten nehmen. Die sollten keine Möglichkeit haben, eine solche Abkommandierung abzulehnen.

Schnell wurde deutlich, was der Hintergrund für die Kooperationsbemühungen ist. Im Zuge des Umbaus der Bundeswehr zur Interventionsarmee muss auch ein leistungsfähiger Sanitätsdienst her, dessen Personal mit Verletzungen wie sie in Kampfeinsätzen entstehen umgehen kann. Aus einem Dienst, der jahrzehntelang Bundeswehrangehörige im Frieden medizinisch betreut hat, soll ein Sanitätsdienst für Kriegseinsätze werden. Dazu bedarf es der Qualifizierung des Personals. Diese Aufgabe sollen große und leistungsfähige zivile Kliniken übernehmen.

Karlruhe spielt dabei offenbar eine Vorreiterrolle. Hier ist ausdrücklich von der Unterstützung der sogenannten Krisenreaktionslazarette die Rede, die die Bundeswehr an ihren eigenen Krankenhäusern in Ulm und in Koblenz aufbaut.

Außerdem soll das zivile Gesundheitswesen die Lücken eines Sanitätsdienstes ausfüllen, der sich auf seine „Kernaufgabe“ konzentriert – die Erhöhung der „Durchhaltefähigkeit“ der Truppen im Interventionseinsatz.

Im Scharpingschen Umbaupapier „Die Bundeswehr – sicher ins 21. Jahrhundert. Eckpfeiler für eine Erneuerung von Grund auf.“, das Mitte Juni vom Bundeskabinett gebilligt wurde, heißt es dazu: „Die Ausrüstung des Sanitätsdienstes wird für den Einsatz optimiert. Aus dieser Schwerpunktsetzung resultierende Lücken im Inland werden durch Abstützung auf das zivile Gesundheitsssystem geschlossen.“

Der Einsatz, an den hier gedacht wird, ist künftig nicht mehr der Verteidigungsfall – er gilt angesichts der internationalen Lage für mehr als unwahrscheinlich – sondern der „Einsatz im Frieden“, wie es pharisäerhaft im bundeswehrdeutsch heißt. Denn hinter diesem Terminus verbirgt sich nichts anderes, als der Kriegseinsatz, die Militärintervention außerhalb des NATO-Gebietes. Dabei soll die Bundeswehr laut „Eckpfeiler“-Papier „ohne Rückgriff auf Mobilmachung und Aufwuchs in der Lage sein, eine große Operation mit bis zu 50.000 Soldaten aller Teilstreitkräfte über einen Zeitraum von bis zu einem Jahr oder zwei mittlere Operationen mit jeweils bis zu 10.000 Soldaten über mehrere Jahre sowie jeweils parallel dazu mehrere kleine Operationen durrchzuführen.“

Scharping möchte die Bundeswehr zu einer kampfstarken Interventionsarmee machen mit 150.000 Soldaten in den nun sogenannten Einsatzkräften (bisher 60.000 Mann Krisenreaktionskräfte).

Das am 23. Mai der Öffentlichkeit vorgelegte Papier der Weizsäcker-Kommission, macht detaillierte Vorschläge für die Neuausrichtung der Sanitätstruppe.

„Der Umfang dieses neuen Zentralen Sanitätsdienstes richtet sich im Wesentlichen nach den Erfordernissen, die sich aus den Einsatzoptionen der Streitkräfte außerhalb Deutschlands ergeben. Daraus folgt: Die medizinische Versorgung in Deutschland wird nur noch in dem Maße vom Sanitätsdienst selbst erbracht, wie es für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte erforderlich ist oder unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten begründet werden kann.“

„Deshalb sollte der Sanitätsdienst, wo immer möglich und sinnvoll, auf vorhandene zivile Kapazitäten zurückgreifen können. Daraus ergibt sich zwangsläufig auch die Notwendigkeit einer engeren Verzahnung mit dem zivilen Gesundheitswesen.“

Die Bundeswehrkliniken sollen künftig nicht mehr in erster Linie für die Versorgung der Soldaten zuständig sein, sondern Militärärzte und Personal für den Kriegseinsatz im Ausland ausbilden und trainieren.

„Hierfür sollten die heutigen acht Bundeswehrkrankenhäuser umgegliedert und zu fünf großen, überregionalen unfall- und rettungsmedizinisch ausgerichteten Kliniken der höchsten Versorgungsstufe zusammengeführt werden. Parallel hierzu ist die Zahl der Einsatzlazarette von derzeit zwei auf künftig vier zu erhöhen.“

Wenn es gelingt, die zivilen Gesundheitseinrichtungen für die Pläne der Bundeswehr einzuspannen, dann rechnet diese sich aus, das eigene Personal von bislang 26.700 auf 24.000 Dienstposten herunterfahren zu können.

Ein Beitrag zu Scharpings Umbau der Bundeswehr zur Eingreiftruppe. Denn der Verteidigungsminister ist mit dem Finanzminister bereits handelseinig geworden. Alle Rationalisierungsgewinne bei der Bundeswehr sollen direkt in Investitionen für neue Waffen und Ausrüstung fließen.

Militärtransporter, Kampfhubschrauber, Spionagesatelliten und sogenannte Abstands- und Präzisionswaffen sind teuer. Im nächsten Jahr soll der Rüstungsetat (Einzelplan 14) daher erst einmal um 3,2 Prozent erhöht werden. Der Etat des Gesundheitsministeriums wird gleichzeitig um 4,6 Prozent sinken. Deutlicher könnte die Bundesregierung nicht dokumentieren, wo sie die Prioritäten setzen will.

Die ÖTV Baden-Württemberg will sich jedenfalls nicht mit der Militarisierung des Gesundheitswesens abfinden. Sie wird weiterhin die Zusammenarbeit mit der Friedensbewegung suchen. Es wird weitere öffentliche Veranstaltungen und Aufklärungsaktionen geben. Demnächst wird eine Broschüre zum Thema erscheinen und auf der ÖTV-Internetseite soll es eine eigene Sparte für den Informationsaustausch der betroffenen Kolleginnen und Kollegen geben.

Dass Widerstand sich lohnt, zeigt das Beispiel Karlsruhe. Dort musste bisher die Vertragsunterzeichnung immer wieder hinausgeschoben werden.